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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 14. Januar 2021

MA RAINEY'S BLACK BOTTOM (2020)

Regie: George C. Wolfe, Drehbuch: Ruben Santiago-Hudson, Musik: Branford Marsalis
Darsteller: Viola Davis, Chadwick Boseman, Colman Domingo, Glynn Turman, Michael Potts, Taylour Paige, Jeremy Shamos, Jonny Coyne, Dusan Brown
Ma Rainey's Black Bottom (2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 97% (8,2); Altersfreigabe: ab 16 Jahren; Dauer: 93 Minuten.
Chicago, 1927: Die vor allem bei Afroamerikanern in den Südstaaten enorm populäre Sängerin Gertrude "Ma" Rainey (Viola Davis, "Glaubensfrage"), genannt "Mother of Blues", soll mit ihrer Band einige ihrer Songs auf Schallplatte aufnehmen. Während die für ihr divenhaftes Verhalten bekannte Ma sich zum Ärger des Plattenproduzenten Sturdyvant (Jonny Coyne, TV-Serie "The Blacklist") deutlich verspätet, wärmt sich ihre vierköpfige Band schon einmal auf, wobei jedoch einige Spannungen zutage treten. Denn während die routinierten Cutler (Colman Domingo, "Der Butler"), Toledo (Glynn Turman, "Super 8") und Slow Drag (Michael Potts, TV-Serie "Show Me a Hero") keine Probleme damit haben, daß alles nach Mas Willen abläuft, will der ehrgeizige junge Trompeter Levee (Chadwick Boseman, "Black Panther") mehr. Für ihn ist Ma Raineys Band nur eine Durchgangsstation, da er selbst Songs schreibt und von Sturdyvant sogar schon eigene Aufnahmen vage in Aussicht gestellt bekommen hat. Der zentrale Streitpunkt ist "Ma Rainey's Black Bottom", das Levee zu einem schnelleren, tanzbaren Stück umgeschrieben hat – doch während Sturdyvant diese Version bevorzugen würde, beharrt Ma auf der bewährten ursprünglichen Variante. Doch das soll nicht die einzige Problematik bleiben, denn nicht nur hat Levee ein Auge auf Mas schöne junge Lebensgefährtin Dussie Mae (Taylour Paige, "White Boy Rick") geworfen – Ma besteht außerdem darauf, daß ihr Neffe das Intro zum Song einspricht. Dummerweise stottert Sylvester (Dusan Brown) stark …
 
Kritik:
Mit dem Bemühen Hollywoods um größere Diversität nicht nur in den Rollen, sondern auch in den präsentierten Storys avancierte der 2005 verstorbene Dramatiker und zweifache Pulitzer-Preisträger August Wilson zu einem der ersten Anlaufpunkte. Für die Verfilmung seines Stücks "Fences" erhielt Wilson sogar eine posthume OSCAR-Nominierung, vier Jahre später folgt mit der Netflix-Produktion "Ma Rainey's Black Bottom" eine weitere hochgelobte Adaption, erneut mit Viola Davis in der weiblichen Hauptrolle – und koproduziert von "Fences"-Hauptdarsteller Denzel Washington. Obwohl es sich bei Ma Rainey um eine reale Persönlichkeit handelt – sie gilt als einer der ersten weiblichen Blues-Stars und wurde inzwischen in die Blues Hall of Fame wie auch in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen –, ist der Film des renommierten Theaterregisseurs George C. Wolfe (der aber mit "Das Lächeln der Sterne" und "Das Glück an meiner Seite" auch schon im Kinobereich tätig war) und des bislang vorrangig als Schauspieler bekannten Drehbuch-Autors Ruben Santiago-Hudson ("Selma", TV-Staffel "Castle") kein Biopic. Tatsächlich erfahren wir recht wenig über die Musikerin, da sich August Wilson in "Ma Rainey's Black Bottom" wie in den meisten seiner Arbeiten primär auf dramatische Art und Weise mit der Lebenswirklichkeit der Afroamerikaner und so natürlich auch mit dem Alltags-Rassismus auseinandersetzt, den sie erfahren (die Szene, in der der weiße Polizist nach einem harmlosen Auffahrunfall nicht glauben will, daß das teure Auto wirklich der schwarzen Ma Rainey gehört, könnte genausogut aus den USA des Jahres 2020 stammen ...).
 
Regisseur Wolfe hat sich nicht sonderlich angestrengt, um die Theaterwurzeln seines Films zu verbergen. Zwar gibt es ein paar kurze Ausflüge auf die Straßen Chicagos (sowie im Prolog zu einem Konzert von Ma Rainey), aber der größte Teil der Handlung spielt sich im Plattenstudio ab. Auch die Dialoge sind nur bedingt realitätsnah gestaltet, dafür überzeugen die von dem hochkarätigen Ensemble teilweise in atemberaubendem Tempo abgefeuerten Schlagabtausche zwischen den Band-Mitgliedern – speziell Levee und Cutler – mit messerscharfen Textzeilen und balancieren dabei haarscharf auf einem hauchdünnen Grat zwischen freundschaftlichen Frotzeleien und passiv-aggressiven Beleidigungen. Die Virtuosität dieser Dialoge kann man nur bewundern – auch wenn es zumindest in der Originalfassung manchmal recht anstrengend ist, ihnen zu folgen –, ebenso den Willen zum unvermittelten Stilbruch, wenn zum Beispiel Levee einen tragischen, in den Südstaaten des frühen 20. Jahrhunderts jedoch leider weißgott nicht einmaligen Einblick in seine Vergangenheit gibt, der nicht nur seinen sonst ziemlich redseligen Bandkollegen vorübergehend die Sprache raubt. Keine Frage, es ist schwerer Stoff, mit dem "Ma Rainey's Black Bottom" sein Publikum konfrontiert, zumal Wilson (wie schon in "Fences") uns echte Identifikationsfiguren vorenthält. Weder der arg großspurige Levee noch die arrogante und selbstherrliche Ma Rainey taugen zu Sympathieträgern, doch sind sie lebensechte und ambivalente Charaktere, bei denen im Lauf der eineinhalb Stunden nachvollziehbar erklärt wird, warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten. Angenehmer kommen der fromme Gitarrist Cutler und der belesene Pianist Toledo daher, doch bleiben sie wie Mas leicht überforderter (weißer) Manager Irvin (Jeremy Shamos, "Magic in the Moonlight") eben Nebenfiguren, über die man nicht viel erfährt.
 
Das sieht bei Levee und Ma schon anders aus, wobei bemerkenswerterweise Levee stärker im Fokus steht und mehr spektakuläre Szenen hat als die Blues-Legende. Hilfreich angesichts der angesprochenen Sympathiedefizite ist die Tatsache, daß beide Hauptfiguren von großartigen Darstellern verkörpert werden. Viola Davis glänzt vor allem in einem emotionalen Monolog, in dem sie ihr divenhaftes Verhalten erklärt, während Chadwick Boseman als charismatischer, dabei ebenso ambitionierter wie aufbrausender junger Mann die ganze Zeit über mit enormer, OSCAR-würdiger Intensität beeindruckt – den jungen Mann nimmt man dem kurz nach den Dreharbeiten im Alter von 43 Jahren verstorbenen Schauspieler übrigens problemlos ab, er wirkt hier faszinierenderweise tatsächlich so, als wäre er noch keine 30! Musik spielt in "Ma Rainey's Black Bottom" naturgemäß ebenso eine bedeutende Rolle, wiewohl wir neben dem eingängigen Titelsong (der übrigens, wie alle Songs außer "Those Dogs of Mine", nicht von Davis gesungen wird, sondern von der Soul-Sängerin Maxayn Lewis) nicht viele andere Lieder hören – das wird dadurch kompensiert, daß die Dialoge (erneut: zumindest in der Originalfassung) einen ganz eigenen, melodischen Rhythmus haben und von den Darstellern ganz gezielt in einem leichten sprachlichen Singsang vorgetragen werden, durch den der Film mitunter fast wie ein Musical wirkt. Eine gewisse Künstlichkeit ist angesichts dessen nicht zu leugnen, zudem wirken die Figuren fast alle überzeichnet und die Handlung ist nur Mittel zum Zweck – aber es ist nunmal die Verfilmung eines bewußt parabelhaften Theaterstücks, da gehört das irgendwie dazu und gerät vor allem dank der gewitzten Dialoge und der exzellenten schauspielerischen Leistungen absolut sehenswert.
 
Fazit: "Ma Rainey's Black Bottom" ist ein musiklastiges, gesellschaftskritisches Kammerspiel, das auch ohne fesselnde Handlung mit geschliffenen Dialogen und großartigen Hauptdarstellern fasziniert.
 
Wertung: 7,5 Punkte.

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