Trotz seiner überschaubaren Körpergröße von 1,65 m war Sir Ian Holm ohne Zweifel einer der ganz großen britischen Schauspieler. Das bewies er zunächst vor allem am Theater, in bereits etwas reiferem Alter zudem immer wieder im Kino, wenn auch dort meist in großen Nebenrollen - die ihm dafür Weltruhm bescherten. Gestern starb der seit Jahren an Parkinson erkrankte Charakterdarsteller Ian Holm, der häufig Gelehrte, aber auch zwielichtige Figuren spielte, mit 88 Jahren in einem Londoner Krankenhaus.
Wie so viele britische Schauspielgrößen startete auch Ian Holm seine Karriere im Theater, u.a. war er mehr als 15 Jahre lang Mitglied der legendären Royal Shakespeare Company, weshalb es wenig überrascht, daß er viele große Theatererfolge in Shakespeare-Stücken feierte. Doch auch am New Yorker Broadway agierte Holm und errang so 1967 mit dem Tony Award als bester Nebendarsteller in Harold Pinters "The Homecoming" seinen ersten global bedeutenden Preis. Vor die Kamera begab sich Holm in jungen Jahren eher selten und wenn doch einmal, dann zumeist in TV-Produktionen - häufig historische Stoffe oder Shakespeare-Verfilmungen. Doch gleich mit seiner ersten richtigen Kinorolle in Jack Golds Militärdrama "Ereignisse beim Bewachen der Bofors-Kanone" (1968) konnte er auch die Filmkritiker überzeugen und gewann für seine Leistung den BAFTA-Award (den "britischen OSCAR") für die beste Nebenrolle. Voll auf seine Filmkarriere konzentrierte sich Holm allerdings erst ab Mitte der 1970er Jahre - als er bereits in seinen 40ern war -, nachdem er auf der Bühne eine Panikattacke erlitt und deshalb nur noch vereinzelt zum Theater zurückkehrte. Nach ein paar kleineren Erfolgen in Filmen wie Richard Lesters "Robin und Marian" (1976, als Prinz John) oder Dick Richards' Kriegsdrama "Marschier oder stirb" (1977, als Beduinen-Anführer, der die Stämme gegen die französischen Besatzer vereinigen will) dauerte es nicht lange, bis Ian Holm den endgültigen Kino-Durchbruch feiern konnte. In Sir Ridley Scotts SciFi-Horror-Meisterwerk "Alien" (1979) spielt er Ash, den undurchsichtigen, betont nüchtern auftretenden Wissenschaftsoffizier des Frachtraumschiffes "Nostromo", das einem Notruf folgt und so unglückselige Bekanntschaft mit der titelgebenden tödlichen außerirdischen Kreatur macht. Ash zählt in diesem grandiosen Ensemblestück auf den ersten Blick zu den leiseren, unauffälligen Rollen, spielt in der Geschichte jedoch eine Schlüsselrolle, deren Funktionieren auch Holms charismatischer Darbietung einer nicht einfach zu spielenden Figur zu verdanken ist. Deutlich weniger bekannt, aber ähnlich überzeugend ist Holms beklemmende Darstellung des tyrannischen Unteroffiziers Himmelstoß in Delbert Manns TV-Film "Im Westen nichts Neues" (ebenfalls 1979), einer gelungenen Neuverfilmung des Anti-Kriegsromans von Erich Maria Remarque.
Die 1980er Jahre begann Ian Holm mit Hugh Hudsons Sportfilm "Die Stunde des Siegers" über die wahre Geschichte zweier britischer Läufer, die an den Olympischen Spielen 1924 in Paris teilnahmen - Holm spielt den Lauftrainer Sam Mussabini und erhielt dafür die einzige OSCAR-Nominierung seiner Karriere sowie seinen zweiten und letzten BAFTA Award (bei insgesamt sechs Nominierungen) und den Darsteller-Preis in Cannes. Im gleichen Jahr absolvierte Holm einen Gastauftritt als Napoléon in dem Fantasy-Abenteuer "Time Bandits", wobei er dessen Regisseur und Autor, Monty Python-Mitglied Terry Gilliam, offenbar genügend beeindruckte, um vier Jahre später auch in dessen dystopischem Klassiker "Brazil" in einer wichtigen Rolle als Chef des von Jonathan Pryce verkörperten Protagonisten Sam mitzuwirken. Es folgten weitere sehenswerte Rollen etwa in Hugh Hudsons "Greystoke" (1984, als belgischer Forscher im afrikanischen Dschungel), als Agatha Christies Meisterdetektiv Hercule Poirot in dem TV-Film "Murder by the Book" (1987) oder in Woody Allens "Eine andere Frau" (1988), zudem wirkte er in Shakespeare-Adaptionen von Kenneth Branagh ("Heinrich V.", 1989) und Franco Zeffirelli ("Hamlet", 1990) mit. Die 1990er Jahre waren vielleicht sogar Ian Holms produktivste Kino-Zeit, wurde er doch regelmäßig von großen Regisseuren wie Steven Soderbergh ("Kafka"; 1991, als experimentierfreudiger Arzt), David Cronenberg ("Naked Lunch", 1991, und "eXistenZ", 1999), Kenneth Branagh ("Mary Shelleys Frankenstein", 1994; als Baron Frankenstein), Sidney Lumet ("Nacht über Manhattan", 1996), Danny Boyle ("Lebe lieber ungewöhnlich", 1997) oder Albert und Allen Hughes ("From Hell", 2001; als königlicher Leibarzt, der Johnny Depps Inspector Abberline bei der Suche nach Jack the Ripper hilft) angeheuert. Auch zwei seiner besten Rollen - die unterschiedlicher kaum sein könnten - spielte Holm in dieser Dekade: Für Luc Bessons kunterbuntes SciFi-Abenteuer "Das fünfte Element" (1997) gab er den weisen Priester Vito, der dem von Bruce Willis verkörperten Helden hilft, die Welt zu retten. Und der Kanadier Atom Egoyan gab Holm eine seiner wenigen Kino-Hauptrollen, was der zu einer echten Glanzleistung nutzte: In dem intensiven Drama "Das süße Jenseits" (1997) spielt er den Anwalt Mitchell Stephens, der nach einem Schulbus-Unfall in einer kanadischen Kleinstadt die Angehörigen der getöteten Schüler zu einer Klage gegen die überlebende Busfahrerin überreden will. Wie Holm an der Seite der ebenso großartig aufspielenden Sarah Polley (die die neben der Busfahrerin einzige Überlebende spielt) in dieser emotionalen, tieftraurigen Geschichte voller ambivalenter Figuren, aber ohne Bösewichte den selbst traumatisierten Anwalt gibt, der mit Leidenschaft bis hin zur Aggressivität, aber auch großer Einfühlsamkeit versucht, einen moralisch fragwürdigen Fall aufzubauen, ist eine schauspielerische Glanzleistung, die ihm zahlreiche Auszeichnungen und Nominierungen einbrachte.
Seine - trotz überschaubarer Screentime - wohl bekannteste Rolle ergatterte Ian Holm mit 70 Jahren, als er in zwei der drei Teile von Peter Jacksons gefeierter "Der Herr der Ringe"-Trilogie den unternehmungsfreudigen alten Hobbit Bilbo Beutlin spielte, der als Auslöser der Abenteuer seines Neffen Frodo (den Holm kurioserweise 1981 in einem BBC-Hörspiel gesprochen hatte) fungiert - auch in Jacksons "Der Hobbit"-Prequel-Trilogie war Holm in dieser Rolle noch zwei Mal kurz als Erzähler zu sehen und zu hören. An seinen "Herr der Ringe"-Weltruhm schlossen sich in den folgenden Jahren Nebenrollen in Zach Braffs Tragikomödie "Garden State" (2004), Roland Emmerichs Katastrophenfilm-Hit "The Day After Tomorrow" (2004), Martin Scorseses Howard Hughes-Biopic "Aviator" (2005) und Andrew Niccols "Lord of War" (2005) an sowie eine Sprechrolle in Pixars Animationsfilm "Ratatouille" (2007), bevor er sich auch aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung weitgehend in den Ruhestand zurückzog.
Am 19. Juni 2020 starb Sir Ian Holm im Alter von 88 Jahren in London. R.I.P.
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