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Donnerstag, 19. Januar 2023

DER DENKWÜRDIGE FALL DES MR. POE (2022)

Originaltitel: The Pale Blue Eye
Regie und Drehbuch: Scott Cooper, Musik: Howard Shore
Darsteller: Christian Bale, Harry Melling, Toby Jones, Lucy Boynton, Gillian Anderson, Harry Lawtey, Simon McBurney, Timothy Spall, Robert Duvall, Charlotte Gainsbourg, Fred Hechinger, Joey Brooks, Hadley Robinson, John Fetterman, Gisele Fetterman
The Pale Blue Eye (2022) on IMDb Rotten Tomatoes: 64% (6,0); Altersempfehlung: 16, Dauer: 128 Minuten.
USA, 1830: Als an der noch recht jungen Militärakademie West Point in New York Kadett Fry erhängt und ohne Herz aufgefunden wird, beauftragen Akademiechef Captain Hitchcock (Simon McBurney, "Mission: Impossible – Rogue Nation") und Superintendent Thayer (Timothy Spall, "Mr. Turner") den ehemaligen Polizisten Augustus Landor (Christian Bale, "Feinde - Hostiles") mit den Ermittlungen. Der pensionierte, verwitwete Landor ist für seinen großen detektivischen Spürsinn bekannt, aber auch für seinen Hang zum Alkohol. Als ein etwas sonderlicher Kadett namens Edgar Allan Poe (Harry Melling, "The Old Guard") Landor seine Hilfe anbietet, geht dieser darauf ein. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, zumal schon bald ein zweiter Kadett tot und ohne Herz aufgefunden wird. In Landors Visier gerät die Familie Marquis, denn Dr. Daniel Marquis (Toby Jones, "Jurassic World 2") ist als Gerichtsmediziner an der Akademie tätig und hätte das nötige Wissen für die Entfernung der Herzen und sein und Julia Marquis' (Gillian Anderson, "Johnny English 2") Sohn Artemus (Harry Lawtey) ist ebenfalls ein Kadett in West Point und befaßt sich gerüchteweise mit Satanismus. Allerdings erweist sich, daß auch Poe – der sich im Verlauf der Ermittlungen in Artemus' schöne, aber kränkliche Schwester Lea (Lucy Boynton, "Sing Street") verliebt – in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit den beiden Toten hatte ...

Kritik:
Der US-amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe gilt aus gutem Grund als ein Vorreiter der Horrorliteratur, entsprechend gibt es viele – mal mehr, mal weniger werktreue – Verfilmungen seiner Werke. Gerade die Poe-Reihe von Roger Corman aus den 1960er Jahren mit Filmen wie "Der Untergang des Hauses Usher", "Der Rabe – Duell der Zauberer" oder "Satanas – Das Schloß der blutigen Bestie" (jeweils mit dem unvergeßlichen Vincent Price als Hauptdarsteller) erfreut sich unter Genrefans bis heute großer Beliebtheit. Mir persönlich hat auch der animierte Anthologie-Film "Extraordinary Tales" aus dem Jahr 2013 sehr gut gefallen, in dem Guillermo del Toro, Roger Corman, Christopher Lee und Bela Lugosi als Erzähler zu hören sind, aber der ist meines Wissens leider nie regulär in Deutschland veröffentlicht worden. Auch Poe selbst trat bereits mehrfach als Filmfigur auf, so ging er 2012 in James McTeigues Actionthriller "The Raven – Prophet des Teufels" gar selbst (verkörpert von John Cusack) auf Serienmörder-Jagd. In die gleiche Bresche schlägt Scott Coopers "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe", die Adaption eines Romans von Louis Bayard, in dem der junge Poe allerdings nur als Helfer des erfahrenen Ermittlers Landor fungiert. Bedauerlicherweise erweist sich der deutsche Titel des Netflix-Films als Etikettenschwindel, denn allzu denkwürdig ist der von Landor und Poe untersuchte Todesfall nicht wirklich, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Und Coopers übermäßig träge Inszenierung hilft auch nicht, weshalb "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" sein Potential nicht ansatzweise ausschöpft und letztlich trotz einiger interessanter Wendungen im leicht gehobenen Mittelmaß versumpft.

Ein besonders wichtiges Element bei einem Film, der in irgendeiner Art und Weise mit Edgar Allan Poe zu tun hat, ist die Atmosphäre. Von der leben Poes Geschichten, dementsprechend sollten auch Adaptionen darum bemüht zu sein, eine schön-schaurige, makabre Stimmung zu erzeugen. Das macht "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" ausgesprochen gut. Der japanische Kameramann Masanobu Takayanagi ("The Grey") verzaubert uns mit nebelverhangenen, düster-romantischen Bildern, Howard Shore ("Der Hobbit") untermalt die Szenerie mit schwermütigen Klängen und Christian Bales gewohnt intensive Darstellung des durch tragische Ereignisse in seiner Vergangenheit gebrochenen Protagonisten trägt ebenso zur getragenen Atmosphäre bei. Zudem ist Regisseur und Drehbuch-Autor Cooper mit dem langjährigen "Poldark"-Antagonisten Harry Melling als morbid-romantischer Sonderling Edgar Allan Poe ein echter Besetzungscoup gelungen, eine bessere Wahl scheint nicht nur optisch kaum vorstellbar (wenngleich Melling streng genommen etwa zehn Jahre zu alt ist). Auch die übrige Besetzung überzeugt, wobei Hochkaräter wie Timothy Spall, Gillian Anderson oder der inzwischen über 90 Jahre alte Robert Duvall in ihren Nebenrollen schauspielerisch erkennbar unterfordert sind.

Das große Manko von "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" sind der zentrale Kriminfalfall und der Umgang damit. Grundsätzlich ist der Tod des Kadetten mitsamt Herz-Diebstahl interessant genug und die diversen Wendungen, die sich im Verlauf der zwei Stunden ergeben, sind kaum vorhersehbar. Dummerweise ist Coopers Inszenierung der Ermittlungen aber so träge geraten, daß nur selten echte Spannung aufkommen will. Das liegt auch daran, daß Scott Cooper die Ermittlungen selbst so gar nicht zu interessieren scheinen. Landor und Poe hangeln sich zwar von Indiz zu Indiz, doch es ist offensichtlich, daß es Cooper mehr um die Figuren der Story geht als um den Fall an sich (passenderweise ist es dann auch in erster Linie ein glücklicher Zufall, der Landor den Durchbruch beschert, keine penible Ermittlungsarbeit). Das ist durchaus eine legitime Herangehensweise und die (potentiellen) Geheimnisse der Familie Marquis sollten genügend Stoff dafür liefern. Aber Cooper bleibt eben immer ein bißchen zu lange am traurigen Gesicht von Augustus Landor hängen, er widmet sich etwas zu ausführlich Edgar Allan Poes Avancen gegenüber Lea und ganz allgemein läßt er sich so viel Zeit, daß selten ein richtiger Erzählfluß aufkommen will. Kurzum: In nicht wenigen Phasen gerät "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" weniger denkwürdig als schlicht und ergreifend langweilig. Und selbst bei der – wie erwähnt grundsätzlich gelungenen – Auflösung des Falls läßt Cooper es sich nicht nehmen, alles in erschöpfender Ausführlichkeit zu erklären. Grundsätzlich freue ich mich ja immer, wenn ein Hollywood-Film auf ein actionreiches Finale verzichtet, aber Cooper übertreibt es hier mit dem langamtigen Erklärdrang eindeutig. Somit bleibt ein Mysterythriller mit vielversprechender Prämisse, der an einer wenig aufregenden Story und einer allzu gemächlichen Inszenierung (auf gehobenem Niveau) scheitert

Fazit: "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" ist ein gut besetzter und ungemein atmosphärischer Mysterythriller, der aber seine recht beliebige Mordgeschichte viel zu behäbig erzählt.

Wertung: 6 Punkte.

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