Am Sonntag, den 8. Juli 2012, verstarb die Hollywood-Legende Ernest Borgnine im reifen Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus in Los Angeles an Nierenversagen.
Irgendwie hatte ich Ernest Borgnine gemeinsam mit dem drei Jahre jüngeren Mickey Rooney als unkaputtbar abgespeichert. Beide waren beziehungsweise sind noch im Alter von über 90 Jahren aktiv und munter und wußten bei öffentlichen Auftritten stets mit Charme und Humor zu faszinieren – noch bis vor wenigen Jahren konnte man darauf wetten, wann in der jeweiligen OSCAR-Verleihung die Regie Mickey Rooney als Quasi-Maskottchen in den Zuschauerrängen einblenden würde. In den letzten Jahren kam das seltener vor, möglicherweise ist ihm die Veranstaltung inzwischen einfach zu lang; oder die Regie zeigt im stetigen Bemühen um junge Zuschauer stattdessen lieber Justin Bieber oder Miley Cyrus im Publikum ...
Wie dem auch sei, hier soll es ja um Ernest Borgnine gehen, genauer gesagt um seine Filme. Denn wen biographische Details zu seiner Person interessieren, der kann ja bei Wikipedia nachschauen. Borgnine, geboren am 24. Januar 1917 in Hamden in Connecticut, begann seine Schauspiel-Karriere am Theater, erst im Alter von 34 Jahren wechselte er 1951 zum Kino. Sein Leinwanddebüt "China Corsair", ein Abenteuerfilm, ist heute vergessen, aber im Grunde genommen gab er den weiteren Weg Borgnines schon vor, denn dieser spielte darin eine eher zwielichtige Nebenrolle (als Chinese!). Und als ewiger Nebendarsteller sollte er auch in die Filmgeschichte eingehen. Vermutlich ist das nicht gerade das, was ein junger, aufstrebender Schauspieler als Lebensziel angeben würde – aber doch sicher ein Status, mit dem man sich arrangieren kann. Vor allem, wenn man so viele Rollen in herausragenden Filmen ergattern kann wie Ernest Borgnine.
Nach einigen nicht allzu bemerkenswerten Filmen kam Borgnines Kino-Durchbruch 1954 mit Fred Zinnemanns Meisterwerk "Verdammt in alle Ewigkeit". In diesem großartigen, mit acht OSCARs ausgezeichneten Militärdrama, in dem Burt Lancaster und Deborah Kerr vor dem Hintergrund des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor 1941 eine der großen Liebesgeschichten unserer Zeit durchleben und sich Frank Sinatra einen OSCAR als Bester Nebendarsteller verdient, spielt Borgnine den sadistischen Sergeant "Fatso" Judson. Eine Nebenrolle, natürlich, aber eine, die ihn in die Notizblöcke der Mächtigen und Einflußreichen in Hollywood brachte. Ein Jahr später folgte der ungewöhnliche Western "Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen", in dem Joan Crawford und Mercedes McCambridge dem deutschen Untertitel alle Ehre machen (Borgnine spielt einen Banditen). In den nächsten Jahren erweiterten zahlreiche weitere Nebenrollen in Western Borgnines Lebenslauf, aus denen zwei herausstechen: Robert Aldrichs "Vera Cruz" (1954) und John Sturges' "Stadt in Angst" (1955). "Vera Cruz" mit Gary Cooper und Burt Lancaster in den Hauptrollen sorgte mit sehr zwiespältigen Figuren und einer zynischen, brutalen Handlung für Aufsehen und markierte zugleich den Beginn einer lange anhaltenden Zusammenarbeit zwischen Aldrich und Ernest Borgnine, die weitere fünf gemeinsame Filme umfaßt. "Stadt in Angst" wiederum ist eine grandiose Mischung aus Neo-Western und Film Noir, in der Spencer Tracy als einarmiger Kriegsveteran in einem kleinen Kaff einen japanisch-stämmigen Farmer besuchen will. Dieser scheint jedoch spurlos verschwunden zu sein und jegliche Nachfragen bei den Bewohnern werden ziemlich ruppig abgeschmettert. Sowohl in "Vera Cruz" als auch in "Stadt in Angst" spielt Borgnine wie so oft einen Helfer des jeweiligen Oberbösewichts.
Umso überraschender kam seine erste Hauptrolle: 1955 verkörperte Borgnine in Delbert Manns Charakterdrama "Marty" die Titelfigur, einen einsamen Metzger, der sich als Mittdreißiger in die unscheinbare Lehrerin Clara (Betsy Blair) verliebt und diese Liebe gegen die Widerstände seiner Freunde (die Clara für zu schlecht für ihn halten) und seine dominante Mutter verteidigen muß. Borgnines beeindruckend einfühlsame Darstellung des Marty in dem aus heutiger Sicht recht naiv, aber immer noch liebenswert wirkenden Film bescherte ihm prompt den OSCAR und den Golden Globe als Bester Hauptdarsteller. In der Folge wurden seine Rollen größer, zwar durfte er selten wie in "Marty" die erste Geige spielen, stieg aber doch immer häufiger zum sekundären Haupt- oder primären Nebendarsteller auf. In Richard Fleischers Abenteuer-Epos "Die Wikinger" (1958) spielte er beispielsweise den Anführer eines Wikingerstamms und Vater der beiden von Kirk Douglas und Tony Curtis verkörperten Hauptfiguren, in Joseph Pevneys Kriegsfilm "Torpedo los!" den U-Boot-Offizier Sloan neben dem von Glenn Ford porträtierten Kapitän. Auch ein paar weitere Hauptrollen kamen um 1960 herum auf sein Konto, doch da diese qualitativ und kommerziell bei weitem nicht an den Erfolg von "Marty" heranreichten, ließen die entsprechenden Rollenangebote recht schnell wieder nach. Nach einem kurzen Ausflug nach Italien, wo er unter anderem in der Bibelverfilmung "Barabbas" mit Anthony Quinn mitwirkte, nahm er die Hauptrolle in einer TV-Serie an. Eine gute Entscheidung, denn die Kriegs-Sitcom "McHale's Navy" wurde zu einem großen Erfolg, brachte Borgnine seine erste Emmy-Nominierung ein und lief vier Jahre lang bei ABC.
Auch im Kino bescherten die 1960er Jahre Borgnine einige seiner größten Erfolge, wenn auch nun wieder "nur noch" in großen Nebenrollen. In Robert Aldrichs Abenteuer-Klassiker "Der Flug des Phoenix" (1965) mit James Stewart und Hardy Krüger war er einer der Überlebenden eines Flugzeugabsturzes mitten in der Wüste; in "Das dreckige Dutzend" (ebenfalls von Aldrich) schickte er als General Worden zwölf zu langjährigen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilte US-Soldaten auf eine Selbstmordmission hinter den feindlichen Linien, um in Vorbereitung auf den D-Day in einem "Nazi-Schloß" möglichst viele deutsche Offiziere zu töten; und in Sam Peckinpahs brutalem Western "The Wild Bunch", der die Geschichte einer Bande skrupelloser Gesetzloser erzählt, überzeugte er einmal mehr als erster Handlanger des Oberschurken (William Holden).
In den 1970er Jahren folgten noch einige erinnerungswürdige Rollen in Filmen wie Ronald Neames "Die Höllenfahrt der Poseidon" (1972), in dem er mit seiner Frau versucht, aus einem sinkenden Kreuzfahrtdampfer zu entkommen, "Ein Zug für zwei Halunken" (1973), in dem er sich als sadistischer Zugführer in den 1930er Jahren ein Duell mit seinem "Das dreckige Dutzend"-Kollegen Lee Marvin als Tramp liefert oder als Sheriff in Peckinpahs Trucker-Ballade "Convoy" (1978) mit Kris Kristofferson. Zudem verdiente er sich in der überraschend gut gelungenen TV-Neuverfilmung des Antikriegsfilm-Klassikers "Im Westen nichts Neues" seine zweite Emmy-Nominierung. Im folgenden Jahrzehnt war Borgnine außer in John Carpenters SF-Action-Klassiker "Die Klapperschlange" vornehmlich für das Fernsehen vor der Kamera. In populären TV-Serien wie "Magnum" oder "Mord ist ihr Hobby" übernahm er Gastrollen, zudem spielte er in drei (mäßigen) TV-Fortsetzungen von "Das dreckige Dutzend" und war von 1984 bis 1986 in der Hauptrolle der Action-Serie "Airwolf" zu sehen.
In den 1990er Jahren drehte Borgnine zwar weiterhin fast ununterbrochen, die Werke, in denen er mitspielte, waren aber nur noch selten erwähnenswert – zumindest im positiven Sinne, denn es verschlug ihn zwischenzeitlich sogar nach Deutschland, wo er in einigen TV-Filmen u.a. neben Uschi Glas spielte. 2002 sorgte er noch einmal kurz für Aufsehen, als er in einem der besten Segmente der 9/11-Anthologie "11'09''01 – September 11" unter der Regie von Sean Penn beeindruckte. 2007 erhielt er für die TV-Familienkomödie "A Grandpa for Christmas" satte 52 Jahre nach "Marty" seine zweite Golden Globe-Nominierung, 2009 gefolgt von seiner dritten und letzen Emmy-Nominierung für zwei Gastauftritte in der Krankenhaus-Serie "emergency room". Ein Jahr später absolvierte er einen Kurzauftritt in der erfolgreichen Kino-Actionkomödie "R.E.D." und noch bis vor wenigen Monaten drehte er seinen letzten Film "The Man Who Shook the Hand of Vicente Fernandez", für den er im April beim Newport Filmfestival sogar noch einen letzten Darstellerpreis gewann.
Mit Ernest Borgnine verliert die Filmwelt einen ihrer einprägsamsten Charakterdarsteller. Mag er auch nie zu den ganz großen Kinostars gezählt haben, deren Namen jeder kennt – Filmfans aus aller Welt wird er durch seine vielen starken Rollen unvergeßlich bleiben. R.I.P.
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