Originaltitel: The Pale Blue Eye
Regie und Drehbuch:
Scott Cooper, Musik: Howard Shore
Darsteller:
Christian Bale, Harry Melling, Toby Jones, Lucy Boynton, Gillian
Anderson, Harry Lawtey, Simon McBurney, Timothy Spall, Robert Duvall,
Charlotte Gainsbourg, Fred Hechinger, Joey Brooks, Hadley Robinson,
John Fetterman, Gisele Fetterman
USA, 1830: Als an
der noch recht jungen Militärakademie West Point in New York Kadett
Fry erhängt und ohne Herz aufgefunden wird, beauftragen Akademiechef
Captain Hitchcock (Simon McBurney, "Mission: Impossible –
Rogue Nation") und Superintendent Thayer (Timothy Spall, "Mr.
Turner") den ehemaligen Polizisten Augustus Landor (Christian
Bale, "Feinde - Hostiles") mit den Ermittlungen. Der
pensionierte, verwitwete Landor ist für seinen großen
detektivischen Spürsinn bekannt, aber auch für seinen Hang
zum Alkohol. Als ein etwas sonderlicher Kadett namens Edgar Allan Poe
(Harry Melling, "The Old Guard") Landor seine Hilfe
anbietet, geht dieser darauf ein. Die Ermittlungen erweisen sich als
schwierig, zumal schon bald ein zweiter Kadett tot und ohne Herz
aufgefunden wird. In Landors Visier gerät die Familie Marquis,
denn Dr. Daniel Marquis (Toby Jones, "Jurassic World 2")
ist als Gerichtsmediziner an der Akademie tätig und hätte das
nötige Wissen für die Entfernung der Herzen und sein und Julia
Marquis' (Gillian Anderson, "Johnny English 2") Sohn
Artemus (Harry Lawtey) ist ebenfalls ein Kadett in West Point und befaßt sich
gerüchteweise mit Satanismus. Allerdings erweist sich, daß
auch Poe – der sich im Verlauf der Ermittlungen in Artemus'
schöne, aber kränkliche Schwester Lea (Lucy Boynton, "Sing
Street") verliebt – in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit
den beiden Toten hatte ...
Kritik:
Der
US-amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe gilt aus gutem Grund
als ein Vorreiter der Horrorliteratur, entsprechend gibt es viele – mal mehr, mal weniger werktreue – Verfilmungen
seiner Werke. Gerade die Poe-Reihe von Roger Corman aus den 1960er
Jahren mit Filmen wie "Der Untergang des Hauses Usher",
"Der Rabe – Duell der Zauberer" oder "Satanas –
Das Schloß der blutigen Bestie" (jeweils mit dem unvergeßlichen
Vincent Price als Hauptdarsteller) erfreut sich unter Genrefans bis
heute großer Beliebtheit. Mir persönlich hat auch der animierte
Anthologie-Film "Extraordinary Tales" aus dem Jahr 2013
sehr gut gefallen, in dem Guillermo del Toro, Roger Corman,
Christopher Lee und Bela Lugosi als Erzähler zu hören sind, aber der ist meines Wissens leider nie regulär in Deutschland
veröffentlicht worden. Auch Poe selbst trat bereits mehrfach
als Filmfigur auf, so ging er 2012 in James McTeigues Actionthriller
"The Raven – Prophet des Teufels" gar selbst (verkörpert von John Cusack) auf
Serienmörder-Jagd. In die gleiche
Bresche schlägt Scott Coopers "Der denkwürdige Fall des Mr.
Poe", die Adaption eines Romans von Louis Bayard, in dem der
junge Poe allerdings nur als Helfer des erfahrenen Ermittlers Landor
fungiert. Bedauerlicherweise erweist sich der deutsche Titel des
Netflix-Films als Etikettenschwindel, denn allzu denkwürdig ist
der von Landor und Poe untersuchte Todesfall nicht wirklich,
jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Und Coopers übermäßig träge
Inszenierung hilft auch nicht, weshalb "Der denkwürdige Fall
des Mr. Poe" sein Potential nicht ansatzweise ausschöpft und
letztlich trotz einiger interessanter Wendungen im leicht gehobenen
Mittelmaß versumpft.
Ein besonders
wichtiges Element bei einem Film, der in irgendeiner Art und Weise
mit Edgar Allan Poe zu tun hat, ist die Atmosphäre. Von der leben
Poes Geschichten, dementsprechend sollten auch Adaptionen darum bemüht zu sein, eine schön-schaurige, makabre Stimmung zu
erzeugen. Das macht "Der denkwürdige Fall des Mr.
Poe" ausgesprochen gut. Der japanische Kameramann Masanobu
Takayanagi ("The Grey") verzaubert uns mit
nebelverhangenen, düster-romantischen Bildern, Howard Shore ("Der
Hobbit") untermalt die Szenerie mit schwermütigen Klängen und
Christian Bales gewohnt intensive Darstellung des durch tragische
Ereignisse in seiner Vergangenheit gebrochenen Protagonisten trägt
ebenso zur getragenen Atmosphäre bei. Zudem ist Regisseur und
Drehbuch-Autor Cooper mit dem langjährigen
"Poldark"-Antagonisten Harry Melling als
morbid-romantischer Sonderling Edgar Allan Poe ein echter Besetzungscoup
gelungen, eine bessere Wahl scheint nicht nur optisch kaum
vorstellbar (wenngleich Melling streng genommen etwa zehn Jahre zu alt
ist). Auch die übrige Besetzung überzeugt, wobei Hochkaräter wie
Timothy Spall, Gillian Anderson oder der inzwischen über 90 Jahre alte
Robert Duvall in ihren Nebenrollen schauspielerisch erkennbar
unterfordert sind.
Das große Manko
von "Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" sind der zentrale
Kriminfalfall und der Umgang damit. Grundsätzlich ist der Tod des Kadetten
mitsamt Herz-Diebstahl interessant genug und die diversen Wendungen, die sich
im Verlauf der zwei Stunden ergeben, sind kaum vorhersehbar.
Dummerweise ist Coopers Inszenierung der Ermittlungen aber so träge
geraten, daß nur selten echte Spannung aufkommen will. Das liegt
auch daran, daß Scott Cooper die Ermittlungen selbst so gar nicht zu
interessieren scheinen. Landor und Poe hangeln sich zwar von Indiz zu
Indiz, doch es ist offensichtlich, daß es Cooper mehr um die
Figuren der Story geht als um den Fall an sich (passenderweise
ist es dann auch in erster Linie ein glücklicher Zufall, der Landor
den Durchbruch beschert, keine penible Ermittlungsarbeit). Das ist
durchaus eine legitime Herangehensweise und die (potentiellen)
Geheimnisse der Familie Marquis sollten genügend Stoff
dafür liefern. Aber Cooper bleibt eben immer ein bißchen zu lange
am traurigen Gesicht von Augustus Landor hängen, er widmet sich
etwas zu ausführlich Edgar Allan Poes Avancen gegenüber Lea und ganz allgemein
läßt er sich so viel Zeit, daß selten ein richtiger Erzählfluß
aufkommen will. Kurzum: In nicht wenigen Phasen gerät "Der
denkwürdige Fall des Mr. Poe" weniger denkwürdig als schlicht
und ergreifend langweilig. Und selbst bei der – wie erwähnt
grundsätzlich gelungenen – Auflösung des Falls läßt Cooper es
sich nicht nehmen, alles in erschöpfender Ausführlichkeit zu
erklären. Grundsätzlich freue ich mich ja immer, wenn ein
Hollywood-Film auf ein actionreiches Finale verzichtet, aber Cooper
übertreibt es hier mit dem langamtigen Erklärdrang eindeutig. Somit
bleibt ein Mysterythriller mit vielversprechender Prämisse, der an einer wenig aufregenden Story und einer allzu gemächlichen
Inszenierung (auf gehobenem Niveau) scheitert
Fazit:
"Der denkwürdige Fall des Mr. Poe" ist ein gut besetzter
und ungemein atmosphärischer Mysterythriller, der aber seine recht
beliebige Mordgeschichte viel zu behäbig erzählt.
Wertung:
6 Punkte.
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