Die Nominierungen für die von der Auslands-Filmpresse
vergebenen Golden Globes sind stets der erste große Höhepunkt der Awards
Season. Durch die Unterteilung der Hauptkategorien in eine Drama- und eine
Komödie/Musical-Sparte haben besonders viele OSCAR-Anwärter die Chance auf eine
Nennung - gleichzeitig bedeutet das, daß eine Nicht-Berücksichtigung kein allzu
hoffnungsvoller Indikator für eine spätere Academy Award-Nominierung ist. Zu
beachten ist allerdings, daß die Drama-Vertreter bei den OSCARs traditionell
bessere Aussichten haben als die Komödien. Die Bedeutung für die OSCARs
unterstreicht übrigens auch diese Statistik: Seit 1990 gab es keinen Academy
Award-Gewinner als bester Film, der zuvor nicht bei den Golden Globes als
bester Film oder für die beste Regie nominiert war ...
Und damit zu allen Nominierungen aus dem Filmbereich samt meiner Analyse der einzelnen Kategorien:
Bestes Drama:
- 1917
- The Irishman
- Joker
- Marriage Story
- Die zwei Päpste
Mit "Die zwei Päpste" gibt es einen relativ überraschenden Nominee, mindestens drei aus dem übrigen Quartett (bei "Joker" bin ich mir noch nicht ganz sicher) werden im Normallfall auch bei den OSCARs für den "besten Film" nominiert werden. Erstaunlich: Drei dieser fünf Nominees wurden von Netflix produziert ("The Irishman", "Marriage Story" und "Die zwei Päpste"), der Streamingdienst schwimmt also in dieser Awards Season weiterhin auf der Erfolgswelle! Ein klassischer Indie-Vertreter fehlt dieses Mal, was für die aussichtsreichsten Kandidaten "The Farewell", "Uncut Gems" und "Waves" doch enttäuschend ist. Auffällig ist ebenfalls das Fehlen von "Le Mans 66", der seine Achterbahnfahrt im OSCAR-Rennen damit fortsetzt (Top 10 bei den NBR Awards, leer ausgegangen bei den AFI Awards, "Bester Film"-Nominierung bei den Critics' Choice Awards, nur eine Darsteller-Nominierung bei den Golden Globes), sowie von "Little Women" und "Der Fall Richard Jewell". Und Terrence Malicks "Ein verborgenes Leben" ist nach bisher schwacher Performance in der Awards Season und dem kompletten Shutout bei den Globes wahrscheinlich bereits komplett aus dem Rennen. Favorit auf den Sieg bei den Globes ist "The Irishman", aber bis auf "Die zwei Päpste" ist kein Nominee chancenlos.
Beste Komödie oder Musical:
- Dolemite is My Name
- Jojo Rabbit
- Knives Out
Tarantinos "Once Upon a Time in ... Hollywood" ist also eine Komödie - na, klar! Ganz ohne fragwürdige Kategorienentscheidung geht es bei den Globes wohl einfach nicht, aber das ist für mich schon eine der am wenigsten nachvollziehbaren. Wie auch immer, bei den OSCARs wird Tarantinos nostalgischer Hollywood-Film so oder so mit größter Wahrscheinlichkeit als bester Film nominiert werden, bei den anderen vier Vertretern dieser Globes-Kategorie ist das nicht so sicher. Die besten Chancen hat Taika Waititis "Jojo Rabbit", der trotz nicht ganz so großen Kritikerlobes bisher zuverlässig bei den Filmpreisen nominiert wird und somit ebenso wie Rian Johnsons "Knives Out" auf einem guten Weg im OSCAR-Rennen ist. Schwieriger wird es nach den bisherigen Eindrücken für "Dolemite is My Name", schon weil es kaum vorstellbar scheint, daß am Ende vier Netflix-Produktionen in der Königskategorie der Academy Awards nominiert werden - und aus dem Netflix-Quartett stechen "The Irishman" und "Marriage Story" nunmal klar hervor. Für "Rocketman" ist es nach einer bisher enttäuschend verlaufenen Awards Season eine wichtige Nominierung - ob sie den Beginn einer Aufholjagd darstellt, ist dennoch mehr als fraglich. Für die bereits mit dem Trailer polarisierende Musical-Verfilmung "Cats" ist die Nicht-Nominierung derweil eine ziemlich schlechte Nachricht, auch wenn sie erst spät fertig wurde und deshalb wahrscheinlich nicht von allen Juroren rechtzeitig gesehen wurde (für eine Song-Nominierung hat es trotzdem gereicht). Chancenlos sehe ich in dieser Kategorie nur "Dolemite ...", knapper Favorit ist für mich "Once Upon a Time ..." vor "Jojo Rabbit" und "Knives Out".
Regie:
- Bong Joon-ho, "Parasite"
- Sam Mendes, "1917"
- Todd Phillips, "Joker"
- Martin Scorsese, "The Irishman"
- Quentin Tarantino, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Wieder einmal hat es keine Frau zu einer Nennung in dieser Kategorie gebracht - eine echte Chance darauf hatte sowieso nur Greta Gerwig ("Little Women") -, dafür aber nach längerer Zeit mal wieder ein nicht-englischsprachiger Mann. Die Nominierung des Südkoreaners Bong Joon-ho ist keine ganz große Überraschung, da sein "Parasite" von Presse und Publikum weltweit gefeiert wird (wenngleich mir persönlich nicht ganz klar ist, warum - meine eher unterwältigte Rezension des Films folgt demnächst), aber trotzdem bemerkenswert. Größte Überraschung dürfte jedoch eher sein, daß anstelle von Noah Baumbach ("Marriage Story") Todd Phillips für "Joker" nominiert wurde. Scorsese sollte seinen Platz bei den OSCARs sicher haben, Mendes und Tarantino wohl auch; um die übrigen beiden Plätze werden wohl Bong, Phillips, Baumbach, Gerwig, Clint Eastwood ("Der Fall Richard Jewell") und Pedro Almodóvar ("Leid & Herrlichkeit") rangeln - wobei letzterer wohl daran scheitern wird, daß es kaum zwei nicht-englischsprachige Regisseure in die Top 5 schaffen werden und Bong das Momentum auf seiner Seite hat. Ein Favorit ist hier schwer auszumachen, ich tippe aber auf Scorsese.
Hauptdarsteller, Drama:
- Christian Bale, "Le Mans 66"
- Antonio Banderas, "Leid und Herrlichkeit"
- Adam Driver, "Marriage Story"
- Joaquin Phoenix, "Joker"
- Jonathan Pryce, "Die zwei Päpste"
Der bisher so stark performende Adam Sandler geht etwas überraschend leer aus, wobei das daran liegen kann, daß "sein" Film "Uncut Gems" von der eigentlich angestrebten Teilnahme im Komödien-Bereich zu den Dramen "zwangsverschoben" wurde - dafür spricht auch, daß der Film komplett leer ausgeht. Noch überraschender, wenn nicht sogar sensationell ist allerdings das Fehlen von "The Irishman"-Star Robert De Niro, der eigentlich als gesetzt galt. Und da "The Irishman" bei den Globes generell stark abschneidet, ist De Niros Fehlen umso erstaunlicher. Trotzdem sollte er seinen Platz bei den OSCARs weiterhin ziemlich sicher haben. Das gilt auch für Adam Driver und Joaquin Phoenix, während Banderas, Bale und Pryce auf der Kippe stehen - schließlich kommen ja auch noch ein paar Hochkaräter dazu, die bei den Globes im Komödien-Bereich vertreten sind, außerdem eben De Niro, Sandler und Paul Walter Hauser ("Der Fall Richard Jewell") ... Favorit in dieser Globes-Kategorie sollte durch De Niros Fehlen Joaquin Phoenix sein.
Hauptdarstellerin, Drama:
- Cynthia Erivo, "Harriet"
- Scarlett Johansson, "Marriage Story"
- Saoirse Ronan, "Little Women"
- Charlize Theron, "Bombshell - Das Ende des Schweigens"
- Renée Zellweger, "Judy"
Scarlett Johansson wartet ja noch immer auf ihre erste OSCAR-Nominierung, bei den Golden Globes ist dies hingegen bereits ihre fünfte Nominierung - eine sehr ungewöhnliche Diskrepanz! Dieses Jahr sollte es aber endlich auch bei den Academy Awards für einen Platz in den Top 5 reichen. Den hat Renée Zellweger im Normalfall ebenfalls sicher, während Theron, Ronan und Erivo angesichts eines hochkarätigen Kandidatinnenfeldes auf der Kippe stehen. Und für "Wir"-Star Lupita Nyong'o gilt das erst Recht, nachdem sie bei den Globes überraschend ignoriert wurde. Favoritin ist Renée Zellweger.
Hauptdarsteller, Komödie/Musical:
- Daniel Craig, "Knives Out"
- Roman Griffin Davis, "Jojo Rabbit"
- Leonardo DiCaprio, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
- Taron Egerton, "Rocketman"
- Eddie Murphy, "Dolemite is My Name"
Traditionell haben die Darsteller in der Komödien/Musical-Kategorie der Golden Globes bei den OSCARs deutlich schlechtere Erfolgsaussichten als die aus dem Dramabereich. Entsprechend hat aus diesem Quintett einzig Leonardo DiCaprio eine sehr gute Chance auf eine OSCAR-Nominierung. Murphy und Egerton zählen zumindest zum erweiterten Kandidatenkreis, Craig und Newcomer Davis sollten normalerweise leer ausgehen. Favorit ist hier Leonardo DiCaprio, wobei ich Egerton und Craig eine Überraschung zutrauen würde.
Hauptdarstellerin, Komödie/Musical:
- Ana de Armas, "Knives Out"
- Awkwafina, "The Farewell"
- Cate Blanchett, "Bernadette"
- Beanie Feldstein, "Booksmart"
- Emma Thompson, "Late Night - Die Show ihres Lebens"
Wie bei den Männern sieht es auch bei den Frauen aus dem Komödien/Musical-Bereich nur für eine Nominierte rosig für eine OSCAR-Nominierung aus, dabei handelt es sich um Awkwafina. Bei den anderen wäre es eine größere Überraschung, würden sie bei den Academy Awards berücksichtigt werden. Favoritin ist demnach Awkafina, wobei mir das Feld insgesamt recht offen erscheint und ich mir einen unerwarteten Sieg von Ana de Armas vorstellen könnte.
Nebendarsteller:
- Tom Hanks, "Der wunderbare Mr. Rogers"
- Anthony Hopkins, "Die zwei Päpste"
- Al Pacino, "The Irishman"
- Joe Pesci, "The Irishman"
- Brad Pitt, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Es ist gut möglich, daß beide "The Irishman"-Nebendarsteller auch für den OSCAR nominiert werden, sollte es aber nur für einen reichen, hätte vermutlich Joe Pesci (der für den Film extra aus dem Ruhestand zurückkehrte) die besseren Karten. Eine Nominierung für Pitt ist so gut wie sicher, theoretisch sollte das auch für Hanks gelten - wenn der nicht in den letzten Jahren bereits mehrfach bei den Academy Awards unerwartet übergangen worden wäre (vor allem für "Captain Phillips" und "Saving Mr. Banks"). Er, Hopkins und Pacino sind Wackelkandidaten, denen Gefahr in erster Linie von John Lithgow ("Bombshell"), Song Kang-ho ("Parasite") und Willem Dafoe droht - auch wenn dessen "Der Leuchtturm" in der bisherigen Awards Season erstaunlich schwach abschneidet und bei den Globes sogar komplett ignoriert wurde. Relativ klarer Favorit bei den Globes ist Brad Pitt.
Nebendarstellerin:
- Kathy Bates, "Der Fall Richard Jewell"
- Annette Bening, "The Report - Die Wahrheit zählt"
- Laura Dern, "Marriage Story"
- Jennifer Lopez, "Hustlers"
- Margot Robbie, "Bombshell - Das Ende des Schweigens"
Schön, daß die im Kino zu Unrecht komplett untergegangene Amazon-Produktion "The Report" in Person von Nebendarstellerin Annette Bening gewürdigt wird, was - wie bei Jennifer Lopez - ihre OSCAR-Chancen deutlich erhöht. Am sichersten dürfte ihren Platz bei den OSCARs Laura Dern haben, auch Robbie und Bates sind gut im Rennen. In die Quere kommen könnten ihnen Zhao Shuzhen ("The Farewell"), Florence Pugh ("Little Women") und Scarlett Johansson ("Jojo Rabbit") - es wäre doch amüsant, würde sie nach so langer Wartezeit am Ende gleich zwei OSCAR-Nominierungen in einem Jahr erhalten ... Favoritin ist Laura Dern.
Fremdsprachiger Film:
- "The Farewell", USA
- "Die Wütenden - Les Misérables", Frankreich
- "Leid und Herrlichkeit", Spanien
- "Parasite", Südkorea
- "Porträt einer jungen Frau in Flammen", Frankreich
Die deutsche OSCAR-Hoffnung "Systemsprenger" fehlt, so wie leider bei bisher allen wichtigen Stationen der laufenden Awards Season. Für die OSCAR-Hoffnungen ist das allerdings nicht ganz so schlimm wie es klingen mag, denn alleine aus dem nominierten Globes-Quintett sind zwei Filme bei den Academy Awards nicht in der Auslandskategorie wählbar: "The Farewell" als US-Film und "Porträt ...", da Frankreich "Die Wütenden" als Kandidat ausgewählt hat. Und obwohl "Porträt" zumindest bislang international weit mehr Schlagzeilen gemacht hat als "Die Wütenden", scheint die französische Entscheidung aufzugehen, denn die freie, modernisierte Victor Hugo-Adaption gilt wie "Leid und Herrlichkeit" und "Parasite" als gesetzt. Bleiben also noch zwei Plätze, auf die es viele Anwärter gibt ... Klarer Favorit ist "Parasite".
Animationsfilm:
- "Die Eiskönigin II"
- "Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt"
- "Der König der Löwen"
- "Mister Link - Ein fellig verrücktes Abenteuer"
- "Toy Story 4"
Kurios: Ausgerechnet bei den von der Auslandspresse vergebenen Golden Globes schafft es bei den Animationsfilmen trotz namhafter Auswahl kein einziger nicht-englischsprachiger Film unter die Top 5 - weder "Ich habe meinen Körper verloren" noch "Klaus" oder "Weathering With You". Jedoch nimmt hier mit "Der König der Löwen" ein Film einen Platz ein, der bei den OSCARs nicht in dieser Kategorie antritt, es besteht also noch die Hoffnung auf etwas mehr Internationalität. "Toy Story 4", "Die Eiskönigin II" und "Drachenzähmen leicht gemacht 3" sind die in etwa gleichauf liegenden Favoriten und werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine OSCAR-Nominierung erhalten, "Mister Link" hat zumindest ordentliche Chancen.
Drehbuch:
- Noah Baumbach, "Marriage Story"
- Bong Joon-ho und Han Jin-won, "Parasite"
- Anthony McCarten, "Die zwei Päpste"
- Quentin Tarantino, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
- Steven Zaillian, "The Irishman"
Während es durch die Unterscheidung in Dramen und Komödien/Musicals bei den Darstellern doppelt so viele Nominierungen gibt wie bei den OSCARs, sind es bei den Drehbüchern halb so viele - denn bei den Academy Awards wird zwischen adaptierten und Original-Drehbüchern unterschieden. Umso bedeutsamer ist eine Nominierung bei den Globes. Mit "Marriage Story", "Parasite" und "Once Upon a Time ..." haben es drei Originaldrehbücher in die Top 5 geschafft, die ebenso wie ihre adaptierten Kollegen glänzende Aussichten auf eine OSCAR-Nominierung haben. Einen wirklichen Favoriten sehe ich nicht, tippe aber auf "Marriage Story" als Gewinner.
Musik:
- Alexandre Desplat, "Little Women"
- Hildur Gudnadóttir, "Joker"
- Randy Newman, "Marriage Story"
- Thomas Newman, "1917"
- Daniel Pemberton, "Motherless Brooklyn"
Die Musikkategorie ist notorisch schwer prognostizierbar, doch mit John Williams' neuestem "Star Wars"-Score fehlt hier auf jeden Fall ein Mitfavorit, der bei den Globes noch nicht zur Wahl stand. Daniel Pembertons Nominierung für "Motherless Brooklyn" dürfte die größte Überraschung sein, die übrigen vier Scores könnten sehr wohl bei der OSCAR-Nominierung auftauchen. Favoriten gibt es keinen, ich tippe auf Randy Newman.
Filmsong:
- "Beautiful Ghost" aus "Cats"
- "I'm Gonna Love Me Again" aus "Rocketman"
- "Into the Unknown" aus "Die Eiskönigin II"
- "Spirit" aus "Der König der Löwen"
- "Stand Up" aus "Harriet"
Es fehlt überraschend "Speechless" aus "Aladdin", ansonsten sind jene Songs vertreten, die man erwarten konnte. Favoriten gibt es keinen und da ich nur den "Rocketman"-Song bereits gehört habe, traue ich mir hier auch keine Prognose zu.
Fazit:
Netflix setzt seinen Siegeszug durch die Awards Season fort und räumt mit "Marriage Story" (6) und "The Irishman" (5, wie auch "Once Upon a Time in ... Hollywood") die meisten Golden Globe-Nominierungen ab. "Joker" zeigt sich mit vier Nennungen ebenso (mehr oder weniger) überraschend stark wie "Die zwei Päpste", was die OSCAR-Chancen für beide erhöht. Größte Überraschung ist wohl das Fehlen von Robert De Niro bei den nominierten Hauptdarstellern, ansonsten gab es keine wirklichen Sensationen. Das OSCAR-Rennen bleibt natürlich offen, aber klar ist: Netflix ist es, das es in diesem Jahr zu schlagen gilt!
Alle Nominierungen inklusive der TV-Kategorien gibt es auf der Homepage der Golden Globes nachzulesen.
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