Regie und Drehbuch: Christopher Nolan, Musik: Hans Zimmer
Darsteller:
Fionn Whitehead, Aneurin Barnard, Harry Styles, Kenneth Branagh, James
D'Arcy, Mark Rylance, Tom Glynn-Carney, Cillian Murphy, Barry Keoghan, Tom
Hardy, Jack Lowden, John Nolan, Michael Caine (Stimme)
FSK: 12, Dauer: 107 Minuten.
Strand von Dünkirchen in Frankreich, Frühjahr 1940: Die
britischen und französischem Truppen haben dem deutschen Feind kaum noch etwas
entgegenzusetzen, Hunderttausende Soldaten warten und hoffen nur noch auf ihre
Evakuierung, bevor die Nazis die letzte Verteidigungslinie durchbrochen
haben. Doch Rettung ist fern, denn der Luftraum wird von deutschen Bombern, Stukas und Jägern beherrscht, während die britischen Zerstörer wegen des
flachen Wassers nicht nahe genug an den Strand herankommen, um eine zügige
Evakuierung zu gewährleisten. Stattdessen sitzen Soldaten wie Tommy (Fionn
Whitehead), Gibson (Aneurin Barnard, TV-Serie "The White Queen") und
Alex (Harry Styles) wie auf dem
Präsentierteller – und wer das Glück hat, es auf eines der Schiffe zu schaffen,
der bereut es schnell wieder, wenn deutsche Bomber und U-Boote angreifen. Da
die britische Armeeführung genau weiß, daß Hitlers nächstes Ziel Großbritannien
sein wird, kann man auch nicht alles riskieren, um die von Commander Bolton
(Sir Kenneth Branagh, "Jack Ryan: Shadow Recruit") und Captain Winnant (James D'Arcy,
"Cloud Atlas") angeführten Soldaten auf dem Festland zu retten. So
verfällt man auf den doch ziemlich verzweifelten Plan, zivile Boote wie die "Moonstone" von Mr.
Dawson (Mark Rylance, "Bridge of Spies") zu beschlagnahmen und nach
Dünkirchen zu schicken, da sie bis an den Strand fahren können – unter Lebensgefahr selbstverständlich und nur rudimentär geschützt durch wenige
mutige Spitfire-Piloten wie Farrier (Tom Hardy, "The Dark Knight Rises") …
Kritik:
Als ich vor zwei Jahren mein Buch über US-amerikanische Kriegsfilme
schrieb, habe ich dafür naheliegenderweise so ziemlich jeden auch nur
ansatzweise bedeutenden Film angeschaut, in dem der Krieg (manchmal auch nur
indirekt, wie bei "Taxi Driver") eine wichtige Rolle spielt.
Angesichts dessen hätte ich nicht wirklich gedacht, noch einmal einen Kriegsfilm
zu sehen, der sich irgendwie "neu" anfüht. Christopher Nolan
("Interstellar") ist jedoch genau das mit dem von ihm auch geschriebenen
"Dunkirk" gelungen – obwohl er dafür kurioserweise auf für sich
genommen sehr bekannte Versatzstücke zurückgreift. Doch wie er die
zusammensetzt und mit dem speziellen Nolan-Touch versieht, ist in der Tat
einzigartig. Er selbst bezeichnet "Dunkirk" übrigens nicht als
Kriegsfilm, sondern als Kriegsthriller, und natürlich liegt er damit vollkommen
richtig. Sein erklärtes Vorbild dafür war der "Master of
Suspense" Sir Alfred Hitchcock; und mit "Dunkirk" beweist Nolan,
daß er sich hinter der britischen Filmlegende nicht verstecken muß. Auch
ohne die für das Genre naheliegende Brutalität ist "Dunkirk" von der
ersten bis zur letzten Minute hochgradig spannend, kaum eine Atempause wird dem Zuschauer
durch die geschickte Konstruktion der drei verschiedenen Erzählperspektiven vergönnt, zumal Nolan das Publikum mit all seinem Können mitten hinein in das
Kriegsgeschehen zieht. Das Ergebnis ist einer der besten Kriegsfilme aller
Zeiten, der technisch nahezu perfekt ist und mit drei OSCARs bedacht wurde, aber auch inhaltlich und (auf
unkonventionelle Weise) hinsichtlich der Figurenzeichnung fast auf der ganzen
Linie überzeugt und begeistert.
Mir ist bewußt, daß letzteres nicht jeder so empfindet, vor
allem von deutschen Rezensenten wird teilweise eine zu große Distanz zu den Figuren bemängelt, auch eine von der makellosen Technik zu sehr in den
Hintergrund gedrängte Handlung. Ich kann durchaus nachvollziehen, wie eine
solche Einschätzung zustandekommt – teile sie allerdings nicht, da ich
Nolans Konzept akzeptiere. Dieses beinhaltet, daß es kaum eine Einordnung in das
größere Kriegsgeschehen gibt. Nolan richtet seinen Blick bewußt auf
einzelne Nebenakteure mit sehr limitiertem Einfluß, die zudem wenig
Charaktertiefe entwickeln dürfen, sondern sich fast ausschließlich durch ihr
Verhalten im Krieg definieren. Das erinnert ein bißchen an Terrence Malicks
recht kontrovers diskutierten Berlinale-Gewinner "Der schmale Grat", in dem alle Figuren bewußt austauschbar skizziert sind; nur daß Christopher Nolan
es darauf anlegt – und es ihm gelingt! –, auch ohne charakterliche Hintergründe
oder Wissen über das zivile Vorkriegsleben der Protagonisten eine emotionale
Nähe zwischen ihnen und dem Publikum aufzubauen. Und wo es Malicks Intention
war, die Sinnlosigkeit des Krieges sowie die Zerstörung von Mensch und Natur schonungslos
nihilistisch zu illustrieren, geht es Nolan eher darum, die menschliche Seite
aus dem brutalen, per se menschenverachtenden Kriegsgeschehen herauszuarbeiten.
Das tut er wohlgemerkt, ohne dabei in irgendeiner Weise pathetisch oder
kitschig zu werden; Heldengeschichten oder Kameradschaftsmythen, die ein Teil
so vieler Kriegsfilme sind, spielen hier erfrischenderweise fast keine Rolle.
Und im Gegensatz zu einem Michael Bay, der in qualitativer Hinsicht natürlich
sowieso bei weitem nicht in Nolans Liga spielt und in seinem Kriegsspektakel "Pearl
Harbor" in einem bemerkenswert dreisten Akt des Geschichtsrevisionismus ein amerikanisches
Trauma im letzten Filmdrittel in fast so etwas wie einen Triumph umdeutete,
läßt sich Nolan auch nicht in Versuchung führen, irgendetwas zu relativieren. Stattdessen
zeigt er die Geschehnisse von Dünkirchen mit großem Bemühem um Authentizität
als genau das, was sie eben waren: eine gewaltige Niederlage für die Alliierten mit einem halbwegs glimpflichen Ende, das rückblickend als ein Wendepunkt im Zweiten
Weltkrieg angesehen werden kann; wenn auch ein schmerzlich erkaufter.
Bedauerlicherweise gelingt es Nolan mit seinem bewußt
verengten Blickpunkt jedoch nicht so ganz, die Größe dieser einzigartigen
Rettungsoperation zu verdeutlichen – daß tatsächlich über 300.000 Soldaten nur
durch den Einsatz Hunderter ziviler Kleinboote gerettet werden konnten, bleibt im begrenzten
Ausschnitt der Evakuierung, den "Dunkirk" zeigt, nach menschlichem
Ermessen kaum greifbar. Das ist jedoch einer der ganz wenigen Kritikpunkte, die
ich gegen "Dunkirk" vorbringen kann. Mehr als kompensiert wird er
durch die brillant durchdachte Story-Konstruktion mit drei
unterschiedlichen, aber ineinandergreifenden Handlungssträngen, die als
Stellvertreter für die sehr diversen Beteiligten an der Aktion stehen: die
Fußsoldaten zu Land, die Air Force-Piloten in der Luft und die zivilen
Schiffsbesatzungen auf dem Wasser (ergänzt durch die mehr oder weniger über den
Dingen stehenden Offiziere Bolton und Winnant, die laut Nolan als eine Art
Kontext vermittelnder griechischer Chor fungieren). Nolan hat die Storyfäden
so geschickt miteinander verknüpft, daß gut eineinhalb Stunden lang atemlose
Spannung mit ganz wenigen kurzen Atempausen entsteht – die zudem nicht
wirklich erholsam sind, sondern eher der bedrückenden Ruhe vor dem Sturm
gleichen. Nolans Anleihen bei Hitchock merkt man "Dunkirk" dabei
jederzeit deutlich an. Zwar formal natürlich ein Kriegsfilm – der weder auf
eine deutliche Anti-Kriegsbotschaft noch auf kriegsverherrlichende Passagen
setzt, sondern eher bei den realitätsnahen, authentischen Kriegsfilmen á la
"Der schmale Grat", Ridley Scotts "Black Hawk Down"
oder speziell das erste Drittel von Steven Spielbergs "Der Soldat James
Ryan" einzuordnen ist –, fühlt sich "Dunkirk" eher wie ein
Thriller an. Die Spannung ist zum Greifen nah und wird noch verstärkt durch
Hans Zimmers ("The Dark Knight") wieder mal kongenialen, ungemein intensiven und dabei oft
treibenden, manchmal auch bedrohlichen Score, der für sich genommen mangels eingängiger Melodien wohl gar nicht so beeindruckend wirkt, aber eben perfekt auf das Filmgeschehen zugeschnitten ist. Daß sich die Handlung letztlich auf "Weg von hier!" beschränkt
und es keine personifizierten Antagonisten gibt, fällt so kaum auf – wobei
es sicher hilfreich ist, daß "Dunkirk" Nolans kürzester Film in
Hollywood ist, der mit seinen 100 Minuten (plus Abspann) genau die richtige
Länge hat, um das Publikum immersiv mitten hinein in den Krieg zu ziehen, ohne
daß je erzählerische Längen aufkämen.
Wie nebenbei thematisiert Nolan zudem
raffiniert diverse im Genre unvermeidliche Facetten des Krieges und zeigt die
Auswirkungen auf die Individuen. Posttraumatische
Belastungsstörungen – am Beispiel des von Cillian Murphy ("Batman Begins") verkörperten, namenlos bleibenden Soldaten, der von Mr. Dawson
als einziger Überlebender eines U-Boot-Angriffs aus dem Meer gerettet wird – ebenso wie die Bereitschaft anderer Soldaten, in
Extremsituationen Kameraden für das eigene Überleben zu opfern, selbst wenn diese
einem zuvor noch das Leben gerettet haben. Zum Propagandafilm taugt
"Dunkirk" also keinesfalls, wenn er auch ebensowenig
den Krieg selbst hinterfragt. Wobei das aber kaum nötig ist, denn auch wenn
Nolan im Gegensatz zu vielen erklärten Anti-Kriegsfilmen auf besonders realistische, allzu drastisch-blutige Szenen verzichtet, vermittelt er doch fraglos durch die
Inszenierung des Geschehens – mitsamt einer grandiosen, furchteinflößend realen
Klangkulisse sowie ebenso dosiert wie klug eingesetzten Spezialeffekten und
Explosionen –, daß die Mitwirkung an einem Krieg kaum
erstrebenswert ist. Daß darunter der Unterhaltsamkeitsgrad von
"Dunkirk" nicht leidet, ist eine erstaunliche Leistung. Besonders
aufregend gestaltet (und dabei laut Experten sogar sehr authentisch) sind die
Luftkampfsequenzen, die übrigens für Kenner des britischen Kinos eine schöne Anspielung beinhalten
– denn der (nur zu hörende) Anführer des kleinen Jagdflugzeug-Geschwaders wird
in der Originalfassung von Sir Michael Caine gesprochen (in der
Synchronfassung netterweise von Caines deutschem Stammsprecher Jürgen
Thormann), dem Hauptdarsteller des 1960er Jahre-Luftkampfklassikers
"Luftschlacht um England"! An seiner Seite zeigt Tom Hardy, daß er
nicht nur einen Film tragen kann, in dem nur er zu sehen ist (Steven Knights "No Turning
Back"), sondern auch einen, in dem er fast nur zu hören respektive
sein Gesicht fast nie zu sehen ist (da er im Cockpit sitzt), wobei er hier
natürlich Unterstützung durch ein vielseitiges Ensemble erhält. Gerade die
Newcomer wie der Tommy-Darsteller Fionn Whitehead oder der weitgehend wortlos
bleibende Aneurin Barnard, aber auch "One Direction"-Sänger und Mädchenschwarm Harry
Stiles in seinem Schauspieldebüt und Tom Glynn-Carney (als Mr. Dawsons Sohn Peter) zeigen starke,
emotionale Leistungen und wirken vielleicht gerade wegen ihrer nur gering ausgeprägten Schauspielerfahrung ungemein authentisch, wobei sie sich aber jederzeit in den Dienst der Story stellen und nicht versuchen, aus der Besetzung herauszuragen. Als Ruhepole fungieren derweil die routinierten Mark Rylance und Sir Kenneth Branagh in ihren Rollen als Respektsfiguren. Daß "Dunkirk" so fabelhaft
funktioniert, ohne dabei dem Feind ein Gesicht zu geben (erst ganz am Ende sind tatsächlich deutsche Soldaten zu sehen; am ehesten fungiert noch ein Heinkel He 111-Bomber, der für
viel Zerstörung und Chaos sorgt, als Symbol für die Nazi-Bedrohung), ist nur ein weiterer Beleg für Nolans Könnerschaft als Regisseur wie auch als
Drehbuch-Autor – auch wenn es nicht der erste Kriegsfilm ist, der das
hinbekommt.
Fazit: "Dunkirk" ist ein unglaublich
spannender, immersiver Kriegsthriller, der die Evakuierung britischer Soldaten
im Zweiten Weltkrieg aus drei individuellen, raffiniert ineinander verwobenen
Perspektiven erzählt und den Zuschauer auch ohne explizite Szenen in das Kriegsgeschehen zieht.
Wertung: Gut 9 Punkte.
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