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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 26. November 2019

PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN (2019)

Originaltitel: Portrait de la jeune fille en feu
Regie und Drehbuch: Céline Sciamma, Musik: Jean-Baptiste de Laubier und Arthur Simonini
Darsteller: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Valeria Golino
Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 97% (9,0); weltweites Einspielergebnis: $10,1 Mio.
FSK: 12, Dauer: 122 Minuten.

Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Als jüngere Tochter einer Adelsfamilie ist Héloїse (Adèle Haenel, "Die Blumen von gestern") im Grunde genommen "überflüssig" und wird deshalb ins Kloster geschickt, um Nonne zu werden. Doch als ihre ältere Schwester unerwartet stirbt, wird Héloїse zurückgeholt, um mit deren Verlobtem – einem wohlhabenden Adeligen aus Mailand, den sie nie getroffen hat – verheiratet zu werden. Bevor der Verlobte zustimmt, will er ein Portrait von Héloїse, die aber wenig Lust auf die Heirat verspürt und sich deshalb standhaft weigert, Modell zu stehen. Nachdem der vorgesehene Maler daher letztlich unverrichteter Dinge seiner Wege zog, engagiert Héloїses Mutter, die Gräfin (Valeria Golino, "Hot Shots!"), die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant, "Der Vater meiner besten Freundin"), die sich als Héloїses Gesellschafterin ausgeben, sie bei den täglichen Spaziergängen am Strand der bretonischen Insel genau beobachten und dann abends aus dem Gedächtnis malen soll. Diese List geht auf und als das Portrait fertig ist, reagiert Héloїse gar überraschend gefaßt, obwohl sie Mariannes Blicke als romantisches Interesse fehlinterpretiert hatte. Allerdings macht sie keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung darüber, wie Marianne – die sich an die gängigen Regeln und Konventionen der Portraitmalerei hielt – sie gemalt hat, woraufhin diese die Gräfin in der Tat dazu überredet, ihr einen zweiten Versuch zu gewähren. Während die Gräfin für fünf Tage verreist, macht sich Marianne wieder an die Arbeit und will dieses Mal ein wahrhaftiges Portrait der nun bereitwillig Modell stehenden Héloїse erschaffen. Doch die sich verstärkenden Gefühle der jungen Damen verkomplizieren die Angelegenheit zunehmend …

Kritik:
Es gibt Filme, die werden von allen Seiten über den grünen Klee gelobt und sobald man das entsprechende Werk selbst gesehen hat, dann kann man ebenfalls fast nur Gutes sagen und im Grunde genommen alle positiven Argumente von Kritikern und Zuschauern bestätigen – und trotzdem die Lobeshymnen nicht gänzlich nachvollziehen. Genau so erging es mir mit "Porträt einer jungen Frau in Flammen" von der französischen Regisseurin und Drehbuch-Autorin Céline Sciamma ("Tomboy", Autorin des OSCAR-nominierten schweizerischen Animationsfilms "Mein Leben als Zucchini"). Das stark weiblich geprägte historische Drama mit dem poetischen Titel kombiniert ein einfühlsames Künstlerportrait mit der Geschichte einer unmöglichen, verbotenen Liebe und einem unaufgeregten, aber sehr präzisen Blick auf die Stellung der Frau im Europa des 18. Jahrhunderts. Dabei glänzen Dialoge und Figurenzeichnung mit Tiefgang, Kamerafrau Claire Mathon ("Der Fremde am See") fängt die raue, oft sturmumtoste bretonische Landschaft bildgewaltig ein und das zentrale Schauspielerinnen-Quartett (Männer kommen nur zu Beginn und am Ende in kleinen Rollen vor) um Senkrechtstarterin Adèle Haenel liefert beeindruckende Leistungen ab. Und doch hat mich "Porträt einer jungen Frau in Flammen" nicht so stark – oder zumindest nicht durchgehend so stark – berührt, wie es eigentlich der Fall sein sollte und bei vielen anderen offensichtlich der Fall ist.

Ein Grund dafür ist vermutlich, daß sich Sciamma mit zwei Stunden ziemlich viel Zeit für das Erzählen einer im Kern sehr einfachen, geradlinigen Geschichte läßt. Das bringt selbstredend gewichtige Vorteile mit sich, denn die nur drei wirklich wichtigen Figuren – die Gräfin zähle ich da gar nicht mit, wichtiger ist das Dienstmädchen Sophie (Luàna Bajrami, "Fȇte de famille") – gewinnen auf diese Weise viel Profil und machen es dem Publikum einfach, sich in ihre Lage einzufühlen. Ein Highlight von "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ist jene Phase, in der in Abwesenheit der Gräfin sich ein ungewöhnliches Band zwischen dem Adelssproß Héloїse, der Künstlerin Marianne und dem Dienstmädchen Sophie entwickelt, zusätzlich gefestigt durch die Notlage der ungewollt schwangeren Sophie. Die Szenen dieses Trios wirken ungemein ehrlich und authentisch, ihre zumindest vorübergehende enge Verbindung über Standesgrenzen hinweg ist anrührend und gefühlvoll erzählt und gespielt. Auffällig sind die großen, ausdrucksstarken Augen des Trios. Ich weiß nicht, ob Sciamma beim Casting bewußt nach Schauspielerinnen mit solchen Augen gesucht hat oder ob sie in Wirklichkeit gar nicht so auffällig sind, sondern lediglich durch Makeup und spezifische Kamerawinkel hervorgehoben wurden. Vielleicht ist es auch purer Zufall, aber da dieses Detail so perfekt in die sowieso und angesichts der Thematik mit Sicherheit sehr bewußt an Gemälde erinnernden Szenenbilder paßt, vermutlich eher nicht. Tatsächlich kommt man immer wieder ins Staunen ob der penibel durchkomponierten, überaus atmosphärisch beleuchteten Bilder speziell in den Innenräumen, aber auch in der bretonischen Insellandschaft.

Mein größter Kritikpunkt an "Porträt einer jungen Frau in Flammen" hat folgerichtig nichts mit den technischen Aspekten zu tun. Nein, es ist vielmehr die zentrale Liebesgeschichte, welche mich nur phasenweise richtig zu packen wußte. Das Problem ist, daß in diesem Fall meines Erachtens der Weg wesentlich interessanter ist als das Ziel. So ist die langsame Anbahnung der aussichtslosen Romanze in der ersten Hälfte ausgesprochen gut gelungen: die anfängliche Verwirrung, da Héloїse Mariannes häufige analytische Blicke nachvollziehbarerweise fehldeutet, nach der Enthüllung ihrer wahren Aufgabe dann die direktere, aber immer noch sehr vorsichtige Annäherung mit einem immer glühenderen Austausch langer, intensiver Blicke und zunehmend intimen Momenten … das ist einfach richtig gut gemacht. Sobald aber eine gewisse Schwelle überschritten ist und Marianne und Héloїse endgültig zu Liebenden werden, geht die knisternde Spannung ein Stück weit verloren und die gezeigten Szenen der Trautsamkeit zu zweit heben sich nicht mehr allzu sehr von ganz normalen Liebesfilmen ab. Wesentlich überzeugender ist für mich der Blick auf die Stellung der Frau zu dieser Zeit gestaltet, denn ohne das je plakativ hervorzuheben, zeigt Céline Sciamma, welche Schwierigkeiten gerade freiheitsliebende Frauen zu jener Zeit zu überwinden hatten. Für Marianne, die Tochter eines bekannten Malers, geht es dabei in erster Linie "nur" um ihre berufliche Entwicklung (beispielsweise ist es Frauen offiziell nicht gestattet, männliche Aktmodelle zu zeichnen), für Héloїse stehen hingegen ihre Zukunft und ihr Glück auf dem Spiel, ohne daß sie darauf auch nur ansatzweise Einfluß hätte. Da ist es eben schon ein Zeichen der Rebellion, wenn man sich weigert, sich portraitieren zu lassen – oder, wenn man eine ungewöhnliche Interpretation der Sage von Orpheus und Eurydike vorträgt. Abschließend möchte ich noch kurz auf die Musik eingehen, die in "Porträt einer jungen Frau in Flammen" zwar spärlich verteilt ist, aber eine große Rolle spielt. In erster Linie gilt das für einen Ausschnitt aus Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten" (ich bin kein Experte, tippe aber stark auf Herbst), der Mariannes Lieblingsstück ist und den sie Héloїse recht holprig auf einem Cembalo vorspielt – seine volle Wirkung entfaltet der Vortrag erst ganz am Schluß des Films, als Marianne das Stück wesentlich opulenter von einem großen Orchester in der Mailänder Oper hört. Ohne zu viel verraten zu wollen: Die Schlußeinstellung von "Porträt einer jungen Frau in Flammen" zu dieser stürmischen, aufregenden Musik ist gleich doppelt symbolträchtig und dürfte jedem Zuschauer lange im Gedächtnis bleiben. Erreichte der gesamte Film die Intensität dieser finalen Minuten, wäre ich ebenso begeistert von ihm wie es viele Kritiker sind – so kann ich trotz aller objektiven Stärken "nur" ein gutes Urteil fällen.

Fazit: "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ist eine intelligente Mischung aus historischem Künstlerportrait und Liebesgeschichte, die mit technischer Brillanz, fein gezeichneten Figuren und starken Schauspielleistungen beeindruckt, aber emotional nicht so sehr packt, wie es der Fall sein sollte.

Wertung: 7,5 Punkte.


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