Regie und Drehbuch: Terrence Malick, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: Brad Pitt, Jessica Chastain, Sean Penn, Hunter McCracken, Fiona Shaw, Joanna Going, Tye Sheridan, Laramie Eppler
Rotten Tomatoes: 85% (8,2); weltweites Einspielergebnis: $58,4 Mio.
FSK: 12, Dauer: 139 Minuten.
Rotten Tomatoes: 85% (8,2); weltweites Einspielergebnis: $58,4 Mio.
FSK: 12, Dauer: 139 Minuten.
Kritik:
Wenn ein neuer Film von Kinopoet Terrence Malick ("The New World", "Der schmale Grat", "Days of Heaven") in die Lichtspielhäuser kommt, dann kann man sich die obligatorische kurze Inhaltsbeschreibung in Rezensionen eigentlich sparen. Schon deshalb, weil Malick-Filme sich nicht wirklich durch eine Handlung im klassischen Sinne auszeichnen, sondern eher eine Aneinanderreihung symbolträchtiger Assoziationen sind. Malicks Filme erzählen nicht in erster Linie eine Geschichte – sie transportieren vielmehr Stimmungen, Gefühle, geben Denk- und Philosophieranstöße.
So auch "The Tree of Life", Gewinner der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 2011. Formal handelt es sich um die im Rückblick erzählte Coming of Age-Story des kleinen Jack (als Kind: Hunter McCracken, als Erwachsener: Sean Penn), der mit seinen Eltern und Geschwistern in den 1950er Jahren in einer typischen amerikanischen Kleinstadt aufwächst. "The Tree of Life" ist aber auch eine bewegende Verbildlichung der Trauer, denn wie man bereits zu Beginn erfährt, stirbt Jacks Bruder, was sein ganzes Leben beeinflussen wird. Außerdem ist "The Tree of Life" eine philosophische Abhandlung über so gewaltige Themen wie Liebe, Familie, Glaube und Evolution. Und diese metaphysische Ebene ist in meinen Augen die größte Stärke des Films.
Einerseits trifft dies intellektuell zu, denn es ist eine wahre Freude, die Herkulesaufgabe anzugehen, Malicks verworrene Gedankengänge nachverfolgen zu wollen und Metaphern, Anspielungen und Untertöne in diesem 140-Minuten-Werk zu identifizieren. Das alles natürlich stets ohne Garantie, denn Malick – der seit Jahrzehnten nicht in der Öffentlichkeit auftritt, keine Interviews gibt und auch keine Auszeichnungen persönlich in Empfang nimmt – erklärt seine Filme nicht, natürlich spricht er auch keine Audiokommentare für die DVD-Verwertung ein.
Ist es also beispielsweise nur Einbildung, wenn ich vor allem zu Beginn aufgrund weniger Sätze und eigentlich nur einer ganz bestimmten Szene einen kirchenkritischen Unterton ausmache, während etliche Kritiker sich im Gegensatz über einen zu predigenden Tonfall des Films beschweren? Sind gar beide Sichtweisen gleichzeitig richtig (schließlich sind "Kirche" und "Glaube" keineswegs zwangsläufig synonym) oder hängt die Interpretation tatsächlich von Leben, Erfahrungen und Weltanschauung jedes einzelnen Zuschauers ab und sind somit alle möglichen Interpretationen irgendwie stimmig?
Noch besser als diese intellektuelle Ebene ist meines Erachtens jedoch die visuelle und akustische Umsetzung gelungen. Der Großteil der ersten etwa 40 Minuten steht dabei weitgehend für sich: Terrence Malick setzt hier die Entstehung unseres Universums sowie die Entwicklung des Lebens auf der Erde filmisch um – und das tut er auf eine Art und Weise, die buchstäblich zum Weinen schön ist! Jeder Versuch, das mit Worten zu beschreiben, kann einfach nur zum Scheitern verurteilt sein, deshalb werde ich es auch gar nicht weiter versuchen. Es muß reichen, daß der erste Akt von "The Tree of Life" mit das Beeindruckendste ist, das ich je im Kino sehen durfte! Es gibt Zuschauer, denen die musikalische Untermalung von Alexandre Desplat etwas zu schwülstig geraten ist, aber meiner Ansicht nach geht sie mit den großartigen Bildern eine perfekte Symbiose ein. Am ehesten lassen sich diese 40 Minuten wohl mit der berühmten Anfangssequenz von Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" vergleichen, aber was Malick hier geschaffen hat, ist ganz eigen und wohl unübertrefflich.
Nachdem ich nun (eigentlich nicht einmal ansatzweise) genug von diesem grandiosen Auftakt geschwärmt habe, bleibt mir aber leider nicht erspart zuzugeben, daß er gleichzeitig das größte Problem von "The Tree of Life" darstellt. Denn nach der epochalen Wucht dieser ersten 40 Minuten wirken die restlichen gut eineinhalb Stunden des Films im direkten Vergleich beinahe banal. Natürlich sind sie das nicht. Objektiv betrachtet geht Malick auch in diesen restlichen zwei Dritteln große, essentielle Themen an, verknüpft sie zudem elegant und subtil mit der großartigen "Schöpfungssequenz" zuvor, behält seinen phantastischen, künstlerischen Inszenierungsstil bei (kongenial unterstützt durch Emmanuel Lubezkis Kameraarbeit), während er einen wichtigen Ausschnitt aus der Geschichte der Familie O'Brien erzählt. Denn auch diese Familie mit dem gestrengen Vater (Brad Pitt, "Moneyball") und der zuweilen wohl etwas zu fürsorglichen Mutter (eine großartige Neuentdeckung: Jessica Chastain, "Zero Dark Thirty") durchlebt in ihrem eigenen kleinen Mikrokosmos eine Evolution mit umwälzenden Ereignissen.
Aber: Im Vergleich zum überwältigenden ersten Akt wirkt das in der Tat beinahe banal. Zudem kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß Malick speziell im letzten Drittel etwas seinen Fokus verloren hat. Jedenfalls bietet sein Film für mein Empfinden immer weniger faszinierende Denkanstöße, je länger er dauert. Zudem gerät die Entwicklung der Charaktere psychologisch nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar, wirkt vielmehr etwas klischeehaft.
Während ich also während des ersten Drittels von "The Tree of Life" vor Begeisterung kaum zum Luftholen kam und mir im zweiten Drittel trotz der milden Enttäuschung ob des abrupten Wechsels zur Familiengeschichte der O'Briens gut und anspruchsvoll unterhalten vorkam, nahm im letzten Drittel die Ernüchterung überhand und kam sogar bisweilen Langeweile auf.
Fazit: Mit "The Tree of Life" hat Terrence Malick ein weiteres Filmrätsel von großer Schönheit geschaffen, das in seiner gewohnten Sperrigkeit und eher ungewohnten Uneinheitlichkeit jedoch beileibe nicht für ein Mainstream-Publikum geeignet ist. Wer formal und inhaltlich höchst anspruchsvolle Unterhaltung sucht und bereit ist, die Denkanstöße und Metaphern des Regisseurs anzunehmen, der wird auf jeden Fall und trotz gewisser Schwächen mit einer erinnerungswürdigen Kinoerfahrung belohnt.
Wertung: 7,5 Punkte (erstes Drittel: 10 Punkte, zweites Drittel: 8 Punkte, drittes Drittel: 5 Punkte).
Wenn ein neuer Film von Kinopoet Terrence Malick ("The New World", "Der schmale Grat", "Days of Heaven") in die Lichtspielhäuser kommt, dann kann man sich die obligatorische kurze Inhaltsbeschreibung in Rezensionen eigentlich sparen. Schon deshalb, weil Malick-Filme sich nicht wirklich durch eine Handlung im klassischen Sinne auszeichnen, sondern eher eine Aneinanderreihung symbolträchtiger Assoziationen sind. Malicks Filme erzählen nicht in erster Linie eine Geschichte – sie transportieren vielmehr Stimmungen, Gefühle, geben Denk- und Philosophieranstöße.
So auch "The Tree of Life", Gewinner der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 2011. Formal handelt es sich um die im Rückblick erzählte Coming of Age-Story des kleinen Jack (als Kind: Hunter McCracken, als Erwachsener: Sean Penn), der mit seinen Eltern und Geschwistern in den 1950er Jahren in einer typischen amerikanischen Kleinstadt aufwächst. "The Tree of Life" ist aber auch eine bewegende Verbildlichung der Trauer, denn wie man bereits zu Beginn erfährt, stirbt Jacks Bruder, was sein ganzes Leben beeinflussen wird. Außerdem ist "The Tree of Life" eine philosophische Abhandlung über so gewaltige Themen wie Liebe, Familie, Glaube und Evolution. Und diese metaphysische Ebene ist in meinen Augen die größte Stärke des Films.
Einerseits trifft dies intellektuell zu, denn es ist eine wahre Freude, die Herkulesaufgabe anzugehen, Malicks verworrene Gedankengänge nachverfolgen zu wollen und Metaphern, Anspielungen und Untertöne in diesem 140-Minuten-Werk zu identifizieren. Das alles natürlich stets ohne Garantie, denn Malick – der seit Jahrzehnten nicht in der Öffentlichkeit auftritt, keine Interviews gibt und auch keine Auszeichnungen persönlich in Empfang nimmt – erklärt seine Filme nicht, natürlich spricht er auch keine Audiokommentare für die DVD-Verwertung ein.
Ist es also beispielsweise nur Einbildung, wenn ich vor allem zu Beginn aufgrund weniger Sätze und eigentlich nur einer ganz bestimmten Szene einen kirchenkritischen Unterton ausmache, während etliche Kritiker sich im Gegensatz über einen zu predigenden Tonfall des Films beschweren? Sind gar beide Sichtweisen gleichzeitig richtig (schließlich sind "Kirche" und "Glaube" keineswegs zwangsläufig synonym) oder hängt die Interpretation tatsächlich von Leben, Erfahrungen und Weltanschauung jedes einzelnen Zuschauers ab und sind somit alle möglichen Interpretationen irgendwie stimmig?
Noch besser als diese intellektuelle Ebene ist meines Erachtens jedoch die visuelle und akustische Umsetzung gelungen. Der Großteil der ersten etwa 40 Minuten steht dabei weitgehend für sich: Terrence Malick setzt hier die Entstehung unseres Universums sowie die Entwicklung des Lebens auf der Erde filmisch um – und das tut er auf eine Art und Weise, die buchstäblich zum Weinen schön ist! Jeder Versuch, das mit Worten zu beschreiben, kann einfach nur zum Scheitern verurteilt sein, deshalb werde ich es auch gar nicht weiter versuchen. Es muß reichen, daß der erste Akt von "The Tree of Life" mit das Beeindruckendste ist, das ich je im Kino sehen durfte! Es gibt Zuschauer, denen die musikalische Untermalung von Alexandre Desplat etwas zu schwülstig geraten ist, aber meiner Ansicht nach geht sie mit den großartigen Bildern eine perfekte Symbiose ein. Am ehesten lassen sich diese 40 Minuten wohl mit der berühmten Anfangssequenz von Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" vergleichen, aber was Malick hier geschaffen hat, ist ganz eigen und wohl unübertrefflich.
Nachdem ich nun (eigentlich nicht einmal ansatzweise) genug von diesem grandiosen Auftakt geschwärmt habe, bleibt mir aber leider nicht erspart zuzugeben, daß er gleichzeitig das größte Problem von "The Tree of Life" darstellt. Denn nach der epochalen Wucht dieser ersten 40 Minuten wirken die restlichen gut eineinhalb Stunden des Films im direkten Vergleich beinahe banal. Natürlich sind sie das nicht. Objektiv betrachtet geht Malick auch in diesen restlichen zwei Dritteln große, essentielle Themen an, verknüpft sie zudem elegant und subtil mit der großartigen "Schöpfungssequenz" zuvor, behält seinen phantastischen, künstlerischen Inszenierungsstil bei (kongenial unterstützt durch Emmanuel Lubezkis Kameraarbeit), während er einen wichtigen Ausschnitt aus der Geschichte der Familie O'Brien erzählt. Denn auch diese Familie mit dem gestrengen Vater (Brad Pitt, "Moneyball") und der zuweilen wohl etwas zu fürsorglichen Mutter (eine großartige Neuentdeckung: Jessica Chastain, "Zero Dark Thirty") durchlebt in ihrem eigenen kleinen Mikrokosmos eine Evolution mit umwälzenden Ereignissen.
Aber: Im Vergleich zum überwältigenden ersten Akt wirkt das in der Tat beinahe banal. Zudem kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß Malick speziell im letzten Drittel etwas seinen Fokus verloren hat. Jedenfalls bietet sein Film für mein Empfinden immer weniger faszinierende Denkanstöße, je länger er dauert. Zudem gerät die Entwicklung der Charaktere psychologisch nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar, wirkt vielmehr etwas klischeehaft.
Während ich also während des ersten Drittels von "The Tree of Life" vor Begeisterung kaum zum Luftholen kam und mir im zweiten Drittel trotz der milden Enttäuschung ob des abrupten Wechsels zur Familiengeschichte der O'Briens gut und anspruchsvoll unterhalten vorkam, nahm im letzten Drittel die Ernüchterung überhand und kam sogar bisweilen Langeweile auf.
Fazit: Mit "The Tree of Life" hat Terrence Malick ein weiteres Filmrätsel von großer Schönheit geschaffen, das in seiner gewohnten Sperrigkeit und eher ungewohnten Uneinheitlichkeit jedoch beileibe nicht für ein Mainstream-Publikum geeignet ist. Wer formal und inhaltlich höchst anspruchsvolle Unterhaltung sucht und bereit ist, die Denkanstöße und Metaphern des Regisseurs anzunehmen, der wird auf jeden Fall und trotz gewisser Schwächen mit einer erinnerungswürdigen Kinoerfahrung belohnt.
Wertung: 7,5 Punkte (erstes Drittel: 10 Punkte, zweites Drittel: 8 Punkte, drittes Drittel: 5 Punkte).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen