Regie: Alain Resnais, Drehbuch: Marguerite Duras, Musik:
Georges Delerue, Giovanni Fusco
Darsteller: Emmanuelle Riva, Eiji Okada
Hiroshima, 1959: In der japanischen Stadt, die am 6. August
1945 zum ersten Einsatzort einer Atombombe in einem Krieg wurde, durch die insgesamt
rund 200.000 Japaner das Leben verloren, trifft eine französische Schauspielerin
(Emmanuelle Riva, 2012 OSCAR-nominiert in Michael Hanekes "Liebe") auf einen japanischen Architekten (Eiji
Okada, "Yakuza", "Die Frau in den Dünen"). Beide sind
verheiratet, eigentlich sogar glücklich verheiratet, doch verlieben sie sich
auf der Stelle leidenschaftlich ineinander. Da sie ihren Film gerade abgedreht
hat und am nächsten Tag zurück nach Paris fliegen wird, wissen sie, daß ihnen lediglich einige Stunden bleiben, ehe sich ihre Wege wahrscheinlich für immer trennen
werden. Da der Architekt mehr von ihr erfahren möchte, erzählt die Schauspielerin
ihm von ihrer ersten großen Liebe – einem deutschen Soldaten gegen Ende des
Zweiten Weltkrieges. Lange hatte sie diese Episode ihres Lebens verdrängt
gehabt, doch durch ihre Erzählung holt sie die Wucht der widerstreitenden
Gefühle wieder ein …
Kritik:
Als der französische Regisseur Alain Resnais Anfang 2014
starb, hinterließ er ein reichhaltiges Gesamtwerk. Sein poetisches und zutiefst rätselhaftes Drama "Letztes Jahr in Marienbad" (1961) gilt als ein Schlüsselwerk der Nouvelle Vague, mit weiteren Filmen wie "Der Krieg ist vorbei" (1966), "Mein Onkel aus Amerika" (1960), dem Zwei-Personen-Stück "Smoking / No Smoking" (1993) oder "Herzen" (2006) gewann er insgesamt über 50 Filmpreise. Selbst sein Abschiedswerk "Aimer, boire et chanter", gedreht im Alter von 91 Jahren, brachte ihm noch einmal zwei Ehrungen bei der Berlinale 2014 ein. Doch den Anfang machte Alain Resnais nach diversen Dokumentationsfilmen mit "Hiroshima, mon amour". Ich war
eigentlich nie ein großer Fan der Nouvelle Vague, die ab Ende der
1950er Jahre das französische Kino revolutionierte – natürlich haben mir einige
Vertreter gut gefallen, andere langweilten mich einfach nur oder ich fand sie
zu prätentiös (wie es bestimmt vielen bei diesem Film ergehen wird). Doch
"Hiroshima, mon amour", dessen Drehbuch die berühmte Schriftstellerin
Marguerite Duras ("Der Liebhaber") verfaßte, ist ein nahezu
makelloser Teil dieser "neuen Welle" des französischen Kinos, der
mich seiner gewollten Künstlichkeit zum Trotz bei jedem erneuten Ansehen tief bewegt.
In der ersten Viertelstunde sind fast nur Archivaufnahmen
und -fotos zu sehen. Schreckliche Bilder sind das, die einem das Grauen der
Atombombe so nahe bringen, wie das wohl nur möglich ist, ohne sie selbst erlebt
zu haben. Diese Bilder werden begleitet von den Worten der beiden namenlosen Hauptfiguren, die wir aus
dem Off vernehmen – sie erzählt mit sanfter Stimme, was sie alles weiß und
gelernt hat über Hiroshima und die Bombe, er kommentiert nur immer wieder
traurig, daß sie überhaupt nichts wisse. Erst nach 15 Minuten sehen wir, wem
wir da die ganze Zeit bei ihren ebenso tief- wie trübsinnigen Gedanken zugehört
haben: zwei Liebende sind es, eng umschlungen im Bett liegend. Ja,
"Hiroshima, mon amour" ist ein Liebesfilm – und ein Film über den
Krieg. Nein, das ist nicht ganz korrekt – ein Film über, für den Frieden
vielmehr, wie es die Schauspielerin ausdrückt (bezogen eigentlich auf den Film, den sie
selbst in Hiroshima dreht). Denn worüber könnte man in Hiroshima – diesem Ort,
der die Macht und den latenten Willen der Menschheit zur eigenen Zerstörung vielleicht stärker symbolisiert als jeder andere – einen Film drehen, wenn nicht über den
Frieden?
Am ehesten vergleichbar ist "Hiroshima, mon amour" aus meiner Sicht mit Wim Wenders' "Der Himmel über Berlin". Zwar weisen die
beiden Meisterwerke vordergründig nicht wirklich viele Ähnlichkeiten auf, bei genauerem
Hinsehen gibt es aber einige Parallelen: auch das Drehbuch zu "Der
Himmel über Berlin" wurde von einem renommierten Schriftsteller (Peter
Handke) verfaßt, beide Werke leben dementsprechend von ihren qualitativ
hochwertigen Dialogen, deren Intelligenz und Vielschichtigkeit weit über das
hinausgeht, was man normalerweise in Filmen präsentiert bekommt. Die melancholischen
Reflexionen über Krieg und Liebe, über Moral und Leidenschaft entwickeln eine
beinahe hypnotische Sogwirkung, die – sofern man sich darauf einlassen kann –
fasziniert und begeistert. Bei beiden Filmen spielt zudem die Musik eine wichtige Rolle: In Wenders' Berlin-Ballade kommt
Nick Cave & The Bad Seeds, die sogar durch einen Liveauftritt in die
Handlung integriert sind, eine tragende Rolle zu, in Resnais' Film ist es der
ausdrucksstarke, bittersüße und abwechslungsreiche Score des Duos Georges Delerue
und Giovanni Fusco, der immer wieder unterschiedliche Instrumente in den Vordergrund
stellt und so die Stimmung der stilvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen kongenial
unterlegt.
Dennoch muß klar gesagt werden, daß "Hiroshima, mon
amour" mit Sicherheit nicht für jeden Zuschauer geeignet ist. Denn es
geschieht so gut wie gar nichts. Man sieht und hört lediglich den beiden Protagonisten
dabei zu, wie sie sich unterhalten und vielleicht einmal durch die Stadt flanieren. Mehr geschieht nicht – außer in Gedanken, in (durch teils nur sekundenlange Flashback-Szenen unterlegter) Erinnerung, in der Phantasie,
die vor allem durch die sorgfältig formulierten, elegischen Erzählungen und
inneren Monologe der Schauspielerin geweckt und beständig gefüttert wird.
Emmanuelle Riva und Eiji Okada spielen hier eindeutig nur die zweite Geige
hinter Marguerite Duras' für den OSCAR nominiertem Drehbuch, doch verkörpern
sie ihre Rollen mit großer Einfühlsamkeit. Es wirkt zwar
stets ein wenig künstlich, wie unterkühlt und mit welch sparsamer Gestik und Mimik
die beiden die meiste Zeit über gezeigt werden, nur um gelegentlich doch kurze
emotionale Ausbrüche zuzulassen – aber das ist ein gezieltes und höchst
wirkungsvoll eingesetztes Stilmittel, das die poetische,
psychologisch-philosophische Faszination dieses Kunstwerks von einem Film nur
noch unterstreicht, das auf ungeahnte Art und Weise das Innerste des Zuschauers
berührt.
Fazit: "Hiroshima, mon amour" ist ein nur
auf den ersten Blick unspektakuläres poetisches Drama über die Liebe, den
Krieg und das Menschsein an sich, der trotz seines langsamen Erzähltempos durch
formale Perfektion und komplexe, tiefschürfende Dialoge mit einer hohen Sogwirkung begeistert
und zum Nachdenken animiert.
Wertung: 10 Punkte.
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