Originaltitel: Extraction
Regie: Sam Hargrave, Drehbuch: Joe Russo, Musik: Henry
Jackman und Alex Belcher
Darsteller: Chris Hemsworth, Rudhraksh Jaiswal, Randeep
Hooda, Priyanshu Painyuli, Shivam Vichare,
Golshifteh Farahani, David Harbour, Pankaj Tripathi, Suraj Rikame, Shataf Figar, Adam Bessa, Sam Hargrave
Rotten Tomatoes 67% (6,2); FSK: 18, Dauer: 117 Minuten.
Als Ovi (Rudhraksh Jaiswal), der Sohn des im Gefängnis
sitzenden indischen Gangsterbosses Ovi Mahajan (Pankaj Tripathi,
"Gangs of Wasseypur"), von dessen Widerpart in Bangladesch, Amir Asif
(Priyanshu Painyuli), entführt wird, soll der desillusionierte australische
Söldner Tyler Rake (Chris Hemsworth, "Im Herzen der See") ihn mit
seinem Team gegen eine hohe Zahlung befreien und zurück nach Hause bringen. Der
erste Teil dieser Mission gelingt vergleichsweise reibungslos, doch der Versuch,
aus der 9-Millionen-Metropole Dhaka zu fliehen, gestaltet sich angesichts einer sich
unerwartet einschaltenden dritten Partei deutlich schwieriger als gedacht. So
müssen sich Tyler und Rake auf der wilden Hatz durch die engen Straßen Dhakas sowohl gegen Asifs Schergen mitsamt korrupter Polizisten und Soldaten
verteidigen als auch gegen den früheren indischen Elitesoldaten Saju (Randeep
Hooda, "Monsoon Wedding"). Unterdessen sucht Tylers Partnerin Nik
(Golshifteh Farahani, "Pirates of the Caribbean: Salazars Rache")
fieberhaft nach einer Möglichkeit, den Söldner und seinen jungen Schützling wohlbehalten – oder
zumindest lebendig – aus der Schußlinie zu bringen …
Kritik:
Während Actionfilme im Kino – abseits der erfolgreichen
"John Wick"-Reihe – immer seltener zu sehen sind, da sich die
Zuschauer verstärkt auf die teuren Großproduktionen konzentrieren, setzt
Streaming-Pionier Netflix schon seit Jahren auf das Genre. Zumindest bei den
Kritikern hielt sich der Erfolg der Bemühungen bisher jedoch in engen Grenzen,
denn Filme wie Michael Bays "6 Underground", "Triple
Frontier", "Polar", die Actionkomödie "Spenser
Confidential" oder das Fantasy-Actionspektakel "Bright"
erhielten bestenfalls mittelmäßige Rezensionen (weshalb ich außer "Bright"
auch keinen davon gesehen habe). "Tyler Rake: Extraction"
schneidet etwas besser ab, was angesichts der beteiligten Personen nicht
wirklich überrascht. Denn wenngleich die Regie dem Debütanten Sam Hargrave
überlassen wurde, stellt "Tyler Rake: Extraction" eine
Wiedervereinigung zweier Schlüsselfiguren des Marvel Cinematic Universe dar:
Als Drehbuch-Autor und Produzent fungiert nämlich Joe Russo, der mit seinem
Bruder Anthony für vier der wichtigsten MCU-Werke (darunter der Doppelpack "Avengers: Infinity War" und "Avengers: Endgame") verantwortlich zeichnete,
während Chris "Thor" Hemsworth die Hauptrolle spielt – und auch
Hargrave hat eine Marvel-Vergangenheit, denn er war bei zahlreichen MCU-Werken
als Stuntman respektive Stunt-Koordinator tätig sowie gelegentlich als
Regisseur der Second Unit. Ein eingespieltes Team also, was man
"Tyler Rake: Extraction" zum Glück ansieht – als Actionfeuerwerk
funktioniert der Film einwandfrei, wenn er auch inhaltlich einiges
vermissen läßt.
Die Erwartungen, die Actionfans an Werke aus ihrem
Lieblingsgenre haben, sind keineswegs homogen. Während es den einen nur um
rasante und möglichst handgemachte Nonstop-Action geht, erwarten andere sehr wohl
zusätzlich eine interessante Story und lebensechte Figuren – und natürlich gibt
es ebenso Anhänger hemmungslos übertriebener CGI-Spektakel á la Michael Bay.
Freunde des storybasierten Actionfilms werden sich mit "Extraction"
eventuell schwertun, denn die auf einer von den Russo-Brüdern 2014 gemeinsam mit Ande Parks veröffentlichten Graphic Novel basierende Handlung (die
aber von Paraguay nach Bangladesch verlegt wurde und in der aus dem
weiblichen Entführungsopfer der Junge Ovi wird) ist so dünn, daß man sie nur
mit viel Wohlwollen noch als "zweckmäßig" beschreiben kann. Das ist
für einen Actionfilm zwar nicht außergewöhnlich, denn bekanntlich dient die
Handlung in diesem Genre recht häufig nur als Vorwand für die Aneinanderreihung
krachender Acionsequenzen – trotzdem hätte man sich in dieser Hinsicht ruhig
etwas mehr anstrengen können. Nicht viel besser sieht es bei den Charakteren
aus: Von Tyler erfahren wir nur ein prägendes Ereignis seiner Vergangenheit
(das zudem ziemlich klischeehaft ist), von den anderen eigentlich gar nichts.
Dabei gibt es durchaus interessante Ansatzpunkte wie eine kleine Storyline um den
von dem insgesamt recht blaß bleibenden Bösewicht Asif unter die Fittiche genommenen
Jugendlichen Farhad (Suraj Rikame) oder den indischen Elitekämpfer Saju (dessen
genaue Funktion ich nicht verrate, obgleich sie für die meisten
Zuschauer früh durchschaubar sein dürfte), aus denen man mehr hätte machen
können. Doch werden sie dermaßen stiefmütterlich und kurz abgehandelt, daß sie nicht
über eine Alibi-Funktion hinauskommen.
Ein Stück weit können diese Defizite die Schauspieler
ausgleichen, speziell Chris Hemsworth gibt den
hartgesottenen Söldner mit dem weichen Herz auch ohne viele Worte und mit
einer klischeehaften Hintergrundgeschichte gewohnt charismatisch, zumal sich zwischen
ihm und dem jungen Ovi-Darsteller Rudhraksh Jaiswal eine gute Chemie entwickelt. Randeep Hooda macht als kampfstarker Saju ebenfalls eine gute Figur, während David
Harbour ("Zeiten des Aufruhrs") als Tylers Ex-Kollege Gaspar und
Golshifteh Farahani als Tylers aktuelle Partnerin Nik zumindest knackige Kurzauftritte
haben. Bemerkenswert ist die extrem düstere Stimmung, die "Extraction" von Anfang bis Ende durchzieht und ein Happy End fast
unmöglich erscheinen läßt. Dhaka erscheint als von Gangstern und korrupten
Polizisten beherrschter Sündenpfuhl, in dem Hoffnung ein Fremdwort ist (was bei Zuschauern aus Bangladesch
übrigens gar nicht gut ankam und zu vielen einzig darauf zurückzuführenden
1er-Bewertungen bei der IMDb geführt hat, die den Durchschnittswert aktuell um
ein paar Zehntel drücken dürften). Die
bedrückende Atmosphäre, die gut zu Tylers emotionalem Zustand paßt, ist
überzeugend umgesetzt, würde aber natürlich noch besser funktionieren, gäbe es
dank ausgefeilterer Charaktere eine größere emotionale Fallhöhe. Bei allen
Schwächen, die "Tyler Rake: Extraction" aufweist, gibt es über einen
nicht ganz unwesentlichen Punkt jedoch nur wenig zu klagen: die an
Genrekollegen wie "The Raid" oder "Dredd" erinnernde
Action. Speziell bei einer fast viertelstündigen Sequenz in der ersten
Filmhälfte, in der Tyler und Ovi nach der gescheiterten Extraktion auf der
Flucht vor ihren zahlreichen Häschern sind, begeistert mit einer ausgefeilten
Choreographie, die fließend von Verfolgungsjagd zu Schießereien und
knüppelharten Nahkämpfen in engen Gassen sowie Häusern übergeht und beinahe an einen
Tanz erinnert. Dieser Eindruck wird von einer ständig in Bewegung bleibenden
Kamera, einem weitgehenden Verzicht auf (sichtbare) Schnitte und dem wenig
originellen, aber zupackenden Action-Score von Henry Jackman ("Captain America 3") und Alex Belcher ("21 Bridges") noch unterstrichen.
An dieses frühe Highlight kann der Film später nicht mehr ganz anknüpfen,
aber die Action – wenn sie auch nur bedingt glaubwürdig wirkt – bleibt bis zum
Schluß ein großer Pluspunkt von "Extraction". Von Actionfilmen dieser Machart darf Netflix in Zukunft gerne mehr bieten (dann gerne mit größerem Augenmerk auf Story und Figuren).
Fazit: "Tyler Rake: Extraction" ist ein
geradlinig inszenierter Actionfilm mit extrem dünner Story und schablonenhaften
Figuren, der jedoch dank eines charismatischen Hauptdarstellers Chris Hemsworth
und phasenweise begeisternder Actionsequenzen das Herz vieler Genrefans höher
schlagen läßt.
Wertung: 7,5 Punkte.
Nachtrag vom 19. Juni 2023: Nach Zweitsichtung erhöhe ich die Wertung von 7 auf 7,5 Punkte.
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