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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 3. Januar 2019

MARY POPPINS' RÜCKKEHR (2018)

Originaltitel: Mary Poppins Returns
Regie: Rob Marshall, Drehbuch: David Magee, Musik: Marc Shaiman
Darsteller: Emily Blunt, Lin-Manuel Miranda, Ben Whishaw, Emily Mortimer, Julie Walters, Joel Dawson, Pixie Davis, Nathanael Saleh, Colin Firth, Meryl Streep, David Warner, Jim Norton, Chris O'Dowd (Stimme), Mark Addy (Stimme), Edward Hibbert (Stimme), Dick Van Dyke, Angela Lansbury
 Mary Poppins' Rückkehr
(2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 79% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $349,5 Mio.
FSK: 0, Dauer: 131 Minuten.

London in den frühen 1930er Jahren: Michael (Ben Whishaw, "Skyfall") und Jane Banks (Emily Mortimer, "Hugo Cabret") sind inzwischen erwachsen, Michael hat gar drei kleine Kinder. Deren Mutter ist aber im vergangenen Jahr verstorben und seitdem plagt sich Michael ab, um die Familie über Wasser zu halten. So nahm der eigentliche Künstler einen Kassiererjob in jener Bank an, in der bereits sein Vater gearbeitet hatte, da während der Weltwirtschaftskrise die Menschen nur wenig Geld für Kunst ausgeben. Und Michaels Schwester Jane, eine engagierte Gewerkschafterin, hilft ihm gemeinsam mit der Haushälterin Ellen (Julie Walters, "Paddington") bei der Betreuung der Kinder. Dann droht ausgerechnet die Bank, bei der Michael arbeitet, ihm das Haus wegzunehmen, weil er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr pünktlich die Hypothek bedient hatte – nur noch bis Ende der Woche erhält Michael eine Gnadenfrist von dem neuen Bankdirektor William Wilkins (Colin Firth, "A Single Man"). Zum Glück fällt Michael und Jane noch rechtzeitig ein, daß ihr Vater einst Anteilsscheine der Bank erwarb – doch dummerweise können sie diese nicht finden. In all das Chaos und die Sorgen platzt unerwartet Mary Poppins (Emily Blunt, "A Quiet Place") herein, Michaels und Janes früheres Kindermädchen, das zu ihrem Erstaunen überhaupt nicht gealtert ist. Haben sie sich die magischen Kindheitsabenteuer am Ende doch nicht nur eingebildet? Nun kümmert sich jedenfalls Mary Poppins um die Kinder, während Michael und Jane versuchen, das Haus zu retten …

Kritik:
Einen Rekord hat Disneys "Mary Poppins' Rückkehr" schon vor dem Start aufgestellt: Nie zuvor verging mehr Zeit zwischen einem Film und seiner offiziellen, direkten Fortsetzung! Ganze 54 Jahre ließ Disney nach dem gigantischen Erfolg von Robert Stevensons "Mary Poppins" nach den Kinderbüchern von P. L. Travers verstreichen, ehe man endlich die Zeit gekommen sah, das globale Publikum erneut mit einem märchenhaften Familienmusical zu verzaubern. Dabei sind die Fußspuren, die das Original setzte, geradezu gigantisch: Mit einem auch dank mehrerer erfolgreicher Wiederaufführungen erzielten Einspielergebnis von mehr als $100 Mio. alleine in Nordamerika bei Produktionskosten von knapp $5 Mio. ist "Mary Poppins" bis heute einer der profitablesten Filme aller Zeiten, der zudem sagenhafte 13 OSCAR-Nominierungen einheimste (nur "Alles über Eva", "Titanic" und "La La Land" konnten diese Marke mit je 14 Nominierungen übertreffen), von denen er fünf gewann. Ganz zu schweigen davon, daß "Mary Poppins" einfach ein unsterblicher Klassiker ist, der mit seiner Mixtur aus Real- und Zeichentrickfilm geradezu beispielhaft für Disneys größte Erfolge steht und ein halbes Jahrhundert später kaum etwas von seinem zeitlosen Charme und Humor eingebüßt hat. Vielleicht hat man sich ja auch deshalb so lange nicht an eine Fortsetzung gewagt (die angesichts der Tatsache, daß P. L. Travers eine ganze Buchreihe über das zauberhafte Kindermädchen schrieb, inhaltlich problemlos möglich gewesen wäre), weil man befürchtete, nur scheitern zu können? 54 Jahre später betraute man endlich jemanden mit besagter Fortsetzung, und zwar den muscialerfahrenen Regisseur Rob Marshall ("Chicago", "Into the Woods") und den ebenfalls renommierten Drehbuch-Autor David Magee ("Life of Pi", "Wenn Träume fliegen lernen"). Und das immerhin noch für vier OSCARs (in Nebenkategorien) nominierte Resultat … fällt leider ernüchternd mittelmäßig aus.

Gerne wird ja – auch und gerade in der Kunst – behauptet, etwas sei im Endresultat mehr als die Summe seiner Teile. Und hin und wieder trifft das sicher zu. "Mary Poppins' Rückkehr" gelingt hingegen das nicht wirklich nachahmenswerte Kunststück, als Ganzes weniger als die Summe seiner Teile zu sein. Zerlegt man Marshalls gut zweistündigen Film in seine einzelnen Elemente, dann gibt es auf den ersten Blick viel zu Loben. Die visuelle Umsetzung etwa ist (mit ganz wenigen Aussetzern) sehr gelungen, sowohl was die Wiedererweckung des London der 1930er Jahre betrifft als auch den Ausflug in die animierte Welt einer Porzellanschale, in die Mary die Kinder zwischenzeitlich bringt. Vielleicht sogar noch besser ist die Besetzung, die drei talentierte Kinderdarsteller kombiniert mit den Charaktermimen Ben Whishaw und Emily Mortimer, die den erwachsenen "Mary Poppins"-Kinder ein ungemein sympathisches Gesicht verleihen, sowie einer ganzen Riege hochkarätiger Nebendarsteller wie Meryl Streep (als Marys chaotische Cousine Topsy), Colin Firth, Lin-Manuel Miranda (als fröhlicher Laternenanzünder und Ex-Mary Poppins-Schützling Jack), Julie Walters oder David Warner (als "Der Admiral", der kauzige Nachbar der Banks-Familie). Dazu kommen die Altstars Dick Van Dyke – der als einziger Darsteller des Originals zurückkehrt (wenn auch in einer anderen Rolle) – und Angela Lansbury (die 93-Jährige spielt die Rolle einer Ballonverkäuferin) sowie selbstverständlich die neue Mary: Emily Blunt muß sich kein Stück hinter ihrer legendären Vorgängerin Julie Andrews verstecken (die übrigens einen Gastauftritt dankend ablehnte, weil sie nicht von Blunt ablenken wollte), sie spielt das außergewöhnliche Kindermädchen mit großem Charme und Witz sowie einem Anflug liebevoller Strenge.

Wenn also Optik und Besetzung nahezu makellos sind, wo liegt das Problem? Ganz einfach: beim Drehbuch und bei der Musik. Eine mediokre musikalische Untermalung wäre ja in vielen Filmen kein entscheidender Mangel, bei einem Musical hingegen ist sie logischerweise nicht ganz so unproblematisch. Dabei anerkenne ich gerne das hörbare Bemühen von Marc Shaiman (dem mit dem 90-jährigen Richard Sherman gar einer der beiden "Mary Poppins"-Komponisten beratend zur Seite stand), die Lieder bewußt altmodisch und im gleichen Stil wie vor 54 Jahren zu gestalten, was grundsätzlich gut gelingt. Bedauerlicherweise sind die Songs aber zwar recht charmant und teilweise schön choreographiert, jedoch fehlt zumeist die letzte Leidenschaft – ganz zu schweigen von Ohrwurm-Qualitäten wie sie "Supercalifragilisticexpialidocious" (in der deutschen Synchronfassung: "Supercalifragilisticexpialigetisch"), "A Spoonful of Sugar" ("Wenn ein Löffelchen voll Zucker") oder auch "Let's Go Fly a Kite" ("Für zwei Pennies Papier schon genügt") im Original hatten. Am besten gefallen mir in der Fortsetzung das turbulente "Turning Turtle" ("Kopfunter") und der finale Song "Nowhere to Go But Up" ("Und schon geht die Reise los"), der Rest schwankt für meinen Geschmack zwischen gefällig und belanglos, auch die beiden OSCAR-Anwärter "Trip a Little Light Fantastic" / "Tanz und dann geht dir ein Licht auf" (immerhin kurzweilig und mit einer aufwendigen Massen-Choreographie) und besonders "The Place Where Lost Things Go" / "Das, was ihr vermißt" (eine etwas schnarchige Ballade) ließen mich ziemlich kalt. Angesichts dessen ist es naturgemäß nicht ideal, daß die Musik gefühlt sogar mehr Raum einnimmt als in "Mary Poppins" – wobei ich gerne die Möglichkeit einräume, daß dies ein Irrtum ist und es mir nur so vorkam, weil sich langweilige Lieder nunmal deutlich länger anfühlen als kurzweilige … Jedenfalls wirkt es wegen der generell einfallslosen Handlung deutlich mehr als in "Mary Poppins" so, als hangle sich der Film von Song zu Song. Bei einem Musical nicht weiter problematisch, würden die Songs mitreißen – da das aber eben nur sehr selten der Fall ist, sorgen sie auf Dauer eher für Langeweile. Und wenn Jack vor einem Lied sogar noch meint, das wäre jetzt aber wirklich zu lang, sich dann aber umstimmen läßt, es doch vorzutragen, fühlt man sich als Zuschauer beinahe veralbert. Auch nicht hilfreich ist es in meinen Augen, daß in der deutschen Synchronfassung alle Lieder eingedeutscht wurden; in Anbetracht des anvisierten Familienpublikums ist das sicher nachvollziehbar und die Texte sind (soweit sich das nach einmaligem Hören beurteilen läßt) okay. Dennoch finde ich persönlich Musical-Eindeutschungen fast immer ärgerlich – und das hier um so mehr, als Disney wieder in das alte, lange überholt gehoffte Muster verfällt, bei einigen wichtigen Rollen (Mary, Jane, Ellen, Topsy) unterschiedliche Sprech- und Gesangsstimmen zu verwenden! Das fällt einfach auf und stört das Gesamtbild, zudem wirken die Gesangsaufnahmen wegen des auffällig makellosen Vortrags durch die professionellen Sänger recht steril.

Wenn also die Musik nur bedingt überzeugt und keinesfalls begeistern kann, reißt vielleicht die Handlung etwas heraus? Wie eben bereits angedeutet, fällt die Antwort leider eindeutig aus: Nein! Dabei ist der Auftakt noch recht gelungen, in dem die neue Lebenssituation der Banks-Familie und das Londoner Leben in der Weltwirtschaftskrise etabliert werden, ironischerweise geht es aber im Grunde genommen abwärts, sobald Mary Poppins das Bild betritt. Ab diesem Zeitpunkt geraten Jane und Michael immer stärker in den Hintergrund, da sich der Film primär auf die Abenteuer von Mary, Jack und den Kindern konzentriert. Wegen der sehr einnehmenden Performances von Ben Whishaw und Emily Mortimer ist das umso bedauerlicher, allerdings muß man zugeben, daß ihre Handlungsstränge nicht wirklich viel hergeben. Der Kampf um das Haus und die Suche nach den Anteilsscheinen an der Bank klingen als Aufhänger gar nicht übel, sind in der Umsetzung aber denkbar langweilig und vorhersehbar. Zumindest bekommt Ben Whishaw ein paar starke Szenen, in denen er seiner Trauer über den Tod seiner Ehefrau Ausdruck verleiht. Diese aus dem Vorgänger kaum gekannte melancholische Note tut "Mary Poppins' Rückkehr" sehr gut, aber das sind nur kurze Szenen, die hinter der Bank-Storyline deutlich zurückstehen müssen – in der Colin Firth als klischeehafter fieser Banker übrigens sträflich unterfordert ist. Janes Rolle wird derweil durch eine sich anbahnende sachte Romanze mit Jack etwas aufgewertet, die jedoch den negativen Nebeneffekt hat, daß Jacks Rolle noch größer ausfällt – dabei nimmt sie ohnehin unerklärlich viel Raum ein. Offensichtlich wollte man den gefeierten Broadway-Star Miranda ("Hamilton") möglichst stark in die zunehmend zu einer einfallslosen Kopie des Originals verkommende Handlung einbinden, was angesichts seines Gesangs- und Tanztalents gar nicht so dumm erscheint. Allerdings hätte man dann die Figur, die er spielt, besser ausgestalten müssen. Der chronisch (man könnte auch sagen: nervig) gut gelaunte Laternenanzünder Jack wird dem Publikum aber regelrecht aufgedrängt und daß er immer, wenn auch nur die entfernte Möglichkeit besteht, er könnte gebraucht werden, sofort aus dem Nichts auftaucht, läßt ihn fast schon wie einen Stalker wirken oder wahlweise wie einen personifizierten Deus ex Machina … Insofern kann man es sicher nicht allein Miranda anlasten, daß er in einer Rolle, die der von Dick Van Dyke in "Mary Poppins" entspricht (wo er als Schornsteinfeger Mary Poppins unter die Arme griff), keineswegs an dessen verschmitzten Charme heranreicht – den Van Dyke in seinem kurzen, aber gelungenen (und bemerkenswert agilen) Gastauftritt in der Fortsetzung übrigens noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellt. Es ist sicher bezeichnend, daß seine und auch Angela Lansburys Gastrolle zu den sparsam gesetzten Highlights von "Mary Poppins' Rückkehr" zählen, einer Fortsetzung, die spätestens in der zweiten Hälfte nur noch versucht, das große Vorbild nachzuahmen anstatt es gekonnt weiterzuführen und dabei auch noch kindischer wirkt als das Original. Da der Film an den Kinokassen gut ankommt, ist eine Fortsetzung trotz aller Kritik sicher möglich; der wäre dann aber zu wünschen, daß man Blunt und Co. eine erheblich bessere Story zur Verfügung stellt ...

Fazit: "Mary Poppins' Rückkehr" ist der nur halbwegs geglückte Versuch, einen der großen Filmklassiker fortzuführen, was weder der exzellenten visuellen Gestaltung noch dem sehr gut ausgewählten und spielfreudigen Ensemble anzulasten ist – vielmehr sind es die mittelmäßigen Songs und ein nach ordentlichem Auftakt immer einfallsloser werdendes Drehbuch, die diese Fortsetzung weit hinter der Qualität des Originals zurückstehen lassen.

Wertung: Knapp 6 Punkte.


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