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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 11. November 2016

Nachruf: Leonard Cohen (1934-2016)

Die Musik nicht vieler Künstler wird dermaßen oft in Filmen und TV-Serien verwendet wie die von Leonard Cohen - die IMDb zählt 242 Produktionen auf, in denen Songs des kanadischen Songwriters vorkommen und diese Liste ist mit Sicherheit (speziell was ältere Werke betrifft) nicht vollständig. Am 7. November 2016 ist mein persönlicher Lieblingsmusiker im Alter von 82 Jahren gestorben, wenige Wochen nach der Veröffentlichung seines von den Kritikern gefeierten Albums "You Want it Darker", das prophetische Textzeilen wie "I'm ready, my Lord" oder "I'm out of the game" enthält. Nach einem Sturz, bei dem er sich Kopfverletzungen zuzog, wachte er nicht mehr auf.

Leonard Cohen begann seine lange und höchst erfolgreiche Karriere als Schriftsteller, in frühen Jahren schrieb er bereits einige vor allem in seinem Heimatland Kanada respektierte Romane und Gedichtbände, ehe er im Alter von 33 Jahren die erste Schallplatte veröffentlichte. "Songs of Leonard Cohen" zählt zu den prägendsten Alben der Musikgeschichte und ist typisch für Cohens musikalisches Schaffen: ein betont literarisches Album mit nicht immer ganz leicht verständlichen, komplexen Texten und einer sparsamen, sanften Instrumentierung. Einen ganz besonderen Charakter erhalten die allesamt fantastischen Songs wie "Suzanne", "The Stranger Song" oder "The Master Song" durch Cohens unverwechselbare Stimme, die bereits zu Beginn seiner musikalischen Karriere ziemlich tief war und über die Jahrzehnte hinweg immer noch tiefer wurde. Ein begnadeter Sänger war Leonard Cohen nie, was ihm natürlich selbst bewußt war (in "Tower of Song" brummt er selbstironisch: "I was born with the gift of a golden voice"); dennoch paßt diese ungewöhnliche Stimme perfekt zu den melancholisch-poetischen Klängen seiner Lieder - und sie ergibt einen reizvollen Kontrast zu den lieblichen Frauenstimmen im Hintergrund (seit seinem Comeback im Jahr 2001 überwiegend "the sublime Webb Sisters" / "die außergewöhnlichen Webb Sisters" - wie Cohen sie bei seinen Konzerten stets vorstellte - und Sharon Robinson), die ebenfalls zu fast jedem Cohen-Song gehören.

Sein großartiges Debüt machte Cohen sofort zu einem Star der internationalen Musikszene, mit den beiden Folgewerken "Songs from a Room" und "Songs of Love and Hate" zementierte er seinen Status. Beide Alben reichten von der Gesamtqualität her nicht an "Songs of Leonard Cohen" heran, führten dessen Stil aber konsequent fort und haben mit "Bird on the Wire", "The Partisan", "Joan of Arc" oder "Famous Blue Raincoat" (auch textlich einer der schönsten und poetischsten Cohen-Songs überhaupt) echte Klassiker zu bieten. Filmemacher Robert Altman untermalte übrigens 1971 seinen im Schnee spielenden, illusionslosen Spätwestern "McCabe & Mrs. Miller" mit Warren Beattie und Julie Christie mit drei Cohen-Stücken ("The Stranger Song", "Winter Lady" und "Sisters of Mercy") und startete einen Trend, was die Verwendung von Cohen-Songs in Film und TV betrifft (in Deutschland im gleichen Jahr komplimentiert durch Fassbinders "Warnung vor einer heiligen Nutte", der gar fünf Cohen-Songs enthält). Mit seinem vierten Studioalbum "New Skin for the Old Ceremony" (1974) entwickelte sich Cohens Musik erstmals in eine etwas andere Richtung, seine Stimme steht nicht mehr ganz so sehr im Mittelpunkt, da er sich von einem Orchester begleiten läßt. Das Resultat ist nicht unbedingt eines meiner Lieblingsalben von Cohen, enthält aber mit "Chelsea Hotel #2" (in dem er seine Begegnung mit Janis Joplin verarbeitet), "Lover Lover Lover" und speziell dem selbst für Cohens Verhältnisse extrem melancholischen, von einem jüdischen Gebet inspirierten "Who by Fire" (das allerdings in der Live-Version sogar noch viel besser ist).

Mit "Death of a Ladies' Man" folgte drei Jahre später sein mit Abstand bombastischstes Album, was ihn selbst allerdings unglücklich machte, denn die Zusammenarbeit mit dem berühmt-berüchtigten Produzenten Phil Spector endete ganz anders, als er sich das vorgestellt hatte - letztlich veröffentlichte Spector das Album mit einem musikalischen Pomp, der absolut nicht im Sinne des Komponisten und Sängers war. Entsprechend kontrovers wurde "Death of a Ladies' Man" besprochen, ich mag es jedoch sehr gern, da Cohen die von ihm gerne verwendete Ironie hier auf die Spitze treibt (wer sonst würde sich schon trauen, einen Songs namens "Don't Go Home with Your Hard-On" zu veröffentlichen?) und Spectors übertrieben pompöse Inszenierung dazu eigentlich ganz gut paßt - und sogar perfekt zu "Memories", wenn die Worte "I said all my faith to see / I said all my faith to see" mit grotesk anschwellender Orchestermusik und einem hymnischen Frauenchor regelrecht zelebriert werden, als handle es sich bei dem folgenden, die Spannung nach gefühlt endlos langer Verzögerung lösenden Vers "her naked body" um eine göttliche Offenbarung (auch etwas, äh, schmutzigere Interpretationen sind absolut möglich) ... Übrigens ist "Memories" (leider) der einzige Song des Albums, den Cohen später auf seinen Tourneen regelmäßig spielte, wenn auch in einer stark reduzierten Version.

Trotz der schlechten Erfahrungen mit Spector wandelte Cohen seinen Stil weiterhin. "Recent Songs" fiel relativ jazzig aus (Highlight ist allerdings die traurig-schöne Ballade "The Gypsy's Wife"), in den 1980er Jahren wandte sich der Songwriter (in gewisser Weise ähnlich wie die Rockgruppe Queen) immer stärker dem Pop zu, unterstützt von den für die Dekade typischen Synthesizer-Klängen. Entsprechend stammen aus diesem Jahrzehnt einige der zugänglichsten Songs von Leonard Cohen und einige seiner größten Erfolge - allen voran das möglicherweise am häufigsten gecoverte Stück der Musikgeschichte: "Hallelujah" aus dem Album "Various Positions" (1984). In "I'm Your Man" (1988) und "The Future" (1992) verfeinerte Cohen diesen vergleichsweise poppigen Stil noch und brachte Klassiker wie "First We Take Manhattan", das wunderbar ironische "I'm Your Man" und das im Film "Die Wonder Boys" mit Michael Douglas verwendete, fast achtminütige wehmütige Meisterwerk "Waiting for the Miracle" heraus - ehe er 1994 zum Entsetzen seiner Fans seinen Abschied von der Musik verkündete und sich in ein Zen-Kloster nahe Los Angeles zurückzog. Glücklicherweise hielt er es auf Dauer aber doch nicht ohne Musik aus, weshalb er 2001 mit dem gemeinsam mit seiner langjährigen Musik-Partnerin Sharon Robinson geschaffenen "Ten New Songs" (Highlight: "Alexandra Leaving") ein gefeiertes Comeback gab. Es folgte drei Jahre später das eher experimentelle "Dear Heather", trotz des großartigen "The Letters" (passenderweise ein Überbleibsel der "Ten New Songs"-Aufnahmen) für mich das schwächste Cohen-Album.

In den folgenden Jahren war Cohen unglücklicherweise größtenteils mit dem Prozeß gegen seine Managerin beschäftigt, die während der Abwesenheit ihres Chefs in den 1990er Jahren fast all sein Geld veruntreut hatte. Immerhin für seine Fans auf der ganzen Welt hatte diese unschöne Geschichte den schönen Nebeneffekt, daß die finanziellen Nöte Leonard Cohen dazu zwangen, wieder auf Tour zu gehen - was er eigentlich nicht mehr vorhatte. So war er von 2008 bis 2013 die meiste Zeit "on the road", am 6. Oktober 2008 konnte ich ihn in der Münchener Olympiahalle selbst live sehen - und es war ein großartiges Konzert mit einem bescheidenen, sympathischen Künstler, der auch mit 74 Jahren noch stimmlich alles gab auf der Bühne und dabei von einer exzellenten Band (und den Webb Sisters) begleitet wurde. Mit "Old Ideas" (Highlights: "Going Home" und "Amen") und dem bluesigen "Popular Problems" ("A Street", "Almost Like the Blues") veröffentlichte er 2012 und 2014 außerdem zwei weitere gelungene Alben, gefolgt Ende Oktober 2016 von seinem - wie wir nun wissen - letzten regulären Album "You Want it Darker", das er gemeinsam mit seinem Sohn Adam aufnahm und das zu den besten seiner langen Karriere zählt. Da es noch viel unveröffentlichtes Material gibt, dürfte es auf absehbare Zeit noch einige neue Veröffentlichungen geben, doch das ist für Fans natürlich nur ein schwacher Trost. Etwas ironisch ist es, daß Cohen nur wenige Wochen, nachdem sein Freund Bob Dylan als erster Musiker den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, stirbt - eine Ehrung, für die er ob der literarischen Qualität seiner Songtexte wie auch seiner Gedichte (die er neben seiner Musik weiterhin schrieb und in Buchform veröffentlichte) ebenfalls seit vielen Jahren im Gespräch war. Da der Nobelpreis nur an lebende Personen vergeben wird, kann es dazu nun nicht mehr kommen, immerhin gewann Cohen aber bereits 2011 den angesehenen Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie "Geisteswissenschaften und Literatur".

Mit Leonard Cohen verliert die Welt einen der besten und anspruchsvollsten Songwriter aller Zeiten, dessen tiefe Stimme und dessen melancholische Poesie schmerzlich vermißt werden werden; doch seine Musik wird - auch dank garantiert weiterhin vielfältiger Verbreitung in Filmen und TV-Serien - noch sehr, sehr lange bestehen.

R.I.P. Leonard

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