Originaltitel: Portrait de la jeune fille en feu
Regie und Drehbuch: Céline Sciamma, Musik: Jean-Baptiste de
Laubier und Arthur Simonini
Darsteller: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami,
Valeria Golino
FSK: 12, Dauer: 122 Minuten.
Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Als
jüngere Tochter einer Adelsfamilie ist Héloїse (Adèle
Haenel, "Die Blumen von gestern") im Grunde genommen
"überflüssig" und wird deshalb ins Kloster geschickt, um Nonne zu
werden. Doch als ihre ältere Schwester unerwartet stirbt, wird Héloїse zurückgeholt, um mit deren Verlobtem
– einem wohlhabenden Adeligen aus Mailand, den sie nie getroffen hat –
verheiratet zu werden. Bevor der Verlobte zustimmt, will er ein Portrait von
Héloїse, die aber wenig Lust auf die Heirat verspürt und sich deshalb
standhaft weigert, Modell zu stehen. Nachdem der vorgesehene Maler daher letztlich
unverrichteter Dinge seiner Wege zog, engagiert Héloїses Mutter, die Gräfin (Valeria
Golino, "Hot Shots!"), die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant,
"Der Vater meiner besten Freundin"), die sich als Héloїses Gesellschafterin
ausgeben, sie bei den täglichen Spaziergängen am Strand der bretonischen Insel genau beobachten und dann abends aus dem Gedächtnis malen
soll. Diese List geht auf und als das Portrait fertig ist, reagiert Héloїse gar überraschend gefaßt, obwohl sie Mariannes Blicke als romantisches Interesse
fehlinterpretiert hatte. Allerdings macht sie keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung
darüber, wie Marianne – die sich an die gängigen Regeln und Konventionen der
Portraitmalerei hielt – sie gemalt hat, woraufhin diese die Gräfin in der Tat
dazu überredet, ihr einen zweiten Versuch zu gewähren. Während die Gräfin für
fünf Tage verreist, macht sich Marianne wieder an die Arbeit und will dieses
Mal ein wahrhaftiges Portrait der nun bereitwillig Modell stehenden Héloїse
erschaffen. Doch die sich verstärkenden Gefühle der jungen Damen
verkomplizieren die Angelegenheit zunehmend …
Kritik:
Es gibt Filme, die werden von allen Seiten über den grünen
Klee gelobt und sobald man das entsprechende Werk selbst gesehen hat, dann kann man
ebenfalls fast nur Gutes sagen und im Grunde genommen alle positiven
Argumente von Kritikern und Zuschauern bestätigen – und trotzdem die
Lobeshymnen nicht gänzlich nachvollziehen. Genau so erging es mir mit "Porträt einer
jungen Frau in Flammen" von der französischen Regisseurin und
Drehbuch-Autorin Céline Sciamma ("Tomboy", Autorin des
OSCAR-nominierten schweizerischen Animationsfilms "Mein Leben als Zucchini"). Das
stark weiblich geprägte historische Drama mit dem poetischen Titel kombiniert
ein einfühlsames Künstlerportrait mit der Geschichte einer unmöglichen,
verbotenen Liebe und einem unaufgeregten, aber sehr präzisen Blick auf die Stellung
der Frau im Europa des 18. Jahrhunderts. Dabei glänzen Dialoge und
Figurenzeichnung mit Tiefgang, Kamerafrau Claire Mathon ("Der Fremde
am See") fängt die raue, oft sturmumtoste bretonische Landschaft bildgewaltig
ein und das zentrale Schauspielerinnen-Quartett (Männer kommen nur zu Beginn
und am Ende in kleinen Rollen vor) um Senkrechtstarterin Adèle Haenel liefert beeindruckende
Leistungen ab. Und doch hat mich "Porträt einer jungen Frau in
Flammen" nicht so stark – oder zumindest nicht durchgehend so stark –
berührt, wie es eigentlich der Fall sein sollte und bei vielen anderen offensichtlich der Fall ist.
Ein Grund dafür ist vermutlich, daß sich Sciamma mit zwei Stunden
ziemlich viel Zeit für das Erzählen einer im Kern sehr einfachen, geradlinigen
Geschichte läßt. Das bringt selbstredend gewichtige Vorteile mit sich, denn die
nur drei wirklich wichtigen Figuren – die Gräfin zähle ich da gar nicht mit,
wichtiger ist das Dienstmädchen Sophie (Luàna Bajrami, "Fȇte de
famille") – gewinnen auf diese Weise viel Profil und machen es dem
Publikum einfach, sich in ihre Lage einzufühlen. Ein Highlight von "Porträt
einer jungen Frau in Flammen" ist jene Phase, in der in Abwesenheit der
Gräfin sich ein ungewöhnliches Band zwischen dem Adelssproß Héloїse, der Künstlerin
Marianne und dem Dienstmädchen Sophie entwickelt, zusätzlich gefestigt durch
die Notlage der ungewollt schwangeren Sophie. Die Szenen dieses Trios wirken ungemein
ehrlich und authentisch, ihre zumindest vorübergehende enge Verbindung über
Standesgrenzen hinweg ist anrührend und gefühlvoll erzählt und gespielt.
Auffällig sind die großen, ausdrucksstarken Augen des Trios.
Ich weiß nicht, ob Sciamma beim Casting bewußt nach Schauspielerinnen mit
solchen Augen gesucht hat oder ob sie in Wirklichkeit gar nicht so auffällig
sind, sondern lediglich durch Makeup und spezifische Kamerawinkel hervorgehoben
wurden. Vielleicht ist es auch purer Zufall, aber da dieses Detail so perfekt
in die sowieso und angesichts der Thematik mit Sicherheit sehr bewußt an
Gemälde erinnernden Szenenbilder paßt, vermutlich eher nicht. Tatsächlich kommt
man immer wieder ins Staunen ob der penibel durchkomponierten, überaus atmosphärisch
beleuchteten Bilder speziell in den Innenräumen, aber auch in der bretonischen Insellandschaft.
Mein größter Kritikpunkt an "Porträt einer
jungen Frau in Flammen" hat folgerichtig nichts mit den technischen
Aspekten zu tun. Nein, es ist vielmehr die zentrale Liebesgeschichte, welche mich nur
phasenweise richtig zu packen wußte. Das Problem ist, daß in diesem Fall meines
Erachtens der Weg wesentlich interessanter ist als das Ziel. So ist die
langsame Anbahnung der aussichtslosen Romanze in der ersten Hälfte
ausgesprochen gut gelungen: die anfängliche Verwirrung, da Héloїse Mariannes
häufige analytische Blicke nachvollziehbarerweise fehldeutet, nach der
Enthüllung ihrer wahren Aufgabe dann die direktere, aber immer noch sehr
vorsichtige Annäherung mit einem immer glühenderen Austausch langer, intensiver Blicke und
zunehmend intimen Momenten … das ist einfach richtig gut gemacht. Sobald aber
eine gewisse Schwelle überschritten ist und Marianne und Héloїse endgültig zu
Liebenden werden, geht die knisternde Spannung ein Stück weit verloren und die
gezeigten Szenen der Trautsamkeit zu zweit heben sich nicht mehr allzu sehr von
ganz normalen Liebesfilmen ab. Wesentlich überzeugender ist für mich der Blick
auf die Stellung der Frau zu dieser Zeit gestaltet, denn ohne das je plakativ
hervorzuheben, zeigt Céline Sciamma, welche Schwierigkeiten gerade freiheitsliebende
Frauen zu jener Zeit zu überwinden hatten. Für Marianne, die Tochter eines
bekannten Malers, geht es dabei in erster Linie "nur" um ihre
berufliche Entwicklung (beispielsweise ist es Frauen offiziell nicht gestattet,
männliche Aktmodelle zu zeichnen), für Héloїse stehen hingegen ihre
Zukunft und ihr Glück auf dem Spiel, ohne daß sie darauf auch nur ansatzweise
Einfluß hätte. Da ist es eben schon ein Zeichen der Rebellion, wenn man sich
weigert, sich portraitieren zu lassen – oder, wenn man eine ungewöhnliche
Interpretation der Sage von Orpheus und Eurydike vorträgt. Abschließend möchte
ich noch kurz auf die Musik eingehen, die in "Porträt einer jungen Frau in
Flammen" zwar spärlich verteilt ist, aber eine große Rolle spielt. In erster
Linie gilt das für einen Ausschnitt aus Antonio Vivaldis "Die vier
Jahreszeiten" (ich bin kein Experte, tippe aber stark auf Herbst), der
Mariannes Lieblingsstück ist und den sie Héloїse recht holprig auf einem
Cembalo vorspielt – seine volle Wirkung entfaltet der Vortrag erst ganz am
Schluß des Films, als Marianne das Stück wesentlich opulenter von einem
großen Orchester in der Mailänder Oper hört. Ohne zu viel verraten zu wollen:
Die Schlußeinstellung von "Porträt einer jungen Frau in Flammen" zu
dieser stürmischen, aufregenden Musik ist gleich doppelt symbolträchtig und
dürfte jedem Zuschauer lange im Gedächtnis bleiben. Erreichte der gesamte Film
die Intensität dieser finalen Minuten, wäre ich ebenso begeistert von ihm wie
es viele Kritiker sind – so kann ich trotz aller objektiven Stärken "nur" ein
gutes Urteil fällen.
Fazit: "Porträt einer jungen Frau in
Flammen" ist eine intelligente Mischung aus historischem Künstlerportrait und
Liebesgeschichte, die mit technischer Brillanz, fein gezeichneten Figuren und
starken Schauspielleistungen beeindruckt, aber emotional nicht so sehr packt,
wie es der Fall sein sollte.
Wertung: 7,5 Punkte.
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