Regie und Drehbuch: Jonathan Glazer, Musik: Mica Levi
Darsteller:
Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Paul Brannigan, Kryŝtof Hádek, Michael Moreland, Adam
Pearson, Antonia Campbell-Hughes
FSK: 12, Dauer: 108 Minuten.
Glasgow, Schottland: Eine bildschöne junge Frau (Scarlett
Johansson, "Lucy") fährt Abend für Abend in einem
Auto kreuz und quer durch die Stadt und ihr Umland und spricht immer wieder einzelne Männer
an, um diese nach dem Weg zu fragen. Gelegentlich lädt sie einen ein, zu ihr in
den Wagen zu steigen und sie direkt zu ihrem Ziel zu lotsen. Dort verführt
sie die Männer. Niemals weit entfernt ist ein Motorradfahrer (Jeremy McWilliams),
der auf die Frau aufzupassen scheint …
Kritik:
Es ist schon ein bißchen gemein: Da dreht der Filmemacher
Jonathan Glazer ("Sexy Beast") einen formal höchst
anspruchsvollen experimentellen Kunstfilm … und am Ende diskutiert alle Welt
nur über Scarlett Johansson und ihre Nacktszenen-Premiere! Aber andererseits muß das
Glazer von vornherein klar gewesen sein, außerdem darf man getrost davon
ausgehen, daß ohne Johanssons Mitwirkung generell viel weniger über
"Under the Skin – Tödliche Verführung" gesprochen und geschrieben
würde und vor allem davon, daß ihn außer den professionellen Kritikern und ein paar
hartgesottenen Filmkunst-Anhängern niemand je gesehen hätte. Insofern mag es
Glazer ein wenig schmerzen, daß seine künstlerische Vision in der Aufgeregtheit um die Nacktszenen gerne übersehen wird; aber er wird es
sicher überleben.
Bevor ich fortfahre, eine Warnung: Sehr viel mehr als das,
was ich oben beschrieben habe, bekommt man in "Under the Skin" nicht
über die Handlung erklärt. Manches kann man sich selbst zusammenreimen, doch
das meiste bleibt im Dunklen – so ist Glazers Film eine visuell eindrucksvolle,
aber inhaltlich ziemlich nihilistische Erfahrung. Doch "Under the
Skin" basiert – wenngleich ziemlich lose – auf einem Roman (deutscher
Titel: "Die Weltenwanderin") des in den Niederlanden geborenen
australisch-schottischen Schriftstellers Michel Faber, in dem es mehr Handlung
gibt. Zur näheren Analyse des Films werde ich daher im Folgenden auf dieses
rudimentäre Hintergrundwissen zurückgreifen – wer "Under the Skin" also unvoreingenommen sehen will, der sollte hier aufhören zu lesen.
Allerdings habe ich selbst Glazers Film im Wissen um seine Story-Hintergründe
gesehen (auf deren Nennung die wenigsten Kritiken verzichten) und
denke nicht, daß dies dem Sehgenuß in irgendeiner Form geschadet hat. Dennoch:
Die Warnung ist hiermit ausgesprochen.
Im Buch erfährt man also, daß die verführerische Frau in
Wirklichkeit kein Mensch ist (nun gut, das bekommt man im Film auch schnell
heraus), sondern ein Alien, das Männer durch ihre Verführungskünste in die
Falle lockt, woraufhin sie von ihren Artgenossen "verzehrt" werden
(was man im Film höchstens erahnen kann). Jedoch ist diese Handlung natürlich
immer noch nicht das, worum es in "Under the Skin" wirklich geht. Die
Story ist voller Metaphern und läßt jede Menge Interpretationsspielraum.
Tatsächlich scheint auch so ziemlich jeder etwas anderes in "Under the
Skin" zu sehen: Für manche ist es ein feministisches Manifest, für andere
ein philosophischer Exkurs über die Natur des Menschseins, wieder andere meinen
ein Plädoyer gegen Rassismus zu erkennen. Und für Pragmatiker ist Glazers Werk
einfach ein Arthouse-Horrorfilm. Um ehrlich zu sein: Ich will gar
nicht erst versuchen, in "Under the Skin" etwas hineinzuinterpretieren.
Stattdessen funktioniert er für mich vor allem als Gesamtkunstwerk, das
mich mit seiner unheimlich-düsteren Atmosphäre, der hervorragenden Kameraarbeit
und der schauspielerischen Leistung von Scarlett Johansson
fasziniert. Zumindest phasenweise.
Denn in der ersten Hälfte ist "Under the Skin"
wirklich ein Faszinosum. Man verfolgt gebannt Johanssons (ich werde bei der
Nennung ihres Namens bleiben, denn die von ihr verkörperte Alien-Frau bleibt bis zum Ende
namenlos) Fahrten durch das nächtliche Glasgow und lauscht den
Unterhaltungen mit ihren potentiellen Opfern. Die sind übrigens fast ausnahmslos
keine Schauspieler, sondern "echte Schotten", deren improvisierte
Kommunikation mit Johansson mit versteckter Kamera aufgenommen wurde
(selbstverständlich wurde später das Einverständnis der jungen Männer
eingeholt, die Szenen im Film zu verwenden). Entsprechend banal verlaufen die
Dialoge meist (sofern man in der Originalfassung den gewöhnungsbedürftigen schottischen
Dialekt der meisten Männer überhaupt versteht), dennoch ist es fesselnd, dabei
zuzuschauen, wie Johansson ihre Gesprächspartner mit ihrer Schönheit und ihrem
Charme mühelos um den Finger wickelt. Auch wenn ich nicht interpretieren
wollte, das offenbart schon eine besondere Form von Sexismus: Während in der
Realität – nicht zuletzt dank Filmen wie "The Hitcher" – wahrscheinlich kaum
eine Frau das spontane Angebot eines ihr fremden Mannes, sie im Auto mitzunehmen, akzeptieren
würde (oder zumindest nur mit größtem Mißtrauen), dürften Männer im umgekehrten
Fall deutlich weniger Scheu haben. Und mal ehrlich: Welcher heterosexuelle Mann
würde schon ablehnen, wenn ihm Scarlett Johansson eine Mitfahr-Gelegenheit
anböte? Tja, im Kino kann sich solcher Leichtsinn schnell und drastisch rächen
…
Obwohl also den Großteil des Films über kaum etwas anderes
passiert als Johanssons meist erfolgreiche Aufgabelungsversuche, gelingt es
Jonathan Glazer relativ lange, durch leichte, aber markante Variationen ihres
Vorgehens das Interesse aufrechtzuerhalten. Einerseits liegt das an ihren
Opfern, zu denen etwa ein unter Neurofibromatose (jener entstellenden
Krankheit des berühmten "Elefantenmenschen", dessen Schicksal David
Lynch im Jahr 1980 einfühlsam verfilmte) leidender junger Mann gehört, der Johansson eine ganz andere Verführungstaktik
abfordert. Besonders eindrucksvoll sind auch jene Szenen, die im Umland von
Glasgow spielen und in denen klar wird, warum Glazer für die Rolle des
mysteriösen Motorradfahrers keinen Schauspieler oder "normalen"
Stuntman angeheuert hat, sondern mit Jeremy
McWilliams einen ehemaligen Profi-Motorradsportler. Denn dessen elegant (oft aus der Vogelperspektive)
gefilmte Fahrten durch die schottischen Highlands über meist
regennasse, gewundene Landstraßen in einem atemberaubenden Tempo sind alles
andere als ungefährlich. Auch jene Sequenz, die mich insgesamt am meisten
beeindruckte, spielt sich nicht in der Stadt ab, sondern an einem Meeresstrand. Ohne
spoilern zu wollen: Nachdrücklicher kann man Johanssons buchstäbliche
Un-Menschlichkeit nicht demonstrieren als mit dieser tragisch-aufregenden Szenenabfolge
am und im Meer, die letztlich vier menschliche Opfer (und einen Hund) fordert.
Faszinierend – ich weiß, ich verwende das Wort in dieser
Rezension häufig, aber es gibt kein passenderes – ist zudem der Gegensatz
zwischen den teils im Guerilla-Stil mit Handkameras in Glasgow gedrehten Szenen
und den künstlerischen Bildern im "Alien-Raum", in dem nur die
"Jägerin" und ihr jeweiliges Opfer zu sehen sind, während ansonsten
alles schwarz ist; nicht einmal Boden, Decke oder Wände existieren. Johansson
bringt den Gegensatz zwischen den Szenen in menschlicher Gesellschaft, in denen
sie mit Charisma und (vermeintlich) herzlicher Freundlichkeit ihre Opfer
aufliest, und jenen Sequenzen, in denen sie sozusagen ihr Alien-Ich ist,
hervorragend zur Geltung. Das führt auch dazu, daß die ausschließlich im
"Alien-Raum" stattfindenden Nacktszenen eine ungewöhnliche Wirkung
entfalten. Denn während man in der Stadt hervorragend nachvollziehen kann, warum
sich so viele Männer von Johansson verführen lassen, wirken ausgerechnet die
Szenen, in denen sie vollkommen unbekleidet ist, merkwürdig unerotisch. Eben
weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorgibt, ein begehrenswerter Mensch zu sein, sondern ein
scheinbar gefühlloses außerirdisches Wesen ist, das den Prozeß der Verführung bereits
abgeschlossen hat und nun "zufällig" in seinem unbekleideten
menschlichen Wirtskörper herumläuft. Untermalt wird das alles von der sphärischen
Musik der britischen Songwriterin Mica Levi, die den Eindruck noch verstärkt,
daß "Under the Skin" ein Film ist, den man weniger verstehen als
fühlen muß.
Nun habe ich viel über "Under the Skin"
geschrieben und weiß doch nicht, ob ich ansatzweise zum Ausdruck bringen
konnte, um was für eine Art Film es sich handelt. Wobei das schon deshalb
schwierig ist, weil ich diese Frage noch nicht einmal für mich selbst abschließend
beantworten kann. Angesichts des vielen Lobs, das ich vor allem Regisseur
Jonathan Glazer und Scarlett Johansson bis hierher angedeihen ließ, dürfte es
überraschen, daß ich letztlich dennoch nur bedingt begeistert bin von diesem
Film. Das liegt vor allem daran, daß es Glazer zwar zunächst gelingt, das
Interesse des Zuschauers wachzuhalten – doch in der zweiten Hälfte beginnen die
Monotonie und die weitgehende Handlungslosigkeit von "Under the
Skin", zunehmend auf die Nerven zu gehen. Schlimmer noch: mich zu
langweilen. Ähnlich wie bei Ben Wheatleys Drogen-Trip "A Field in England" hält die Faszination für die ungewöhnliche visuelle und
akustische Gestaltung einfach nicht für eineinhalb Stunden oder mehr an. Nennt
mich altmodisch, aber ein bißchen echte Dramaturgie brauche ich einfach in
einem Film. Zwar bietet "Under the Skin" im letzten Akt durchaus noch
etwas Neues, als das Alien seine Taten oder seinen Daseinszweck langsam zu
hinterfragen scheint – doch bleibt diese Wandlung zu rudimentär, um vollends
überzeugen zu können. Abgesehen von einer der letzten Einstellungen (die einem
lange im Gedächtnis bleibt) kann Glazer in dieser zweiten Hälfte auch keine so
fesselnden Szenen mehr bieten wie noch zu Beginn. So verbleibe ich
seltsam unentschlossen. Ich weiß nicht, ob ich mir "Under the Skin"
noch einmal anschauen will – dafür fand ich die zweite Hälfte einfach zu
schwach; ich bereue es aber keineswegs, ihn dieses eine Mal gesehen zu haben, zumal auf
der großen Leinwand, wo Glazers Gestaltungskraft hervorragend zur Geltung
kommt.
Fazit: "Under the Skin – Tödliche
Verführung" ist ein experimenteller und philosophischer Kunstfilm, der
irgendwo zwischen Science-Fiction, Horror und Thriller changiert, aber sowieso
kaum eine echte Handlung zu bieten hat; das ist anfangs sehr faszinierend, auf Dauer
aber zu repetitiv und langweilt somit irgendwann zunehmend.
Wertung: Als traditioneller
Spielfilm: 6 Punkte. Als Gesamtkunstwerk: Deutlich mehr, ohne daß man das in eine konkrete Punktzahl fassen könnte.
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