Regie: Craig Gillespie, Drehbuch: Dana Fox und Tony McNamara, Musik:
Nicholas Britell
Darsteller: Emma
Stone, Emma Thompson, Joel Fry, Paul Walter Hauser, Mark Strong, John
McCrea, Emily Beecham, Kirby Howell-Baptiste, Kayvan Novak, Haruka Abe, Andrew Leung, Jamie
Demetriou, Waleed Akhtar, Tim Steed
FSK: 6, Dauer: 134
Minuten.
Von klein auf ist
Estella Miller ein ausgesprochen wildes, eigenwilliges Kind, das sich
nichts gefallen läßt. Doch als sie deshalb von der Schule fliegt
und dann noch ihre alleinerziehende Mutter stirbt, landet
Estella in London auf der Straße, wo sie auf die Straßenjungen
Horace und Jasper trifft und in ihnen eine Ersatzfamilie findet. Zehn
Jahre später, in den 1970er Jahren, hält sich das Trio noch immer
mit Taschendiebstählen und ähnlichen Gaunereien über Wasser, doch Estella
(Emma Stone, "Birdman") träumt eigentlich davon,
Modedesignerin zu werden. Als Jasper (Joel Fry, "Yesterday")
und Horace (Paul Walter Hauser, "I, Tonya") Estella mit
ihren Tricksereien eine Anstellung im für die Modeabteilung
berühmten Kaufhaus Liberty verschaffen, scheint sie ihrem großen
Ziel endlich näherzukommen – und obwohl sich der Job als ziemlich
mies erweist, gelingt es Estella durch einen glücklichen Zufall, der
berühmten Modedesignerin Baroneß von Hellman (Emma Thompson, "Men
in Black: International") aufzufallen, welche sie kurzerhand
engagiert. Obwohl die Baroneß eine äußerst anspruchsvolle
Arbeitgeberin ist, blüht Estella regelrecht auf und wird zu einer
Art Vertrauten der Baroneß – dann findet sie jedoch heraus, daß
diese in den Tod ihrer Mutter verwickelt war und sinnt auf Rache.
Dafür schafft sie als ihr Alter Ego die geheimnisvolle, maskierte
Cruella, die mit ihren eigenen Modekreationen und gewagten Aktionen
die Vormachtstellung der Baroneß attackiert und deren Modeimperium
ins Wanken bringt ...
Kritik:
Während Disney
viele Zeichentrick-Klassiker schlicht als ziemlich
werktreue Realfilm-Remakes neu auflegt ("Aladdin", "The
Jungle Book", "Die
Schöne und das Biest"), würzt das Studio das Vorgehen mitunter
mit einem Perspektivwechsel ("Maleficent") oder nimmt das
Original nur als Basis für eine ziemlich freie Interpretation
("Dumbo"). Eine neue Facette bei diesen Realfilm-Adaptionen
bietet Craig Gillespies ("Fright Night") "Cruella",
das den Perspektivwechsel hin zur Antagonistin mit den beiden "Maleficent"-Filmen teilt, zugleich aber auch ein Prequel zu "101 Dalmatiner"
ist (im Animationsbereich selbst gab es hingegen bereits einige
Disney-Prequels, allerdings nur im Direct-to-Video- respektive TV-Bereich).
Daß auch eine vermeintliche Schurkin als ambivalente Heldin eines
eigenen Abenteuers funktioniert, hat Angelina Jolie bereits in den
"Maleficent"-Filmen bewiesen – "Cruella" zeigt nun, daß das Konzept nicht allein mit OSCAR-Gewinnerin Jolie
funktioniert, sondern auch mit anderen charismatischen Stars. Zwar
sind die Einspielergebnisse nach normalen Maßstäben mittelmäßig ausgefallen, aber das ist großteils der
Corona-Pandemie und der aus diesem Grund parallel zum Kinostart erfolgenden
Premiere beim Streamingdienst Disney+ zu verdanken. Angesichts dieser
Umstände lief "Cruella" richtig gut und konnte mit seiner
interessanten Story und einem klarem Hang zur (vor allem visuellen)
Extravaganz Kritiker und "normale" Zuschauer gleichermaßen überzeugen. Kein Wunder also, daß eine Fortsetzung vom
gleichen Team bereits angekündigt ist – wenn die ähnlich
lebhaft und unterhaltsam ausfällt wie "Cruella", dann kann
man sich darüber nur freuen! Nebenbei bemerkt: Es ist gar nicht so einfach, den Film klar einem Genre zuzuordnen. Am ehesten ist "Cruella" eine Komödie, schließlich gibt es definitiv viel zu Lachen; aber so richtig trifft es das angesichts des Racheplots trotzdem nicht ...
"Cruella"
hat genau zwei OSCAR-Nominierungen erhalten: für die Kostüme sowie
für Makeup und Hairstyling. Das hat seinen Grund,
denn die teils spektakulären Fashion-Kreationen – allen voran ein
sich verwandelndes "Feuerkleid" von Cruella – der
zweifachen OSCAR-Gewinnerin Jenny Beavan ("Mad Max: Fury Road")
wie auch das gesamte extravagante Auftreten Cruellas und der
Baroneß zählen zu den optischen Highlights von
Gillespies Film und animieren immer wieder zu beeindrucktem Staunen.
Der schwungvolle 1960er/1970er Jahre-Soundtrack mit The Doors, Queen,
Nina Simone, Supertramp, Blondie oder den Bee Gees sorgt
zudem für jede Menge gute Laune. Nichtsdestotrotz gelingt es "Cruella"
aber nur phasenweise, den legendären Londoner "Swinging
Sixties"-Flair zu erzeugen. Das viel gerühmte und in
Filmklassikern wie "Blow Up", "Der gewisse Kniff",
"Alfie" oder dem Beatles-Vehikel "A Hard Day's Night"
kunstvoll festgehaltene London jener Jahre ist zwar der Schauplatz der
Geschichte von Estella und der Baroneß, er spielt aber zu selten
wirklich eine Rolle und verkommt die meiste Zeit zum relativ
austauschbaren Beiwerk. Das ist bedauerlich, denn wenn man Cruella de
Vils Vorgeschichte schon in den Swinging Sixties verortet, hätte man diese auch zu einem integralen Bestandteil machen sollen. Ein anderes Problem
von "Cruella" überrascht kaum, denn
erwartungsgemäß erweist es sich als schwierig, die fraglos
eigenwillige und manchmal etwas zu verbissen auf ihre Karriere (und später auf ihre Rache)
fixierte Estella im Lauf der mehr als zwei Stunden annähernd glaubwürdig
in Richtung der furchterregenden "101
Dalmatiner"-Bösewichtin Cruella de Vil zu entwickeln – zumal
angesichts einer dermaßen sympathischen Schauspielerin, wie es Emma
Stone nun einmal ist.
Die Problematik war Gillespie und dem
Drehbuch-Duo Dana Fox ("How to Be Single") und Tony
McNamara (der bereits bei "The Favourite" für Emma Stone
schrieb) offensichtlich bewußt und wurde wohl für mehr oder weniger
unlösbar befunden, weshalb sich der Film viel Zeit läßt, bis
Estella überhaupt erste Schritte zu Cruella macht. Und als
sie dann ihr Alter Ego erfunden hat, wird diese Version von Cruella
zwar zwielichtiger und besessener, doch angesichts des von ihr
erlittenen Unrechts wendet man sich als Zuschauer trotzdem nicht ab.
Letztlich müssen ihre beiden einzigen Freunde Jasper und Horace
dafür herhalten, Estellas negative Entwicklung zu transportieren,
denn daß sie das ihr loyal zur Seite stehende Duo immer
schlechter behandelt, spricht wirklich nicht für sie (auch wenn das
Ganze weit weniger dramatisch daherkommt als Jasper und Horace es uns
verkaufen wollen …). Das ist aber letztlich nur ein kleines Manko,
denn die meiste Zeit über macht "Cruella" richtig viel
Spaß – vor allem immer dann, wenn die zwei vor Spielfreude
geradezu sprühenden Emmas den Bildschirm teilen. Emma Thompson hat
sichtlich Spaß an ihrer exaltierten Rolle der stets mit drei (als
langjähriger Dalmatiner-Besitzer behaupte ich:) unglaubwürdig
blutrünstigen Dalmatinern auftretende Baroneß und als sich die
Mentorin-Schülerin-Beziehung zu einem rasanten (modischen) Zweikampf
entwickelt, erweist sich Emma Stone als eine ebenbürtige, beeindruckend wandlungsfähige
Leinwandpartnerin mit wieder einmal nahezu perfektem Comedy-Timing.
Das übrige Ensemble macht seine Sache gut, bleibt neben den
grandiosen Emmas aber wenig überraschend recht blaß. Während Joel
Fry als charmanter Trickdieb Jasper und Paul Walter Hauser als sein
etwas begriffsstutziger, aber liebenswerter Kumpel Horace noch einige
gute Szenen haben, fällt vor allem die Rolle von Mark Strong
("Kingsman") als Vertrauter der Baroneß enttäuschend
unspektakulär aus. Dies gilt auch für das Finale, das vergleichsweise
phantasielos und konstruiert sowie vor allem wenig glaubwürdig
vonstatten geht. Trotzdem: Insgesamt ist "Cruella" ein
guter, spaßiger Film, der vor allem mit seinen wunderbaren
Hauptdarstellerinnen und der extravaganten Optik begeistert.
Fazit:
"Cruella" ist
ein über weite Strecken sehr unterhaltsames "101
Dalmatiner"-Prequel, das die Transformation der charmanten
Estella zur Dalmatiner-hassenden Oberschurkin zwar eher holprig
vermittelt, jedoch mit grandioser Optik, einem starken Soundtrack und
vor allem zwei tollen Hauptdarstellerinnen für viel gute
Laune beim Publikum sorgt.
Wertung:
Knapp 8 Punkte.
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