Regie:
Marjane Satrapi, Drehbuch: Michael R. Perry, Musik: Olivier Bernet
Darsteller:
Ryan Reynolds, Anna Kendrick, Gemma Arterton, Jacki Weaver, Ella Smith, Paul Brightwell, Adi
Shankar, Valerie Koch
Jerry (Ryan Reynolds) ist ein
netter, aber etwas einfältiger Fabrikarbeiter, der seine schöne Arbeitskollegin
Fiona (Gemma Arterton, "Prince of Persia") bewundert. Allerdings
spielt er bei weitem nicht in der Liga der selbstbewußten, feierlustigen Britin
– und daß stattdessen deren süße Freundin Lisa (Anna Kendrick, "50/50") sehr an Jerry interessiert ist, bemerkt er gar nicht erst.
Allerdings muß man Jerry zugestehen, daß er durchaus andere Probleme hat, die
ihn schon mal vom Wesentlichen ablenken können. In erster Linie gehört dazu die
verstörende Tatsache, daß seine beiden Haustiere mit ihm sprechen! Die Katze
Mr. Whiskers versucht hartnäckig, Jerry davon zu überzeugen, daß er als
Serienkiller besser dran wäre; der gutmütige Hund Bosco argumentiert dagegen,
daß Jerry ein guter Mensch sei und sich das nicht von Mr. Whiskers ausreden
lassen solle. Anfangs hört Jerry noch auf Bosco – doch dann geschieht ein tragischer
Unglücksfall, der alles verändert …
Kritik:
Marjane Satrapi ist ohne Zweifel eine faszinierende Frau.
Aufgewachsen im Iran zur Zeit der Islamischen Revolution bekam sie
sowohl noch den Protz und die Verschwendungssucht des westllich orientierten
Schahs mit als auch anschließend die unerbittliche religiöse Strenge und Heuchelei der
frühen Islamischen Republik, in der man als westlich orientierte Frau schwerlich glücklich werden konnte.
Nachdem ihre Eltern sie mit 15 nach Österreich schickten, damit der
unangepaßte, eigenwillige und sture Teenager nicht verhängnisvoll mit den Religionswächtern im
Iran aneinandergeraten konnte, kehrte sie später vorübergehend zum Kunststudium
nach Teheran zurück. 1994 wanderte die 25-Jährige dann endgültig nach Frankreich aus,
wo sie ihre Erfahrungen in der gefeierten, dabei ebenso kritischen wie
selbstironischen Graphic Novel "Persepolis" verarbeitete. Weltweit bekannt
wurde Satrapi im Jahr 2007, als sie selbst als Co-Regisseurin "Persepolis" in karg animierter Form verfilmte und dafür eine verdiente
OSCAR-Nominierung erhielt. Ihr zweiter Film war 2011 die weniger beachtete
Tragikomödie "Huhn mit Pflaumen", nach dem Low Budget-Experiment
"La bande des Jotas" (2012) bringt sie nun mit der schwarzen
Killer-Komödie "The Voices" ihren dritten Spielfilm in die Kinos.
Obwohl erstmals nicht selbst am Drehbuch beteiligt, hat Satrapi ihren
Sinn für bitterbösen, absurden Humor ebenso beibehalten wie ihr stilistisches
und erzählerisches Geschick. Beim Fantasy Filmfest 2014 war "The
Voices" jedenfalls einer meiner absoluten Favoriten.
Filme, die zwei ziemlich unterschiedliche Hälften
präsentieren, haben es bei den Zuschauern meist schwer. Diejenigen, die von der
ersten Hälfte begeistert waren, fragen sich in der zweiten, warum zum Teufel
denn nun alles anders gemacht werden muß. Und jene, die sich an der zweiten
Hälfte ergötzen, ärgern sich darüber, daß sie zuerst einen für ihre Begriffe
mäßigen Beginn durchstehen mußten, ehe es so richtig gut wird. Speziell im
Horrorgenre sind solche Beschwerden in den letzten Jahren häufiger vorgekommen,
beste Beispiele dafür sind Drew Goddards clever-verspielte Genre-Dekonstruktion
"The Cabin in the Woods" und James Wans anfangs altmodischer, dann
überraschend kreativer Gruselfilm "Insidious". Bei "The
Voices" sieht es ähnlich aus, und in der Tat waren im Umfeld des Fantasy
Filmfests neben zahlreichen positiven Stimmen auch solche zu vernehmen, die meist die zweite Hälfte deutlich schwächer fanden. Dabei vereint der
in den Babelsberger Filmstudios gedrehte "The Voices" Elemente
zahlreicher Genres in sich, doch der tonale und inhaltliche Bruch in der Mitte
des Films ist tatsächlich unverkennbar.
Wo zunächst vor allem durch die sprechenden Tiere die Comedy
dominiert sowie durch Jerrys Versuche, bei der holden Weiblichkeit zu landen,
die Romantik, wird die Geschichte in der zweiten Hälfte immer ernsthafter und
entwickelt sich zu einem intensiven Charakterdrama eines psychisch Kranken mit
Psychothriller-Zügen á la "Henry: Portrait of a Serial Killer". Daß
diesen Wechsel von (trotz mehrerer blutiger Morde und tragischer Unglücksfälle) mehr oder weniger unbeschwerter Unterhaltung zu bitterer Charakterstudie nicht jeder
Zuschauer goutiert, ist nachvollziehbar. Vor allem dank Ryan Reynolds' starker
Leistung in der Hauptrolle funktioniert das Gesamtwerk "The Voices"
meiner Meinung nach jedoch ausgezeichnet. Eigentlich war ich nie ein großer Fan
von Reynolds; natürlich, der Kanadier hat schon zuvor gute Leistungen gezeigt,
etwa in "Buried", in "Adventureland" oder auch an der Seite
von Sandra Bullock in "Selbst ist die Braut". Aber irgendwie hatte er
sehr oft das Pech, in Filmen mitzuwirken, die (ohne seine Schuld) viel
schlechter ausfielen als man das erwartet hatte – erinnert sei nur an
"Blade: Trinity", "Amityville Horror", "X-Men Origins:
Wolverine" oder "Green Lantern". Unter der Leitung von Marjane
Satrapi kann er hier aber endlich wieder einmal zeigen, was er alles drauf hat.
Und das beschränkt sich nicht nur auf seine gekonnt zwiespältige Darstellung
des absolut gutmeinenden, aber zunehmend vollkommen aus der Spur geratenden Jerry; nein,
fast noch mehr begeistert hat er mich als Sprecher sämtlicher Tiere in
"The Voices" (was man natürlich nur bei der Originalfassung bewundern
kann).
Im Zentrum stehen dabei die stets sarkastische,
mit schottischem Akzent sprechende Katze Mr. Whiskers und der eigentlich
stärker Jerrys Wesen entsprechende gutmütige Hund Bosco, die wie Teufel und
Engel auf Jerrys Schultern sind. Um ehrlich zu sein: Während des Films habe ich
mich immer wieder gefragt, wer eigentlich die hervorragenden Sprecher der Tiere
sind – als ich dann im Abspann die Antwort darauf erhielt, war ich ziemlich
perplex, denn ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß die so unterschiedlich
klingenden Tiere alle von einer einzigen Person eingesprochen wurden. Aber
natürlich ergibt es absolut Sinn, da ja letztlich alles Jerrys Einbildung
entspringt (das ist kein wirklicher Spoiler). Da kann ich nur sagen: Chapeau, Mr. Reynolds! Dank eines mit viel
Wortwitz ausgestatteten Skripts – das 2010 in die Black List der besten noch
nicht produzierten Drehbücher gewählt wurde – von TV-Veteran Michael R. Perry
("Millennium", "Dead Zone", "The Guardian") ist
Jerrys Kommunikation mit seinen Haustieren extrem witzig mitanzusehen (und eben
auch -hören). Nicht weniger spaßig sind die Szenen mit menschlicher
Beteiligung, was an den mit Reynolds hervorragend harmonierenden Gemma Arterton
und Anna Kendrick liegt. Arterton zählt schon lange zu meinen Favoritinnen; hier spielt sie zwar nur eine Nebenrolle, die hat
es aber in sich. Mehr zu tun bekommt Anna Kendrick – die "Pitch
Perfect"-Darstellerin scheint besonders gerne für Rollen zuzusagen, in
denen sie singen darf, wozu sie auch in "The Voices" Gelegenheit
bekommt. Davon abgesehen überzeugt sie aber einmal mehr vor allem mit ihrer
charmanten, natürlichen Liebenswürdigkeit. Niemand könnte je auf die Idee
kommen, Anna Kendrick respektive Lisa umzubringen! Oder doch?
Bei allem Humor der ersten Stunde kommt der
Stimmungsumschwung in der zweiten Hälfte jedoch keineswegs aus dem Nichts. Denn
von Anfang an schwingt selbst bei den witzigsten Szenen stets eine gewisse
Melancholie mit, die einen früh ahnen läßt, daß diese Erzählung nicht mit einem traditionellen Happy End schließen wird. Dabei ist die Geschichte dieses
Serienkillers wider Willen auch psychologisch absolut stimmig. Jerrys Tragik
ist: Er fühlt sich nur dann gut und geliebt, wenn er die ihm von seiner Psychiaterin
Dr. Warren (Jacki Weaver, "Silver Linings") verschriebenen
Medikamente gegen seine Krankheit nicht nimmt. Wenn er sie doch wieder
einnimmt, erkennt er, welch schreckliche Dinge er getan hat, außerdem vermißt
er die Unterhaltung mit seinen tierischen Freunden – also setzt er die Pillen
wieder ab. Das ist vollkommen logisch und nachvollziehbar, zeitigt aber natürlich
katastrophale Auswirkungen. Extrem tief greift diese Charakterstudie dann zwar
doch nicht, weil die auch in einer innovativen Bildsprache zum Ausdruck kommenden Comedy-Anteile niemals ganz vernachlässigt werden – doch
unter die Haut geht die Geschichte des armen Jerry zweifellos. Und wem das
tatsächlich zu sehr die gute Laune vom Filmbeginn verhagelt, der wird
zumindest noch durch eine der witzigsten Abspann-Sequenzen überhaupt
versöhnt. Darin geschieht zwar streng genommen nichts Spektakuläres; aber wie
es geschieht, ist einfach eine große Freude, weil sämtliche Darsteller – allen
voran Reynolds – alle Hemmungen fallen lassen.
Fazit: "The Voices" ist ein (buchstäblich) kunterbunter
Mischmasch aus Komödie, Romanze, Horrorfilm und dramatischer
Charakterstudie, der dank eines intelligenten und gut durchdachten Drehbuchs sowie
einer sehr spielfreudigen, von einem entfesselt aufspielenden Ryan Reynolds
angeführten Besetzung überraschend gut funktioniert – auch wenn die
teilweise recht abrupten Stimmungswechsel nicht jedem Zuschauer gefallen werden.
Wertung: 8 Punkte.
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