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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 23. Februar 2021

BODYGUARD (TV-Serie, 2018, 1. Staffel)

Regie: John Strickland und Thomas Vincent, Drehbuch: Jed Mercurio, Musik: Ruth Barrett und Ruskin Williamson
Darsteller: Richard Madden, Keeley Hawes, Sophie Rundle, Stuart Bowman, Nina Toussaint-White, Gina McKee, Ash Tandon, Anjli Mohindra, Vincent Franklin, Pippa Haywood, Stephanie Hyam, Paul Ready, Shubham Saraf, Michael Shaeffer, Nicholas Gleaves, Richard Riddell, Tom Brooke, Claire-Louise Cordwell, Chike Chan, David Westhead
Bodyguard (2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 93% (8,2); FSK: 16, Dauer: 362 Minuten.
Als der Afghanistan-Veteran und aktuelle Londoner Polizist David Budd (Richard Madden, TV-Serie "Game of Thrones") mit seinen beiden Kindern mit dem Zug auf der Rückreise von einem Besuch bei seiner Mutter ist, bemerkt er einen sich suspekt verhaltenden Mann orientalischen Aussehens. Tatsächlich stellt sich heraus, daß ein Selbstmordattentat kurz bevorsteht, doch David kann Nadia (Anjli Mohindra, TV-Serie "The Sarah Jane Adventures"), die Ehefrau des von ihm Verdächtigten, im letzten Moment überzeugen, sich zu ergeben. Als Belohnung für seine Heldentat wird David zum Personenschützer der amtierenden Innenministerin Julia Montague (Keeley Hawes, TV-Serie "Ashes to Ashes") befördert. Die ambitionierte Ministerin will den verhinderten Anschlag nutzen, um ein deutlich verschärftes Sicherheitsgesetz durchzudrücken, das die breite Überwachung etwa von Telefonen und Internet erleichtern würde – was in Teilen der Bevölkerung auf heftigen Widerstand stößt und auch parteiintern alles andere als umstritten ist, zumal Julia mit ihrem Vorhaben ohne Absprache vorgeprescht war. Das macht die Aufgabe für David nicht leichter, der sowieso schon mit einem von ihm verheimlichten posttraumatischen Streßsyndrom aus seiner Zeit als Soldat zu kämpfen hat – das auch zur Trennung von seiner Frau Vicky (Sophie Rundle, "The Midnight Sky") führte – sowie damit, daß er nicht unbedingt ein Freund der von Julia verfolgten Politik ist. Dann geschieht ein Anschlag auf die Ministerin …
 
Kritik:
Bekanntlich bespreche ich auf meinem Blog in erster Linie Kinofilme, wie es schon der Name nahelegt. Das heißt aber keineswegs, daß ich TV-Serien nicht mindestens ebenso schätzen würde wie Filme. Ich rezensiere sie nur nicht sonderlich gerne, weil erstens das Anschauen logischerweise in aller Regel deutlich mehr Zeit für eine einzige Staffel-Rezension in Anspruch nimmt als selbst eine epische Kinoproduktion und weil ich es zweitens schwierig finde, eine Staffel angemessen zu rezensieren, ohne entweder zu viel zu verraten oder umgekehrt zu vage zu bleiben. Als ich ein Rezensionsexemplar zu der sechsteiligen ersten Staffel der britischen Thriller-Serie "Bodyguard" angeboten bekam, konnte ich trotzdem nicht ablehnen, schließlich stammt von Serienschöpfer Jed Mercurio mit der Polizeiserie "Line of Duty" eine der besten, spannendsten und komplexesten britischen Serien überhaupt – außerdem hatte ich sehr wohl mitbekommen, daß "Bodyguard" 2018 in Großbritannien ein vieldiskutierter Straßenfeger war mit den höchsten Zuschauerzahlen seit Jahren. Da wäre es gar nicht nötig gewesen, daß mit Keeley Hawes eine meiner Lieblings-Seriendarstellerinnen die weibliche Hauptrolle spielt, um mich zu überzeugen … Tatsächlich erweist sich "Bodyguard" als rasante, wendungsreiche, in vielerlei Hinsicht unvorhersehbare, gut durchdachte und von einer Vielzahl undurchschaubarer Figuren bevölkerte Serie, die nur vielleicht manchmal ein bißchen zu konstruiert wirkt und ob der Beschränkung auf sechs Episoden nicht den Tiefgang von "Line of Duty" erreicht – aber natürlich trotzdem ein sehr lohnenswertes TV-Erlebnis ist.
Wie erwähnt, finde ich es schwierig, über horizontal erzählte TV-Serien zu schreiben, ohne zu viel über den Handlungsverlauf zu verraten. Um entsprechende Spoiler zu vermeiden, werde ich im Folgenden nur auf die Pilotfolge ausführlich inhaltlich eingehen. Dabei muß ich naturgemäß ein wenig spoilern, aber es sollte zu verschmerzen sein. Also: Der Auftakt von "Bodyguard" ist sehr gelungen, tatsächlich neige ich sogar dazu, die ganze Pilotfolge als den erzählerischen Höhepunkt der Staffel einzuordnen – was keinesfalls bedeuten soll, daß der Rest erheblich schlechter wäre. Doch während ab Episode 2 Hochspannung und auch Action dominieren, ist "Bodyguard" in der ersten Folge noch ein wunderbar undurchschaubarer Psycho-Thriller, der die meisten der zahlreichen wichtigen Figuren vorstellt. Im Mittelpunkt steht dabei eindeutig David, der alleine in diesen fast 60 Minuten – zumindest in den Augen des Publikums – eine stärkere charakterliche Wandlung durchmacht als so manche andere Serienfigur in fünf Staffeln. Wird er uns zunächst als liebevoller Vater und guter Beobachter präsentiert, sehen wir ihn alsdann als heroischen Polizisten, der auch wegen seiner Erfahrungen als Ex-Soldat unter Lebensgefahr die verunsicherte Selbstmord-Kandidatin nicht allein von ihrem Anschlag abzuhalten versucht, sondern auch ihr Leben vor den bereitstehenden Scharfschützen der Spezialeinheit retten will. Die Botschaft ist deutlich, so scheint es: David Budd ist ein guter Mensch, ein guter Vater und ein herausragender Polizist, ergo ein idealer TV-Serienheld.
Nur daß es Serienschöpfer Jed Mercurio natürlich keineswegs sich und uns so leicht macht – was niemanden, der je "Line of Duty" gesehen hat, überraschen kann. Denn nach diesen 20 Minuten mitsamt der Beförderung zum Personenschützer der Innenministerin als Belohnung für seine Heldentat erleben wir den privaten David Budd, der ohne den Schutz seiner kugelsicheren Weste ein ganz anderer Mensch ist. Aus dem gelassenen, hochprofessionellen Polizisten wird ein unsicherer, mitunter aufbrausender Mensch, dessen vor seinen Vorgesetzten und Kollegen verheimlichte posttraumatische Belastungsstörung ihn seine Ehe gekostet hat. Und daß er nun ausgerechnet die Innenministerin beschützen soll, deren konservative Ansichten inklusive ihres Eintretens für bewaffenete Auslandseinsätze der britischen Armee er ablehnt, könnte ihm den letzten Schubs in eine düstere Richtung versetzen. Wiewohl David streng genommen nichts wirklich Bedrohliches sagt oder tut, schaffen es Schauspieler Richard Madden und Drehbuch-Autor Jed Mercurio, mit einfachsten Mitteln starke Zweifel an diesem eben noch so selbstlosen und heroischen Mann zu schüren, wobei auch die stets ganz nah an Davids Gesicht haftende Kamera eine wichtige Rolle spielt sowie die Beleuchtung – denn wenn David im Dunklen vor seinem Laptop sitzt und Julias Abstimmverhalten googelt, während sein Gesicht nur durch das vom Bildschirm abstrahlende Licht beleuchtet wird, wirkt er wie ein gefährlicher Stalker. Wenn nicht sogar wie ein zukünftiger Serienmörder, durchaus vergleichbar mit Jamie Dornans Paul Spector aus der britischen TV-Serie "The Fall".
David Budd wird also schnell als zumindest potentiell hochgradig ambivalente Person etabliert (letztlich handelt es sich ja nur um Andeutungen, die durchaus ein Stück weit manipulativ sind) – womit er sich exzellent in ein Figurenensemble einfügt, in welchem es vor Grautönen nur so wimmelt, wobei diese meist eher Richtung Schwarz als Weiß tendieren. Tatsächlich würde es mich nicht wundern, wenn die Serie in Großbritannien gerade aufgrund der ziemlich negativen bis zynischen Darstellung der meisten Politiker so erfolgreich war, schließlich ist bei Gestalten wie Boris Johnson, Nigel Farage, David Cameron oder auf der anderen politischen Seite auch Jeremy Corbyn eine mehr als nur ansatzweise Politikverdrossenheit sehr nachvollziehbar, und die bedient "Bodyguard" gekonnt. Meint man zunächst noch, die ab Folge 2 gleichberechtigt zu David in den Fokus rückende Julia Montague wäre auch abseits ihres kontroversen politischen Programms mit ihren Intrigen und ihrer Machtgier die Schlimmste, wird man recht bald – dieser Spoiler muß erlaubt sein – eines besseren (bzw. schlechteren) belehrt, denn diese Regierung gleicht einer Schlangengrube (und die Geheimdienste treiben parallel ihr eigenes Machtspiel). Kein Wunder, daß David das verachtet, womit er uns dann bei aller Doppelbödigkeit doch gleich wieder etwas sympathischer wird. Halbwegs gut kommen in "Bodyguard" höchstens ein paar Polizisten und Davids Noch-Gattin weg … Umso bemerkenswerter ist es, wie überzeugend es "Bodyguard" gelingt, Julia Montague trotz allem nicht unsympathisch wirken zu lassen. Ja, sie ist intrigant und machtbesessen, gleichzeitig aber charismatisch – und überraschenderweise scheint sie sogar aus lauteren Motiven heraus zu handeln (Stichwort: Der Zweck heiligt die Mittel). Da wäre es für meine Begriffe gar nicht nötig gewesen, daß sich zwischen David und Julia romantische Gefühle entwickeln, denn dieser Nebenhandlungsstrang lenkt eigentlich eher vom Wesentlichen ab und trägt nicht allzu viel Wesentliches zur Geschichte bei.
Womit wir wieder bei der Handlung wären. Beeindruckend ist es zweifellos, wie penibel Jed Mercurio seine Story durchdacht und konstruiert hat, wobei ich empfehle, besonders in der Pilotfolge aufzupassen – denn daraus werden selbst einige vermeintliche Nebensächlichkeiten im Finale noch einmal wichtig. Zwar schadet es dem Verständnis nicht, wenn man sich daran nicht mehr so gut erinnert; aber wenn man es tut, ist es bemerkenswert, wie viele Kleinigkeiten aus der ersten Folge Mercurio in Episode 6 so subtil wie intelligent referenziert (die Stalker-Andeutungen) oder auch konterkariert (etwa bezüglich Davids Haltung zu bestimmten Personen oder Personengruppen). Bedauerlicherweise kann die Handlung an sich nicht ganz mithalten. Sie bleibt zwar von Anfang bis Ende spannend und voller Überraschungen, wirkt jedoch mit einigen großen "Zufällen" (auch wenn die durchaus logisch begründet werden) recht konstruiert und vor allem der erste Teil der Auflösung wirkt etwas billig und nur bedingt glaubwürdig (würde der Bösewicht nicht praktischerweise alles zugeben, dürfte es sehr schwierig werden, ihm vor Gericht etwas stichhaltig nachzuweisen). Angesichts des rasanten Erzähltempos erhält man glücklicherweise wenig Zeit, über die leichten dramaturgischen Schwächen nachzudenken, sie sind aber sehr wohl vorhanden – und der Schwerpunkt auf Suspense und die zwei Hauptfiguren sorgt dafür, daß die Verschwörungs- und Terrorismusaspekte der Handlung relativ oberflächlich wirken. Wenig Grund zur Klage gibt es hingegen bei der Besetzung: Vor allem Richard Madden liefert eine glänzende Leistung ab und schafft es mit einer energetischen, leidenschaftlichen Performance zu Davids Achterbahnfahrt der Emotionen, daß man wirklich lange nicht sicher ist, wie man ihn einschätzen soll. Aber auch Keeley Hawes ist als zwielichtige, jedoch nicht unsympathische Politikerin bestens aufgelegt, ihre Julia Montague zeigt all die Chancen und Gefahren charismatischer Politiker mit einer Agenda auf. Alle übrigen Rollen verblassen gegen das dominante zentrale Duo, dennoch fügen sich Schauspieler wie Nina Toussaint-White (als Ermittlerin Louise Rayburn), Gina McKee (als Anne Sampson, Leiterin der Anti-Terroreinheit), Sophie Rundle (als Davids Noch-Gattin Vicky), Stuart Bowman (als Geheimdienstchef Stephen Hunter-Dunn) oder Anjli Mohindra (als Beinahe-Selbstmord-Attentäterin Nadia Ali) einwandfrei in ein überzeugendes Ensemble ein. Ursprünglich war "Bodyguard" übrigens wohl als Miniserie vorgesehen, wofür auch das weitestgehend abgeschlossene Ende der Geschichte spricht; aber angesichts des riesigen Erfolges befindet sich inzwischen eine zweite Staffel in Planung.
 
Fazit: Die in sich abgeschlossene erste Staffel der britischen TV-Serie "Bodyguard" beschert dem Publikum eine atemlose und wendungsreiche politische Verschwörungs-Thrillerstory, die bei genauer Betrachtung ein wenig oberflächlich bleibt, aber mit erstklassiger Inszenierung und zwei tollen Hauptdarstellern durchgehend glänzend unterhält.
 
Wertung: 8,5 Punkte.
 
Die erste Staffel von "Bodyguard" ist am 19. Februar 2021 von Pandastorm Pictures auf DVD und Blu-ray erschienen. Das Bonusmaterial umfaßt neben dem Trailer eine gute Handvoll kurzer Featurettes, die allerdings nicht allzu sehr in die Tiefe gehen. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Glücksstern-PR zur Verfügung gestellt.
 

 

Screenshots: © Pandastorm Pictures, BBC

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