Regie:
Oliver Stone, Drehbuch: Kieran Fitzgerald und Oliver Stone, Musik: Craig
Armstrong und Adam Peters
Darsteller:
Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Rhys Ifans, Zachary Quinto, Melissa
Leo, Tom Wilkinson, Nicolas Cage, Ben Schnetzer, Joely Richardson, Ben Chaplin,
Keith Stanfield, Timothy Olyphant, Scott
Eastwood, Logan Marshall-Green, Bhasker Patel, Edward Snowden, Erol Sander
FSK: 6, Dauer: 135 Minuten.
Im Juni 2013 treffen sich im Mira Hotel in Hongkong in aller
Heimlichkeit die beiden britischen "Guardian"-Journalisten Glenn
Greenwald (Zachary Quinto, "Star Trek") und Ewen MacAskill (Tom
Wilkinson, "Michael Clayton") sowie die Dokumentarfilmerin Laura
Poitras (Melissa Leo, "Prisoners") mit einem blassen,
offensichtlich paranoiden Brillenträger Ende 20. Doch dessen Paranoia ist mehr als
gerechtfertigt: Der langjährige amerikanische Geheimdienst-Mitarbeiter
Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt, "The Walk") hat sich
entschieden, als Whistleblower die Abhörpraktiken der NSA öffentlich
bloßzustellen, die nicht nur illegal sind (vor allem, was das Abhören von US-Bürgern
betrifft), sondern nach 9/11 ein schier unvorstellbares Ausmaß angenommen
haben. Snowden, der anfangs direkt in das System involviert war und später als
externer Dienstleister, konnte das irgendwann einfach nicht mehr stillschweigend
ertragen, und da Versuche ähnlich Denkender, das System von innen zu
verbessern, gnadenlos abgewürgt wurden, entschloß er sich zu diesem drastischen
Schritt. Und so erzählt Ed den anfangs noch skeptischen Journalisten, wie es so
weit kommen konnte …
Kritik:
Einen Film wie "Snowden", in dem es um eine so
polarisierende Person der Zeitgeschichte wie Edward Snowden geht, kann man kaum mit einer flächendeckenden Objektivität rezensieren. Für viele
(vor allem politisch konservative) Amerikaner ist der Whistleblower ein
Landesverräter, der auf den elektrischen Stuhl gehört, im Rest der Welt ist er
für die Mehrheit vermutlich ein wahrer Held, wieder andere stricken
Verschwörungstheorien um die wahre Motivation für sein Handeln (die
BILD-Zeitung diffamiert ihn seit Jahren ohne jeden Beleg als
russischen Spion). Für Regisseur und Co-Drehbuch-Autor Oliver Stone – dessen
politisch linke Überzeugungen seit jeher stark seine Werke wie den
Anti-Kriegsfilm "Platoon", den Verschwörungs-Thriller "JFK –
Tatort Dallas" oder den Börsen-Thriller "Wall Street" prägen –
ist Edward Snowden offensichtlich ein Held; wer ihn also für einen Verräter
hält, der wird mit Stones Film garantiert nicht glücklich werden. Ich denke
eher wie Stone, für mich hat Snowden – unabhängig davon, ob er nun bezüglich
seiner Motivation die Wahrheit sagt oder nicht – dem demokratischen Teil der
Welt einen unschätzbaren Gefallen getan, indem er das Ausmaß der teils fragwüridgen, oft illegalen Praktiken und die mangelnde
demokratische Kontrolle (nicht nur) der amerikanischen Geheimdienste unter
hohem persönlichen Risiko ans Tageslicht brachte. Möglicherweise gab er den
Bürgern in allen nicht-totalitären Staaten sogar eine letzte Chance,
die sukzessive und (dank Internet) mehr oder weniger freiwillige Abtretung
ihrer Freiheits- und Persönlichkeitsrechte an Politik und Geheimdienste
aufzuhalten und vielleicht sogar umzukehren.
Unglücklicherweise sieht es nicht so aus, als hätten wir
alle diese Gelegenheit genutzt, denn allzu viel scheint sich seit der
"Snowden-Affäre" in der Praxis nicht geändert zu haben – sofern man
das angesichts der naturgemäßen Intransparenz der betreffenden Institutionen
beurteilen kann. Auch die Proteste der Zivilgesellschaft hielten sich letztlich
in Grenzen, vermutlich weil der ganze
"Datenschutz"-Themenkomplex mit all seinen direkten und indirekten
Implikationen für viele Menschen zu abstrakt, gleichzeitig zu kompliziert
und undurchschaubar ist. Immerhin: Filme wie "Snowden" oder Laura
Poitras' OSCAR-gekrönter Dokumentarfilm "Citizenfour" – der letztlich
die Basis für Stones Film bildet und als die Rückblicke flankierende
Rahmenhandlung entsprechend gewürdigt wird – tragen dazu bei, daß die
Geschichte nicht gar so schnell in Vergessenheit gerät. Und vielleicht erkennen
diejenigen, die sich noch nicht so intensiv mit der Thematik befaßt haben, so
unter Umständen doch, wie wichtig sie für unser aller tägliches Leben ist. Möglicherweise
ist diese Intention auch der Grund dafür, daß Stone sein Snowden-Portrait
vergleichsweise konservativ inszeniert hat, weshalb Kenner von
"Citizenfour" nicht viel Neues erfahren dürften. Ein guter,
engagierter Film ist "Snowden" dennoch geworden.
Unter der eher risikofreien Machart leidet der Film vor
allem in den Rückblenden etwas, die den Löwenanteil des Films ausmachen. Das
ist durchaus eine nachvollziehbare Entscheidung von Stone, denn natürlich ist es
interessant, dem Menschen Edward Snowden nachzuspüren und seine Entwicklung vom
nur sehr bedingt die Anordnungen hinterfragenden Patrioten zum immer
skeptischer und kritischer werdenden Geheimdienstarbeiter zu durchleuchten, die
ihn letztlich dazu bewegt, etwas zu tun, was von vielen seiner Landsleute als
Hochverrat eingestuft wird. Letzten Endes kommt dabei aber kaum etwas Neues ans
Tageslicht, da man Snowden eben bereits durch die "Citizenfour"-Doku
gut kennenlernen konnte. Immerhin bemüht sich Oliver Stone sichtlich, für Abwechslung
zu sorgen, was mal mehr, mal weniger gut gelingt. Zu den weniger geglückten
Epsioden zählen etwa Snowdens frühe Einsätze als Quasi-Geheimagent, da
sie viel zu schnell abgehandelt werden und sich weitgehend
in Genreklischees erschöpfen (selbst wenn diese der Wahrheit entsprechen
mögen). Interessanter ist schon, daß laut diesem Film innerhalb der
Geheimdienste keineswegs widerspruchslose Soldatenmentalität herrscht, sondern
Snowdens inhaltliche Bedenken und vor allem auch das Mißtrauen gegenüber den Politikern in
Washington geteilt wird. Das fängt bei normalen Mitarbeitern Snowdens an, die
ihn am Ende sogar decken, und geht über quasi kaltgestellte,
desillusionierte Veteranen wie den von Nicolas Cage ("Der letzte Tempelritter") verkörperten Hank Forrester – der als lebendes Beispiel
dafür dient, daß es nichts bringt, hartnäckig interne Kritik zu üben – bis
hinauf zu Eds anfänglichem Mentor und Chef Corbin O'Brian (Rhys Ifans,
"Radio Rock Revolution"), wobei sich dessen Mißtrauen nur gegen die Politiker richtet. Daß alle anderen trotz ihrer Bedenken auch
bezüglich der Mitarbeit an geheimen CIA-Drohnenangriffen ohne nennenswerte
Rücksicht auf zivile Kollateralschäden nicht den letzten Schritt des
Widerstands wagen, macht Snowdens während einer Party geäußerten trockenen
Verweis auf die Nürnberger Prozesse gegen Richter, Staatsanwälte und andere
Staatsdiener, die während der Nazizeit auch "nur ihren Job gemacht haben",
sehr treffend.
Als Herz der Rückblenden erweist sich jedoch überraschend
Eds Beziehung zu seiner liberalen Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley,
"Wie ein weißer Vogel im Schneesturm"), die wohl den größten
Anteil an Snowdens charakterlicher Wandlung hat. Obwohl "Snowden"
natürlich kein Liebesfilm ist, funktioniert die durchaus holprige
Liebesgeschichte, die als Gegenstück zu Snowdens Geheimdienst-Erlebnissen die
Geschichte gewissermaßen erdet, aber ebenso ein Stück weit der Einordnung in die Realität dient (die trotz ihrer klaren politischen Überzeugungen
recht unbedarft handelnde Lindsay steht letztlich für uns alle), auch dank der
Leinwandchemie zwischen dem generell einmal mehr groß aufspielenden Gordon-Levitt
und der nicht weniger überzeugenden Woodley hervorragend. Gerade Snowden
wird durch diesen Handlungsstrang ironischerweise mehr Kontur verliehen als durch seine "beruflichen" Taten. Am spannendsten und am
atmosphärischsten wird "Snowden" jedoch tatsächlich in der Rahmenhandlung,
wenn der Whisteblower und die drei Journalisten in dem kleinen Hotelzimmer in
Hongkong über ihr Vorgehen beraten, per Videokonferenz die Vorgesetzten von
der Wichtigkeit und der Korrektheit der Story überzeugen müssen und sich dabei stets
in einem atemlosen, paranoid wirkenden Gefühlszustand befinden, der sich dem
Zuschauer nach und nach immer besser erschließt. Deshalb ist es schade, daß
Stone diesem Handlungsstrang ebenso wie den Nachwehen von Snowdens
Veröffentlichungen (denen nur wenige Minuten gewidmet werden) nicht mehr Raum
gönnt.
Mit inszenatorischen Mitteln versucht Stone dafür, dem
Publikum einen besseren Einblick darin zu bieten, was das von Snowden
Aufgedeckte für jeden von uns bedeutet. Dafür bricht er etwa wiederholt die
abstrakte Natur der Abhörmethoden herunter, indem er den Fokus auf Individuen legt.
Die allzu sorglose und vertrauensselige Lindsay ist hierfür erste Wahl, doch
Stone bringt in kurzen Episoden auch andere Figuren wie einen pakistanischen
Banker ins Spiel (der in der deutschen Synchronfassung übrigens vom gleichen
Sprecher wie Raj in der Comedyserie "The Big Bang Theory" gesprochen
wird, obwohl er 25 Jahre älter ist …), den die CIA ganz leicht
und sehr skrupellos "umdreht". Wie auch die mitunter angewandte Symbolik
– wenn etwa O'Brians Gesicht bei einer Videozuschaltung überlebensgroß an die
Zimmerwand projiziert wird, was George Orwells berühmten Satz "Big Brother
is Watching You" sehr treffend bebildert – kommt das meist nicht sehr
subtil daher, dafür aber sehr effektiv und teilweise durchaus eindrucksvoll.
Ein gelungener Schachzug ist es auch, wie Stone teilweise die Ikonographie des
klassischen Hollywood-Machokinos umdreht, indem er etwa Ed beim Verlassen
des Geheimdienstzentrums auf Hawaii mit den kopierten Daten in Zeitlupe und zu
pathetischer Musik ganz wie einen "Top Gun"-Actionhelden inszeniert … Alles in allem ist der überwiegend in Deutschland gedrehte "Snowden" ein
Film, der seinem kontroversen Helden gerecht wird – dem übrigens
sogar ein von Peter Gabriel eigens komponierter, jedoch bedauerlicherweise nicht auf dem Soundtrack enthaltener Abspann-Song namens "The Veil" gewidmet wird –, dabei durchgängig
unterhält und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Nur wirklich mitreißend gerät
er zu selten, dafür fehlt es einfach an echten "Aha"-Momenten.
Dennoch ist der Aufklärungswert zweifellos sehr hoch, eigentlich sollte
"Snowden" (und/oder "Citizenfour") zum Pflichtprogramm in
Schulen werden.
Fazit: "Snowden" ist ein Biopic, bei dem es
Regisseur Oliver Stone offensichtlich mehr auf den hohen
Aufklärungswert ankam als auf inszenatorische Raffinesse – dem
Unterhaltungswert schadet das nicht allzu sehr, ein Meisterwerk ist Stone durch
den fehlenden Mut zum Risiko aber nicht gelungen.
Wertung: 7,5 Punkte.
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