Originaltitel: Yi dai zong shi
Regie: Wong Kar-Wai, Drehbuch: Xu Haofeng, Zou Jingzhi, Wong Kar-Wai, Musik: Nathaniel Méchaly und Shigeru Umebayashi
Regie: Wong Kar-Wai, Drehbuch: Xu Haofeng, Zou Jingzhi, Wong Kar-Wai, Musik: Nathaniel Méchaly und Shigeru Umebayashi
Darsteller:
Tony Leuing Chi Wai, Zhang Ziyi, Song Hye-kyo, Chang Chen, Cung Le, Zhang Jin, Zhao
Benshan, Wang Qingxiang, Lo Hoi-pang, Yuen Woo-ping
FSK: 12, Dauer: 123 Minuten.
1936 in Foshan im Süden Chinas: Martial Arts-Meister Ip Man
(Tony Leung Chiu Wai, "Gefahr und Begierde", "Infernal
Affairs"), der eine vergleichsweise reduzierte, aber äußerst
effektive Variante des Wing Chun-Kampfstils perfektioniert hat, wird von
den südlichen Kampfsport-Meistern auserkoren, in dessen symbolträchtigem letzten
Schaukampf gegen den nördlichen Meister Gong Yutian (Wang Qingxiang, "Red
Cliff") anzutreten. Als Vorbereitung wird er von anderen südlichen
Meistern in die Geheimnisse ihrer Stile und Philosophien eingeweiht, doch als
es soweit ist, fordert Gong seinen Konkurrenten anstelle eines Kampfes zu einer
Mischung aus Geschicklichkeitsherausforderung und philosophischem Wettstreit
heraus. Ip Man gewinnt und fügt Gong somit seine erste Niederlage überhaupt zu.
Zwar nicht im Kampf, aber es reicht aus, um Gongs Tochter Gong Er (Zhang Ziyi,
"Die Geisha", "House of Flying Daggers") nach Revanche
trachten zu lassen. Ip Man stellt sich auch diesem Kampf, doch am Ende trennen
sie sich freundschaftlich. Wenig später findet die japanische Invasion statt
und während des Zweiten Weltkrieges müssen sich alle gänzlich anderen
Herausforderungen stellen als ihren Kampfsportschülern – das gilt auch für
einen Meister (Chang Chen,
"Tiger & Dragon", "2046"), der unter dem Decknamen "Rasiermesser" in den Widerstand gegen die
Besatzer geht ...
Kritik:
Der Kampfkunst-Meister Ip Man (auch: Yip Man), der u.a. kurz
Bruce Lee lehrte, ist in China eine Legende, die in den letzten Jahren eine
ungeahnte filmische Wiederaufstehung erlebte. Nicht einer, nicht zwei, nicht
drei, nicht vier, sondern gleich fünf Filme wurden Ip Man seit 2008 gewidmet. Die
beiden bekanntesten davon, Wilson Yips "Ip Man" und "Ip Man 2" mit
Donnie Yen in der Titelrolle, erlangten auch internationale Bekanntheit,
"Ip Man Zero" und "Ip Man – Final Fight" nicht so sehr.
Und nun hat selbst Wong Kar-Wai, jener Arthouse-Regisseur, der der Welt
Meisterwerke wie "Chungking Express" oder "In the Mood for
Love" zum Geschenk gemacht hat, einen Film über das Leben von Ip Man
gedreht. Und damit nach langer Pause seinen zweiten Martial Arts-Film nach "Ashes of Time" aus dem Jahr 1994. "The Grandmaster" durfte sogar die Berlinale 2013 eröffnen
und das ist durchaus passend, denn im Vergleich zu den beiden Werken mit Donnie Yen
(die anderen beiden habe ich noch nicht gesehen) ist Wongs Version von Ip Mans ereignisreichem Leben
erwartungsgemäß deutlich künstlerischer und anspruchsvoller ausgefallen.
Während "Ip Man" und "Ip Man 2" sich
jeweils auf bestimmte Lebensabschnitte des Wing Chun-Meisters konzentrierten,
umfaßt "The Grandmaster" dessen gesamtes Leben. Zumindest in der
Theorie. In der Praxis reiht Wong einfach wichtige Ereignisse aus dem Leben
seiner Titelfigur relativ zusammenhanglos und ohne größere Erklärungen
aneinander und springt dabei munter in der Zeit vor und zurück. Da er
sich zudem keinerlei Mühe gibt, dem Publikum den Menschen Ip Man
näherzubringen, erfährt man auf diese Weise erschreckend wenig über ihn. Das
ist besonders ärgerlich, da sein Darsteller Tony Leung Chi Wai im Normalfall
ein viel besserer Schauspieler ist als Donnie Yen – doch Wong nutzt diese
Fähigkeiten nicht aus, er scheint gar nicht hinter die Fassade der Legende blicken
zu wollen und beläßt diese somit unnahbar. Leung spielt Ip Man meist stoisch,
manchmal sogar leicht überheblich, wohingegen Yens zupackende und leicht
verschmitzte Interpretation in "Ip Man" viel sympathischer und
greifbarer wirkt.
Insofern ist zumindest die erste Hälfte von "The
Grandmaster" eine dezente Enttäuschung, in der sich Wong auch kaum der
Handlung widmet. Die anfänglichen rund 40 Minuten drehen sich nur um Ip
Mans Duell mit Gong Yutian und enthalten somit fast ausschließlich
Kampfszenen. Zwar sind diese vom wohl besten Kung Fu-Choreographen Yuen
Woo-ping (der zudem in einer kleinen Rolle zu sehen ist) wie gewohnt atemberaubend
gestaltet und wirken durch Wongs ungemein stylishe Inszenierung vielleicht
sogar noch etwas faszinierender als sonst; auch die Verbindung der unterschiedlichen
Kampfsportstile mit den jeweiligen Philosophien, die hinter ihnen stehen, ist ein
interessanter und informativer Ansatz. Da man zunächst aber absolut kein Gespür
dafür bekommt, worum genau es in den Kämpfen geht oder warum diese eigentlich für alle
Beteiligten so wichtig sind und einem zusätzlich sämtliche Figuren fremd bleiben,
legt sich die anfängliche Faszination bald einer gewissen Ermüdung.
Glücklicherweise wird das besser, sobald Zhang Ziyi als Gong
Er die Szenerie betritt. War Ip Man schon bis dahin kaum alleinige Hauptperson
von "The Grandmaster", sondern Teil eines kampfstarken Ensembles,
gerät er mit Gong Ers Ankunft endgültig zu einer besseren Randfigur (zumal es ja auch
noch den ziemlich rätselhaften Erzählstrang um den Widerstandskämpfer
"Rasiermesser" gibt, der kaum Berührungspunkte zur Haupthandlung
aufweist und vermutlich in Wongs ursprünglicher vierstündiger Fassung besser
integriert war). Das ist zwar nicht das, was man als Zuschauer von einem Werk
über das Leben von Ip Man erwartet – aber es macht "The Grandmaster"
zu einem deutlich besseren Film. So undurchschaubar Ip Man die meiste Zeit über
bleibt, so nachvollziehbar hat Wong die Figur der Gong Er gestaltet, mit der
man gerne mitfiebert und -leidet. Denn den Seelenzwist der jungen Ärztin, die
selbst eine begnadete Kämpferin ist und aufgrund eines mehr oder weniger
erpressten Schwurs niemals heiraten oder Kinder bekommen darf, macht Zhang Ziyi mit
ihrem nur scheinbar beherrschten, unter der Oberfläche höchst leidenschaftlichen Schauspiel jederzeit greifbar.
Selbst Ip Man, der Gefühle für die schöne junge Frau entwickelt, die er
als verheirateter Mann ebenso wenig ausleben kann wie es Gong Er aufgrund ihres
Schwurs darf, taut in den gemeinsamen Szenen ein klein wenig auf und wirkt
beinahe wie ein Mensch statt wie eine bloße Legende. Und Gong Ers erbitterter
Kampf mit dem Filmbösewicht Man San (Zhang Jin, "Wushu") auf einem
Bahnsteig, während ein (sehr, sehr langer) Zug vorbeifährt, ist das
unumstrittene Highlight von "The Grandmaster". Wongs Film mag sich
vorgeblich um Ip Man drehen, doch Gong Er ist ohne jede Frage sein emotionales
und dank Zhangs herausragender Verkörperung auch schauspielerisches Zentrum.
Wenngleich Wong Kar-Wai also Handlung und Figurenzeichnung
(mit Ausnahme von Gong Er) leider etwas vernachlässigt, bringt er natürlich
dennoch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und Ideen in "The
Grandmaster" ein. So faßt er beispielsweise die wichtigen Stationen aus Ip Mans
Leben durch gelegentliche Gruppenfotos zusammen, auf denen etwa die
Kampfkunst-Meister zu sehen sind, Ip Mans Familie oder die japanischen Besatzer. Dadurch wird der Eindruck noch verstärkt, daß wir keine kohärente Geschichte erleben, sondern gleichsam in einem Familienalbum blättern, dessen Fotos lange vergangene Erinnerungen wecken und noch einmal durchleben lassen. Auch verdeutlicht Wong die Wucht der (manchmal etwas hektisch geschnittenen) Kämpfe, indem er sie mittels der begleitenden Soundeffekte bewußt
überhöht. Jeder einzelne Schlag oder Tritt eines Meisters wird von einem
beeindruckenden Dröhnen begleitet, das an den ikonischen ersten Auftritt des Tyrannosaurus Rex
in Spielbergs "Jurassic Park" erinnert. Man sollte meinen, daß
dieses Stilmittel angesichts der Vielzahl von Kämpfen irgendwann nervt, aber
Wong setzt es so geschickt ein, daß es nie seine Wirkung verliert. Generell,
und das ist ein weiterer deutlicher Unterschied zu den "Ip Man"-Filmen mit Donnie Yen, sind die
Kampfsequenzen die meiste Zeit über nicht roh und brutal inszeniert;
stattdessen betont Wong die künstlerische Seite – unter anderem durch
exzessiven Zeitlupeneinsatz – und läßt die Kämpfe wie perfekt einstudierte
Tänze wirken.
Wie eigentlich immer bei den Filmen von Wong Kar-Wai (man denke nur an den Einsatz von "California Dreamin'" in "Chungking Express") spielt die Akustik eine ganz bedeutende Rolle. Die wuchtige, mitunter hemmungslos melodramatische Musik von Shigeru Umebayashi ("Der Fluch der goldenen Blume") und dem Franzosen Nathaniel Méchaly ("96 Hours") ist einfach wunderschön, wenn auch in emotionalen Szenen etwas zu laut und aufdringlich eingesetzt. Sogar eine Melodie des italienischen Altmeisters Ennio Morricone ("Spiel mir das Lied vom Tod") ist zu hören, da Wong eine unerwartete, aber sehr stimmungsvolle Hommage an Sergio Leones Meisterwerk "Es war einmal in Amerika" samt Morricones Musik eingebaut hat.
Fazit: Wong Kar-Wais "The Grandmaster" ist ein ebenso kunstvoller wie wehmütiger Blick zurück auf die Hochzeit der chinesischen Martial Arts, der stilistisch begeistert und in seiner zweiten Hälfte zu großer Form aufläuft, den Zuschauer handlungsmäßig aber zu oft im Dunkeln bleiben läßt und kurioserweise ausgerechnet die eigentliche Hauptfigur vernachlässigt. Wer einen Film über Ip Man sehen will, der sollte sich deshalb lieber "Ip Man" mit Donnie Yen anschauen. Wer jedoch primär auf eine anspruchsvolle, künstlerische Herangehensweise Wert legt (die man in diesem Genre bekanntlich nicht so oft findet), der ist bei "The Grandmaster" genau richtig.
Wertung: 7,5 Punkte (6,5 für die erste Hälfte, 8,5 für die zweite).
Wie eigentlich immer bei den Filmen von Wong Kar-Wai (man denke nur an den Einsatz von "California Dreamin'" in "Chungking Express") spielt die Akustik eine ganz bedeutende Rolle. Die wuchtige, mitunter hemmungslos melodramatische Musik von Shigeru Umebayashi ("Der Fluch der goldenen Blume") und dem Franzosen Nathaniel Méchaly ("96 Hours") ist einfach wunderschön, wenn auch in emotionalen Szenen etwas zu laut und aufdringlich eingesetzt. Sogar eine Melodie des italienischen Altmeisters Ennio Morricone ("Spiel mir das Lied vom Tod") ist zu hören, da Wong eine unerwartete, aber sehr stimmungsvolle Hommage an Sergio Leones Meisterwerk "Es war einmal in Amerika" samt Morricones Musik eingebaut hat.
Fazit: Wong Kar-Wais "The Grandmaster" ist ein ebenso kunstvoller wie wehmütiger Blick zurück auf die Hochzeit der chinesischen Martial Arts, der stilistisch begeistert und in seiner zweiten Hälfte zu großer Form aufläuft, den Zuschauer handlungsmäßig aber zu oft im Dunkeln bleiben läßt und kurioserweise ausgerechnet die eigentliche Hauptfigur vernachlässigt. Wer einen Film über Ip Man sehen will, der sollte sich deshalb lieber "Ip Man" mit Donnie Yen anschauen. Wer jedoch primär auf eine anspruchsvolle, künstlerische Herangehensweise Wert legt (die man in diesem Genre bekanntlich nicht so oft findet), der ist bei "The Grandmaster" genau richtig.
Wertung: 7,5 Punkte (6,5 für die erste Hälfte, 8,5 für die zweite).
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