Regie und Drehbuch: Patricia Rozema, Musik: Max Richter
Darsteller: Ellen Page, Evan Rachel Wood, Callum Keith
Rennie, Max Minghella, Michael Eklund, Wendy Crewson
FSK: 12, Dauer: 101 Minuten.
In der nahen Zukunft leben die fast erwachsenen
Schwestern Nell (Ellen Page, "Inception") und Eva (Evan Rachel Wood, "Across the Universe") mit ihrem fürsorglichen
Vater Robert (Callum Keith Rennie, "Warcraft: The Beginning") in einem abgelegenen Haus irgendwo am Rande
der riesigen kanadischen Wälder. Während Nell für den schon in zwei Tagen anstehenden
College-Aufnahmetest büffelt, trainiert die angehende Tänzerin Eva mit höchster
Konzentration, zumal sie nach einer längeren Verletzungspause etwas eingerostet
ist. Mitten in den Alltag des Trios platzt eine Fernseh-Meldung, wonach an der
gesamten Westküste der Strom ausgefallen ist – wenig später sitzen auch Nell,
Eva und Robert im Dunklen. Während anfänglich alle mit einer
baldigen Rückkehr des Stroms rechnen und so auch im nächsten Ort die Menschen halbwegs vernünftig bleiben,
zieht sich die Situation doch zunehmend in die Länge, bald kommen selbst im Radio keine
Nachrichten mehr. Als dann auch noch Robert einen Unfall hat, sind Nell und Eva
ganz auf sich allein gestellt in dieser neuen, stromfreien Welt …
Kritik:
Bevor es zu Mißverständnissen kommt, will ich sogleich
nachdrücklich darauf hinweisen, daß obige Inhaltsbeschreibung irreführend ist.
Vollkommen korrekt, aber irreführend. Das liegt darin begründet,
daß die kanadische Regisseurin und Drehbuch-Autorin Patricia Rozema
("Mansfield Park") in ihrer Adaption eines Romans von Jean Hegland
fast von Beginn an einen anderen Weg einschlägt als die allermeisten Filme mit
einer ähnlichen Prämisse. Rozema hat keinen apokalyptischen Weltuntergangsfilm
á la "The Day After Tomorrow" oder auch "These Final Hours" gedreht, sondern sie nutzt den verhängnisvollen
Stromausfall lediglich als Aufhänger für ein intensives Arthouse-Familiendrama, in dem
sich alles darum dreht, wie sich die
Schwestern und ihr Verhältnis zueinander entwickeln, nachdem sie auf sich gestellt sind. Nun gut, gewisse
Parallelen zu apokalyptischen Kammerspielen wie Lars von Triers
"Melancholia", "Maggie", "Z for Zachariah" oder "Carriers" sind nicht von der Hand zu
weisen, "Into the Forest" bleibt aber viel bodenständiger - wobei die
Tatsache, daß sich die Story auf zwei junge Frauen konzentriert und Männer
nur eine Nebenrolle spielen, ein gewisses zusätzliches Alleinstellungsmerkmal
ist. Gleichzeitig ist Rozemas Film ausgesprochen langsam erzählt und streng
genommen passiert nicht wirklich viel; daher wird sich jemand, der von
"Into the Forest" angesichts der Prämisse einen auch nur ansatzweise klassischen
Genrefilm erwartet, wahrscheinlich eher langweilen. "Into the
Forest" ist eine glasklare Arthouse-Produktion, die sich an Zuschauer
richtet, die sich in ganz normale, wenig aufregende Figuren und ihre
Stimmungswelten hineinversetzen können und wollen – und selbst die sollten eine
Menge Geduld mitbringen.
Es paßt zu der betonten Bodenständigkeit des Films, daß das Ende der Gesellschaft, wie wir sie kennen, nicht etwa von
einem Terroranschlag eingeleitet wird, von einer Alieninvasion oder von einem Meteoriteneinschlag,
sondern schlicht und ergreifend von einem vollständigen Ausfall der
Stromversorgung. Das klingt so harmlos – schließlich gibt es selbst in
fortschrittlichsten Industrienationen immer wieder einmal Stromausfälle, auch
wenn die in den allermeisten Fällen eng regional begrenzt sind und nur einige
Stunden, höchstens Tage andauern –, daß auch die vergleichsweise gelassene Reaktion der
Menschen darauf absolut glaubwürdig ist. Immerhin ist der Strom ja auch nicht
komplett weg, sofern man wie Robert, Nell und Eva über einen eigenen Generator
verfügt. Allerdings benötigt man für dessen Betrieb Benzin und wie
sich sehr schnell herausstellt, ist das Benzin an den Tankstellen schneller alle als
etwa die Lebensmittel in den Supermärkten – also ist ein sehr sparsamer Umgang
mit dem Treibstoff gefragt, um die Zeit bis zur Wiedererrichtung des
Stromnetzes zu überbrücken. Als die jedoch auf sich warten läßt, müssen
sich die Menschen darauf einstellen, daß das ein dauerhafter Zustand wird. Für
die beiden Schwestern scheint das gar nicht so schlimm, da sie sich auf
ihren Vater verlassen können, der handwerklich geschickt ist und generell gut
für das Leben ohne Strom gewappnet zu sein scheint. Da ist es dann auch
sehr verständlich, daß es Nell und Eva umso härter trifft, sobald sie unvermittelt
völlig auf sich gestellt sind.
Notsituationen offenbaren und prägen bekanntlich den Charakter
und das ist bei Nell und Eva nicht anders. Während Nell zuvor kindlicher
rüberkommt als ihre Schwester, übernimmt nun rasch sie die Führungsrolle und verhält
sich vernünftig, während Eva wie paralysiert ist und sich noch stärker in ihre
Tanzübungen vertieft. Die vertauschten Rollen passen gut zu dem letzten Thema, das Nell vor dem
Stromausfall für ihre Prüfung lernte: Eine dissoziative Fugue nennt man es,
wenn eine Amnesie über längere Zeit anhält und der Erkrankte deshalb beginnt,
ein neues Leben zu führen, das mit seinem vorigen in keinerlei Zusammenhang
steht. Genau dazu sind Nell und Eva nun gezwungen, auch wenn ihre Amnesie
im übertragenen Sinne besteht. Wie die Schwestern derart zum schnellen
Erwachsenwerden gezwungen werden – wenn sie überleben wollen –, wie sie mit
Trauer und Einsamkeit und auch Langeweile umzugehen lernen und
vor allem, wie sie sich rudimentäre Fähigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung
aneignen müssen, die viele von uns in der modernen Wohlstandsgesellschaft im Gegensatz zu unseren Vorfahren noch
vor zwei oder drei Generationen nie
gelernt haben, zeigt Patricia Rozema sehr einfühlsam. Dabei setzt "Into the
Forest" selten auf längere Dialoge, stattdessen sollen häufige, von
Musik unterlegte Collagen vermitteln, wie die Zeit verstreicht. Das ist auf der
einen Seite künstlerisch, manchmal beinahe poetisch, auf der anderen Seite kann
man mit dieser Methode nicht wirklich in die Tiefe gehen. Während Eva und
Nell in der ersten Filmhälfte recht schnell und gut charakterisiert werden,
wird die Figurenzeichnung, analog zur Handlung, zunehmend bruchstückhaft. Anders
formuliert: Es passiert einfach fast nichts! Und auch wenn es noch so realistisch
sein mag, daß in dieser sich immer länger hinziehenden Notsituation ein
Streit um das letzte Stück Schokolade zum großen Aufreger
wird – für den Zuschauer ist das nicht sehr spannend mitanzuschauen. Zudem ist
es auch ein wenig störend, daß der Überlebenskampf eher anekdotisch geschildert
wird und auf diese Weise trotz gelungener
Momentaufnahmen auch nicht wirklich klar wird, wie die Schwestern eigentlich
die ganze Zeit verbringen. Einige essentielle Fragen werden sogar
komplett ausgelassen (wie überstehen sie den sicherlich nicht sehr angenehmen
kanadischen Winter?), auch die Rolle des Waldes, der eigentlich so eine Art eigene Hauptfigur sein soll, bleibt unterentwickelt, wenn er auch der Atmosphäre klar zuträglich ist.
Das wäre nicht so schlimm, wenn die Handlung, die mehrere Zeitsprünge enthält, dafür andere
Stärken hätte oder es ausgefeilte Dialoge gäbe, aber tatsächlich konzentriert
sich Rozema so stark auf das keineswegs immer einfache Verhältnis zwischen den
Schwestern sowie auf ihre Gewöhnung an ein Leben ohne die
Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation, daß ansonsten kaum etwas geschieht.
Männer spielen fast nur im ersten Akt eine Rolle, in dem wir neben Robert auch
Nells Freund Eli (Max Minghella, "Agora") kennenlernen, im weiteren Verlauf gibt es eigentlich nur noch zwei nennenswerte Ereignisse, die
das neue Leben der Schwestern heftig durcheinanderwirbeln. Das ist ein
bißchen wenig und da die Entwicklung der Charaktere zwischenzeitlich ins
Stocken gerät und der Film die Gedankenwelt der Protagonistinnen kaum greifbar
werden läßt, kann beim Zuschauer durchaus Langeweile aufkommen – wie gesagt,
Geduld sollte man schon mitbringen für diesen Film. Dafür ist die
schauspielerische Leistung von Ellen Page und Evan Rachel Wood (wie auch die von
Callum Keith Rennie, der einen sehr sympathischen Vater abgibt) über jeden
Zweifel erhaben, sie erfüllen ihre Rollen mit Leben und lassen beinahe vergessen,
daß diese vom Drehbuch keineswegs vollständig ausgearbeitet sind. Schade,
daß sie angesichts der übermäßig ruhigen Erzählweise letztlich so wenig zu tun
bekommen …
Fazit: "Into the Forest" ist einfühlsames, doch etwas zu bruchstückhaftes und arg gemächlich erzähltes Arthouse-Drama,
in dem zwei noch kaum erwachsene Schwestern auf die harte Tour lernen müssen, auf
sich gestellt in einer neuen Welt ohne Strom zu bestehen.
Wertung: 6 Punkte.
"Into the Forest" erscheint am 17. Februar 2017 von capelight pictures auf DVD und Blu-ray, das mir freundlicherweise eine Rezensionsmöglichkeit zur Verfügung gestellt hat.
"Into the Forest" erscheint am 17. Februar 2017 von capelight pictures auf DVD und Blu-ray, das mir freundlicherweise eine Rezensionsmöglichkeit zur Verfügung gestellt hat.
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