Regie: Ben Wheatley, Drehbuch: Amy Jump und Ben Wheatley,
Musik: Geoff Barrow und Ben Salisbury
Darsteller: Cillian Murphy, Brie Larson, Armie Hammer,
Sharlto Copley, Michael Smiley, Sam Riley, Jack Reynor, Babou Ceesay, Enzo
Cilenti, Noah Taylor, Patrick Bergin, Mark Monero, Tom Davis
FSK: 16, Dauer: 90 Minuten.
Boston, Ende der 1970er Jahre: Eine Gruppe von IRA-Kämpfern
um Frank (Michael Smiley, "The Nun") und Chris (Cillian Murphy, "Batman Begins") will auf Vermittlung von
Justine (Brie Larson, "Captain Marvel") und Ord (Armie Hammer,
"Lone Ranger") eine Ladung Sturmgewehre von den Waffenhändlern Vernon
(Sharlto Copley, "Europa Report") und Martin (Babou Ceesay, "Severance") kaufen. Am Treffpunkt in einem
verlassenen Fabrikgebäude beharken sich beide Parteien zwar verbal ein wenig,
zumal Vernon und Martin andere Waffen mitgebracht haben als vereinbart –
dennoch scheint alles glattzulaufen. Dann stellt sich allerdings heraus, daß es
am Abend zuvor ein unerfreuliches Aufeinandertreffen zwischen dem IRA-Mann Stevo (Sam
Riley, "Maleficent") und Vernons und Martins Helfer Harry (Jack Reynor, "Sing Street") gab, woraufhin die
Angelegenheit unschön eskaliert und Kugeln die Luft und die Körper
durchschneiden. Nach dem ersten Shootout gibt es zwar noch keine Tote, aber
dafür sind alle Beteiligten mehr oder weniger schwer verletzt. Während Justine
und Ord versuchen, die Situation irgendwie halbwegs friedlich zu lösen,
trifft eine dritte Partei in der Fabrikhalle ein und eröffnet das
Feuer …
Kritik:
Der britische Filmemacher Ben Wheatley hat sich einen Namen
gemacht für meistens sehr unkonventionelle und wenig massentaugliche Genrefilme wie
"Sightseers", "A Field in England" oder
"High-Rise". Im Vergleich dazu wirkt sein Actionthriller "Free
Fire" beinahe konventionell, wenn eine nach etwas Anlauf etwa einstündige Dauerballerei
in einem aufgegebenen Lagerhaus ohne nennenswertes Storygerüst auch sicher
nicht alltäglich ist. Die Anleihen bei Tarantinos Kultfilm
"Reservoir Dogs" sind offensichtlich, zumal auch Wheatley auf schräge
Charaktere und trockene Dialogduelle setzt – andere Produktionen wie Joe
Carnahans "Smokin' Aces", Takashi Miikes herrlich durchgeknallter
"First Love" oder selbst der John Carpenter-Klassiker "Assault –
Anschlag bei Nacht" weisen ebenfalls zahlreiche inhaltliche und/oder stilistische
Parallelen auf. Wie gesagt: für Wheatleys Verhältnisse ist "Free
Fire" erstaunlich konventionell geraten (was natürlich nicht allzu viel heißen will). Unterhaltsam ist sein Filme trotzdem, was in erster Linie der
Besetzung und den gut choreographierten Schießereien zu verdanken ist,
teils auch den schwarzhumorigen Dialogen; wenngleich deren Qualität
deutlich schwankt. Im Zusammenspiel mit der weitestgehend fehlenden Handlung
und Figuren, die zwar ziemlich schillernd ausfallen, aber kaum Tiefe
entwickeln, ist "Free Fire" ein recht sehenswertes Spektakel für
Genrefreunde – mit einigen Schwächen.
Interessanterweise hat Wheatley seinen Film sehr, sehr lose
an eine echte Massenschießerei angelehnt, die in den 1980er Jahren vom FBI
haarklein protokolliert wurde. Dabei zeigte sich unter anderem, wie schlecht
die meisten Gangster in Wirklichkeit schießen können und
im Zusammenhang damit auch, daß viele Schußwunden gar nicht (sofort) tödlich sind.
Dieses Protokoll mit seinen Erkenntnissen inspirierte Wheatley dazu, die
Schießereien in "Free Fire" möglichst realistisch zu gestalten – was
kurioserweise dazu führt, daß sie höchst unrealistisch wirken. Wenn etwa ein
Dutzend Personen ausdauernd (und ohne Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen zu
müssen) aufeinander schießen, dann erscheint es einfach unglaubwürdig bis zur unfreiwilligen Komik, daß jede einzelne Figur getroffen wird, jedoch
(zunächst) niemand tödlich. Man fühlt sich an die Bösewichte aus Slasherfilmen
erinnert, die wie Phoenix aus der Asche wieder auftauchen, nachdem die Protagonisten sie scheinbar
bereits endgültig erledigt haben. Nur daß besagte Slasher-Bösewichte á la Jason
Voorhees oder Michael Myers dabei nicht die ganze Zeit rumjammern und würdelos
durch den Staub kriechen. Nein, eine Verherrlichung von Gewalt und Gangstern
kann man "Free Fire" bei aller Bleihaltigkeit kaum vorwerfen, denn dafür
kommen sämtliche Beteiligten einfach zu schlecht weg. Das aber wirft
natürlich das Problem auf, daß echte Sympathieträger und damit
Identifikationsfiguren für das Publikum fehlen. Zwar ist es eine beachtliche
Leistung, daß man die zahlreichen Beteiligten binnen weniger Minuten
auseinanderhalten kann und auch ihr durchaus komplexes Beziehungsgeflecht
untereinander durchschaut; wirklich mitfiebern will man aber mit niemandem.
Am normalsten wirken noch die Rollen von Brie Larson,
Cillian Murphy und Armie Hammer, die angesichts der Bekanntheit ihrer Darsteller
wenig überraschend so deutlich als Hauptfiguren etabliert werden, daß man mit
sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, daß sie überleben respektive
am längsten überleben werden. Das nimmt der Geschichte zusätzlich Spannung, die ja
schon darunter leidet, daß einem die Charaktere ziemlich egal sind. Mehr als
überzeichnete Stereotype sind die abseits des zentralen Trios sowieso nicht und
der Hauch von Hintergrundgeschichte, den Wheatley ihnen gönnt (und der
hauptsachlich als Erklärung für die Eskalation der Ereignisse fungiert),
ändert daran nicht viel. Was dafür sehr gut funktioniert, ist die Etablierung
einer rauhen 1970er Jahre-Atmosphäre, die an Filmklassiker jener Zeit wie
"French Connection", "Dirty Harry" oder den erwähnten "Assault" erinnert. Diese Ära wird nicht einfach nur behauptet, man nimmt sie dem Film und den
Figuren ab, weil Ausstattung und Kostümabteilung einen guten Job gemacht haben
und Wheatley auch bei den Dialogen auf Zeitkolorit achtet. Dennoch machen
die Dialoge einen recht deutlichen qualitativen Unterschied zu Tarantinos Werken aus: Keine Frage, einige Oneliner und Dialoge sind clever und es gibt
auch immer wieder etwas zu lachen, ebenso gibt es aber etliche Rohrkrepierer und peinliche Sprüche und Schimpftiraden. Der für Ben Wheatley typische schwarze Humor scheint jedoch immer wieder durch, wenn etwa Chris und Justine, beide verwundet, während
der Kämpfe ein Date für den Fall ihres Überlebens klarmachen. Obwohl "Free
Fire" ziemlich kurz geraten ist, wird die Dauer-Schießerei früher oder
später beinahe zwangsläufig ein wenig monoton – daran könnten die besten Kampfchoreographien
nichts ändern, zumal das Lagerhaus als alleiniger Schauplatz auch nicht gerade
für Abwechslung sorgt (obgleich Wheatley die Möglichkeiten des Gebäudes voll
ausnutzt). Wheatley ist das offensichtlich bewußt und er steuert im finalen Akt
mit einigen deutlich kreativeren Nahkampf-Tötungen gegen, aber das kommt etwas
spät und erreicht niemals das Niveau der "John Wick"-Reihe.
So bleibt es dabei, daß "Free Fire" aus einer extremen High
Concept-Prämisse (eine Story, die sich in einem Satz zusammenfassen
läßt) viel herausholt und damit bei Anhängern des Genres für Freude sorgt,
letztlich aber doch nur knapp über Mittelmaß hinauskommt. Interessenten würde
ich da eher zum oben erwähnten japanischen Genremix "First Love"
raten.
Fazit: "Free Fire" ist eine 90-minütige
tarantinoeske Dauer-Ballerei, die mit grimmiger 1970er Jahre-Atmosphäre,
schwarzem Humor und einer guten Besetzung punktet, aber den Mangel an Handlung
und die oberflächlichen Charaktere auf Dauer nicht überdecken kann.
Wertung: 6,5 Punkte.
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