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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 4. Juni 2020

FIRST LOVE (2019)

Originaltitel: Hatsukoi
Regie: Takashi Miike, Drehbuch: Masa Nakamura, Musik: Kōji Endō
Darsteller: Masataka Kubota, Sakurako Konishi, Shōta Sometani, Nao Ōmori, Becky, Takahiro Miura, Seiyō Uchino, Mami Fujioka, Yen Cheng-kuo, Duan Chun-hao, Masayuki Deai, Sansei Shiomi, Jun Murakami, Bengal, Maimi Yajima
First Love
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 98% (7,5); weltweites Einspielergebnis: $5,8 Mio.
FSK: 18, Dauer: 108 Minuten.
Leo (Masataka Kubota, "13 Assassins"), der als Säugling ausgesetzt wurde und daher keine Familie hat, arbeitet in einem chinesischen Restaurant und ist ein aufstrebender Boxer – bis er während eines von ihm klar dominierten Kampfes zusammenbricht und vom Arzt die Diagnose "tödlicher Hirntumor" erhält. Die in etwa gleichaltrige Yuri (Sakurako Konishi) wurde von ihrem drogensüchtigen und übergriffigen Vater an den Yakuza Yasu (Takahiro Miura, "The Unforgiven") und seine Freundin Julie (Becky) verkauft, für die sie unter dem Pseudonym Monica anschaffen muß. Die Wege dieser beiden verlorenen Seele kreuzen sich zufällig, als der ebenso ehrgeizige wie skrupellose junge Yakuza Kase (Shōta Sometani, "Parasyte") mit dem korrupten Polizisten Ōtomo (Nao Ōmori, "Ichi the Killer") Yasu eine Drogenlieferung klauen und den Diebstahl Yuri anhängen wollen. Durch Leos beherztes Eingreifen kann Yuri flüchten und da Leo angesichts seiner Diagnose nichts mehr zu verlieren hat, beschließt er, das Mädchen zu beschützen. Und das ist auch bitter nötig, denn die unvorhergesehene Wendung veranlaßt nicht nur die direkt Beteiligten zur Jagd auf Yuri, sondern zusätzlich die gesamte örtliche Yakuza-Organisation und eine verfeindete chinesische Bande …

Kritik:
Japans notorischer Vielfilmer Takashi Miike – auf dessen Konto bereits über 100 Filme gehen – baut sein Œuvre konsequent weiter aus, wobei er sich seit 2008 auf ein bis drei Produktionen pro Jahr bezähmt (Miikes Rekordjahr war 2002 mit sage und schreibe sieben veröffentlichten Filmen zuzüglich einer Episode zu einer Anthologie!). Ob diese vergleichsweise Zurückhaltung der durchschnittlichen Qualität seiner Werke zuträglich ist, kann ich nicht wirklich beurteilen, da leider noch immer viele davon nicht so leicht oder schnell den Weg in den Westen finden. Fakt ist: "First Love" ist nach "Blade of the Immortal" Miikes zweiter Film hintereinander, der mir richtig gut gefallen hat. Die abgefahrene, bei den Filmfestspielen von Cannes vorgestellte Mischung aus Actionkomödie, Thriller-Verwirrspiel und Romanze basiert auf einem Drehbuch von Masa Nakamura, der zum zwölften Mal mit Miike zusammenarbeitet – daraus gingen mit der Spaghetti-Western-Hommage "Sukiyaki Western Django" und der Tragikomödie "The Bird People in China" zwei von Miikes bekanntesten Filmen hervor. Zuletzt machten die beiden eine längere Pause, vor "First Love" hatten sie letztmals 2011 kooperiert. Schön, daß sie wieder zueinandergefunden haben, denn der deutlich von den frühen Werken Tarantinos (der übrigens einen Kurzauftritt in "Sukiyaki Western Django" hatte) inspirierte "First Love" ist vor allem für Anhänger zünftiger Action mit einem Schuß schwarzen Humors ein großer Spaß.
Anfangs macht es "First Love" dem Publikum allerdings gar nicht so leicht – innerhalb kurzer Zeit machen wir die Bekanntschaft von etwa einem Dutzend Personen, die in der Handlung eine größere Rolle spielen. Dabei beschränkt sich Miike zunächst meist auf eine kurze, nicht allzu aussagekräftige Szene pro Figur, weshalb es eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe ist, sie alle auseinanderhalten zu können. Und um ehrlich zu sein: Bei einigen Randfiguren gelang mir das bis zum Schluß nicht wirklich, was aber halb so schlimm ist, da die zweite Filmhälfte sich als ein extrem langer Showdown entpuppt, bei dem mehr oder weniger jeder gegen jeden kämpft. Natürlich entwickelt man so als Zuschauer wenig bis gar keine Bindung zu diesen überwiegend stereotypen Charakteren, über deren Persönlichkeit oder Vergangenheit wir bestenfalls in ein paar Halbsätzen rudimentäre Schnipsel erfahren, erstaunlicherweise stört dies das Vergnügen, das man als Genrefan mit "First Love" hat, aber kaum. Die einzigen Figuren, die echtes Profil entwickeln dürfen, sind Leo und die manchmal von Halluzinationen ihres nur in eine Unterhose gekleideten Vaters geplagte Yuri. Was wir über sie erfahren, reicht aus, um mit diesen beiden sympathischen Außenseitern, denen das Leben so übel mitgespielt hat, mitzuzittern – auch wenn sie gar nicht so stark im Zentrum der Geschichte stehen wie man es vermuten würde und ihre zarte Liebesgeschichte eher angedeutet als ausgespielt wird. Doch Masataka Kubota und Sakurako Konishi (in ihrem Kinodebüt) kommen in ihren wehmütig-verschlossen ausgespielten Rollen angenehm rüber und harmonieren ordentlich miteinander, weshalb man sie auch ohne große Worte schnell ins Herz schließt – zumal sich Sympathieträger unter den übrigen Figuren sowieso kaum finden lassen.
Hinsichtlich der Story geben sich Miike und Nakamura zumindest in der ersten Hälfte deutlich mehr Mühe als bei der Figurenzeichnung. Allzu originell ist der Machtkampf zwischen Yakuza und Chinesen, den ein junger Ehrgeizling für seinen eigenen Coup ausnutzen will, zwar nicht, doch er erfüllt seinen Zweck und ist mit ausreichend einigermaßen glaubwürdigen Wendungen (sowie ein paar aberwitzigen Einfällen) ausgestattet, daß er durchgehend unterhält. Als hilfreich erweisen sich vor allem Kase und Julie, die für die nötige Portion Irrsinn sorgen. Ein echter Scenestealer ist Shota Sometani ist als illoyaler Drahtzieher Kase, dessen Fähigkeiten zu seinem Pech bei weitem nicht mit seinen großen Ideen mithalten können und der deshalb zu seinem Verdruß eine Leiche nach der anderen hinter sich zurückläßt – wobei sich der Verdruß wohlgemerkt auf die Unannehmlichkeiten (z.B. bei der Leichenentsorgung) bezieht, mit dem Töten selbst hat er keine Probleme, erledigt das mit beiläufiger Grausamkeit. Sometani gelingt das Kunststück, diese eigentlich maximal antagonistische Figur so nonchalant und sogar ein wenig charmant auszugestalten, daß man hofft, er muß nicht zu früh ins Gras beißen … ganz wie bei guten Tarantino-Fieslingen. Und die von der bekannten japanischen Entertainerin Becky mit leidenschaftlichem Overacting verkörperte Julie sorgt mit ihrem wahnwitzigen Rachefeldzug für etliche Glanzmomente schwarzen Humors.
In der zweiten Hälfte wird die Handlung weitgehend zur Makulatur, aber dafür gibt es einen sehr langen und blutigen nächtlichen Showdown in einem geschlossenen Supermarkt. Hier nehmen die Tarantino-Parallelen stark zu, denn die ganze Inszenierung mit absurd überzogenen, schnell geschnittenen und ebenso abwechslungsreichen wie schwarzhumorigen Kämpfen in den engen Supermarkt-Gängen erinnert bis hin zur musikalischen Untermalung an "Reservoir Dogs" oder "Pulp Fiction". Wie gesagt, die Figuren und ihr Beziehungsgeflecht untereinander sind dabei nicht ganz einfach auseinanderzuhalten, aber dank hervorstechender Merkmale – der Typ mit dem Taser, die Schwertkämpferin, der korrupte Bulle, der Einarmige mit der Pumpgun (!) – funktioniert das gut genug. Glorifizierung oder Verharmlosung von Kriminellen kann man "First Love" übrigens nicht vorwerfen. Zwar gibt es im stylishen, auch mit ein paar Splattereinlagen aufwartenden Finale schon ein paar coole tarantinoeske Auftritte (erwähnte ich den Einarmigen mit der Pumpgun?) und ein paar der Gangster dürfen sogar Mitgefühl mit Leo und Yuri zeigen, aber im Allgemeinen werden die Kriminellen als Verräter, Sadisten und Dilettanten dargestellt. Am Unterhaltungsgrad des trotz seiner Länge niemals langweilenden Showdowns ändert das nichts und wenngleich die Kampfchoreographie nicht außergewöhnlich ist, kompensiert Miike das mit ausgeprägtem Abwechslungsreichtum, hohem Tempo und einer herrlich überdrehten Auflösung mitsamt "Blues Brothers"-Anspielung.

Fazit: Takashi Miikes "First Love" ist eine tarantinoeske, anarchische Actionfarce mit dünnem Plot und magerer Figurenzeichnung, der sich allerdings mit zahlreichen Wendungen, schrägen Charakteren und überdrehter Action als herrlicher Partyfilm entpuppt.

Wertung: Knapp 8 Punkte. 


"First Love" ist am 5. Mai 2020 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray erschienen. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.


Screenshots: © EuroVideo Medien

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