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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 23. August 2012

PARANORMAN (3D, 2012)

Regie: Chris Butler und Sam Fell, Drehbuch: Chris Butler, Musik: Jon Brion
Sprecher der Originalversion: Kodi Smit-McPhee, Anna Kendrick, Casey Affleck, Christopher Mintz-Plasse, Tucker Albrizzi, John Goodman, Jodelle Ferland, Leslie Mann, Bernard Hill, Jeff Garlin, Elaine Stritch, Tempestt Bledsoe
ParaNorman
(2012) on IMDb Rotten Tomatoes: 88% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $107,1 Mio.
FSK: 12, Dauer: 93 Minuten.

In der Kleinstadt Blithe Hollow lebt ein Junge namens Norman, der wahrscheinlich ein ganz normales Kind wäre – wenn er nicht von Geburt an Geister sehen und mit ihnen kommunizieren könnte. Natürlich glaubt ihm niemand, in der Schule gilt er als Freak ohne Freunde und selbst seine Familie (abgesehen von der verständnisvollen Mutter) hält ihn nur für einen Wichtigtuer ("Norman, Grandma ist jetzt an einem besseren Ort." – "Nein, ist sie nicht. Sie ist drüben im Wohnzimmer!"). Doch als ein uralter Fluch einer vor Jahrhunderten in Blithe Hollow exekutierten Hexe ausbricht und die Toten aus ihren Gräbern auferstehen, kann nur Norman mit seiner Gabe seine Heimatstadt retten ... 
 
Kritik:
Animationsfilme, die sich nicht ausdrücklich an Kinder oder Familien richten, haben es in der westlichen Welt schwer. In Japan, der Heimat von Hayao Miyazaki ("Prinzessin Mononoke", "Chihiros Reise ins Zauberland", "Das wandelnde Schloß"), dem vielleicht besten Trickfilm-Regisseur aller Zeiten, sieht das ganz anders aus, doch in weiten Teilen Europas und Amerikas werden Animationsfilme ungerechterweise noch immer als Kinderkram betrachtet. Durch die qualitativ hochwertigen Pixar-Filme wie "WALL-E" sowie einige kunstvolle Stop-Motion-Werke wie Tim Burtons "Corpse Bride" oder "Coraline" vom "ParaNorman"-Studio Laika mag sich diese Einschätzung ein klein wenig in die richtige Richtung verschoben haben, aber bei weitem noch nicht ausreichend, um "ParaNorman" das Dilemma eines ernsten Zielgruppenproblems zu ersparen.

Denn "ParaNorman" ist trotz eines Kindes als Hauptfigur eindeutig nichts für kleine Kinder (in den USA ist über zahlreiche uninformierte Eltern berichtet worden, die den Saal nach wenigen Minuten verließen und wütend das Eintrittsgeld zurückforderten), dafür ist die Thematik zu gruselig und vor allem das dramatische Finale zu intensiv. Selbst jüngere Teenager haben das Problem, daß sie wohl kaum die zahlreichen Horrorfilm-Anspielungen erkennen können, die einen Teil des Reizes von "ParaNorman" ausmachen. Eigentliches Zielpublikum dürften ergo ältere Teenager und junge Erwachsene sein – von denen, womit wir wieder am Anfang wären, viele Animationsfilme generell für Kinderkram halten. Es steht deshalb zu befürchten, daß "ParaNorman" kein großer kommerzieller Erfolg beschieden sein wird; eine Vermutung, die das verhaltene Startwochenende in den USA mit einem Einspielergebnis von nur $14 Mio. stützt – allerdings offenbarte der Film anschließend unerwartete Steherqualitäten, was für eine positive Mundpropaganda spricht. Und die ist verdient, da das Regieduo Chris Butler (war bereits an "Corpse Bride" und "Coraline" beteiligt) und Sam Fell ("Flutsch und weg", "Despereaux – Der kleine Mäuseheld") eine richtig gute, wunderschön und detailverliebt modellierte Gruselkomödie mit ganz viel Herz geschaffen hat, die sogar mit einer OSCAR-Nominierung belohnt wurde.

Zunächst dominieren eindeutig die komödiantischen Elemente. Normans Unterhaltungen mit den Geistern sind sehr amüsant und hätten sogar noch stärker ausgereizt werden dürfen. Auch die Außenseiterstellung des ungewollten Mediums und seine beginnende Freundschaft mit dem unter anderem aufgrund seines Übergewichts ebenfalls ausgegrenzten Neil wird sensibel und humorvoll geschildert. Phasenweise erinnert der Film in der ersten Hälfte tatsächlich an eine Highschool-Komödie mit nur gelegentlich eingestreuten übernatürlichen Storyschlenkern und cleveren Genrezitaten (Normans Handy-Klingelton ist beispielsweise John Carpenters berühmte "Halloween"-Melodie; die meisten Anspielungen sind aber subtiler eingebunden und deshalb gar nicht so einfach zu entdecken). Dadurch wirkt "ParaNorman" im Mittelteil leider vorübergehend arg konventionell und auch etwas zäh, zumal die Charaktere bis auf Norman recht klischeehaft wirken. Doch für diese kleinen Schwächen wird man mit dem finalen Akt vortrefflich entschädigt.

Ab dem Ausbruch des Hexenfluches ändern sich nämlich Erzählton und -tempo grundlegend: Die Geschichte wird sehr viel rasanter mit etlichen Actionsequenzen, vor allem jedoch wandeln sich die behandelten Themen. Überraschend ernsthaft werden die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit, die den Fluch erst ausgelöst haben, behandelt und gleichzeitig dargelegt, daß dem Menschen das, was vor Jahrhunderten zu solchen Untaten wie Hexenverbrennungen geführt hat, noch immer zu eigen ist: panische Furcht vor dem Unbekannten, Haß auf alles, was man nicht verstehen kann, der Verlust jeglicher Skrupel und Hemmschwellen als Teil eines blutgeifernden Mobs. Das sind heftige Themen, die "ParaNorman" zweifelsohne eher in die Nähe von "Frankenstein" als eines durchschnittlichen Kinderfilms rücken ...

Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich wird "ParaNorman" nicht plötzlich von der Komödie zum blutigen Horrorfilm oder zum bleiernen Sozialdrama. Die Geschehnisse bleiben stets von einem humorvollen Unterton begleitet, immer gibt es irgendwo im Hintergrund einen kleinen Gag zu entdecken und so dramatisch sich die Geschichte von Norman und der Hexe auch entwickelt, so poetisch wird sie von Butler und Fell erzählt. Der grandiose, so düster-unheimliche wie malerisch schöne Animationsstil unterstreicht diese Poesie noch, aber der Kern des Films ist erstaunlich ernst. Wie gesagt: Für kleine Kinder ist "ParaNorman" kaum geeignet.

Fazit: "ParaNorman" ist ein handwerklich umwerfend gut gemachter Stop-Motion-Film, der oberflächlich eine sehr unterhaltsame Gruselkomödie mit vielen Genrezitaten abgibt, seine größte Stärke aber in der unerwartet ernsthaften, leidenschaftlichen Behandlung so universeller Themen wie Fremdenhaß, irrationaler Furcht und Vergebung offenbart. Manchem Zuschauer mag das etwas zu belehrend wirken, aber grundsätzlich gilt: Wer Filme wie "Corpse Bride", "Coraline" oder auch "Edward mit den Scherenhänden" mag, der sollte auch von "ParaNorman" angetan sein.

Wertung: 8 Punkte.

P.S.: Nach dem Abspann gibt es als originellen Bonus einen kurzen Making-of-Clip von der Erschaffung Normans.


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