Originaltitel: Doubt
Regie und Drehbuch: John Patrick Shanley, Musik: Howard
Shore
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Meryl Streep, Amy Adams,
Joseph Foster, Viola Davis, Mike Roukis, Alice Drummond, Audrie Neenan, Michael
Puzzo
New York, 1964: In einer katholischen Schule prallen die Welt- und
Religionsbilder von Father Brendan Flynn (Philip Seymour Hoffman, "Moneyball", "The Ides of March – Tage des Verrats") und Schwester
Aloysius (Meryl Streep, "Die eiserne Lady") aufeinander. Während Flynn eher ein Reformer ist, der
für eine weltoffene, freundliche Kirche plädiert und diese Überzeugung in seinem
gutmütigen, verschmitzten Verhalten gegenüber den Schülern zum Ausdruck bringt, gibt sich Aloysius als erzkonservative Vertreterin von Zucht, Disziplin und
absoluter Bibeltreue. Zur Eskalation kommt es, als Aloysius eigentlich aufgrund
von Nichtigkeiten den Verdacht hegt, Flynn könne einen der Schüler sexuell
mißbrauchen. Zwischen diesen beiden so gegensätzlichen Figuren steht
die junge, idealistische Schwester James (Amy Adams, "Die Muppets"), die zwar gefühlsmäßig eher auf Flynns Seite steht,
durch Aloysius' hartnäckige Nachforschungen und -fragen aber zunehmend ins
Grübeln und Zweifeln gerät – genau wie der Zuschauer ...
Kritik:
John Patrick Shanleys Verfilmung seines eigenen
Theaterstücks ist vor allem eines: grandioses Schauspielerkino mit einer anspruchsvollen, aktives Mitdenken offensiv einfordernden Handlung. Während andere Filme (z.B. David Slades "Hard Candy" mit Ellen Page) das schwierige Thema des (potentiellen) Kindesmißbrauchs häufig ärgerlich oberflächlich und sensationsheischend abhandeln, geht es Shanley in "Glaubensfrage" viel erwachsener, ausgewogener, eben einfach intelligenter an und fordert sein Publikum unverhohlen dazu auf, eigene, allzu schnell gefaßte Meinungen und Vorurteile
immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Eine ausgesprochen lobenswerte Intention, auch wenn die daraus resultierende Ungewißheit über die tatsächlichen Geschehnisse in "Glaubensfrage" sicherlich für so manchen Zuschauer wenig befriedigend sein wird.
Die Geschehnisse in der Schule werden von Regisseur Shanley vollkommen nüchtern und neutral aus einer reinen Zuschauerperspektive präsentiert. Die Verdächtigungen von Schwester Aloysius' sind auf ihre Weise genauso einleuchtend wie Father Flynns Erklärungen. Und doch können beide falsch sein. Das bösartige Wesen der üblen Nachrede entfaltet sich jedenfalls auf subtile, doch höchst wirksame Art und Weise. Obwohl die anfänglichen Sympathien eines Großteils des Publikums mit Sicherheit bei dem freundlichen Father Flynn liegen und nur wenige das selbstgerechte, beinahe fanatisch zu nennende Verhalten von Schwester Aloysius billigen werden, ergeht es dem aufmerksamen Betrachter ganz genauso wie Schwester James, die gleichsam Repräsentantin des Publikums ist: Die Summe der vielen winzigen Indizien, die Aloysius zur Untermauerung ihrer Vorwürfe sammelt, ergibt noch lange keinen überzeugenden Beweis. Aber sie reicht vollkommen aus, um die tödliche Saat des Zweifels zu streuen und fortan jeden Satz, jede Geste von Father Flynn wie auch von seinen Schülern mit anderen, mißtrauischeren Augen zu sehen als zuvor.
Eine solche Film-Konstellation kann natürlich nur mit hervorragenden Schauspielleistungen funktionieren. Daß dies bei "Glaubensfrage" der Fall ist, beweisen schon die sage und schreibe vier OSCAR-Nominierungen für Darsteller des Films (eine fünfte gab es gerechterweise für das Drehbuch). Vor allem Philip Seymour Hoffman verkörpert den Father Flynn phänomenal nuancenreich und eigentlich ist es eine Frechheit, daß er "nur" als Bester Nebendarsteller nominiert wurde – wo er gegen die ebenso herausragende Leistung von Heath Ledger in "The Dark Knight" aufgrund dessen tragischen Todes keine Chance hatte. Zudem erhielt Meryl Streep ihre bereits 15. Nominierung, Amy Adams ihre zweite und Viola Davis (die die Mutter eines möglicherweise mißbrauchten Jungen spielt) ihre erste. Selbst die nur in Nebenrollen zu sehenden Kinderdarsteller machen ihre Sache ungewöhnlich gut, was angesichts der großen Bedeutung, die man jeder noch so kleinen Geste und jedem Gesichtsausdruck beimessen kann, umso wichtiger ist. Daß "Glaubensfrage" in den technischen OSCAR-Kategorien keine Nominierungen erhielt, läßt sich übrigens mit der ausgesprochen nüchternen Inszenierung erklären, die abgesehen von einigen ungewöhnlichen Kameraeinstellungen Glanzleistungen im technischen Bereich kaum zuläßt. Selbst die Musik von "Der Herr der Ringe"-Komponist Howard Shore gibt sich betont zurückhaltend, denn das wahrhaft Spektakuläre an "Glaubensfrage" sind ohne jeden Zweifel die facettenreiche Handlung, die pointierten Dialoge sowie die großartigen Leistungen der Darsteller.
Fazit: "Glaubensfrage" ist ein Fest für Anhänger intelligenter, dialoglastiger Schauspieler-Filme, die zum Nachdenken anregen. Die Thematik und die unspektakuläre Inszenierung schmecken bestimmt nicht jedem, aber wer es mag, von einem Film gefordert zu werden, das Geschehen mit höchster Konzentration zu verfolgen und nach jedem noch so kleinen oder versteckten Hinweis zu suchen (auch bei mehrfachem Ansehen kann man immer wieder etwas Neues entdecken), für den ist "Glaubensfrage" ein wahres Fest.
Wertung: 9 Punkte.
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