Regie: Ericson Core, Drehbuch: Tom Flynn, Musik: Mark Isham
Darsteller: Willem Dafoe, Julianne Nicholson, Christopher
Heyerdahl, Richard Dormer, Michael Greyeyes, Nikolai Nikolaeff, Thorbjørn Harr,
Zahn McClarnon, Michael McElhatton, Madeline Wickins, Brandon Oakes, Adrien Dorval, Michael Gaston, Shaun Benson, Jamie McShane
Als der junge Norweger Leonhard Seppala (Willem Dafoe, "Der Leuchtturm") im Jahr 1900 nach Alaska auswanderte, wurde er vom dortigen
Goldrausch angelockt und hoffte wie viele andere Goldsucher, reich zu werden.
Doch diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen, und so mußte sich Leonhard eine
andere Methode suchen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen – er wurde mit
seiner belgischen Gattin Constance (Julianne Nicholson, "Black Mass") Hundeschlittenzüchter und -trainer. Als im Winter 1925 in der Stadt
Nome die Diphterie ausbricht und vor allem Kinder betroffen sind, muß die benötigte
Medizin aus dem mehrere Tage entfernten Nenana gebracht werden – angesichts eines aufziehenden Jahrhundertsturms ist ein Flug aber unmöglich. Somit
bleiben Schlittenhund-Gespanne die einzige Möglichkeit, die Medizin rechtzeitig
nach Nome zu bringen, auch wenn der Weg im Sturm ungemein gefährlich ist. Die
schwierigste und längste Etappe der geplanten Staffel soll nach dem Willen von Bürgermeister Maynard (Christopher Heyerdahl, TV-Serie "Hell on Wheels") Leonhard übernehmen,
dessen bereits 12 Jahre alter Leithund Togo der wahrscheinlich beste
Schlittenhund in ganz Alaska ist …
Kritik:
Es wäre vermutlich übertrieben, den Schlittenhunde-Film als
ein eigenes Genre zu bezeichnen, aber zumindest als Subgenre des Tier- oder auch des Abenteuerfilms hat
er sich in Hollywood mit einer Handvoll von Vertretern durchaus etabliert. Als
bislang bekanntester, erfolgreichster und bester Schlittenhunde-Film gilt
allgemein Frank Marshalls dramatisches Survival-Abenteuer "Antarctica –
Gefangen im Eis" aus dem Jahr 2006, doch auch Charles Haids "Iron
Will – Der Wille zum Sieg" (1994) mit Kevin Spacey und Simon Wells'
Animationsfilm "Balto" von 1995 (in dem es um die gleiche Geschichte
wie in "Togo" geht, aber der Leithund des letzten Gespanns in der
Staffel im Mittelpunkt steht) haben ihre Anhänger. Kurz nach dem Start des
Streaming-Dienstes Disney+ erhielt "Antarctica" einen sehr
ernsthaften Herausforderer, denn als eine der ersten Disney+-Eigenproduktionen
wurde Ende 2019 "Togo" von Regisseur Ericson Core (wurde als
Kameramann von u.a. "The Fast and the Furious" bekannt und
inszenierte das Football-Drama "Unbesiegbar" und das
"Point Break"-Remake) vorgestellt – und kam bei Kritikern und
Publikum glänzend an. Zumindest gilt das für das nordamerikanische Publikum,
denn weil Disney+ zu diesem Zeitpunkt nur in wenigen weiteren Ländern
(legal) verfügbar war, flog "Togo" doch ein wenig unter dem Radar der
filminteressierten Öffentlichkeit. Das ist sehr bedauerlich, denn wenngleich
"Togo" dem Subgenre wenig Neues hinzufügt, ist Regisseur Core und
seinem Team ein höchst unterhaltsamer, spannender und zu Herzen gehender Film
mit nur wenigen Schwächen geglückt, der ein möglichst großes Publikum verdient
hätte – angesichts der von Core in einer Doppelfunktion als Kameramann
eingefangenen beeindruckenden Bilder übrigens idealerweise im Kino, aber da
hatte Disney leider etwas dagegen.
Ein schwer zu überwindendes Problem des Schlittenhunde-Films
ist es, daß sich die Anzahl der Widrigkeiten, mit denen die Protagonisten – die
menschlichen wie auch die tierischen – konfrontiert werden können, in relativ engen
Grenzen hält. Wetter, Unfälle mit Verletzungs- oder Todesfolge,
Erschöpfung/Hunger – sehr viel mehr geht nicht. "Antarctica" hat mit
seinem zwar lose auf einer wahren Geschichte basierenden, aber in den
Details weitestgehend fiktionalen Extremszenario, in dem die Hunde ganz ohne
menschliche Hilfe monatelang in einer denkbar lebensfeindlichen Umgebung überleben müssen, wohl das Maximum an Variation herausgeholt, inklusive eines
Seelöwen-Angriffs. Da "Togo" sich weit stärker an die
historischen Ereignisse hält (die dank der menschlichen Anwesenheit natürlich auch
viel besser dokumentiert sind) und diese nicht ganz so dramatisch waren wie die
erfundenen Teile der "Antarctica"-Story, hat er gar keine andere Chance,
als die Schlittenhunde-Staffel erheblich weniger abwechslungsreich zu schildern.
Seppala und sein Gespann rasen bei schlechter Sicht und stürmischem Wind durch
die winterliche Landschaft und müssen ständig befürchten, einen folgenschweren
Unfall zu bauen, aber ansonsten sorgt lediglich die todesmutige Überquerung einer
von (wegen der Meeresströmung) brüchigem Eis bedeckten Meerenge für
spektakuläre Szenen. Diese relative Monotonie macht Regisseur Core durch eine sehr effktive Inszenierung wett, die das Publikum mit vor höchster
Spannung angehaltenem Atem mit Mensch und Hunden mitzittern läßt.
Dieser Teil von "Togo" ist also handwerklich
einwandfrei gemacht und sehr spannend, jedoch nur überschaubar originell,
weshalb Core ihn klugerweise nicht unnötig in die Länge zieht. Das bedeutet
aber auch, daß noch Stoff fehlt, um aus der Geschichte einen knapp
zweistündigen Film zu machen. Die Lösung, die sich Drehbuch-Autor Tom Flynn
("Begabt – Die Gleichung eines Lebens") dafür ausgedacht hat, sind
ausführliche Rückblenden, die Togos Werdegang zeigen. Zugegeben, auch dieses
Stilmittel ist alles andere als bahnbrechend, aber bekanntlich kommt es in
erster Linie auf die Umsetzung an – und die ist bei "Togo" so
glänzend gelungen, daß die humorvollen Rückblenden sogar noch unterhaltsamer
ausfallen als die dramatische Gegenwarts-Handlung. In erster Linie ist das dem
tierischen Hauptdarsteller geschuldet, denn nachdem der schwächliche Welpe nur
dank Constances Fürsprache die ersten Tage überlebt, entwickelt er sich
schnell zu einem wahren Teufelsbraten, der Seppala noch den letzten Nerv raubt.
Wie sich zwischen dem bärbeißigen Mann, der die Hunde bewußt als reine
Arbeitstiere betrachtet, damit sie ihm nicht zu sehr ans Herz wachsen, und dem
abenteuerlustigen, von scheinbar unersättlicher Energie und ungeahntem
Erfindungsreichtum beim Entkommen aus geschlossenen Räumen getriebenen Junghund
nach und nach ein tiefes Band entwickelt, ist sicher nicht nur für
einen erklärten Hunde-Freund wie mich höchst vergnüglich anzuschauen.
Eine wichtige Rolle spielt allerdings auch Seppalas Gattin
Constance, die sich praktisch sofort in Togo verliebt und zum Unwillen ihres
Mannes ihre schützende Hand über das Energiebündel hält. Julianne Nicholson ist
eine glänzende Besetzung für diese keineswegs zweitrangige Rolle, welche sie
ungemein sympathisch und mit großer Gelassenheit und Freundlichkeit verkörpert,
wobei sie mit Togo (in verschiedenen Altersstufen) ebenso glänzend
harmoniert wie mit Willem Dafoe, der Seppalas langsame und eigentlich
unwillige Annäherung an Togo so überzeugend spielt, wie man es von einem
Schauspieler seiner Klasse nicht anders erwartet. Visuell gibt es an
"Togo" wenig auszusetzen: Auch wenn man angesichts des Sturmes häufig
nicht allzu viel sieht, macht der gelernte Kameramann Ericson Core das
unwirtliche, lebensbedrohende Wetter für das Publikum zu Hause im Warmen
gekonnt spürbar. Die Musik von Mark Isham (der auch schon für den Score zu "Antarctica" verantwortlich zeichnete) fügt sich
derweil harmonisch ein, ohne großartig aufzufallen. Nicht ganz sicher bin ich
mir allerdings, ob es wirklich nötig war, die finalen Minuten des Films mit Max
Richters bereits mehrfach in Filmen wie "Arrival", "Schräger als
Fiktion" oder "Shutter Island" verwendetem "On the Nature of Daylight" zu unterlegen – so grandios und emotional dieses Musikstückt ist, hat "Togo"
eine derartige Gefühlsmanipulation eigentlich überhaupt nicht nötig. Andererseits gestehe
ich aber gerne zu, daß das Ende von "Togo" auf diese Weise einwandfrei
funktioniert, ein wirklicher Minuspunkt ist das also nicht. Letztlich ist
"Togo" – wie so viele Hundefilme – mehr ein Liebesfilm
über die unverbrüchliche Liebe zwischen Hund und Mensch als das historische
Survival-Drama, das er vordergründig ist. Vor allem aber ist "Togo"
ein sehr guter und charmanter Film für die ganze Familie.
Fazit: "Togo" ist eine höchst unterhaltsame
Mischung aus Survival-Drama und Hundefilm, die mit Spannung, Charme, Dramatik
und Humor für viel gute Laune sorgt.
Wertung: 8,5 Punkte.
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