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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 25. April 2018

GHOST STORIES (2017)

Regie und Drehbuch: Jeremy Dyson und Andy Nyman, Musik: Frank Ilfman
Darsteller: Andy Nyman, Martin Freeman, Paul Whitehouse, Alex Lawther, Macie Allen, Kobna Holdbrook-Smith, Nicholas Burns, Jeremy Dyson
 Ghost Stories
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 84% (7,1); weltweites Einspielergebnis: $4,2 Mio.
FSK: 16, Dauer: 98 Minuten.

Der britische Professor Phillip Goodman (Andy Nyman, "Sterben für Anfänger") hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, in seiner TV-Sendung falsche Hellseher und ähnliche Scharlatane zu entlarven. Als er eines Tages einen Brief mit einer Einladung seines Kollegen Charles Cameron erhält, ist das für Prof. Goodman eine große Sache: Nicht nur war Cameron mit seinen eigenen Nachforschungen in den 1970er Jahren sein großes Vorbild, er verschwand außerdem vor vielen Jahren spurlos und wird seitdem allgemein für tot gehalten. Das mit Spannung erwartete Treffen verläuft für Prof. Goodman allerdings eher ernüchternd, denn Cameron ist nicht wirklich ein Fan seines Nachfolgers im Geiste. Dennoch bittet er ihn, drei mysteriöse Fälle zu überprüfen, bei denen es Cameron nicht gelang, übernatürliche Vorkommnisse auszuschließen. Im ersten geht es um Nachtwächter Tony (Paul Whitehouse, "The Death of Stalin"), der in einer ehemaligen psychiatrischen Anstalt für Frauen eine grauenhafte Nacht überlebte; der zweite Fall handelt von dem Jugendlichen Simon (Alex Lawther, "The Imitation Game"), der nachts mit dem Auto seines Vaters ein merkwürdiges Wesen überfuhr; in Fall 3 geht es um ein Poltergeist-Erlebnis des arroganten Investmentbankers Mike (Martin Freeman, "Der Hobbit"). Findet Prof. Goodman eine Erklärung?

Kritik:
Anthologiefilme, die mehrere kurze Geschichten erzählen, gibt es zwar nicht allzu häufig, aber immer wieder einmal – und obwohl es gelegentlich Beispiele für andere Gattungen gibt (z.B. den weitgehend mißlungenen "Movie 43" aus dem Komödienbereich), entstammen die meisten von ihnen dem Horrorgenre. Zunächst waren es vor allem die Briten, die sich um das Subgenre verdient machten, so entstand bereits 1945 der hochgelobte "Traum ohne Ende"; in den 1960er und 1970er Jahren, als das britische Kino dank der Studios Hammer und Amicus die weltweite Hochburg des Horror- und Gruselfilms war, ließ Amicus mit "Die Todeskarten des Dr. Schreck", "Der Foltergarten des Dr. Diabolo", "Totentanz der Vampire", "In der Schlinge des Teufels", "Irrgarten des Schreckens", "Geschichten aus der Gruft" und "Die Tür ins Jenseits" eine ganze Reihe überwiegend erfolgreicher Produktionen mit Genreikonen wie Christopher Lee und Peter Cushing produzieren. Und als der Glanz von Hammer und Amicus verging, übernahmen in den 1980er Jahren die Amerikaner, die ebenfalls einige Klassiker wie die von Horror-Großmeister Stephen King geschriebenen "Katzenauge" und "Creepshow" sowie (auf der Kultserie "Twilight Zone" basierend) "Unheimliche Schattenlichter" schufen. Nach der Jahrtausendwende wurden Horror-Anthologien aus den USA erneut zu einem richtigen Trend, wie die "ABC of Death"-Reihe, die "V/H/S"-Reihe, "Trick 'r Treat", "Chillerama", "XX" oder "Tales of Halloween" belegen. Doch auch in Europa wurde das Subgenre wiederentdeckt, z.B. mit der animierten Edgar Allen Poe-Geschichtensammlung "Extraordinary Tales" oder eben mit den "Ghost Stories". Hierbei handelt es sich kurioserweise um die Verfilmung eines Theaterstücks von Jeremy Dyson und Andy Nyman, die auch die Adaption fürs Kino übernahmen; zudem spielt Nyman (wie zuvor auf der Bühne) die Hauptrolle des Prof. Goodman.

Theaterstück und Film wurden von Nyman und Dyson gezielt als Hommage an die genannten Amicus-Anthologien konzipiert – da die leider außerhalb Großbritanniens heutzutage nicht so bekannt sind, wie sie es verdient hätten (im deutschen Free-TV war in den letzten Jahrzehnten beispielsweise lediglich "Irrgarten des Schreckens" regelmäßig zu sehen; und der auch nur in der geschnittenen deutschen Kinofassung), gibt es sicher viele Anspielungen und Zitate, die nicht-britische Zuschauer schwerlich erkennen oder verstehen können. Das ist aber nicht allzu problematisch, da "Ghost Stories" auch bekannte US-Genreklassiker zitiert und zudem ebenso als eigenständiges Werk funktioniert. Bemerkenswert daran ist, daß die Rahmenhandlung um Prof. Goodmans Nachforschungen nicht einfach dazu dient, einen mehr oder weniger sinnvollen Übergang zwischen den einzelnen Storys sicherzustellen (wie es bei vielen Anthologie-Filmen der Fall ist), sondern integraler Bestandteil der Geschichte ist. Tatsächlich ist es sogar so, daß einige Kritikpunkte, die ich während der Sichtung zu den drei präsentierten Fällen hatte, durch die Rahmenhandlung nachträglich entschärft oder gar komplett aufgehoben wurden. Bis dahin war ich mir nämlich nicht sicher, was ich von "Ghost Stories" halten sollte: Ja, atmosphärisch ist der Film zweifellos sehr gelungen, die Schauspieler überzeugen ebenfalls – jedoch werden die drei Episoden überraschend schnell abgehandelt (was eben daran liegt, daß danach noch etwas Entscheidendes kommt, das die Fälle verbindet und dafür auch einige Zeit in Anspruch nimmt) und sind inhaltlich wenig originell.

Am längsten ist der erste Fall um Nachtwächter Tony. Dessen unheimliche Begegnung in einer früheren psychiatrischen Anstalt ist geradezu ein Gruselklassiker, die Irrenhaus-Thematik kam schon bei Edgar Allen Poe vor ("Das System des Dr. Teer und Prof. Feder", zuletzt im Jahr 2014 verfilmt als "Stonehearst Asylum" mit Ben Kingsley, Michael Caine und Kate Beckinsale), in Computer- und Videospielen wie der "Silent Hill"-Reihe und "Outlast" sowie bei Regielegende Martin Scorsese ("Shutter Island"). Dementsprechend haben Tonys Erlebnisse absolut nichts zu bieten, was man nicht schon häufig gesehen hätte, zudem gibt es für meinen Geschmack etwas zu viele Jumpscares – allerdings läßt sich nicht leugnen, daß die Episode ungemein stimmig und effektiv umgesetzt wurde, weshalb es letztlich trotz mangelnder Originalität nicht so viel zu kritisieren gibt. Der zweite Fall ist eine "Tanz der Teufel"-Hommage (wobei hier deren deutscher Titel kurioserweise sogar besser zu den "Ghost Stories"-Geschehnissen paßt als der Originaltitel "The Evil Dead") inklusive der berühmten subjektiven Kamerafahrt. Die Episode ist zu kurz, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen, dabei aber durchaus amüsant, was auch an Alex Lawthers beinahe manischem Spiel als Teenager Simon liegt. Die letzte Geschichte wiederum ist ein Mix aus "Poltergeist" und "Rosemaries Baby", wobei ich die Gruselszenen hier am laschesten fand; das wird jedoch durch Martin Freemans exzellentes Spiel und einen gelungenen Schlußpunkt aufgewogen. Insgesamt also drei ziemlich kurze, unspektakuläre und (bis auf Fall 2 vielleicht) reichlich unoriginelle Storys, die aber gut inszeniert und gespielt sind und von einem Hauch trockenen Humors profitieren. Richtig interessant wird die Sache erst danach, als Prof. Goodman – der von den Fällen selber nicht allzu begeistert ist – ins Zentrum rückt. Dazu will ich nicht zu viel verraten (außer, daß es gewisse stilistische Ähnlichkeiten zur King-Adaption "Es" gibt – allerdings ohne Clowns), doch die Wendung kommt unerwartet, ist dabei aber gut durchdacht, ergibt Sinn und wertet die drei ursprünglichen Fälle nachträglich auf. Ein Meisterwerk wird aus "Ghost Stories" dadurch zwar nicht, aber eine Empfehlung nicht nur für Genrefans und Nostalgiker hat er sich verdient.

Fazit: "Ghost Stories" ist eine ungemein atmosphärische britische Horror-Anthologie, die lange extrem klassisch und damit wenig innovativ daherkommt, gegen Ende aber noch mal eine gute Schippe drauflegt.

Wertung: 7,5 Punkte.


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