Regie: Michael Gracey, Drehbuch: Jenny Bicks, Bill
Condon, Musik: John Debney und Joseph Trapanese (Score) sowie Justin Paul und
Benj Pasek (Songs)
Darsteller: Hugh Jackman, Michelle Williams, Zac Efron,
Zendaya, Rebecca Ferguson, Keala Settle, Sam Humphrey, Eric Anderson, Byron
Jennings, Austyn Johnson, Fredric Lehne, Gayle Rankin, Cameron Seely, Paul Sparks, Shuler
Hensley, Yahya Abdul-Mateen II
FSK: 6, Dauer: 105 Minuten.
Um 1820 wächst Phineas Taylor Barnum als
Sohn eines armen, alleinerziehenden Schneiders auf, dem er assistiert. So lernt er
auch die etwa gleichaltrige Charity kennen, als sein Vater bei ihrem
wohlhabenden Vater Mr. Hallett (Fredric Lehne, "Zero Dark Thirty")
Maß nimmt. Phineas, von den meisten nur "P. T." genannt, und Charity
verstehen sich auf Anhieb und sie ignorieren Mr. Halletts Verbot, sich zu
treffen. Jahre später hat der erwachsene P. T. (Hugh Jackman,
"Prisoners") als Mitarbeiter einer Handelsgesellschaft ein
verläßliches Einkommen, das es ihm und Charity (Michelle Williams, "Manchester by the Sea") ermöglicht, zu heiraten. Doch P. T. träumt von Höherem als
einem simplen, monotonen Angestelltenjob – und Charity unterstützt ihn bei
seinen Ambitionen. Also erwirbt P. T. ein altes Museumsgebäude in New York, das er zu einem
Wachsfigurenkabinett umgestaltet – in Europa der neueste Schrei, doch in den
USA lockt das wenige Zuschauer an. Erst ein Hinweis seiner beiden Töchter
bringt P. T. auf die entscheidende Idee: Er heuert "ungewöhnliche"
Menschen an – darunter den kleinwüchsigen Charles (Sam Humphrey), die bärtige
Sängerin Lettie (Keala Settle) und die afroamerikanische Trapezkünstlerin Anne
(Zendaya, "Spider-Man: Homecoming") – und bindet sie in eine grandios
präsentierte und mit vielen Übertreibungen arbeitende Kuriositäten-Show ein. Das Publikum ist gleichermaßen angewidert
wie begeistert, die Show wird ein Sensationserfolg – die gehobene Gesellschaft und
die Kritiker rümpfen jedoch nur die Nase über "Barnum's Circus". Also
heuert P. T. den erfolgreichen, von seiner Arbeit gelangweilten Theaterautor
Phillip Carlyle (Zac Efron, "Bad Neighbors") an, um noch
atemberaubendere Shows zu kreieren …
Kritik:
Die große Zeit der Musicals ist bekanntlich eine Weile her –
während der "Goldenen Ära" im streng hierarchischen Studiosystem
zwischen 1930er und 1960er Jahren zählten Musicals zu den beliebtesten
Genres, speziell nach der Etablierung des farbenfrohen Technicolor-Standards in
den 1950er Jahren lockten Werke wie "Ein Amerikaner in Paris",
"Singin' in the Rain", "West Side Story", "Mary Poppins",
"The Sound of Music" oder "My Fair Lady" mit Stars wie Fred
Astaire, Ginger Rogers, Audrey Hepburn, Gene Kelly oder Judy Garland Zuschauer in Scharen in die Lichtspielhäuser. Bereits damals basierten aber
viele Kino-Musicals auf Theatervorlagen, die am Broadway oder in London Erfolge
feierten – Original-Musicals mit neuen Songs waren klar in der Unterzahl.
Heutzutage kommen selten mehr als ein oder zwei Musicals pro Jahr in die Kinos
und die allermeisten von ihnen sind Adaptionen. Das letzte große
Original-Musical im klassischen Sinne vor "Greatest Showman" war,
abgesehen von einer Ausnahme, tatsächlich Baz Luhrmanns wunderbarer
"Moulin Rouge!" aus dem Jahr 2001 – und selbst dieses OSCAR-prämierte
Meisterwerk, das zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt, greift "nur" auf bekannte (Pop- und Rock-)Songs zurück, wenngleich diese
höchst einfallsreich variiert und an die Story angepaßt wurden.
Anschließend gab es erfolgreiche Bühnenadaptionen wie "Chicago"
(2002), "Sweeney Todd" (2007), "Hairspray" (2007),
"Les Misérables" (2012) oder "Into the Woods" (2014),
moderne, von Popsongs vorangetriebene Werke wie "Mamma Mia!" (2008, ABBA) oder "Across the Universe" (2007, The Beatles) sowie diverse musicallastige Animationsfilme
("Die Eiskönigin", "Coco"). Aber keine Original-Musicals im klassischen Sinne. Erst 2016 folgte mit dem
sechsfach OSCAR-prämierten, betont nostalgisch inszenierten Jazz-Musical "La La Land" oben erwähnte Ausnahme, die mit von Justin Hurwitz komponierten Musikstücken begeisterte. Die Texte dazu steuerten Benj Pasek und Justin Paul
bei – dieses Duo zeichnet nun komplett für die Songs in "Greatest Showman"
verantwortlich, einem Musical, das vor allem mit seiner aufwendigen Aufmachung überzeugt und das Herz am rechten Fleck hat, inhaltlich allerdings einige Schwächen aufweist.
Offensichtlichstes Vorbild des vom australischen
Regiedebütanten Michael Gracey inszenierten "Greatest Showman" ist
stilistisch und inhaltlich "Moulin Rouge!" – beide
spielen in etwa zur gleichen Zeit ("Greatest Showman" um 1850,
"Moulin Rouge!" im Jahr 1900), beide widmen sich dem Künstlermilieu, beide verwenden Songs, die erkennbar nicht in das Setting passen (auch wenn
"Moulin Rouge!" sie, wie erwähnt, so stark verfremdet, daß es
zumindest teilweise gar nicht so sehr auffällt). Wenn man sich ein solches mit
Recht kultiges Vorbild sucht, dann bedeutet das aber natürlich auch, daß man
sich selbst eine sehr, sehr hohe Meßlatte setzt. Und in diesem Fall ist das
eine Meßlatte, die "Greatest Showman" in den meisten Belangen leider
reißt. Dabei sind ausgerechnet die eigens geschriebenen Lieder – deren
Verwendung ja eigentlich lobenswert und mutig ist – ein gewichtiger Teil des
Problems. Denn wo sich "Moulin Rouge!" ein Best of aus mehreren
Jahrzehnten der Rock- und Popmusik zusammensuchen und dann ebenso künstlerisch wie
innovativ und in hohem Maße effektiv verfremden konnte, sind die neuen Popsongs
in "Greatest Showman" zwar allesamt gefällig geraten, ein paar sogar
richtig gut – für echte Begeisterung sorgen sie aber kaum. Das liegt auch
daran, daß sie alle ziemlich ähnlich und auch recht generisch klingen, dabei allesamt
überproduziert sind und zudem noch zu offensichtlich im Studio nachsynchronisiert
– das sorgt dafür, daß die durchaus sehenswert choreographierten und gut
gesungenen Lieder ihre Natürlichkeit verlieren und dem gesamten Film eine Künstlichkeit verleihen, die mit Sicherheit nicht geplant war.
Gerade wenn man solch exzellente Sänger wie Hugh Jackman, Zac Efron, Loren
Allred (als "Gesangsdouble" der von Rebecca Ferguson verkörperten
schwedischen Sängerin Jenny Lind, deren USA-Tour Barnum später in seinem stetigen
Bemühen um Anerkennung durch die Eliten organisiert), Zendaya, Michelle Williams und
Broadway-Star Keala Settle im Ensemble hat, ist das nicht nur höchst
überflüssig, sondern tendentiell sogar kontraproduktiv!
Doch auch inhaltlich gibt es recht viel zu bemängeln. So
lobenswert beispielsweise die offensiv vorgetragene Toleranz-Botschaft ist, so
plakativ wirkt sie – gerade angesichts der historischen Realität. Ein
Biopic ist "Greatest Showman" nämlich nicht, das damals wie heute in Teilen ziemlich kontroverse Leben und Wirken P. T. Barnums
dient lediglich als lose Vorlage für eine Nummernrevue, bei der die Lieder
weniger der Handlung dienen als vielmehr sich die Story eher mühsam von
Musicaleinlage zu Musicaleinlage hangelt. Zumindest erliegt das Drehbuch von
Jenny Bicks ("Rio 2") und dem genreerfahrenen Bill Condon
("Chicago") nicht der Versuchung, aus Phineas Taylor Barnum einen eindimensionalen
Helden der Toleranz und Weltoffenheit zu machen. Stattdessen wird er als
eine durchaus ambivalente Figur gezeichnet, die zwar im Kern unzweifelhaft ein guter
Mensch ist, aber doch einige Fehler hat – allen voran seine unstillbare
Gefallsucht und der Hang zu Abkürzungen, für die er auch zu
gesetzeswidrigen Mitteln greift. Für Hugh Jackman ist diese Widersprüchlichkeit
natürlich ein gefundenes Fressen, so kann er sein Können nicht nur als Sänger
(er startete seine Karriere in seiner Heimat Australien ja als Musical-Darsteller),
sondern auch als Schauspieler beweisen. In der Tat ist sein P. T. Barnum die
mit Abstand spannendste Figur des Films, ein charismatisches Schlitzohr mit
einer tiefen Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Die erhält sogar einen
eigenen (aber frei erfundenen) Nebenhandlungsstrang, denn trotz seiner Liebe zu Charity und den beiden
Töchtern droht P. T. der "schwedischen Nachtigall" Jenny Lind zu verfallen, für die
er den Zirkus ebenso wie seine Familie vernachlässigt. Doch obwohl dieser
Storyschlenker Barnum etwas mehr Tiefe verleiht und zu einer größeren Fallhöhe
des Protagonisten führt, empfinde ich ihn eher als störend; er ist zu
vorhersehbar und unspektakulär präsentiert und bringt den Film letztendlich nicht
wirklich weiter.
Die Zeit hätte man besser nutzen sollen, indem man die
Zirkusartisten viel stärker in den Mittelpunkt rückt – dann würde auch die
Toleranz-Botschaft noch größere Überzeugungskraft entwickeln. Bedauerlicherweise
werden Barnums Schützlinge jedoch die meiste Zeit über zu reinen Nebendarstellern
degradiert, über die man, wenn man genauer darüber nachdenkt, kaum etwas
Substantielles erfährt. Nur Anne schneidet etwas besser ab, weil sich zwischen
ihr und Autor Phillip tiefere Gefühle entwickeln, zudem darf die bärtige
Lettie zumindest als (glänzende) Interpretin des zentralen, mit einem Golden
Globe prämierten Songs "This Is Me" glänzen, der von dem selbstbewußten
Ausbruch eines Außenseiters aus seiner vermeintlich gesellschaftlich
vorherbestimmten Rolle handelt. Auch wenn das Thema insgesamt, wie
erwähnt, allzu plakativ und gleichzeitig hinsichtlich der Einbeziehung der
Artisten nicht konsequent genug vorgetragen wird, muß ich doch zugeben: Es ist
fraglos sehr schön zu beobachten, wie gerade in unserer vermutlich nicht nur gefühlt immer zynischer und
populistischer werdenden Gesellschaft ein so selbstbewußt
humanistischer Film wie "Greatest Showman" sich trotz (nicht
unberechtigter) mediokrer Rezensionen zu einem unerwarteten weltweiten
Publikumserfolg mausert. Und bei allen inhaltlichen Kritikpunkten steht eines außer Frage: Die in aufwendige Kulissen plazierten Musical-Einlagen
sind hochgradig unterhaltsam in Szene gesetzt und lassen gemeinsam mit der
sympathischen Besetzung (in der Michelle Williams leider etwas unterbeschäftigt
ist) über viele Schwächen hinwegsehen. Mit "Moulin Rouge!" kann
"Greatest Showman" zwar auch hier nicht ganz mithalten, da es im
direkten Vergleich an musikalischer Phantasie, an Emotionalität und am Mut
zum Stilbruch mangelt – sehenswert sind die "Greatest
Showman"-Bemühungen jedoch allemal. Mein Favorit ist übrigens weder "This Is
Me" noch der mitreißende Ensemble-Song "The Greatest Show" oder
Jenny Linds episches "Never Enough", sondern das von Hugh Jackman und
Zac Efron schwungvolle vorgetragene Duett "The Other Side", in dem sich
Phillip von P. T. zur Mitwirkung an seinem Zirkus überreden läßt. Diese vergleichsweise intime, aber fabelhafte Einlage zeigt, wie gut "Greatest Showman" eigentlich hätte werden können.
Fazit: "Greatest Showman" ist ein
unterhaltsames, die ziemlich frei
nacherzählte Geschichte des US-Zirkuspioniers P. T. Barnum als sympathisches Vehikel für eine Botschaft der Toleranz verwendendes Musical, das inhaltlich aber arg oberflächlich geraten ist und auch sonst einige Schwächen offenbart.
Wertung: Knapp 7 Punkte.
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