Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 5. September 2019

LATE NIGHT (2019)

Regie: Nisha Ganatra, Drehbuch: Mindy Kaling, Musik: Lesley Barber
Darsteller: Emma Thompson, Mindy Kaling, John Lithgow, Hugh Dancy, Denis O'Hare, Reid Scott, Paul Walter Hauser, Amy Ryan, Ike Barinholtz, Marc Kudisch, Megalyn Echikunwoke, Annaleigh Ashford, Halston Sage, Bill Maher, Seth Meyers, Jake Tapper
 Late Night (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 80% (6,8); weltweites Einspielergebnis: $22,4 Mio.
FSK: 0, Dauer: 103 Minuten.

Die Britin Katherine Newbury (Emma Thompson, "Saving Mr. Banks") ist mit ihrer Late Night-Sendung seit vielen Jahren eine Institution im US-amerikanischen Fernsehen, als einzige Frau im von (weißen) Männern dominierten Geschäft jedoch auch eine Ausnahme. Die Quoten der Show gehen allerdings seit Jahren zurück, weil die sich stets ziemlich elitär gebende Katherine sich weigert, mit der Zeit zu gehen, sich den sozialen Medien zu widmen oder Youtuber statt intellektueller Autoren als Gäste einzuladen. So kommt es vermutlich nur für Katherine wirklich überraschend, als die neue Senderchefin Caroline Morton (Amy Ryan, "Gone Baby Gone") ihr eröffnet, daß sie nach der laufenden Staffel als Moderatorin abgelöst werden soll. Katherine ist zunächst schockiert, entscheidet dann aber auf Anraten ihres Ehegatten Walter (John Lithgow, "Planet der Affen: Prevolution"), um ihren Job zu kämpfen. Dafür müssen naturgemäß bessere Quoten her und dafür muß dringend die zu altbackene und in ihrer Routine festgefahrene Show umgekrempelt werden. Wie praktisch, daß gerade die völlig unerfahrene, aber enthusiastische Molly Patel (Mindy Kaling, "Ocean's 8") als Autorin eingestellt wurde – zwar war sie eigentlich nur als Quotenfrau vorgesehen, doch mit ihrem Außenseiterblick bringt sie trotz anfänglichen Widerstands ihrer neuen Kollegen schnell einige kluge Ideen ein …

Kritik:
In den USA ist das Geschäft mit Late Night Shows im Fernsehen seit Jahrzehnten erfolgreich, in der Trump-Ära haben speziell die politischeren unter ihnen (wie Stephen Colbert oder John Oliver) gar erheblich an Bedeutung gewonnen. In Deutschland hingegen hat sich das Konzept bekanntlich nie richtig durchgesetzt, einzig Harald Schmidt konnte sich mit einem (zumindest zu Beginn) klar an US-Ikone David Letterman orientierten Konzept viele Jahre lang halten, ist inzwischen aber auch schon seit einiger Zeit im TV-Ruhestand. Deutschland ist also sicherlich nicht das einfachste Pflaster für einen Hollywood-Film, der im Umfeld einer US-Late Night Show spielt. Dies spiegelt sich in den Besucherzahlen der von der kanadischen Regisseurin Nisha Ganatra ("Wedding Bells") inszenierten sowie von der comedyerfahrenen Hauptdarstellerin und Koproduzentin Mindy Kaling geschriebenen Komödie bedauerlicherweise wieder (wobei die in den USA selbst auch nicht viel besser waren). Dabei kann man "Late Night" sehr wohl auch ohne eigene Late Night Show-Erfahrungen schätzen und genießen als einen zwar nicht allzu tief unter die Oberfläche eindringenden, jedoch gut geschriebenen, noch besser gespielten und einfach ungemein unterhaltsamen Film. Wer sich mit den amerikanischen Late Night Shows aber ein bißchen auskennt (die Show von Jimmy Fallon lief zwischenzeitlich täglich beim Free-TV-Sender One, außerdem kann man viele Ausschnitte der verschiedensten Shows legal und kostenlos bei YouTube anschauen), der bekommt sicherlich noch ein bißchen mehr geboten, zumal es sogar ein paar Kurzauftritte bekannter Moderatoren gibt.

Witzigerweise gibt es sogar einige Parallelen zwischen der von Emma Thompson verkörperten Katherine Newbury und Harald Schmidt (speziell zu seiner ARD-Zeit): Beide geben sich elitär und setzen lieber auf Gäste aus dem Kunstbereich, die (zu ihrem Fachbereich) wirklich etwas zu sagen haben, als auf hippe aktuelle Social Media-Stars, die die jungen Zuschauer anlocken. Auch, daß Katherine außerhalb der Show den Kontakt zu Mitarbeitern weitestgehend meidet, erinnert frappierend an Schmidt, der ja nie ein Hehl daraus gemacht hat, daß er strikt zwischen Arbeit und Privatleben trennt und selbst zu langjährigen engen Mitarbeitern privat ein ziemlich distanziertes Verhältnis wahrt. Gut, bei Katherine Newbury wird das Ganze noch etwas mehr auf die Spitze getrieben (sie kennt ihre Autoren nicht mal beim Namen, sondern numeriert sie einfach durch), aber die Ähnlichkeiten zwischen Newbury und Schmidt sind nicht zu übersehen und bieten so gesehen deutschen Zuschauern sogar einen speziellen, wenn auch eher kleinen humoristischen Mehrwert. Mit der indischstämmigen Molly gibt es zudem eine sympathische Identifikationsfigur für das Publikum, da sie als fachfremder Fan durch pures Glück und gutes Timing als Außenseiterin in das eingeschworene Autorenteam kommt und wir zusammen mit ihr lernen müssen, was zu beachten ist. Daß sie einzige Autorin ist und außerdem die einzige Nicht-Weiße, dürfte so unrealistisch übrigens nicht sein – zwar kenne ich natürlich nicht den Autorenstab jeder US-Late Night Show, aber die dortige männliche Dominanz ist eigentlich bekannt und auch in der artverwandten Behind the Scenes-Comedyserie "30 Rock" (auch wenn es da um eine Comedyshow á la "Saturday Night Live" geht) gibt es neben Protagonistin Liz ausschließlich männliche und überwiegend weiße Autoren. Katherine als Host ist da sogar der Realität voraus, denn erst ab September 2019 moderiert mit der kanadischen YouTuberin Lilly Singh erstmals eine Frau eine Late Night Show auf einem der großen Networks (auf dem spätestmöglichen Sendeplatz) …

Aber Realitätsnähe hin oder her, noch wichtiger ist natürlich die Frage: Ist "Late Night" witzig? Glücklicherweise lautet die Antwort darauf: Na, und ob! Mindy Kaling ist zwar in erster Linie als Komikerin und Schauspielerin bekannt, hat aber durch die Comedy-Serien "The Office (US)" und "The Mindy Project" reichlich Erfahrung als Drehbuch-Autorin gesammelt, von der sie in ihrem Kinodebüt (in dieser Funktion) zehrt. Und tatsächlich macht "Late Night" durchgehend Laune mit zahlreichen guten Gags, ohne dabei zu Schenkelklopfer-Humor abzurutschen. Was sogar noch besser ist: "Late Night" ist keineswegs eine reine Gagparade oder eine Satire (wie seinerzeit in Deutschland Helmut Dietls "Late Show" mit Harald Schmidt in der Hauptrolle), sondern hat eine recht vielseitige, überlegt aufgebaute Handlung voller Figuren, die sich "echt" anfühlen. Kaling entzieht sich dabei geschickt der Vorhersehbarkeitsfalle, denn obwohl speziell zu Beginn einige Klischees ausgespielt werden, zeigt sich bei den meisten davon im Laufe der gut eineinhalb Stunden, daß es keineswegs so einfach ist, wie es zunächst scheint. Ob es um Mollys romantische Episoden geht – zwischen ihr und ihrem Autorenkollegen Tom (Reid Scott, "Venom") funkt es –, politische und gesellschaftliche Anspielungen oder auch nur Katherines Showgäste: Beinahe ausnahmslos offenbart sich eine zweite, häufig überraschende Ebene, die man so nicht erwartet hätte – besonders gefühlvoll ist der Handlungsstrang um Katherine und ihren deutlich älteren, an Parkinson erkrankten Ehemann Walter gestaltet.

Wenn ich überhaupt etwas an "Late Night" zu kritisieren habe, dann ist es, daß sich Kalings Drehbuch nicht so richtig an die heißeren Eisen mit aktuellem Bezug herantraut. Themen wie Gleichberechtigung respektive Diskriminierung (sowohl hinsichtlich der Hautfarbe als auch Alter und Geschlecht), aber auch generell die politische und gesellschaftliche Spaltung der USA in der Trump-Ära werden zwar – ähnlich wie in der Politikkomödie "Long Shot" – angeschnitten, aber das erschöpft sich jeweils meist in einer einzigen, zwangsläufig ziemlich oberflächlichen Szene, nach der ohne größere Umschweife zum nächsten Thema übergegangen wird. Da hätte Kaling definitiv mehr herausholen, sich mehr trauen können, aber vermutlich wollte sie nicht riskieren, daß sich diese Komödie zu schwer anfühlt. Ob das die richtige Entscheidung war, darüber kann man sicher streiten, nichts zu diskutieren gibt es allerdings über die Qualität der Besetzung – die ist enorm hoch. Emma Thompson beweist wieder einmal, welch großartige Schauspielerin sie ist und welche Naturgewalt sie auf der großen Leinwand sein kann, wobei diese Katherine Newbury eine perfekte Rolle für sie ist, in der sie Selbstbewußtsein, Arroganz, Witz, aber auch Verunsicherung und Verletzlichkeit zeigen kann. Letzteres kommt vor allem in den Szenen mit John Lithgow als ihr Ehemann zum Tragen, der nicht viele Szenen hat (fast alle mit Katherine oder Molly), sich in diesen aber rasch ins Herz der Zuschauer spielt. Lob haben sich auch Denis O'Hare ("Michael Clayton") als Katherines schicksalsergebener Showrunner Brad und Hugh Dancy ("In guten Händen") als der schnöselige Monolog-Autor Charlie verdient, während Comedian Ike Barinholtz ("Suicide Squad") als ständig grinsender, etwas dümmlicher Brachialkomiker und möglicher Nachfolger von Katherine namens Daniel Tennant gekonnt eine Art Antagonist des Films verkörpert.

Fazit: "Late Night" ist eine sehr unterhaltsame, durchdacht konstruierte und glänzend gespielte Showbiz-Komödie, die aber gern noch etwas mehr Kanten und Mut zur Unbequemlichkeit hätte zeigen dürfen.

Wertung: 8 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen