Originaltitel: Misbehaviour
Regie: Philippa
Lowthorpe, Drehbuch: Rebecca Frayn, Gaby Chiappe, Musik: Dickon
Hinchliffe
Darsteller: Keira
Knightley, Gugu Mbatha-Raw, Jessie Buckley, Loreece Harrison, Rhys
Ifans, Greg Kinnear, Lesley Manville, Keeley Hawes, Phyllis Logan,
John Heffernan, Ruby Bentall, Lily Newmark, Alexa Davies, Suki
Waterhouse, Clara Rosager, Emma Corrin, Emma D'Arcy, Sally Alexander,
Jennifer Hosten, Jo Robinson, Pearl Janssen
FSK: 0, Dauer: 107
Minuten.
London, 1970: Die
Vorbereitungen laufen für die diesjährige Austragung des von
Abermillionen an den TV-Geräten verfolgten Schönheitswettbewerbs
"Miss World". Doch etwas ist anders als sonst: Zum einen
regt sich Protest an der Teilnahme Südafrikas trotz des dortigen
Apartheid-Regimes – worauf der Veranstalter Eric Morley (Rhys
Ifans, "Radio Rock Revolution") und seine Frau Julia (Keeley Hawes, TV-Serie "Bodyguard") mit dem halbherzigen
Kompromiß reagieren, eine weiße und eine schwarze Miss Südafrika
zum Wettbewerb einzuladen. Doch daneben gibt es auch generelle
Vorbehalte gegen die "Fleischbeschau", die vor allem von
jungen Frauen als sexistisch und diskriminierend empfunden wird. Dazu
zählt auch die geschiedene Mutter und Geschichts-Studentin Sally
Alexander (Keira Knightley, "Colette"), die an der Universität immer wieder
feststellen muß, daß sie als Frau in der akademischen Welt zwar
geduldet wird, aber auch nicht viel mehr. Eher zufällig tut sie sich
mit einigen jungen Frauen aus einer Kommune zusammen – darunter die
meinungsstarke Jo Robinson (Jessie Buckley, "Frau im Dunkeln") –, um Proteste gegen
die "Miss World"-Wahl zu organisieren. Eine ganz andere
Sicht auf den in diesem Jahr von dem legendären US-Komiker Bob Hope
(Greg Kinnear, "Mord und Margaritas") moderierten Wettbewerb hat Miss Grenada Jennifer
Hosten (Gugu Mbatha-Raw, "Motherless Brooklyn"), die als
erste Vertreterin des kleinen Inselstaates auch zur ersten schwarzen
"Miss World" gekürt werden will ...
Kritik:
Wenn
es ein wirklich typisch britisches Filmgenre gibt, so ist es wohl die
gesellschaftskritische Tragikomödie mit hohem Feelgood-Faktor. Werke
wie "Brassed Off", "Ganz oder gar nicht", "We
Want Sex", "Billy Elliot", "Calendar Girls"
oder "Pride" erzählen auf herzerfrischende und
grundsympathische Art und Weise von einfachen Menschen, die sich
gegen gesellschaftliche Mißstände wehren und sich mit Herz und
Humor auch gegen starke Widerstände durchsetzen. In diese Reihe paßt Philippa Lowthorpes zweiter Kinofilm nach dem hierzulande
unbekannten "Swallows and Amazons", auch wenn "Die
Misswahl – Der Beginn einer Revolution" in einem doch
glamouröseren Setting spielt als die genannten Genrekollegen. Doch selbstverständlich ist der feministische Kampf gegen das Patriarchat und
Chauvinismus sowie für Frauenrechte ein äußerst nobles Unterfangen, auch wenn er (historisch korrekt) einen Schönheitswettbewerb als
Aufhänger wählt. Im Zusammenspiel mit einer so namhaften wie
hochkarätigen Besetzung sollte man meinen, "Die Misswahl"
wäre ein sicherer Kinohit – dummerweise kam allerdings die
Corona-Pandemie dazwischen, weshalb der Film in den meisten Ländern
nur eine kurze und wenig erfolgreiche Kinoauswertung erhielt, um
dann schnell fürs Heimkino veröffentlicht zu werden. Das ist
bedauerlich, denn obgleich "Die Misswahl" wegen einer
zerfaserten Handlung und vergleichsweise wenig Humor nicht zu den
besten Vertretern der sozialkritischen Feelgood-Filme zählt, macht
er seine Sache insgesamt sehr ordentlich.
Das
größte Problem von "Die Misswahl" ist es, daß die beiden
Drehbuch-Autorinnen rund ein halbes Dutzend Storylines in einem 100-Minuten-Film unterbringen wollen – was naturgemäß zu Lasten des
Tiefgangs geht. Es wäre vermutlich besser gewesen, sich auf etwas
weniger Handlungsfäden zu konzentrieren – so wirkt etwa die Geschichte
des von Greg Kinnear wenig sympathisch verkörperten US-Entertainers Bob
Hope und seiner Frau Dolores (Lesley Manville, "Der seidene
Faden") eher überflüssig und Sallys Konflikt mit ihrer
konservativen Mutter Evelyn (Phyllis Logan, TV-Serie "Downton Abbey") ist so kurz und
oberflächlich gehalten, daß man ihn hätte weglassen
können. Dafür hätte die Südafrika-Thematik mit der schwarzen Miss
Südafrika Pearl Janssen (Loreece Harrison, TV-Serie "Pennyworth") definitiv mehr Raum
verdient gehabt, auch wenn sie Ähnlichkeiten zu Jennifers
Story hat, die hofft, als erste schwarze "Miss World" Vorbild und Hoffnungsschimmer für unzählige kleine Mädchen
ihrer Hautfarbe zu sein. Doch so bleibt "Die Misswahl"
leider oft dicht an der Oberfläche, auch wenn es Regisseurin
Lowthorpe immer wieder mal gelingt, starke Einzelmomente zu kreieren,
die die Stellung der Frau zu jener gar nicht so fernen Zeit
nachdrücklich demonstrieren. Allen voran gilt das für jene Szene,
in der die "Miss World"-Finalistinnen sich auf Kommando
umdrehen müssen, damit alle Zuschauer ausführlich ihre Hinterteile
begaffen können! Überhaupt lassen sich Teile des Wettbewerbs aus
heutiger Perspektive beim besten Willen nicht anders als mit dem
neudeutschen Wort "cringe" charakterisieren ...
Schade
ist, daß die Storylines inner- und außerhalb der Show
weitgehend getrennt voneinander verlaufen. Dabei wäre das
Zusammentreffen der Protestierenden mit den Teilnehmerinnen – die
jede für sich gute Gründe für ihr Mitwirken haben – sehr
reizvoll gewesen, aber leider gibt es im Grunde genommen nur eine
einzige dementsprechende Szene (die dann auch gleich für den Trailer
verwendet wurde). Das hängt wohl damit zusammen, daß die
zugrundeliegende reale Story in cineastischer Hinsicht gar nicht so viel hergibt. Es gab einen Schönheitswettbewerb, es gab
Proteste, fertig. Wichtiger als die Geschehnisse selbst sind
historisch betrachtet ihre Folgen, die am Ende des Films schön
zusammengefaßt werden, jedoch eben nicht Teil des Films selbst sind.
Aus dieser Not macht "Die Misswahl" durchaus eine Tugend
mit seinen überwiegend sympathischen Figuren, einigen pointierten
Beobachtungen und (leider gar nicht so viel) Humor, aber durch die
Vorlage sind dem Film einfach gewisse Grenzen gesetzt, die sein
Ausbrechen aus dem "wirklich nett"-Bereich verhindern. An
der Besetzung liegt das gewiß nicht. Gerade Keira Knightley
und Jessie Buckley machen als denkbar ungleiche
Aktivistinnen-Freundinnen viel Freude, aber auch die Nebendarsteller
holen viel aus ihren teilweise recht undankbaren Rollen heraus. Unterm
Strich ist "Die Misswahl" eine wirklich nette Tragikomödie,
die das Herz erkennbar am rechten Fleck hat und vier realen starken
Frauen huldigt (die ganz am Ende übrigens kurz "in echt"
auftreten), aber auf der Komödienseite etwas schwächelt und sich
mit einer zu unfokussierten Erzählweise immer wieder selbst den Wind
aus den Segeln nimmt.
Fazit:
"Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution" ist eine
gelungene, hochkarätig besetzte britische Tragikomödie mit
gesellschaftskritischem Anspruch, aber zu zerfaserter Handlung.
Wertung:
7 Punkte.