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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 20. Dezember 2018

KILLING GOD – LIEBE DEINEN NÄCHSTEN (2017)

Originaltitel: Matar a Dios
Regie und Drehbuch: Caye Casas und Albert Pintó, Musik: Francesc Guzmán
Darsteller: Eduardo Antuña, Itziar Castro, David Pareja, Francesc Orella, Emilio Gavira
 Killing God - Liebe Deinen Nächsten (2017) on IMDb Rotten Tomatoes: -; weltweites Einspielergebnis: $0,04 Mio.
FSK: 16; Dauer: 93 Minuten.
 An Silvester empfängt das nicht mehr ganz junge Ehepaar Carlos (Eduardo Antuña, "Torrente 4") und Ana (Itziar Castro, "Blancanieves") in einem Landhaus in den Bergen Carlos' jüngeren Bruder Santi (David Pareja, "Magical Girl") und seinen und Carlos' Vater (Francesc Orella, "Der unsichtbare Gast") zu einem gemütlichen Beisammensein. Zumindest theoretisch. Praktisch fällt der Abend recht ungemütlich aus, da Carlos seine Gattin aufgrund einer SMS ihres Chefs des Ehebruchs verdächtigt und Santi stark unter Liebeskummer leidet, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Die Stimmung ist folglich bereits am Boden, als ein ungeladener Gast erscheint (seltsamerweise in der abgeschlossenen Toilette): Der jähzornige Kleinwüchsige (Emilio Gavira, "Clever & Smart") stellt sich als Gott vor und liefert auch gleich einen ziemlich überzeugenden Beweis für seine Behauptung ab. Dann erzählt Gott dem schockierten Quartett, er habe genug von der Menschheit und werde mit dem Sonnenaufgang alle Menschen töten – nur zwei dürfen überleben, und die vier Anwesenden müssen bestimmen, wer die Glücklichen (?) sein sollen …

Kritik:
Das spanische Kino ist international bekannt für gute Beiträge zum Thriller- und Horrorgenre (z.B. Guillermo del Toros "The Devil's Backbone" und "Pans Labyrinth", "Das Waisenhaus", die "Vanilla Sky"-Vorlage "Öffne Deine Augen", die "[Rec]"-Reihe und fast alles von "Witching & Bitching"- Regisseur Álex de la Iglesia) sowie für prägende Filmemacher wie Luis Buñuel ("Der diskrete Charme der Bourgeoisie"), Pedro Almodóvar ("Die Haut, in der ich wohne"), Alejandro Amenábar ("Agora") und Juan Antonio Bayona ("The Impossible"). Nicht unbedingt international bekannt ist das spanische Kino für seine Komödien – dabei gibt es sehr wohl im Heimatmarkt extrem erfolgreiche Vertreter wie die "Torrente"-Reihe. Daß die in der nicht-spanischsprachigen Welt kaum funktionieren, kann an einer (ausgehend von dem relativ Wenigen, das ich gesehen habe) ziemlich albernen, übertriebenen humoristischen Herangehensweise liegen oder schlicht und ergreifend daran, daß vermutlich kein Genre so sehr dem Lokalkolorit verpflichtet ist wie die Komödie – immerhin dürfte über deutsche Erfolgskomödien wie "7 Zwerge" oder die Werke von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer das Ausland ebenfalls recht verständnislos mit den Schultern zucken (wenngleich die "Fack ju Göhte"-Reihe durchaus internationale Erfolge feiern konnte – Schule ist nunmal eine universelle Thematik). Es ist selten genug, daß es überhaupt mal eine spanische Komödie in die deutschen Kinos schafft; daß "Killing God – Liebe Deinen Nächsten" dieser Sprung gelingt (obwohl er in der Heimat kein Hit war), dürfte vorrangig seiner spannenden und mit sparsam dosierten Horrorelementen á la "Rare Exports" angereicherten Prämisse zu verdanken sein. Doch bedauerlicherweise gelingt es dem Regie- und Drehbuchduo Caye Casas und Albert Pintó nur phasenweise, die mit Leben zu erfüllen.
Zu viele Möglichkeiten, die sich aus diesem unkonventionellen Gottes-Besuch ergeben, bleiben ungenutzt oder werden nur angekratzt, stattdessen ergeht sich der Film viel zu lange in den auf Dauer langweiligen und repetitiven privaten Streitigkeiten der Familie. Speziell das beständige Gekeife rund um Anas (angebliche) Affäre, mit dem das Publikum nach dem verheißungsvollen Prolog fast eine halbe Stunde lang konfrontiert wird, wirkt auf Dauer wie ein phantasieloser Laufzeitstrecker. Spätestens wenn Carlos auch noch nach der Ankunft Gottes zum gefühlt 100. Mal auf das Thema zurückkommt – als ob es nun nicht Wichtigeres zu besprechen gäbe –, rollt nicht nur Ana genervt mit den Augen. Klar, man kann das als Running Gag betrachten, der humoristisch Carlos' Engstirnigkeit und die Unfähigkeit, sich auf das in der Gesamtbetrachtung definitiv Bedeutendere zu konzentrieren, verdeutlicht – und sehr wahrscheinlich ist sogar genau dieser Kontrast zwischen der Engstirnigkeit der selbstsüchtigen Familie und der gewaltigen Entscheidung, die ausgerechnet sie treffen sollen, gewollt. Leider wird der insgesamt ähnlich platt und unwitzig präsentiert wie besagter Running Gag. Überhaupt halten sich die Sympathien für die dysfunktionale Familie in Grenzen. Zumindest Santi kommt recht vernünftig (wenn auch etwas weinerlich) rüber und auch der Vater wirkt ganz nett, aber den meisten Raum bekommen eben Carlos und Ana und die, ich wiederhole mich, nerven ziemlich. Den Schauspielern ist das kaum anzulasten, die verkörpern ihre Rollen allesamt mit Leidenschaft und Ausdrucksstärke. Besonders effektiv wird Gott eingesetzt – klingt komisch, ist aber so. Emilio Gavira spielt den grummeligen, trinkfesten, eher alttestamentarischen und mit einem knochentrockenen Humor ausgestatteten Schöpfer der Welt ausgesprochen schwungvoll und auf seine ganz eigene Art und Weise so charismatisch, daß man sich selbst als Atheist durchaus vorstellen kann, Gott – oder zumindest irgendein göttliches Wesen – könnte theoretisch so sein. Bedauerlicherweise machen Casas und Pinto aus dieser beeindruckenden Präsenz wenig; es ist ja nachvollziehbar, daß man Gott nicht verheizen möchte (noch so ein Vertreter der Kategorie "Sätze, von denen ich nie dachte, sie einmal zu schreiben"), aber wenn der nunmal die eindeutig interessanteste und spannendste Figur des Films ist, dann sollte man ihn auch nicht unbedingt für längere Zeit aufs erzählerische Abstellgleis schicken.
Das wiederum hängt mit einer erstaunlichen Phantasielosigkeit hinsichtlich dessen zusammen, was man aus dieser Konstellation machen könnte. Wenn wir uns einmal in die Situation von Carlos' Familie hineinversetzen und uns vorstellen, wir wären an ihrer Stelle: Gäbe es nicht unzählige Fragen, die wir an Gott hätten? Carlos' Vater sagt das zwar auch, letztlich begnügt sich "Killing God" aber mit einer einzigen Frage, deren Beantwortung immerhin recht gelungen ist (wenn auch nicht übermäßig originell). Das soll wohl symbolisch für alle möglichen anderen Fragen stehen, ist aber letztlich eine schwache Entschuldigung dafür, daß das Quartett nicht einmal Naheliegendes wissen will. Das ließe sich bei einem High Concept-Film wie diesem verschmerzen, würde man sich dafür mit voller Kraft auf andere Aspekte konzentrieren wie die buchstäblich existentielle Entscheidung, wen Gott am Leben lassen soll (immer vorausgesetzt, daß Gott wirklich Gott ist und seine Drohung dann auch wahrmacht – das werde ich natürlich nicht spoilern!). Doch auch hier bringt einzig Santi vernünftige Argumente und Fragestellungen in die hitzige Diskussion ein, die von den anderen jedoch schnell abgebügelt werden und am Ende doch wieder nur zu Carlos' Wut auf seine Gattin führen. Daß die Dialoge dabei kaum in die Tiefe gehen, nur sehr selten und kurz unerwartete Pfade beschreiten und vor allem nicht in der Lage sind, die Absurdität der grotesken Situation angemessen zu verdeutlichen, ist ebenso wenig hilfreich. Den interessantesten und originellsten Aspekt seiner Geschichte führt "Killing God" bereits im Titel: Irgendwann fragt sich unser unharmonisches Quartett in der Folge eines seltsamen Zwischenfalls, ob sich das Problem nicht durch den ultimativen blasphemischen Akt lösen ließe: Gott zu töten! Ohne zu viel zu verraten: Dieser nicht ganz alltägliche Einfall sorgt dafür, daß Casas und Pintó endlich die Zügel locker lassen und den Zuschauern amüsante und atmosphärische finale 15 Minuten bescheren, die das Publikum mit einer recht eindrucksvollen Schlußeinstellung, aber auch mit vielen unbeantworteten Fragen zurücklassen. Das Finale kann daher auch nicht mehr viel daran ändern, daß "Killing God" durch seine inhaltliche und tonale Unentschlossenheit, die zu einer allzu oberflächlichen und manchmal sogar plumpen Behandlung der aufgeworfenen Fragen führt, nur selten über Mittelmaß hinauskommt. Ja, man kann sich eineinhalb Stunden lang passabel unterhalten lassen, aber das größte Verdienst des Films ist wohl tatsächlich, daß er gerade durch seine Auslassungen dem Publikum viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren mitgibt.

Fazit: "Killing God – Liebe Deinen Nächsten" ist eine schwarzhumorige spanische Komödie mit Horrorelementen, die enttäuschend viele Möglichkeiten ihrer faszinierenden Prämisse ignoriert und sich zu sehr auf die übertrieben albern dargestellten menschlichen Figuren konzentriert.

Wertung: 6 Punkte.

"Killing God – Liebe Deinen Nächsten" wird vom lupusFILMVERLEIH am 27. Dezember 2018 in die deutschen Kinos gebracht. Eine Rezensionsmöglichkeit wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.

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