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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 7. Februar 2014

THE WOLF OF WALL STREET (2013)

Regie: Martin Scorsese, Drehbuch: Terence Winter
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Kyle Chandler, Jean Dujardin, Jon Bernthal, Matthew McConaughey, Rob Reiner, Jon Favreau, Joanna Lumley, Katarina Čas, Cristin Milioti, Ethan Suplee, Kenneth Choi, Henry Zebrowski, P.J. Byrne, Christine Ebersole, Sharon Jones, Spike Jonze
The Wolf of Wall Street
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 80% (7,8); weltweites Einspielergebnis: $407,0 Mio.
FSK: 16, Dauer: 180 Minuten.

Anfang 1987 ergattert der junge Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio, "Der große Gatsby") einen Job bei einer traditionsreichen Brokerfirma an der Wall Street. Sein Boss Mark Hanna (Matthew McConaughey, "Killer Joe") findet Gefallen an dem ehrgeizigen Jordan und wird zu seinem Mentor, der ihn in die Feinheiten des Verkaufs von Aktien an (bestenfalls) schlecht informierte Kunden einführt. Allerdings bringt er dem eigentlich abstinenten Jordan auch bei, daß man diesen stressigen Job nur mithilfe von Sex und Drogen auf Dauer erfolgreich ausüben könne. Jordan erweist sich in jeder Hinsicht als gelehriger Schüler und schafft es so, selbst den ersten Rückschlag – ausgerechnet an seinem ersten Tag als vollwertiger Broker kommt es zum "Black Monday", der zur Pleite seines Arbeitgebers führt – wegzustecken und mit ein paar Freunden um den Kindermöbel-Verkäufer Donnie (Jonah Hill, "Moneyball") eine eigene kleine Brokerfirma aufzubauen. Klein bleibt diese allerdings nicht lange, denn Jordans grandioses Verkäufertalent, das er seinen Mitarbeitern so beibringt, wie er es einst von Mark Hanna gelernt hatte, sorgt dafür, daß Stratton Oakmont Inc. schon bald millionenschwer ist. Das (ebenso wie die Berichte über ausschweifenden Orgien nach Büroschluß) weckt die Aufmerksamkeit der alteingesessenen Börsenprofis und der Medien – sowie die des fleißigen FBI-Agenten Patrick Denham (Kyle Chandler, "Argo"), der (zu Recht) bezweifelt, daß bei Stratton Oakmont alles mit legalen Dingen zugeht ...

Kritik:
Wenn man bedenkt, wie schnell Hollywood normalerweise auf Kriege unter US-Beteiligung reagiert, dann ist es schon etwas überraschend, wie wenige Filme es bislang über die bereits seit 2007 schwelende und von den USA ausgehende Wirtschaftskrise gibt. Bei der "Großen Depression" in den 1930er Jahren war die Reaktion der Filmbranche wesentlich schneller, dieses Mal scheinen die Studiobosse sich nicht so richtig an das komplexe und nicht gerade aufheiternde Thema heranzuwagen. Gut, der unvermeidliche Oliver Stone drehte "Wall Street: Geld schläft nicht" (der ungewohnt zahm ausfiel) und J.C. Chandor brachte sein vieldiskutiertes und immerhin mit einer OSCAR-Nominierung für das Drehbuch bedachte Kammerspiel "Der große Crash" in die Kinos, wo es aber vom Publikum ebenso weitgehend ignoriert wurde wie Nicholas Jareckis Drama "Arbitrage"; und Michael Moore ließ es sich natürlich nicht nehmen, den polemischen Dokumentarfilm "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" zu drehen. Aber das sind alles unabhängige, außerhalb der großen Studios produzierte Filme. Und sonst? Nichts. Das ist schon eine sehr dünne Bilanz immerhin sechs bis sieben Jahre nach Beginn der Krise. Doch als Regielegende Martin Scorsese ("Shutter Island") ankündigte, die Autobiographie des ehemaligen Brokers Jordan Belfort zu verfilmen, konnte man endlich auf eine großangelegte Aufarbeitung hoffen. Belforts Geschichte findet zwar in den 1980er und 1990er Jahren statt, aber im Prinzip ändert das nicht viel. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Als Wirtschaftsfilm ist "The Wolf of Wall Street" eine ziemliche Enttäuschung.

Zwar ist die schwungvolle, zynische Einführung in die Thematik, die Jordan und das Publikum zu Beginn durch Mark Hanna erhalten, ein gelungener Einstieg – doch danach kommt leider nicht mehr viel. Immer, wenn die Story etwas tiefer in die Details zu gehen verspricht, würgt Scorsese das sofort ab – beispielsweise läßt er Jordan, der immer wieder direkt zum Publikum spricht, seine Erklärung über Neuemissionen mit den (sinngemäßen) Worten abbrechen: "Das verstehen Sie sowieso nicht, und eigentlich ist es auch egal". Einmal abgesehen davon, daß dieser Satz streng genommen ziemlich beleidigend ist (was eine Neuemission ist, ist nun wahrlich nicht schwer zu erklären oder zu verstehen, selbst wenn man keine große Ahnung von Wirtschaft hat) nervt es auf Dauer einfach, wie oberflächlich Jordans Tätigkeit präsentiert wird. Zwar könnten gerade die immer wieder abgewürgten Erläuterungen sogar gewollt sein, um Jordans Hochmut und Selbstüberschätzung zu unterstreichen, aber selbst dann wäre das Fehlen jeglicher Tiefe ärgerlich. Dazu paßt auch, daß es in seiner Firma niemanden zu geben scheint, der kein grandioser Verkäufer ist – zugegeben, Jordan ist ein sehr guter Lehrer, aber das ist dann doch übertrieben und unglaubwürdig und wurde in Oliver Stones "Wall Street" 1987 viel authentischer dargestellt. Auch die Ermittlungen des FBI-Agenten Denham werden viel zu wenig in die Handlung eingebunden – das geht so weit, daß man nicht mal eindeutig erfährt, wegen welcher Gesetzesverstöße genau Denham eigentlich ermittelt. Natürlich, als jemand, der sich mit dem Themenkomplex "Wirtschaft und Börse" auskennt, kann man sich das relativ gut zusammenreimen – aber da Wirtschaftswissen in der Gesellschaft nicht allzu weit verbreitet ist, dürften die meisten Zuschauer eher im Dunklen tappen. Was wiederum vielleicht sogar so gewollt ist, denn durch die Darstellung der völlig aus dem Ruder laufenden und ziemlich unsympathischen Broker ist man sowieso bereit, diesen alle Schandtaten dieser Welt zuzuschreiben – selbst wenn sie gar nicht illegal sind (das hat Oliver Stone in "Wall Street" übrigens ähnlich gehalten, wo er teils bei vollkommen legalem, wenn auch moralisch fragwürdigem Verhalten des Anti-Helden Gordon Gekko Gesetzesbrüche suggerierte). Kurzum: Als Wirtschaftsfilm taugt "The Wolf of Wall Street" sehr wenig.

Es wird jedoch schnell klar, daß Scorsese und Drehbuch-Autor Terence Winter (vor allem als einer der führenden kreativen Köpfe bei den TV-Serien "Die Sopranos" und "Boardwalk Empire" bekannt) nie vorhatten, einen Wirtschaftsfilm zu drehen. Das ist für mich als jemanden, der seine Doktorarbeit über die Darstellung der Wirtschaft im US-Spielfilm geschrieben hat, sehr enttäuschend; den meisten Zuschauern aber, die einfach "nur" hochwertige Kinounterhaltung erwarten, dürfte es ziemlich egal sein. Worum es Scorsese und Winter vorranging geht, ist ganz offensichtlich die menschliche Gier – und wie sie sich auf den Charakter ganz normaler Menschen auswirkt. Auch ein spannendes Thema, keine Frage, wenngleich "The Wolf of Wall Street" es nicht in Form eines Dramas, sondern einer grellen Farce behandelt. In der ersten der drei Stunden Laufzeit (Scorsese wollte ursprünglich sogar eine vierstündige Fassung in die Kinos bringen) funktioniert das wunderbar. Jordans Aufstieg, seine schnelle Wandlung vom ehrgeizigen, aber bodenständigen Jüngling zum ständig zugedröhnten und sich beinahe im Stil eines Sektenführers mit loyalen Anhängern sowie schönen, willigen und meistens nackten Frauen umgebenden Selfmade-Millionär ist geradezu unverschämt unterhaltsam mitanzusehen. Bezeichnend für den Zynismus der Protagonisten wie auch den Blickwinkel der Filmemacher ist, daß Jordan und sein Team selbst in den riskantesten geschäftlichen Transaktionen immer als extrem überdreht und euphorisch gezeigt werden, und sie nur einmal richtig ernst zu sehen sind – als sie über die Vor- und Nachteile des Anheuerns kleinwüchsiger Zirkusartisten für die nächste Orgie diskutieren ...

Wie gesagt, trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) des nur so triefenden Zynismus macht dieses erste Drittel großen Spaß. Doch als Jordan – mittlerweile geschieden und wieder verheiratet mit der glamourösen Naomi (Margot Robbie, "Alles eine Frage der Zeit") – und seine neue Firma oben angekommen sind, nutzen sich die Ausschweifungen und die skrupellosen Verkaufstaktiken zunehmend ab. Die sowieso nihilistische Story kommt vorübergehend fast völlig zum Stillstand, Wiederholungen dominieren. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich seit jeher nur wenig mit "Drogenfilmen" anfangen konnte und mich selbst bei Kultfilmen wie Terry Gilliams "Fear and Loathing in Las Vegas" vor allem langweilte; jedenfalls ertappte ich mich immer öfter beim Gähnen und Auf-die-Uhr-linsen. Das letzte Drittel des Films, in dem das selbstzerstörerische Verhalten von Jordan, Donnie und ihren Freunden immer offensichtlicher wird, ist wieder etwas interessanter gestaltet, ohne jedoch an den Unterhaltungswert der ersten Stunde heranzureichen. Doch da es nun einmal ein Scorsese-Film ist, ist die Inszenierung handwerklich natürlich fast ohne Fehl und Tadel und erfreut regelmäßig mit netten Einfällen. Jordans direkte Gespräche mit dem Publikum hatte ich bereits erwähnt, aber auch deutlich unaufdringlichere Ideen wie eine Treppe, die Jordan im drogenbenebelten Zustand überwinden will und die aus seiner subjektiven Sicht 10 bis 15 Stufen umfaßt, sich nach dem Umschnitt in eine beobachtende Perspektive aber als gerade einmal fünfstufig herausstellt, geben dem Film den nötigen Schliff.

Aus dem Schauspielerensemble sticht erwartungsgemäß Leonardo DiCaprio hervor, der einmal mehr eine herausragende, zu Recht OSCAR-nominierte Performance liefert, dabei aber auch davon profitiert, daß seine Figur als einzige richtig herausgearbeitet ist (und vom Drehbuch die knackigsten Monologe spendiert bekommt). Die übrigen, nahezu durchweg unsympathischen Charaktere bleiben größtenteils an der Oberfläche und wirken eher wie Klischees als wie echte Menschen – auch wenn sie dabei oft unterhaltsam sind, etwa ein von Jean Dujardin ("The Artist") herrlich großkotzig gespielter franko-schweizerischer Banker, Hollywood-Regisseur Rob Reiner ("Harry und Sally") als Jordans polternder Vater oder die Slowenin Katarina Čas ("The Guard") als Donnies resolute Ehefrau. Selbst Jordans von der australischen Newcomerin Margot Robbie überzeugend verkörperte, temperamentvolle zweite Ehefrau Naomi und sein bester Freund Donnie (für dessen uneitle, diverse Schamgrenzen überschreitende Darstellung Jonah Hill seine bereits zweite OSCAR-Nominierung erhielt) entwickeln nur selten echtes Profil. Einzige Ausnahme ist der von Matthew McConaughey furios als eine Art exzentrischer Gordon Gekko (und das will was heißen, war doch Michael Douglas als Gekko bereits nicht gerade un-exzentrisch ...) interpretierte Mark Hanna, der kaum fünf Minuten lang zu sehen ist, in der Rolle aber nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Und das gilt nicht zuletzt deshalb, weil er "The Money Chant" einführt, einen "The Wolf of Wall Street" wie ein roter Faden durchziehenden rhythmischen Motivations-Song, den McConaughey nicht nur grandios komisch vorträgt (im Trailer fand ich die Szene noch irritierend, im Film paßt sie wie die Faust aufs Auge), sondern den er gemeinsam mit Musiker Robbie Robertson sogar verfaßt hat. Der ausschließlich aus zur Zeit der Handlung passenden Liedern bestehende Soundtrack ist generell sehr gelungen, aber "The Money Chant" (dessen beste Version im Abspann kommt) ist das einsame Highlight.

Vor allem in den USA sorgte "The Wolf of Wall Street" übrigens auch für Aufsehen, weil er einen inoffiziellen Rekord für den häufigsten Gebrauch des Wortes "fuck" in einem Mainstream-Spielfilm aufstellte (über 500 Mal!). Außerdem wird dem Film von konservativer Seite teilweise vorgeworfen, den Lebensstil seiner fragwürdigen Protagonisten zu verherrlichen – nunja, ich selbst würde eine (nicht nur aufgrund der Drogensucht) so unausweichlich selbstzerstörerische Lebensführung ganz bestimmt nicht als wünschenswert bezeichnen, aber ich kann mir schon vorstellen, daß einzelne Aspekte davon auf manche anziehend wirken (nicht umsonst gibt es im Film eine Szene, in der ein eigentlich unvorteilhaftes Porträt Jordans im Wirtschaftsmagazin "Forbes" zu einem Ansturm junger Möchtegern-Millionäre führt). Ob man das nun Scorsese vorwerfen kann, wage ich aber zu bezweifeln.

Fazit: "The Wolf of Wall Street" ist eine zynische, ausschweifende und mitunter etwas zu selbstverliebte Wirtschaftsfarce, die ihre eigentliche Thematik leider stark vernachlässigt und sich auch zu sehr auf seine zahllosen (grandios in Szene gesetzten) Party- und Drogenszenen konzentriert, um den Charakteren abseits des Protagonisten Jordan Belfort gerecht zu werden; Martin Scorseses raffinierte Inszenierung und die starke Besetzung retten den Film für mich vor dem Mittelmaß, allerdings – abgesehen vom wirklich hervorragenden ersten Drittel – nur knapp.

Wertung: 6,5 Punkte.


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