Regie und Drehbuch: Bryan Bertino, Musik: Tom Schraeder
Darsteller: Marin
Ireland, Michael Abbott Jr., Julie Oliver-Touchstone, Lynn Andrews,
Xander Berkeley, Tom Nowicki, Michael Zagst, Ella Ballentine, Mel
Cowan, Mindy Raymond
FSK: nicht geprüft,
Dauer: 95 Minuten.
Die Geschwister
Louise (Marin Ireland, "The Irishman") und Michael (Michael
Abbott Jr., "Mud – Kein Ausweg"), beide etwa 40, kehren
nach längerer Zeit auf die Familien-Schaffarm im ruralen
Texas zurück, wo ihr Vater (Michael Zagst) im Sterben liegt. Während
sich eine Pflegerin (Lynn Andrews, "Yes Day") um den
dementen Vater kümmert, der kaum noch bei Bewußtsein ist und sich
geistig schon länger verabschiedet zu haben scheint, geht es Mutter
Virginia (Julie Oliver-Touchstone, TV-Serie "Preacher")
verständlicherweise auch nicht sehr gut. Louise und Michael machen sich
Sorgen um die ebenso abwesend wie abweisend wirkende Virginia – doch
sie können nicht verhindern, daß ihre Mutter sich in der Nacht in
der Scheune erhängt. Schockiert versuchen die Geschwister das
Geschehen irgendwie zu verarbeiten, doch als es wiederholt zu gruseligen und
unerklärbaren Vorfällen im alten Haus kommt und Michael das
Tagebuch ihrer Mutter findet, wird ihnen klar, daß hier nur wenig
mit rechten Dingen zugeht. Offenbar fürchtete Virginia, daß eine
dunkle Präsenz es auf die Seele ihres Gatten abgesehen haben, außerdem
hatte sie Kontakt zu einem wenig vertrauensvoll wirkenden Priester
(Xander Berkeley, TV-Serie "The Walking Dead"). Während
Michael nur noch zurück zu seiner Familie will, sobald ihr Vater
gestorben ist, möchte Louise der Sache auf den Grund gehen ...
Kritik:
Als der gebürtige
Texaner Bryan Bertino im Jahr 2008 als gerade einmal 30-Jähriger mit
seinem Regie- und Drehbuchdebüt "The Strangers" gleich
einen formidablen kommerziellen Hit landete – bei einem Budget von unter $10 Mio. spielte der Home Invasion-Horrorthriller mit Liv Tyler
und Scott Speedman weltweit über $80 Mio. ein –, schien das der Beginn
einer vielversprechenden Hollywood-Karriere zu sein. Stattdessen
geriet diese schnell ins Stocken, als sein geplanter Folgefilm "This
Man" nie umgesetzt wurde und es deshalb sechs Jahre dauerte, bis
er mit dem Found Footage-Horrorfilm "Play – Tödliches Spiel"
(Originaltitel: "Mockingbird") sein Zweitwerk vorlegte –
das von der Kritik verrissen und ohne Kinoauswertung direkt im
Heimkino "entsorgt" wurde. Wenigstens bedeutete das nicht das
frühe Ende seines Schaffens, denn zunächst als Produzent von "Die
Tochter des Teufels" (2015), dann als Regisseur und
Drehbuch-Autor des Horrordramas "The Monster" (2016) mit
Zoe Kazan gelangen ihm seine ersten Kritikerlieblinge – auch
wenn der kommerzielle Erfolg ausblieb. Der stellte sich erst mit der mittelmäßigen "The Strangers"-Fortsetzung
"Opfernacht" (2018) ein, zu der Bertino das Drehbuch
beisteuerte, die Regie jedoch Johannes Roberts überließ. Nun legt Bryan Bertino mit dem finsteren Familien-Gruseldrama "The
Dark and the Wicked" den bisher bestrezensierten Film seiner
Karriere vor, der das Publikum trotz eines auffälligen Mangels an
Originalität wahrlich das Fürchten lehrt.
Eines vorweg: Ich
habe "The Dark and the Wicked" auf Englisch ohne Untertitel
gesehen und leider sprechen einige Figuren ziemlich
undeutlich. Alles Gesagte verstanden habe ich also nicht, allerdings
glaube ich auch nicht, daß mir etwas Entscheidendes entgangen ist –
zumal Bertinos Schauermär sich sowieso nicht groß mit Erklärungen
aufhält. Das wiederum ist ein Punkt, der erfahrungsgemäß viele
Horrorfans stört und die mediokren Zuschauerbewertungen
bei Rotten Tomatoes oder IMDb erklären dürfte. Ich kann das
nachvollziehen, denn wenngleich ich nichts gegen eher
erklärungsscheue Filme und offene Enden haben, ist das menschliche
Bedürfnis nach Erklärungen nunmal groß und auch ich kann mich dem
nicht völlig entziehen. Trotzdem ist es eine völlig legitime
Entscheidung, darauf zu verzichten und sich stattdessen lieber ganz auf die
düstere Atmosphäre und die Inszenierung der grausigen Vorkommnisse
zu konzentrieren. Das gilt erst Recht dann, wenn dies so meisterhaft
geschieht wie in "The Dark and the Wicked". Denn einen
verstörenderen, finstereren, pessimistischeren Film als diesen
wird man nur schwer finden – mir kommt auf Anhieb einzig Ari Asters
thematisch durchaus verwandter und in seiner Drastik wahrscheinlich
sogar noch verstörenderer "Hereditary" in den Sinn. "The
Dark and the Wicked" beginnt schon deprimierend mit der
ziemlich unangenehmen Rückkehr der Geschwister auf die Farm,
um sich von ihrem auf dem Sterbebett liegenden Vater zu verabschieden – und ab da
geht es stimmungsmäßig immer und immer weiter in den Keller! Die Konsequenz,
mit der Bertino den Alptraum fortführt, ist bewundernswert
und deprimierend zugleich. Wer will, kann in diese düstere
Familiengeschichte durchaus einige gesellschaftliche Anspielungen hineinlesen, etwa was den ökonomischen
Verfall des ruralen Amerika betrifft, die zerbröselnden
Familienstrukturen oder schlicht die Angst der jüngeren
Menschen vor Alter, Krankheit und (einsamem) Tod. Allerdings beläßt
Bertino es bei leichten Anspielungen, die er nicht weiter ausführt
und die man problemlos übersehen kann, um sich einfach auf
die Grusel- und Horroraspekte zu konzentrieren.
Dabei sind die, wie
erwähnt, für sich genommen wenig originell. Man wird kaum eine
Szene, kaum eine Entwicklung wahrnehmen, die man so ähnlich nicht
schon sehr oft im Horrorgenre gesehen hat. Jedoch ist es das Zusammenspiel
dieser Szenen und Sequenzen, die "The Dark and the Wicked"
sich deutlich von der Horror-Massenware abheben läßt. Der Film ist in sieben Tage unterteilt, wobei es zunächst vergleichsweise harmlose unerklärliche Vorkommnisse sind, mit
denen sich Louise und mit etwas Verzögerung auch Michael
konfrontiert sehen – und das alte, dunkle und wenig einladende Haus mit dem makabren Rinderschädel über der Tür tut das Seinige dazu, um jeden Anflug von Heimeligkeit im Ansatz zu zerstören. Doch mit jedem Tag steigert sich der Horror,
steigert sich das Grauen mitleidlos. Bertino setzt die Tour de Force
seiner bedauernswerten Protagonisten beklemmend intensiv in
Szene mit schaurig-schönen Bildkompositionen – die wiederum nicht
selten an die Filme von Ari Aster oder Robert Eggers ("The Witch") erinnern –
und einer latent beunruhigenden Musik von Tom Schraeder. Klar,
ein dissonanter Score bei einem Horrorfilm ist nicht ansatzweise eine
neue Idee, aber auch hier ist die Umsetzung entscheidend und
Schraeders Musik ist so packend wie gänsehauterzeugend. Von
Schraeder stammen auch zwei beunruhigende Lieder, die im Film
vorkommen, ein drittes erklingt mit dem grandiosen "Darkness
Stalls" während der Credits und entläßt das Publikum mit
einem wohligen Schaudern aus diesem buchstäblich unerklärlichen
Alptraum. Und apropos: Bertinos Unwille, das Geschehen in "The Dark
and the Wicked" näher zu erläutern, wirkt sich auch
dramaturgisch aus. Denn während in den allermeisten Genrefilmen von
"Amityville Horror" über "Insidious" bis zu
"Conjuring" im Mittelteil die Suche nach Antworten in den
Vordergrund rückt und im Normalfall von den Protagonisten ein
Priester, Medium, Journalist, Historiker oder sonst eine belesene
respektive wißbegierige Person hinzugezogen wird, spielt das hier
abseits von Virginias rätselhaftem Tagebuch kaum eine Rolle. Der von
TV-Veteran Xander Berkeley mit leichtem Overacting verkörperte Priester scheint sich
dafür anzubieten, bleibt aber letztlich eine – angemessen
mysteriöse – Randnotiz. Nicht nur damit unterläuft Bertino immer
wieder die Erwartungen der Zuschauer; so scheinen sich viele Szenen
klar in Richtung eines Jumpscares aufzubauen, der dann aber doch
(meistens) ausbleibt – was sie aber in der Regel nicht weniger
furchterregend enden läßt. Kurzum: In Sachen Grusel hat Bryan
Bertino seine Hausaufgaben gründlich erledigt und läßt wenig
Wünsche offen. Auch die bis auf die angesehene Indie- und
TV-Darstellerin Marin Ireland (und den Gastauftritt von Berkeley)
weitgehend unbekannte und zumindest vor der Kamera unerfahrene
Besetzung macht ihre Sache gut, wobei Ireland Louises seelische
Tortur besonders überzeugend spielt. Letztlich bleiben eigentlich
nur zwei Probleme, die per se gar keine sind, aber trotzdem dafür
sorgen, daß "The Dark and the Wicked" ein Nischenfilm
bleiben dürfte: der Mangel an Erklärungen (inklusive eines
in meinen Augen nur bedingt funktionierenden Endes) und die
deprimierend düstere Stimmung. Trotzdem: Genrefans sollten Bertinos
Film eine Chance geben!
Fazit:
"The Dark and the Wicked" ist ein Gruselfilm, der seinem
Titel alle Ehre macht und das Publikum mit zwei bedauernswerten
Protagonisten auf eine verstörende, jedoch erklärungsarme Reise
in die Hölle schickt.
Wertung:
7,5
Punkte.
"The Dark and the Wicked" ist ab 14. April 2022 im Vertrieb von Indeed Film in deutschen Kinos zu sehen. Eine Rezensionsmöglichkeit wurde mir freundlicherweise von More Publicity zur Verfügung gestellt.
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