Regie: Wes
Anderson, Drehbuch: Roman Coppola, Wes Anderson, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller:
Jared Gilman, Kara Hayward, Edward Norton, Bruce Willis, Frances McDormand,
Bill Murray, Tilda Swinton, Jason Schwartzman, Harvey Keitel, Seamus Davey-Fitzpatrick, Bob Balaban
Sommer 1965 auf einer dünn besiedelten Insel vor Neuengland:
Zwei Kinder sind ausgerissen. Der 12-jährige Sam (Jared Gilman) ist ein Waisenkind ohne
Freunde und hat kurzerhand bei den Pfadfindern gekündigt, um sich mit seiner
gleichaltrigen Brieffreundin Suzy (Kara Hayward), einer sich unverstanden fühlenden Tochter eines Anwalts-Ehepaars (Bill Murray und Frances McDormand), in der Wildnis eines
früheren Indianergebiets zu treffen. Während die beiden die erste Liebe
genießen, werden sie von den Pfadfindern um Scout Master Ward (Edward Norton, "Der unglaubliche Hulk"),
dem melancholischen Polizeichef der Insel (Bruce Willis, "Looper") und Suzys Eltern
gesucht. Und am Horizont zieht ein Jahrhundertsturm auf ...
Kritik:
Was einen richtig guten Film über Kinder vor allem auszeichnet (neben den üblichen Zutaten wie einer interessanten Geschichte und überzeugenden Schauspielern), ist, daß er seine jungen Protagonisten mit ihren Ängsten, Sorgen und Sehnsüchten wirklich ernstnimmt. Die Anzahl der Filme, die das tun, ist gar nicht so groß, zu den bekanntesten Beispielen gehören "Stand By Me" und "Die Goonies". Natürlich gibt es jede Menge erfolgreicher und oft auch guter Filme FÜR Kinder, die sich aber in der Regel vorrangig auf die humorvollen und/oder romantischen Aspekte des Erwachsenwerdens konzentrieren und echte Probleme höchstens oberflächlich abhandeln. "Moonrise Kingdom" – gefeierter Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Cannes 2012 und OSCAR-nominiert für das Drehbuch – darf glücklicherweise getrost zur erstgenannten Gruppe gezählt werden.
Was einen richtig guten Film über Kinder vor allem auszeichnet (neben den üblichen Zutaten wie einer interessanten Geschichte und überzeugenden Schauspielern), ist, daß er seine jungen Protagonisten mit ihren Ängsten, Sorgen und Sehnsüchten wirklich ernstnimmt. Die Anzahl der Filme, die das tun, ist gar nicht so groß, zu den bekanntesten Beispielen gehören "Stand By Me" und "Die Goonies". Natürlich gibt es jede Menge erfolgreicher und oft auch guter Filme FÜR Kinder, die sich aber in der Regel vorrangig auf die humorvollen und/oder romantischen Aspekte des Erwachsenwerdens konzentrieren und echte Probleme höchstens oberflächlich abhandeln. "Moonrise Kingdom" – gefeierter Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Cannes 2012 und OSCAR-nominiert für das Drehbuch – darf glücklicherweise getrost zur erstgenannten Gruppe gezählt werden.
Dabei wirken die beiden Hauptfiguren, wie eigentlich alle
Personen in Filmen von Wes Anderson ("Darjeeling Limited", "Die Royal Tenenbaums"), auf den ersten Blick gar nicht allzu glaubwürdig. Der
altkluge Sam und die aufbrausende Suzy sind übertriebene Charaktere, die
Dialoge führen, die man in der Realität nur höchst selten von Kindern hören
dürfte. Dennoch sind sie echt. Sie sind echte Menschen mit echten, ernsten
Problemen und ebenso echten, stürmischen Gefühlen. Und Wes Anderson nimmt sie
vollkommen ernst. Die zarte Romanze zwischen den beiden von den Newcomern Kara
Hayward (die ein klein wenig an Emma Watson erinnert) und Jared Gilman
hinreißend verkörperten Außenseitern geht ans Herz, ihre familiären Probleme kann man gut nachfühlen und man sorgt sich um die
Zukunft der beiden, vor allem um die des Waisenkindes Sam.
Das ist auch nötig, denn Anderson setzt ein
hochinteressantes und wunderbar funktionierendes Stilmittel ein: Die
Erwachsenen in "Moonrise Kingdom" sind zwar ausnahmslos wohlmeinend,
verschlechtern die Lage der Kinder aber ungewollt immer mehr. Ob Sams
Pflegeeltern, die nicht mehr mit ihm zurechtkommen, Suzys Eltern, die nicht wissen,
wie sie mit dem "Problemkind" umgehen sollen oder der engagierte,
aber tendentiell überforderte Pfadfinderführer Ward; ob der gutherzige
Polizeichef, der leicht korrumpierbare Pfadfinder Ben (Jason Schwartzman, "Marie Antoinette") oder
das Jugendamt (witzigerweise direkt personifiziert durch Tilda Swinton, deren Rollenname tatsächlich "Jugendamt" beziehungsweise im Original "Social Services" lautet), das Sam im
Zweifelsfall per Schocktherapie "helfen" will – allesamt sind sie die
von Anderson gewohnten schrägen Charaktere, von ihren hochkarätigen
Darstellern glänzend und uneitel gespielt und lange Zeit absolut nicht
hilfreich. Genau umgekehrt ist es bei den anderen Kindern. Zunächst
sind sie aus Sams und Suzys Sicht die "Bösen", die sie nicht mögen,
nichts mit ihnen zu tun haben wollen und die Ausreißer dennoch suchen sollen.
Doch im Laufe der Geschichte wendet sich ihre Rolle und sie werden zu den
Verbündeten, die Sam und Suzy angesichts der vielen ihnen wohlmeinend
schadenden Erwachsenen auch dringend benötigen. Weil sie nunmal ebenfalls
Kinder sind und trotz aller persönlichen Differenzen genau verstehen, was Sam
und Suzy antreibt.
Dramaturgisch kann "Moonrose Kingdom" insgesamt
zwar überzeugen – wobei die erzählte Geschichte im Kern sowieso ziemlich simpel
ist, auch das ein Markenzeichen von Andersons Filmen –, ist aber nicht völlig
frei von Schwächen. Zumindest trifft das auf die erste Hälfte des leider nur
eineinhalbstündigen Werks zu, in der die Balance zwischen den Kinder- und den
Erwachsenenszenen nicht hundertprozentig ideal und der Handlungsverlauf
recht konventionell ist, weshalb kleine Längen nicht ausbleiben. Dafür zählt
die zweite Hälfte ohne jede Frage mit zum Besten, das ist je sehen durfte: Die bis dahin recht
gemächlich erzählte Geschichte nimmt, korrespondierend zu der zunehmenden
Windgeschwindigkeit des bedrohlich nahenden Sturms, ein irrwitziges Tempo an
und ein Füllhorn irrwitziger Ideen und Storywendungen ergießt sich über das
staunenden Publikum bis zum abrupten, aber genau angemessenen Schluß.
Zur Illustrierung der Geschehnisse und vor allem der
Emotionen seiner beiden Hauptfiguren hat Anderson wieder einmal wunderbare,
sorgfältig konstruierte Bildkompositionen geschaffen, die geradezu bersten vor
Warmherzigkeit und Skurrilität. Das Schöne an Anderson (zumindest für seine
Fans) ist es ja, daß er nur ganz selten einmal auf offensichtliche Gags setzt,
sondern viel lieber durch die Situationen selbst sowie durch das nonkonforme Verhalten
seiner Figuren für hintergründigen Witz sorgt. Anderson führt sein Publikum
nicht gezielt auf brachiale Lacher hin wie eine "normale" Komödie oder eine TV-Sitcom.
Er stellt seine Zuschauer gewissermaßen vor vollendete Tatsachen und überläßt
es ihnen, sich die Komik selbst zu erschließen. Dabei wird es kaum jemanden
geben, der alle Gags und Anspielungen auf Anhieb (oder überhaupt) versteht,
dafür sind es einfach zu viele und zu vielfältige, deren Spektrum von der Literatur von
Charles Dickens über zeitgenössische 1960er Jahre-Anspielungen über die Songtexte bis hin zu diversen filmischen Reverenzen reicht. Und
das sind nur jene Kategorien, die ich beim ersten Sehen bemerkt habe ...
Was die Filme von Wes Anderson zu einem eigenen kleinen
Genre macht, sind aber natürlich nicht nur seine Vorliebe für skurrile
Charaktere oder seine die Denkarbeit des Publikums fordernde Art des Humors
oder sein Gespür für nicht unbedingt realistische, aber umso gewitztere Dialoge
(diesmal übrigens wieder mit seinem "Darjeeling
Limited"-Co-Autor Roman Coppola geschrieben). Es sind auch die
musikalische Untermalung und vor allem seine ganz spezielle Optik und generell
der Einsatz visueller Gags. Mit seiner 1960er Jahre-Szenerie in "Moonrise
Kingdom" gelingt es ihm und seinem bewährten Team, einerseits eine
erkennbare Hommage an die echte Optik der damaligen Zeit zu schaffen, andererseits aber
auch stets den typischen Anderson-Stil beizubehalten. Das Setdesign, Ausstattung und
Kostüme sind voller liebenswerter Details und offensichtlich zwar von der
Realität inspiriert, aber leicht variiert und damit latent künstlich wirkend,
wodurch mit einfachsten Mitteln immer wieder eine ungeheure Komik erzeugt wird.
Letzteres gilt auch für die erwähnten visuellen Gags, von denen man für
gewöhnlich viele beim ersten Sehen des Films gar nicht bemerkt oder einordnen
kann. Wie in Andersons "Die Tiefseetaucher" lohnt es sich beispielsweise, stets
darauf zu achten, was sich im Hintergrund so alles abspielt. Außerdem darf man
sich nicht wundern, wenn der allwissende Erzähler (Bob Balaban, "Das Mädchen aus dem Wasser"), wenn es sein
muß, auch mal in die Handlung eingreift, oder wenn selbst der Abspann noch
sinnvoll genutzt wird, indem die Musik von Alexandre Desplat erklärt wird ...
Apropos: In musikalischer Hinsicht ist "Moonrise
Kingdom" wahrscheinlich das absolute Meisterwerk unter Andersons
bisherigen Filmen. Die meist verspielten, manchmal düster-bedrohlichen
Kompositionen von Alexandre Desplat ("The King´s Speech", "Harry
Potter und die Heiligtümer des Todes") geben dem Film einen eigenen
Rhythmus, Andersons eigentlicher Stammkomponist Mark Mothersbaugh steuert einen
eingängigen Pfadfinder-Marsch bei. Dazu bindet der Regisseur Country-Klassiker von
Hank Williams, einen Chanson von Suzys Lieblingssängerin Françoise Hardy und
klassische Musikstücke von Schubert, Mozart und Britten kongenial in den
Handlungsverlauf ein. So kurios diese musikalische Mischung auch anmuten mag – sie
funktioniert perfekt.
Fazit: "Moonrise Kingdom" ist eine weitere höchst
skurrile Komödie von Wes Anderson, die vor allem mit ihren beiden anrührenden
jugendlichen Hauptfiguren punktet, daneben aber auch mit einem Panoptikum
schräger und toll gespielter Charaktere sowie mit Andersons eigenwilligem
visuellen Stil und einem hervorragenden Soundtrack. Wer allerdings mit den
bisherigen Filmen des Regisseurs nichts anfangen konnte, der dürfte auch mit
"Moonrise Kingdom" wenig Freude haben.
Wertung: 9 Punkte (8 für die erste Hälfte, 10 für die zweite).
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