Originaltitel:
Mary Poppins Returns
Regie: Rob Marshall, Drehbuch: David Magee, Musik: Marc
Shaiman
Darsteller: Emily Blunt, Lin-Manuel Miranda, Ben Whishaw,
Emily Mortimer, Julie Walters, Joel Dawson, Pixie Davis, Nathanael Saleh, Colin
Firth, Meryl Streep, David Warner, Jim Norton, Chris O'Dowd (Stimme), Mark Addy
(Stimme), Edward Hibbert (Stimme), Dick Van Dyke, Angela Lansbury
FSK: 0, Dauer: 131 Minuten.
London in den frühen 1930er Jahren: Michael (Ben Whishaw,
"Skyfall") und Jane Banks (Emily Mortimer, "Hugo Cabret")
sind inzwischen erwachsen, Michael hat gar drei kleine Kinder. Deren Mutter
ist aber im vergangenen Jahr verstorben und seitdem plagt sich Michael ab, um
die Familie über Wasser zu halten. So nahm der eigentliche Künstler einen
Kassiererjob in jener Bank an, in der bereits sein Vater gearbeitet hatte, da
während der Weltwirtschaftskrise die Menschen nur wenig Geld für Kunst ausgeben.
Und Michaels Schwester Jane, eine engagierte Gewerkschafterin, hilft ihm
gemeinsam mit der Haushälterin Ellen (Julie Walters,
"Paddington") bei der Betreuung der Kinder. Dann droht
ausgerechnet die Bank, bei der Michael arbeitet, ihm das Haus wegzunehmen, weil
er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr pünktlich die Hypothek bedient hatte –
nur noch bis Ende der Woche erhält Michael eine Gnadenfrist von dem neuen
Bankdirektor William Wilkins (Colin Firth, "A Single Man"). Zum Glück
fällt Michael und Jane noch rechtzeitig ein, daß ihr Vater einst
Anteilsscheine der Bank erwarb – doch dummerweise können sie diese nicht
finden. In all das Chaos und die Sorgen platzt unerwartet Mary Poppins (Emily
Blunt, "A Quiet Place") herein, Michaels und Janes früheres
Kindermädchen, das zu ihrem Erstaunen überhaupt nicht gealtert ist. Haben sie sich
die magischen Kindheitsabenteuer am Ende doch nicht nur eingebildet? Nun
kümmert sich jedenfalls Mary Poppins um die Kinder, während Michael und Jane versuchen,
das Haus zu retten …
Kritik:
Einen Rekord hat Disneys "Mary Poppins' Rückkehr"
schon vor dem Start aufgestellt: Nie zuvor verging mehr Zeit zwischen einem
Film und seiner offiziellen, direkten Fortsetzung! Ganze 54 Jahre ließ Disney
nach dem gigantischen Erfolg von Robert Stevensons "Mary Poppins"
nach den Kinderbüchern von P. L. Travers verstreichen, ehe man endlich die Zeit
gekommen sah, das globale Publikum erneut mit einem märchenhaften Familienmusical zu
verzaubern. Dabei sind die Fußspuren, die das Original setzte, geradezu
gigantisch: Mit einem auch dank mehrerer erfolgreicher Wiederaufführungen
erzielten Einspielergebnis von mehr als $100 Mio. alleine in Nordamerika bei
Produktionskosten von knapp $5 Mio. ist "Mary Poppins"
bis heute einer der profitablesten Filme aller Zeiten, der zudem sagenhafte 13
OSCAR-Nominierungen einheimste (nur "Alles über Eva",
"Titanic" und "La La Land" konnten diese Marke mit je 14
Nominierungen übertreffen), von denen er fünf gewann. Ganz zu schweigen davon,
daß "Mary Poppins" einfach ein unsterblicher Klassiker ist, der mit seiner
Mixtur aus Real- und Zeichentrickfilm geradezu beispielhaft für Disneys größte
Erfolge steht und ein halbes Jahrhundert später kaum etwas von seinem
zeitlosen Charme und Humor eingebüßt hat. Vielleicht hat man sich ja auch
deshalb so lange nicht an eine Fortsetzung gewagt (die angesichts der Tatsache,
daß P. L. Travers eine ganze Buchreihe über das zauberhafte Kindermädchen schrieb,
inhaltlich problemlos möglich gewesen wäre), weil man befürchtete, nur scheitern zu
können? 54 Jahre später betraute man endlich jemanden mit besagter
Fortsetzung, und zwar den muscialerfahrenen Regisseur Rob Marshall
("Chicago", "Into the Woods") und den ebenfalls
renommierten Drehbuch-Autor David Magee ("Life of Pi", "Wenn
Träume fliegen lernen"). Und das immerhin noch für vier OSCARs (in Nebenkategorien) nominierte Resultat … fällt leider ernüchternd
mittelmäßig aus.
Gerne wird ja – auch und gerade in der Kunst – behauptet,
etwas sei im Endresultat mehr als die Summe seiner Teile. Und hin und wieder
trifft das sicher zu. "Mary Poppins' Rückkehr" gelingt hingegen das
nicht wirklich nachahmenswerte Kunststück, als Ganzes weniger als die Summe
seiner Teile zu sein. Zerlegt man Marshalls gut zweistündigen Film in seine
einzelnen Elemente, dann gibt es auf den ersten Blick viel zu Loben.
Die visuelle Umsetzung etwa ist (mit ganz wenigen Aussetzern) sehr gelungen,
sowohl was die Wiedererweckung des London der 1930er Jahre betrifft als auch
den Ausflug in die animierte Welt einer Porzellanschale, in die Mary
die Kinder zwischenzeitlich bringt. Vielleicht sogar noch besser ist die
Besetzung, die drei talentierte Kinderdarsteller kombiniert mit den Charaktermimen Ben Whishaw und Emily Mortimer, die den erwachsenen "Mary
Poppins"-Kinder ein ungemein sympathisches Gesicht verleihen, sowie
einer ganzen Riege hochkarätiger Nebendarsteller wie Meryl Streep (als Marys chaotische Cousine Topsy), Colin Firth, Lin-Manuel Miranda (als
fröhlicher Laternenanzünder und Ex-Mary Poppins-Schützling Jack), Julie Walters
oder David Warner (als "Der Admiral", der kauzige Nachbar der
Banks-Familie). Dazu kommen die Altstars Dick Van Dyke – der als einziger
Darsteller des Originals zurückkehrt (wenn auch in einer anderen Rolle) – und
Angela Lansbury (die 93-Jährige spielt die Rolle einer Ballonverkäuferin) sowie
selbstverständlich die neue Mary: Emily Blunt muß sich kein Stück hinter ihrer legendären Vorgängerin Julie Andrews verstecken (die übrigens einen
Gastauftritt dankend ablehnte, weil sie nicht von Blunt ablenken wollte), sie
spielt das außergewöhnliche Kindermädchen mit großem Charme und Witz sowie
einem Anflug liebevoller Strenge.
Wenn also Optik und Besetzung nahezu makellos sind, wo liegt
das Problem? Ganz einfach: beim Drehbuch und bei der Musik. Eine mediokre
musikalische Untermalung wäre ja in vielen Filmen kein entscheidender Mangel,
bei einem Musical hingegen ist sie logischerweise nicht ganz so unproblematisch.
Dabei anerkenne ich gerne das hörbare Bemühen von Marc Shaiman (dem mit dem
90-jährigen Richard Sherman gar einer der beiden "Mary Poppins"-Komponisten
beratend zur Seite stand), die Lieder bewußt altmodisch und im gleichen Stil
wie vor 54 Jahren zu gestalten, was grundsätzlich gut gelingt.
Bedauerlicherweise sind die Songs aber zwar recht charmant und teilweise schön choreographiert, jedoch fehlt zumeist die letzte Leidenschaft – ganz zu
schweigen von Ohrwurm-Qualitäten wie sie
"Supercalifragilisticexpialidocious" (in der deutschen
Synchronfassung: "Supercalifragilisticexpialigetisch"), "A
Spoonful of Sugar" ("Wenn ein Löffelchen voll Zucker") oder
auch "Let's Go Fly a Kite" ("Für zwei Pennies Papier schon
genügt") im Original hatten. Am besten gefallen mir in der Fortsetzung das turbulente
"Turning Turtle" ("Kopfunter") und der finale Song
"Nowhere to Go But Up" ("Und schon geht die Reise los"),
der Rest schwankt für meinen Geschmack zwischen gefällig und belanglos,
auch die beiden OSCAR-Anwärter "Trip a Little Light Fantastic" /
"Tanz und dann geht dir ein Licht auf" (immerhin kurzweilig und mit
einer aufwendigen Massen-Choreographie) und besonders "The Place Where
Lost Things Go" / "Das, was ihr vermißt" (eine etwas schnarchige
Ballade) ließen mich ziemlich kalt. Angesichts dessen ist es naturgemäß
nicht ideal, daß die Musik gefühlt sogar mehr Raum einnimmt als in
"Mary Poppins" – wobei ich gerne die Möglichkeit einräume, daß dies
ein Irrtum ist und es mir nur so vorkam, weil sich langweilige Lieder nunmal
deutlich länger anfühlen als kurzweilige … Jedenfalls wirkt es wegen
der generell einfallslosen Handlung deutlich mehr als in "Mary
Poppins" so, als hangle sich der Film von Song zu Song. Bei einem Musical
nicht weiter problematisch, würden die Songs mitreißen – da das aber eben nur
sehr selten der Fall ist, sorgen sie auf Dauer eher für Langeweile. Und wenn
Jack vor einem Lied sogar noch meint, das wäre jetzt aber wirklich zu lang,
sich dann aber umstimmen läßt, es doch vorzutragen, fühlt man sich als
Zuschauer beinahe veralbert. Auch nicht hilfreich ist es in meinen Augen, daß
in der deutschen Synchronfassung alle Lieder eingedeutscht wurden; in Anbetracht des anvisierten Familienpublikums ist das sicher nachvollziehbar und die Texte
sind (soweit sich das nach einmaligem Hören beurteilen läßt) okay. Dennoch
finde ich persönlich Musical-Eindeutschungen fast immer ärgerlich – und das
hier um so mehr, als Disney wieder in das alte, lange überholt gehoffte Muster
verfällt, bei einigen wichtigen Rollen (Mary, Jane, Ellen, Topsy) unterschiedliche Sprech- und Gesangsstimmen zu verwenden! Das fällt einfach auf und
stört das Gesamtbild, zudem wirken die Gesangsaufnahmen wegen des
auffällig makellosen Vortrags durch die professionellen Sänger recht steril.
Wenn also die Musik nur bedingt überzeugt und keinesfalls
begeistern kann, reißt vielleicht die Handlung etwas heraus? Wie eben
bereits angedeutet, fällt die Antwort leider eindeutig aus: Nein! Dabei ist der
Auftakt noch recht gelungen, in dem die neue Lebenssituation der Banks-Familie
und das Londoner Leben in der Weltwirtschaftskrise etabliert werden, ironischerweise
geht es aber im Grunde genommen abwärts, sobald Mary Poppins das Bild betritt. Ab
diesem Zeitpunkt geraten Jane und Michael immer stärker in den Hintergrund, da
sich der Film primär auf die Abenteuer von Mary, Jack und den Kindern
konzentriert. Wegen der sehr einnehmenden Performances von Ben Whishaw
und Emily Mortimer ist das umso bedauerlicher, allerdings muß man zugeben, daß ihre
Handlungsstränge nicht wirklich viel hergeben. Der Kampf um das Haus und die
Suche nach den Anteilsscheinen an der Bank klingen als Aufhänger gar nicht übel, sind in der Umsetzung aber denkbar langweilig und vorhersehbar. Zumindest
bekommt Ben Whishaw ein paar starke Szenen, in denen er seiner Trauer über den Tod
seiner Ehefrau Ausdruck verleiht. Diese aus dem Vorgänger kaum gekannte
melancholische Note tut "Mary Poppins' Rückkehr" sehr gut, aber das
sind nur kurze Szenen, die hinter der Bank-Storyline deutlich zurückstehen
müssen – in der Colin Firth als klischeehafter fieser Banker übrigens sträflich
unterfordert ist. Janes Rolle wird derweil durch eine sich anbahnende sachte Romanze mit Jack
etwas aufgewertet, die jedoch den negativen Nebeneffekt hat, daß Jacks
Rolle noch größer ausfällt – dabei nimmt sie ohnehin unerklärlich viel
Raum ein. Offensichtlich wollte man den gefeierten Broadway-Star Miranda ("Hamilton") möglichst stark in die zunehmend zu einer
einfallslosen Kopie des Originals verkommende Handlung einbinden, was
angesichts seines Gesangs- und Tanztalents gar nicht so dumm erscheint.
Allerdings hätte man dann die Figur, die er spielt, besser ausgestalten müssen.
Der chronisch (man könnte auch sagen: nervig) gut gelaunte Laternenanzünder Jack
wird dem Publikum aber regelrecht aufgedrängt und daß er immer, wenn auch nur
die entfernte Möglichkeit besteht, er könnte gebraucht werden, sofort aus dem
Nichts auftaucht, läßt ihn fast schon wie einen Stalker wirken oder wahlweise
wie einen personifizierten Deus ex Machina … Insofern kann man es sicher nicht
allein Miranda anlasten, daß er in einer Rolle, die der von Dick Van Dyke
in "Mary Poppins" entspricht (wo er als Schornsteinfeger Mary Poppins
unter die Arme griff), keineswegs an dessen verschmitzten
Charme heranreicht – den Van Dyke in seinem kurzen, aber gelungenen (und bemerkenswert agilen)
Gastauftritt in der Fortsetzung übrigens noch einmal eindrucksvoll unter Beweis
stellt. Es ist sicher bezeichnend, daß seine und auch Angela Lansburys
Gastrolle zu den sparsam gesetzten Highlights von "Mary Poppins'
Rückkehr" zählen, einer Fortsetzung, die spätestens in der zweiten Hälfte
nur noch versucht, das große Vorbild nachzuahmen anstatt es gekonnt
weiterzuführen – und dabei auch noch kindischer wirkt als das Original. Da der Film an den Kinokassen gut ankommt, ist eine Fortsetzung trotz aller Kritik sicher möglich; der wäre dann aber zu wünschen, daß man Blunt und Co. eine erheblich bessere Story zur Verfügung stellt ...
Fazit: "Mary Poppins' Rückkehr" ist der nur
halbwegs geglückte Versuch, einen der großen Filmklassiker fortzuführen, was
weder der exzellenten visuellen Gestaltung noch dem sehr gut ausgewählten und
spielfreudigen Ensemble anzulasten ist – vielmehr sind es die mittelmäßigen Songs und ein nach
ordentlichem Auftakt immer einfallsloser werdendes Drehbuch, die diese
Fortsetzung weit hinter der Qualität des Originals zurückstehen lassen.
Wertung: Knapp 6 Punkte.
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