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Dienstag, 11. September 2018

Klassiker-Rezension: DER TAG, AN DEM DIE ERDE FEUER FING (1961)

Originaltitel: The Day the Earth Caught Fire
Regie: Val Guest, Drehbuch: Wolf Mankowitz und Val Guest, Musik: Stanley Black
Darsteller: Edward Judd, Janet Munro, Leo McKern, Arthur Christianson, Reginald Beckwith, Michael Goodliffe, Austin Trevor, Bernard Braden, Edward Underdown, Robin Hawdon, Renée Asherson, Sir Michael Caine
 Der Tag, an dem die Erde Feuer fing (1961) on IMDb Rotten Tomatoes: 80% (7,0); FSK: 6, Dauer: 95 Minuten.
Die Journalisten des Londoner "Daily Express" gehen routiniert ihrer Arbeit nach, auch wenn diverse ungewöhnliche Wetterphänomene für großes Stirnrunzeln sorgen. Tatsächlich kommen der abgebrühte Wissenschaftsredakteur Bill Maguire (Leo McKern, "Das Omen") und sein nach seiner Scheidung besonders zynischer jüngerer Kollege und Freund Peter Stennings (Edward Judd, "Raubzug der Wikinger") durch eine Kombination aus gründlicher Recherche und guten Kontakten wie der Ministersekretärin und Telefonistin Jeannie Craig (Janet Munro, "Dschungel der 1000 Gefahren") den Ursachen des merkwürdigen Wetters auf die Spur: Alles deutet darauf hin, daß zwei von den Amerikanern und den Sowjets an Nord- und Südpol zufällig gleichzeitig durchgeführte Atombombentests die Erde aus ihrem Gleichgewicht gebracht haben! Während die Regierungen das verheimlichen wollen, um keine Panik in der Bevölkerung zu verursachen, veröffentlicht der "Daily Express" seine Erkenntnisse und Schlußfolgerungen. Das gibt natürlich Ärger, schlimmer ist jedoch, daß das Wetter immer extremer wird, die Temperaturen immer weiter steigen und deshalb schon bald die Wasserversorgung gefährdet ist. Ist die Erde noch zu retten?

Kritik:
Die verbreitete Kalter Kriegs-Atombomben-Paranoia hat besonders in den 1950er und 1960er Jahren eine ganze Reihe von Klassikern des Genrekinos hervorgebracht. Die meisten stammen aus Hollywood (z.B. "Das letzte Ufer", "Der Tag, an dem die Erde stillstand", "Them!", "Die Dämonischen", "Formicula", auch "Der Planet der Affen") und naheliegenderweise aus Japan (die "Godzilla"-Reihe, Akira Kurosawas "Bilanz eines Lebens"), doch ein paar entstanden auch in Europa. Dazu zählt die britische Schwarzweiß-Produktion "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" von Val Guest ("Feinde von gestern", "Als Dinosaurier die Erde beherrschten"), der mit Wolf Mankowitz ("Die 25. Stunde", "Black Beauty") auch das Drehbuch verfaßte. Das erzählt eine ungewöhnliche Mischung aus Katastrophen- und Journalismusfilm, bei der es auch SciFi- und Romanzen-Elemente gibt. Trotz der Prämisse sollte man aber keinen Katastrophenfilm á la Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow" erwarten, denn "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" ist eine Low Budget-Produktion, die gerade einmal etwa 200.000 britische Pfund kostete. Das merkt man dem Film (in dem Sir Michael Caine wenige Jahre vor seinem Durchbruch einen Mini-Auftritt als Polizist hat) leider an, der allerdings nicht nur deshalb relativ schlecht gealtert ist.

Die ganzen Wetter-Katastrophen, um die es in "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" geht, muß das Publikum den Erzählungen der handelnden Figuren schlicht und ergreifend glauben, denn zu sehen ist davon fast nichts. Das höchste der Gefühle in Sachen Wetter-Spezialeffekte ist da schon sehr plötzlich aufziehender Nebel in London – und auch der ist wenig glaubwürdig dargestellt. Wie man das hinbekommt, hat etwa John Carpenter in seinem Grusel-Meisterwerk "The Fog – Nebel des Grauens" knapp 20 Jahre später gezeigt, und das lag keineswegs nur am technischen Fortschritt (bereits die Universal-Monsterfilm-Klassiker der 1930er Jahre haben Nebel sehr viel stimmungsvoller eingesetzt). Wenn also der Katastrophenfilm-Aspekt weit in den Hintergrund rückt, muß "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" eben als Journalismusfilm punkten. Das funktioniert auch weit besser, wenngleich der Machismo der fast ausschließlich männlichen Zeitungsleute aus heutiger Perspektive nicht mehr allzu sympathisch rüberkommt und zudem ihr permanenter Zynismus auf Dauer nervt, der sie jede neue Katastrophenmeldung mit einem flapsigen Spruch kommentieren läßt. Positiver betrachtet werden die Journalisten jedenfalls nicht zu strahlenden Helden verklärt. Zwar sind sie letztlich durchaus die aufrechten Kämpfer für Gerechtigkeit und Offenheit und wirken gewissermaßen wie hemdsärmelige Helden der Arbeiterklasse – aber ihre Schwächen (Neigung zur Trunksucht, Hang zum Regelbruch, unter der Arbeit leidendes Privatleben) werden keineswegs verschwiegen. Wie realistisch das damalige Redaktionsleben tatsächlich präsentiert wird, kann ich nur schlecht einschätzen; die Tatsache, daß mit Arthur Christiansen ein früherer Chefredakteur des echten "Daily Express" den Chefredakteur der Zeitung spielt, spricht allerdings für eine recht hohe Authentizität, denn Christiansen dürfte dem Regisseur seine eigenen Erfahrungen kaum vorenthalten haben.

Schauspielerisch gibt es insgesamt wenig zu bemängeln, auch wenn der ewige Zynismus der Zeitungsleute sich auf Dauer ermüdet und ihnen nur wenig Raum zur Entfaltung gibt. Dennoch macht vor allem Leo McKern als alter, hartnäckiger Hase Bill einen guten Eindruck, während der von Edward Judd in seiner ersten Hauptrolle verkörperte aufbrausende Peter durch seine holprige Liebesgeschichte mit Jeannie etwas mehr Bandbreite zeigen darf. Diese Romanze ist zwar dramaturgisch ziemlich überflüssig, sorgt aber für ein wenig Abwechslung und verhindert vor allem, daß "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" eine reine Männerveranstaltung bleibt. Zudem ist es durchaus erfreulich, daß Janet Munro die patente Sekretärin für die damalige Zeit bemerkenswert selbstbewußt und selbstbestimmt interpretieren darf. Weniger überzeugend ist leider die Darstellung der zunehmenden Panik bzw. (behaupteten) Weltuntergangsstimmung, die Regisseur Guest in einigen beispielhaften Szenen einfangen will, damit aber nur schwerlich dem katastrophalen Szenario gerecht wird. Das liegt überwiegend in der Verantwortung eines wenig einfallsreichen Drehbuchs, das aus der damals weit verbreiteten Furcht vor den potentiell verheerenden Folgen der Atombombenversuche eher wenig herausholt; doch manche Momente leiden naturgemäß auch unter dem Wandel der Zeit. Für heutige Zuschauer wirkt es jedenfalls eher amüsant als erschreckend, wenn die Polizei ein ganzes Stadtviertel von London abriegelt, weil darin Jugendbanden marodieren – was in der Praxis so aussieht, daß die Halbwüchsigen halbnackt und ausgelassen zu "unschicklicher" Musik durch die Straßen tanzen und ab und zu einmal eine zünftige Schlägerei anfangen. Wer beispielsweise den exzellenten australischen Endzeitfilm "These Final Hours" gesehen hat, kann über sowas nur schmunzeln (zugegeben, es kommt auch zu einem angedeuteten Vergewaltigungsversuch, der hat aber sichtlich nur den Zweck, Berufszyniker Peter als echten Helden zu zeigen). Die Momente, in denen der Film die Stärken seiner Prämisse ausspielt und die wirklich sehr atmosphärisch sind, finden in aller Regel nicht irgendwo auf den Straßen oder in Wohnungen statt, sondern in der Redaktion des "Daily Express". Wenn die hartgesottenen Journalisten gebannt den wenig verheißungsvollen Berichten im Radio über die möglichen Rettungsversuche lauschen, dann wirkt das in der Tat bedrückend und authentisch. Und in den großartig ausgespielten finalen Momenten wird "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" (abgesehen vom etwas sehr pathetischen Text, den Peter aus dem Off diktiert) sogar noch richtig gut.

Fazit: "Der Tag, an dem die Erde Feuer" fing ist ein britischer Katastrophenfilm-Klassiker, der mit seinem Journalismus-Fokus überzeugt und phasenweise sehr stimmungsvoll ist, aber unter seiner Low Budget-Machart und einem schon damals wenig einfallsreichen und seitdem noch schlecht gealterten Drehbuch leidet.

Wertung: 6,5 Punkte.