Regie:
Martin Scorsese, Drehbuch: Terence Winter
Darsteller:
Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Kyle Chandler, Jean Dujardin, Jon Bernthal, Matthew
McConaughey, Rob Reiner, Jon Favreau, Joanna
Lumley, Katarina Čas, Cristin Milioti, Ethan Suplee, Kenneth Choi, Henry
Zebrowski, P.J. Byrne, Christine Ebersole, Sharon Jones, Spike Jonze
FSK: 16, Dauer: 180 Minuten.
Anfang 1987 ergattert der junge Jordan Belfort (Leonardo
DiCaprio, "Der große Gatsby") einen Job bei einer traditionsreichen
Brokerfirma an der Wall Street. Sein Boss Mark Hanna (Matthew McConaughey,
"Killer Joe") findet Gefallen an dem ehrgeizigen Jordan und wird zu
seinem Mentor, der ihn in die Feinheiten des Verkaufs von Aktien an (bestenfalls) schlecht informierte Kunden einführt. Allerdings bringt er dem eigentlich
abstinenten Jordan auch bei, daß man diesen stressigen Job nur mithilfe von Sex
und Drogen auf Dauer erfolgreich ausüben könne. Jordan erweist sich in jeder
Hinsicht als gelehriger Schüler und schafft es so, selbst den ersten Rückschlag
– ausgerechnet an seinem ersten Tag als vollwertiger Broker kommt es zum
"Black Monday", der zur Pleite seines Arbeitgebers führt – wegzustecken
und mit ein paar Freunden um den Kindermöbel-Verkäufer Donnie
(Jonah Hill, "Moneyball") eine eigene kleine Brokerfirma aufzubauen.
Klein bleibt diese allerdings nicht lange, denn Jordans grandioses
Verkäufertalent, das er seinen Mitarbeitern so beibringt, wie er es einst von
Mark Hanna gelernt hatte, sorgt dafür, daß Stratton Oakmont Inc. schon bald
millionenschwer ist. Das (ebenso wie die Berichte über ausschweifenden Orgien
nach Büroschluß) weckt die Aufmerksamkeit der alteingesessenen Börsenprofis und der
Medien – sowie die des fleißigen FBI-Agenten Patrick Denham (Kyle Chandler,
"Argo"), der (zu Recht) bezweifelt, daß bei Stratton Oakmont alles mit
legalen Dingen zugeht ...
Kritik:
Wenn man bedenkt, wie schnell Hollywood normalerweise auf
Kriege unter US-Beteiligung reagiert, dann ist es schon etwas überraschend, wie
wenige Filme es bislang über die bereits seit 2007 schwelende und von den USA
ausgehende Wirtschaftskrise gibt. Bei der "Großen Depression" in den
1930er Jahren war die Reaktion der Filmbranche wesentlich schneller, dieses Mal
scheinen die Studiobosse sich nicht so richtig an das komplexe und nicht gerade
aufheiternde Thema heranzuwagen. Gut, der unvermeidliche Oliver Stone drehte
"Wall Street: Geld schläft nicht" (der ungewohnt zahm ausfiel) und J.C. Chandor brachte sein vieldiskutiertes und
immerhin mit einer OSCAR-Nominierung für das Drehbuch bedachte Kammerspiel
"Der große Crash" in die Kinos, wo es aber vom Publikum ebenso
weitgehend ignoriert wurde wie Nicholas Jareckis Drama "Arbitrage";
und Michael Moore ließ es sich natürlich nicht nehmen, den polemischen
Dokumentarfilm "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" zu drehen. Aber das sind alles unabhängige, außerhalb der großen Studios produzierte Filme. Und
sonst? Nichts. Das ist schon eine sehr dünne Bilanz immerhin sechs bis sieben
Jahre nach Beginn der Krise. Doch als Regielegende Martin Scorsese
("Shutter Island") ankündigte, die Autobiographie des ehemaligen
Brokers Jordan Belfort zu verfilmen, konnte man endlich auf eine großangelegte
Aufarbeitung hoffen. Belforts Geschichte findet zwar in den 1980er und 1990er Jahren statt, aber im
Prinzip ändert das nicht viel. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Als
Wirtschaftsfilm ist "The Wolf of Wall Street" eine ziemliche
Enttäuschung.
Zwar ist die schwungvolle, zynische Einführung in die
Thematik, die Jordan und das Publikum zu Beginn durch Mark Hanna erhalten, ein
gelungener Einstieg – doch danach kommt leider nicht mehr viel. Immer, wenn die
Story etwas tiefer in die Details zu gehen verspricht, würgt Scorsese das
sofort ab – beispielsweise läßt er Jordan, der immer wieder direkt zum Publikum
spricht, seine Erklärung über Neuemissionen mit den (sinngemäßen) Worten
abbrechen: "Das verstehen Sie sowieso nicht, und eigentlich ist es auch
egal". Einmal abgesehen davon, daß dieser Satz streng genommen ziemlich
beleidigend ist (was eine Neuemission ist, ist nun wahrlich nicht schwer zu
erklären oder zu verstehen, selbst wenn man keine große Ahnung von Wirtschaft hat) nervt es auf Dauer einfach, wie
oberflächlich Jordans Tätigkeit präsentiert wird. Zwar könnten gerade die immer wieder abgewürgten Erläuterungen sogar gewollt sein, um Jordans Hochmut und
Selbstüberschätzung zu unterstreichen, aber selbst dann wäre das Fehlen jeglicher Tiefe ärgerlich. Dazu paßt auch, daß es in
seiner Firma niemanden zu geben scheint, der kein grandioser Verkäufer ist – zugegeben,
Jordan ist ein sehr guter Lehrer, aber das ist dann doch übertrieben
und unglaubwürdig und wurde in Oliver Stones "Wall Street" 1987 viel authentischer dargestellt. Auch die Ermittlungen des FBI-Agenten Denham werden viel zu
wenig in die Handlung eingebunden – das geht so weit, daß man nicht mal
eindeutig erfährt, wegen welcher Gesetzesverstöße genau Denham eigentlich
ermittelt. Natürlich, als jemand, der sich mit dem Themenkomplex "Wirtschaft und Börse" auskennt,
kann man sich das relativ gut zusammenreimen – aber da Wirtschaftswissen in der
Gesellschaft nicht allzu weit verbreitet ist, dürften die meisten Zuschauer
eher im Dunklen tappen. Was wiederum vielleicht sogar so gewollt ist, denn
durch die Darstellung der völlig aus dem Ruder laufenden und ziemlich
unsympathischen Broker ist man sowieso bereit, diesen alle Schandtaten dieser Welt
zuzuschreiben – selbst wenn sie gar nicht illegal sind (das hat Oliver Stone in
"Wall Street" übrigens ähnlich gehalten, wo er teils bei
vollkommen legalem, wenn auch moralisch fragwürdigem Verhalten des Anti-Helden
Gordon Gekko Gesetzesbrüche suggerierte). Kurzum: Als Wirtschaftsfilm taugt
"The Wolf of Wall Street" sehr wenig.
Es wird jedoch schnell klar, daß Scorsese und Drehbuch-Autor
Terence Winter (vor allem als einer der führenden kreativen Köpfe bei den
TV-Serien "Die Sopranos" und "Boardwalk Empire" bekannt)
nie vorhatten, einen Wirtschaftsfilm zu drehen. Das ist für mich als jemanden,
der seine Doktorarbeit über die Darstellung der Wirtschaft im US-Spielfilm geschrieben hat, sehr enttäuschend; den meisten Zuschauern aber, die einfach
"nur" hochwertige Kinounterhaltung erwarten, dürfte es ziemlich egal
sein. Worum es Scorsese und Winter vorranging geht, ist ganz offensichtlich die
menschliche Gier – und wie sie sich auf den Charakter ganz normaler Menschen
auswirkt. Auch ein spannendes Thema, keine Frage, wenngleich "The Wolf of
Wall Street" es nicht in Form eines Dramas, sondern einer grellen Farce
behandelt. In der ersten der drei Stunden Laufzeit (Scorsese wollte
ursprünglich sogar eine vierstündige Fassung in die Kinos bringen) funktioniert
das wunderbar. Jordans Aufstieg, seine schnelle Wandlung vom ehrgeizigen, aber
bodenständigen Jüngling zum ständig zugedröhnten und sich beinahe im Stil eines
Sektenführers mit loyalen Anhängern sowie schönen, willigen und meistens nackten
Frauen umgebenden Selfmade-Millionär ist geradezu unverschämt unterhaltsam
mitanzusehen. Bezeichnend für den Zynismus der Protagonisten wie auch den Blickwinkel
der Filmemacher ist, daß Jordan und sein Team selbst in
den riskantesten geschäftlichen Transaktionen immer als extrem überdreht und
euphorisch gezeigt werden, und sie nur einmal richtig ernst zu sehen sind – als
sie über die Vor- und Nachteile des Anheuerns kleinwüchsiger Zirkusartisten für
die nächste Orgie diskutieren ...
Wie gesagt, trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) des
nur so triefenden Zynismus macht dieses erste Drittel großen Spaß. Doch als
Jordan – mittlerweile geschieden und wieder verheiratet mit der glamourösen Naomi
(Margot Robbie, "Alles eine Frage der Zeit") – und seine neue Firma
oben angekommen sind, nutzen sich die Ausschweifungen und die skrupellosen
Verkaufstaktiken zunehmend ab. Die sowieso nihilistische Story kommt
vorübergehend fast völlig zum Stillstand, Wiederholungen dominieren. Vielleicht
liegt es auch daran, daß ich seit jeher nur wenig mit "Drogenfilmen"
anfangen konnte und mich selbst bei Kultfilmen wie Terry Gilliams "Fear
and Loathing in Las Vegas" vor allem langweilte; jedenfalls ertappte ich
mich immer öfter beim Gähnen und Auf-die-Uhr-linsen. Das letzte Drittel des Films, in
dem das selbstzerstörerische Verhalten von Jordan, Donnie und ihren Freunden
immer offensichtlicher wird, ist wieder etwas interessanter gestaltet,
ohne jedoch an den Unterhaltungswert der ersten Stunde
heranzureichen. Doch da es nun einmal ein Scorsese-Film ist, ist die
Inszenierung handwerklich natürlich fast ohne Fehl und Tadel und erfreut
regelmäßig mit netten Einfällen. Jordans direkte Gespräche mit dem Publikum
hatte ich bereits erwähnt, aber auch deutlich unaufdringlichere Ideen wie eine
Treppe, die Jordan im drogenbenebelten Zustand überwinden will und die aus
seiner subjektiven Sicht 10 bis 15 Stufen umfaßt, sich nach dem Umschnitt in
eine beobachtende Perspektive aber als gerade einmal fünfstufig herausstellt, geben
dem Film den nötigen Schliff.
Aus dem Schauspielerensemble sticht erwartungsgemäß Leonardo
DiCaprio hervor, der einmal mehr eine herausragende, zu Recht OSCAR-nominierte
Performance liefert, dabei aber auch davon profitiert, daß seine Figur als
einzige richtig herausgearbeitet ist (und vom Drehbuch die knackigsten Monologe
spendiert bekommt). Die übrigen, nahezu durchweg unsympathischen Charaktere
bleiben größtenteils an der Oberfläche und wirken eher wie Klischees als wie
echte Menschen – auch wenn sie dabei oft unterhaltsam sind, etwa ein von
Jean Dujardin ("The Artist") herrlich großkotzig
gespielter franko-schweizerischer Banker, Hollywood-Regisseur Rob Reiner ("Harry
und Sally") als Jordans polternder Vater oder die Slowenin Katarina Čas
("The Guard") als Donnies resolute Ehefrau. Selbst Jordans von der australischen
Newcomerin Margot Robbie überzeugend verkörperte, temperamentvolle zweite
Ehefrau Naomi und sein bester Freund Donnie (für dessen uneitle, diverse
Schamgrenzen überschreitende Darstellung Jonah Hill seine bereits zweite
OSCAR-Nominierung erhielt) entwickeln nur selten echtes Profil. Einzige
Ausnahme ist der von Matthew McConaughey furios als eine Art
exzentrischer Gordon Gekko (und das will was heißen, war doch Michael Douglas
als Gekko bereits nicht gerade un-exzentrisch ...) interpretierte Mark Hanna, der kaum
fünf Minuten lang zu sehen ist, in der Rolle aber nachhaltig im Gedächtnis
bleibt. Und das gilt nicht zuletzt deshalb, weil er "The Money Chant"
einführt, einen "The Wolf of Wall Street" wie ein roter Faden
durchziehenden rhythmischen Motivations-Song, den McConaughey nicht nur
grandios komisch vorträgt (im Trailer fand ich die Szene noch irritierend, im
Film paßt sie wie die Faust aufs Auge), sondern den er gemeinsam mit Musiker Robbie
Robertson sogar verfaßt hat. Der ausschließlich aus zur Zeit der Handlung passenden Liedern
bestehende Soundtrack ist generell sehr gelungen, aber "The Money
Chant" (dessen beste Version im Abspann kommt) ist das einsame Highlight.
Vor allem in den USA sorgte "The Wolf of Wall
Street" übrigens auch für Aufsehen, weil er einen inoffiziellen Rekord für
den häufigsten Gebrauch des Wortes "fuck" in einem
Mainstream-Spielfilm aufstellte (über 500 Mal!). Außerdem wird dem Film von
konservativer Seite teilweise vorgeworfen, den Lebensstil seiner fragwürdigen
Protagonisten zu verherrlichen – nunja, ich selbst würde eine (nicht nur aufgrund der
Drogensucht) so unausweichlich selbstzerstörerische Lebensführung ganz bestimmt
nicht als wünschenswert bezeichnen, aber ich kann mir schon vorstellen, daß
einzelne Aspekte davon auf manche anziehend wirken (nicht umsonst gibt es im
Film eine Szene, in der ein eigentlich unvorteilhaftes Porträt Jordans im
Wirtschaftsmagazin "Forbes" zu einem Ansturm junger
Möchtegern-Millionäre führt). Ob man das nun Scorsese vorwerfen kann, wage ich
aber zu bezweifeln.
Fazit: "The Wolf of Wall Street" ist eine
zynische, ausschweifende und mitunter etwas zu selbstverliebte
Wirtschaftsfarce, die ihre eigentliche Thematik leider stark vernachlässigt und
sich auch zu sehr auf seine zahllosen (grandios in Szene gesetzten) Party- und
Drogenszenen konzentriert, um den Charakteren abseits des Protagonisten Jordan
Belfort gerecht zu werden; Martin Scorseses raffinierte Inszenierung und die starke Besetzung retten den
Film für mich vor dem Mittelmaß, allerdings – abgesehen vom wirklich
hervorragenden ersten Drittel – nur knapp.
Wertung: 6,5 Punkte.
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