Regie und Drehbuch: Jeremy Dyson und Andy Nyman, Musik: Frank
Ilfman
Darsteller:
Andy Nyman, Martin Freeman, Paul Whitehouse, Alex Lawther, Macie Allen,
Kobna Holdbrook-Smith, Nicholas Burns, Jeremy Dyson
FSK: 16, Dauer: 98 Minuten.
Der britische Professor Phillip Goodman (Andy Nyman,
"Sterben für Anfänger") hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, in
seiner TV-Sendung falsche Hellseher und ähnliche Scharlatane zu entlarven. Als
er eines Tages einen Brief mit einer Einladung seines Kollegen Charles Cameron
erhält, ist das für Prof. Goodman eine große Sache: Nicht nur war Cameron mit
seinen eigenen Nachforschungen in den 1970er Jahren sein großes Vorbild, er
verschwand außerdem vor vielen Jahren spurlos und wird seitdem allgemein für
tot gehalten. Das mit Spannung erwartete Treffen verläuft für Prof. Goodman
allerdings eher ernüchternd, denn Cameron ist nicht wirklich ein Fan seines
Nachfolgers im Geiste. Dennoch bittet er ihn, drei mysteriöse Fälle
zu überprüfen, bei denen es Cameron nicht gelang, übernatürliche Vorkommnisse
auszuschließen. Im ersten geht es um Nachtwächter Tony (Paul Whitehouse,
"The Death of Stalin"), der in einer ehemaligen psychiatrischen
Anstalt für Frauen eine grauenhafte Nacht überlebte; der zweite Fall handelt von dem
Jugendlichen Simon (Alex Lawther, "The Imitation Game"), der nachts
mit dem Auto seines Vaters ein merkwürdiges Wesen überfuhr; in Fall 3 geht
es um ein Poltergeist-Erlebnis des arroganten Investmentbankers Mike (Martin
Freeman, "Der Hobbit"). Findet Prof. Goodman eine Erklärung?
Kritik:
Anthologiefilme, die mehrere kurze Geschichten
erzählen, gibt es zwar nicht allzu häufig, aber immer wieder einmal – und obwohl es gelegentlich Beispiele für andere Gattungen gibt (z.B. den weitgehend mißlungenen
"Movie 43" aus dem Komödienbereich), entstammen die meisten von ihnen
dem Horrorgenre. Zunächst waren es vor allem die Briten, die sich um das
Subgenre verdient machten, so entstand bereits 1945 der hochgelobte "Traum
ohne Ende"; in den 1960er und 1970er Jahren, als das britische Kino dank
der Studios Hammer und Amicus die weltweite Hochburg des Horror- und Gruselfilms war, ließ
Amicus mit "Die Todeskarten des Dr. Schreck", "Der Foltergarten
des Dr. Diabolo", "Totentanz der Vampire", "In der Schlinge
des Teufels", "Irrgarten des
Schreckens", "Geschichten aus der Gruft" und "Die Tür ins Jenseits" eine ganze Reihe
überwiegend erfolgreicher Produktionen mit Genreikonen wie Christopher Lee und
Peter Cushing produzieren. Und als der Glanz von Hammer und Amicus verging,
übernahmen in den 1980er Jahren die Amerikaner, die ebenfalls einige
Klassiker wie die von Horror-Großmeister Stephen King geschriebenen
"Katzenauge" und "Creepshow" sowie (auf der Kultserie "Twilight Zone" basierend) "Unheimliche
Schattenlichter" schufen.
Nach der Jahrtausendwende wurden Horror-Anthologien aus den USA erneut zu einem
richtigen Trend, wie die "ABC of Death"-Reihe, die
"V/H/S"-Reihe, "Trick 'r Treat", "Chillerama", "XX" oder
"Tales of Halloween" belegen. Doch auch in Europa wurde das Subgenre
wiederentdeckt, z.B. mit der animierten Edgar Allen Poe-Geschichtensammlung
"Extraordinary Tales" – oder eben mit den "Ghost Stories". Hierbei handelt es sich kurioserweise um die Verfilmung eines Theaterstücks von
Jeremy Dyson und Andy Nyman, die auch die Adaption fürs Kino übernahmen;
zudem spielt Nyman (wie zuvor auf der Bühne) die Hauptrolle des Prof. Goodman.
Theaterstück und Film wurden von Nyman und Dyson gezielt als Hommage an die genannten Amicus-Anthologien konzipiert – da die leider
außerhalb Großbritanniens heutzutage nicht so bekannt sind, wie sie es verdient
hätten (im deutschen Free-TV war in den letzten Jahrzehnten beispielsweise
lediglich "Irrgarten des Schreckens" regelmäßig zu sehen; und der
auch nur in der geschnittenen deutschen Kinofassung), gibt es sicher
viele Anspielungen und Zitate, die nicht-britische Zuschauer schwerlich erkennen oder
verstehen können. Das ist aber nicht allzu problematisch, da "Ghost
Stories" auch bekannte US-Genreklassiker zitiert und zudem ebenso als eigenständiges Werk funktioniert. Bemerkenswert daran ist, daß die
Rahmenhandlung um Prof. Goodmans Nachforschungen nicht einfach dazu dient, einen mehr oder
weniger sinnvollen Übergang zwischen den einzelnen Storys sicherzustellen (wie
es bei vielen Anthologie-Filmen der Fall ist), sondern integraler
Bestandteil der Geschichte ist. Tatsächlich ist es sogar so, daß einige
Kritikpunkte, die ich während der Sichtung zu den drei präsentierten Fällen hatte, durch die
Rahmenhandlung nachträglich entschärft oder gar komplett aufgehoben wurden.
Bis dahin war ich mir nämlich nicht sicher, was ich von "Ghost
Stories" halten sollte: Ja, atmosphärisch ist der Film zweifellos sehr gelungen, die
Schauspieler überzeugen ebenfalls – jedoch werden die drei Episoden
überraschend schnell abgehandelt (was eben daran liegt, daß danach noch etwas
Entscheidendes kommt, das die Fälle verbindet und dafür auch einige Zeit
in Anspruch nimmt) und sind inhaltlich wenig originell.
Am längsten ist der erste Fall um Nachtwächter Tony. Dessen
unheimliche Begegnung in einer früheren psychiatrischen Anstalt ist
geradezu ein Gruselklassiker, die Irrenhaus-Thematik kam schon bei Edgar Allen
Poe vor ("Das System des Dr. Teer und Prof. Feder", zuletzt im Jahr 2014
verfilmt als "Stonehearst Asylum" mit Ben Kingsley, Michael Caine und Kate Beckinsale),
in Computer- und Videospielen wie der "Silent Hill"-Reihe und
"Outlast" sowie bei Regielegende Martin Scorsese ("Shutter Island"). Dementsprechend haben Tonys Erlebnisse absolut nichts zu bieten, was man nicht
schon häufig gesehen hätte, zudem gibt es für meinen Geschmack etwas zu viele Jumpscares
– allerdings läßt sich nicht leugnen, daß die Episode ungemein stimmig und
effektiv umgesetzt wurde, weshalb es letztlich trotz mangelnder Originalität
nicht so viel zu kritisieren gibt. Der zweite Fall ist eine "Tanz der
Teufel"-Hommage (wobei hier deren deutscher Titel kurioserweise sogar besser zu den "Ghost Stories"-Geschehnissen paßt als der Originaltitel "The Evil Dead") inklusive der berühmten subjektiven Kamerafahrt. Die
Episode ist zu kurz, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen, dabei aber
durchaus amüsant, was auch an Alex Lawthers beinahe manischem Spiel als
Teenager Simon liegt. Die letzte Geschichte wiederum ist ein Mix aus
"Poltergeist" und "Rosemaries Baby", wobei ich die Gruselszenen hier am laschesten fand; das wird jedoch
durch Martin Freemans exzellentes Spiel und einen gelungenen Schlußpunkt
aufgewogen. Insgesamt also drei ziemlich kurze, unspektakuläre und (bis auf Fall 2
vielleicht) reichlich unoriginelle Storys, die aber gut inszeniert und gespielt
sind und von einem Hauch trockenen Humors profitieren. Richtig interessant wird die Sache erst danach, als Prof. Goodman –
der von den Fällen selber nicht allzu begeistert ist – ins Zentrum rückt. Dazu
will ich nicht zu viel verraten (außer, daß es gewisse stilistische Ähnlichkeiten zur King-Adaption "Es" gibt – allerdings ohne Clowns), doch die Wendung
kommt unerwartet, ist dabei aber gut durchdacht, ergibt Sinn und wertet die drei ursprünglichen
Fälle nachträglich auf. Ein Meisterwerk wird aus "Ghost Stories"
dadurch zwar nicht, aber eine Empfehlung nicht nur für Genrefans und Nostalgiker hat er sich verdient.
Fazit: "Ghost Stories" ist eine ungemein
atmosphärische britische Horror-Anthologie, die lange extrem klassisch und
damit wenig innovativ daherkommt, gegen Ende aber noch mal eine gute Schippe
drauflegt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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