Zum Weltstar wurde er erst in gehobenem Alter durch seine furiose Darbietung als Adolf Hitler in "Der Untergang", doch seine qualitativ besten Filme drehte er eigentlich bereits in den 1970er und 1980er Jahren: Gestern verstarb der schweizerische Theater- und Filmschauspieler Bruno Ganz, dessen schauspielerische Bandbreite ihresgleichen suchte, mit 77 Jahren in Zürich, und die deutschsprachige Bühnen- und Filmlandschaft verlor einen ihrer Größten überhaupt.
Obwohl Bruno Ganz lange Zeit in erster Linie ein Bühnendarsteller war und in dieser Kapazität zahlreiche Auszeichnungen errang, werde ich mich auf sein filmisches Wirken konzentrieren - schließlich heißt dieses Blog "Der Kinogänger" und außerdem ist meine Theaterkenntnis weit weniger stark ausgeprägt als mein Filmwissen. Erstmals für größeres Aufsehen sorgte Bruno Ganz im Kino, als ihn der französische Autorenfilmer Éric Rohmer für die männliche Hauptrolle in seiner in Cannes mit dem Großen Preis der Jury geehrten Adaption von Heinrich von Kleists "Die Marquise von O." engagierte - übrigens ausdrücklich wegen seiner Theatererfahrung (seit 1970 zählte er zum Ensemble der Berliner Schaubühne). Für diesen Film gewann Ganz seinen erstaunlicherweise einzigen Deutschen Filmpreis. Fortan war er regelmäßig in anspruchsvollen Filmen im Kino zu sehen, wobei er bis auf Rainer Werner Fassbinder mit fast allen großen deutschen Filmemachern der 1970er und 1980er Jahre zusammenarbeitete - mit in der Regel äußerst ansprechenden Ergebnissen. Ein erster späterer Kultfilm gelang ihm 1977 mit Wim Wenders' stilvoller Patricia Highsmith-Adaption "Der amerikanische Freund". Ganz spielt hier den schwerkranken Hamburger Rahmenmacher Jonathan Zimmermann, der vom amoralischen amerikanischen Hochstapler und Killer Tom Ripley (Dennis Hopper) zum Komplizen manipuliert wird. In der Rolle kann Ganz sein großes schauspielerischen Können voll ausspielen, er macht aus diesem ob seiner gesundheitlichen Situation verzweifelten Mann, der als Folge von Ripleys Manipulationen schlimme Dinge tut, eine unvergeßliche tragische Figur - Wenders nutzt dabei Ganz' ausdrucksstarkes Gesicht und seine ungewöhnliche, einprägsame Stimme ideal aus.
Nur ein Jahr später folgte mit Franklin J. Schaffners "The Boys from Brazil" ein erster Ausflug nach Hollywood - wenn auch nur in einer Nebenrolle als Professor und Klonexperte -, und auch dieser storymäßig ziemlich irre Film über einen jüdischen Nazijäger (Sir Laurence Olivier), der in den 1970er Jahren Dr. Josef Mengele (Gregory Peck in einer für ihn höchst ungewöhnlichen Rolle) in Paraguay auf die Spur kommt und dabei dessen unfaßbare Pläne aufdeckt, sollte sich nach anfänglich verhaltener Aufnahme zum Kultfilm entwickeln. Wiederum nur ein Jahr später folgte eine Hauptrolle in Europa, als er in Werner Herzogs gelungenem "Nosferatu"-Remake den Jonathan Harker an der Seite von Klaus Kinskis Graf Dracula und Isabelle Adjanis Lucy gab - für nicht wenige Cineasten der beste, jedenfalls kunstvollste "Dracula"-Film. Nachdem Ganz 1981 für Volker Schlöndorff in dem medienkritischen Anti-Kriegsfilm "Die Fälschung" vor der Kamera stand, folgte 1987 sein nach Ansicht des Autors dieser Zeilen mit weitem Abstand schönster Film: Wim Wenders' Meisterwerk "Der Himmel über Berlin", für mich in den Top 3 der besten deutschen Filme aller Zeiten. Ganz' einfühlsame Verkörperung des Engels Damiel, der über die Menschen des geteilten Berlin wacht, schließlich aber seine Unsterblichkeit für die Zirkusartistin Marion (viel zu früh verstorben: die Französin Solveig Dommartin) aufgibt, zudem Unerwartetes über "Columbo"-Darsteller Peter Falk lernt und die Schönheit der Musik von Nick Cave erkennt, ist nicht weniger als sensationell - vielleicht gerade weil Wenders und die ganze Crew ohne komplettes Drehbuch arbeiteten und folglich viel improvisierten, was für jemanden mit der Theatererfahrung von Bruno Ganz (oder auch Otto Sander als Engel Cassiel) natürlich ein gefundenes Fressen war.
Ab den 1990er Jahren widmete sich Ganz verstärkt dem Kino und drehte noch mehr Filme, so 1998 Theo Angelopoulos' in Cannes mit der Goldenen Palme geehrtes Melodram "Die Ewigkeit und ein Tag" (über den letzten Tag eines von Ganz portraitierten todkranken Poeten), im Jahr 2000 Silvio Soldinis italienischen Publikumsliebling "Brot und Tulpen" (als sanfter isländischer Kellner Fernando, in den sich die verheiratete Rosalba verliebt - Ganz wurde mit dem David, also dem "italienischen OSCAR", ausgezeichnet) und 2003 in Eric Tills erfolgreichem Historien- und Glaubensdrama "Luther". Doch zum Weltstar wurde er erst mit Mitte 60, als er 2004 für Oliver Hirschbiegel als Adolf Hitler in seinen letzten Tagen im Berliner Führerbunker vor der Kamera stand - von deutschen Kritikern eher mißachtet, wurde "Der Untergang" auf der ganzen Welt gefeiert, für einen OSCAR nominiert und war ein großer Publikumserfolg, für den Ganz' ebenso jähzornige wie gefühlvolle Darbietung als Hitler, dem er (obwohl eigentlich zu alt für die Rolle) ein menschliches Antlitz verlieh, ohne ihn in irgendeiner Weise zu verharmlosen, ganz entscheidend war. Für Ganz' Popularität vielleicht sogar noch wichtiger war ironischerweise, daß in den folgenden Jahren in den sozialen Netzwerken unzählige Parodien diverser Szenen hochgeladen wurden, in denen sich Hitler fürchterlich echauffiert - in den (meist englischen) Untertiteln allerdings nicht über die vermeintliche Inkompetenz seiner Generäle, sondern u.a. über Obama, Trump, Hypotheken, Usain Bolt, Computerspiele, indische Callcenter ... oder über den Tod von Bruno Ganz. Fortan konnte sich Bruno Ganz seine Rollen endgültig nach Belieben aussuchen und war u.a. in Jonathan Demmes "Der Manchurian Kandidat" (2004), Francis Ford Coppolas "Jugend ohne Jugend" (2007), Uli Edels OSCAR-nominiertem "Der Baader Meinhof Komplex" (2008), Stephen Daldrys Bernhard Schlink-Adaption "Der Vorleser" (2009), Jaume Collet-Serras Actionthriller "Unknown Identity" (2011), Bille Augusts "Nachtzug nach Lissabon" (2013), Ridley Scotts "The Counselor" (2013), Hans Petter Molands "Einer nach dem anderen" (2014, als serbischer Gangsterboß), Alain Gsponers "Heidi" (2015, als der Alm-Öhi), Atom Egoyans "Remember" (2015) und Sally Potters "The Party" (2017) zu sehen. Seine beiden letzten Rollen spielte Ganz 2018 in zwei sehr unterschiedlichen Filmen: In Nikolaus Leytners "Der Trafikant" wird er als alter Sigmund Freud zum Mentor eines 17-Jährigen, während er in Lars von Triers höchst kontroversem Serienkiller-Portrait "The House That Jack Built" den Mann spielt, der sich die Geschichte des von Matt Dillon verkörperten Serienmörders anhört und sie kommentiert und analysiert.
Ob als mutiger Held oder jähzorniger Schurke, als Liebender oder Hassender, als charmanter, junggebliebener Lausbub oder als lässiger, altersweiser Mann - Bruno Ganz machte sich alle Rollen vom millionenfachen Massenmörder über den weisen Gelehrten und den durchtriebenen Gangsterboß bis hin zum verliebten Engel zu eigen und verpaßte ihnen seinen persönlichen, unnachahmlichen Fußabdruck. Mit ihm hat die Film- und Theaterwelt einer der Besten verloren.
Am 16. Februar 2019 verstarb Bruno Ganz in seiner Geburtsstadt Zürich im Alter von 77 Jahren an Darmkrebs. R.I.P.
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