Der vor einer Woche verstorbene Sam Shepard war zweifellos eine der widersprüchlichsten und spannendsten Figuren in der US-amerikanischen Filmbranche. Wobei seine Tätigkeiten in der Welt des Films für Shepard selbst eigentlich eher eine Art Zweitjob waren - hauptberuflich war er vor allem zu Beginn seiner Karriere ein ausgesprochen erfolgreicher Dramatiker (laut "New York Magazine" gar "der größte amerikanische Theaterautor seiner Generation"), der zahlreiche Theaterpreise gewann und für sein Stück "Vergrabenes Kind" 1979 mit dem weltberühmten Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Insofern ist es wenig überraschend, daß Shepard - wie viele andere Schriftsteller - zunächst als Drehbuch-Autor mit dem Kino in Berührung kam. Als 37-jähriger half er Michelangelo Antonio als einer von insgesamt fünf Autoren seines Kultfilms "Zabriskie Point", 1978 schrieb er mit seinem Freund Bob Dylan das Manuskript für dessen einzige Spielfilm-Regiearbeit "Renaldo and Clara", in der er außerdem eine kleine Rolle übernahm. Das sollte den Startschuß für eine ebenso unerwartete wie erfolgreiche Zweitkarriere als Schauspieler bedeuten, denn noch im gleichen Jahr erregte er in einer großen Nebenrolle als namenlos bleibender Farmer in Terrence Malicks meisterhaftem Südstaaten-Drama "In der Glut des Südens" die Aufmerksamkeit der Branche. Fortan etablierte sich Shepard rasch sowohl als Schauspieler wie auch als Drehbuch-Autor, wobei er seine größten Kritikererfolge in den 1980er Jahren feierte. Als Autor gelang ihm 1984 ein Coup mit dem Roadmovie "Paris, Texas", für das ihn der deutsche Regisseur Wim Wenders eigentlich auch als Hauptdarsteller wollte - Shepard ließ sich jedoch nicht erweichen und bescherte so Harry Dean Stanton die Rolle seines Lebens. Natürlich erhielt jedoch auch Shepard viel Lob (und eine Nominierung für den britischen BAFTA-Award) für sein Skript, das in vielerlei Hinsicht an seine Theaterstücke erinnert, die sich oft um gesellschaftliche Außenseiter und Einzelgänger aus der amerikanischen Arbeiterklasse drehten. Im gleichen Jahr ergatterte Shepard seine einzige OSCAR-Nominierung, die er für seine (große) Nebenrolle als Testpilot Chuck Yeager im Raumfahrt-Epos "Der Stoff, aus dem die Helden sind" bekam.
Während Shepards Rollenauswahl zunächst noch in etwa dem entsprach, was man von einem anspruchsvollen Dramatiker wie ihm erwarten würde - er agierte in Jack Fisks Kleinstadtdrama "Der geheimnisvolle Fremde" (1981), in Robert Altmans Adaption von Shepards Außenseiter-Drama "Fool for Love" (1985), in den Theaterverfilmungen "Verbrecherische Herzen" (1986) von Bruce Beresford und "Magnolien aus Stahl" (1989) von Herbert Ross oder als Hauptdarsteller von Volker Schlöndorffs Max Frisch-Adaption "Homo Faber" (1991) -, wandte er sich ab den 1990er Jahren überraschend vermehrt großen Hollywood-Produktionen zu. Ob John Grisham-Verfilmung ("Die Akte", 1993), Liebesdrama ("Liebe aus zweiter Hand", 1997), Actionthriller ("Paßwort: Swordfish", 2001), Kriegsfilm ("Black Hawk Down", 2001) oder Edelromanze ("Wie ein einziger Tag", 2004) - es schien, als wolle Sam Shepard alles mal ausprobieren, selbst für einen Megaflop wie den Actionfilm "Stealth" (2005) oder eine harmlose romantische Komödie wie "Zufällig verheiratet" (2008) war er sich nicht zu schade. Gleichzeitig bewies er weiterhin auch in kleineren Independent-Produktionen sein Können: So konnte ihn Wim Wenders gut 20 Jahre nach "Paris, Texas" überreden, für sein Familiendrama "Don't Come Knocking" nicht nur erneut das Drehbuch zu verfassen (es sollte sein letztes sein), sondern diesmal auch gleich die Hauptrolle zu übernehmen. Die hätte aber auch nicht besser zu ihm passen können, denn der auf einer Farm aufgewachsene Shepard spielt darin einen Westernstar, der in eine Sinnkrise gerät und daraufhin kurzerhand auf dem Filmpferd vom Set ins Ungewisse reitet ...
Cowboys respektive (Western)-Banditen spielte Sam Shepard häufig. Kein Wunder, er wirkte ja selbst wie einer mit seiner hochgewachsenen, hageren Gestalt, dem ausdrucksstarken und kantigen Gesicht und der natürlichen Autorität. In Andrew Dominiks elegischem Westerndrama "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" glänzte Shepard (leider nur im ersten Drittel) als James' älterer Bruder Frank, in der Westernkomödie "Bandidas" (2006) agierte er an der Seite von Salma Hayek und Penélope Cruz als Bankräuber Bill Buck. Und in Mateo Gils "Blackthorn" (2011) durfte Shepard in die Rolle eines der berühmtesten Western-Antihelden der Filmgeschichte schlüpfen, denn er verkörpert den alten Butch Cassidy, der laut Story das Aufeinandertreffen mit bolivianischen Soldaten - bei dem er in der Realität vermutlich erschossen wurde - überlebt hat und unter neuem Namen seinen Lebensabend bestreiten will. Obwohl er an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS erkrankte, arbeitete Shepard fast bis zuletzt als Schauspieler, so in Dominiks Gangsterdrama "Killing Them Softly", John Wells' satirischem Familiendrama "Im August in Osage County" (2013), in Jeff Nichols' märchenhaftem Science Fiction-Film "Midnight Special" (2016) und in den TV-Serien "Klondike" und "Bloodline". Seinen letzten Auftritt hat er als Hauptdarsteller des bereits abgedrehten Thrillers "Never Here", der in den USA im Juni seine Festivalpremiere feierte.
Am 27. Juli 2017 starb der große Dramatiker und Schauspieler Sam Shepard im Alter von 73 Jahren in Kentucky an Komplikationen im Zusammenhang mit seiner ALS-Erkrankung. R.I.P.
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