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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 16. Juni 2020

DA 5 BLOODS (2020)

Regie: Spike Lee, Drehbuch: Danny Bilson, Paul De Meo, Kevin Willmott, Spike Lee, Musik: Terence Blanchard
Darsteller: Delroy Lindo, Clarke Peters, Isiah Whitlock Jr., Norm Lewis, Jonathan Majors, Johnny Trí Nguyễn, Chadwick Boseman, Jean Reno, Mélanie Thierry, Jasper Pääkkönen, Paul Walter Hauser, Lȇ Y Lan, Nguyễn Ngọc Lâm, Sandy Huong Phạm, Vân Veronica Ngô
 Da 5 Bloods (2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 92% (8,0); FSK: 16, Dauer: 155 Minuten.
Nach fast einem halben Jahrhundert kehren die afroamerikanischen Vietnam-Veteranen Paul (Delroy Lindo, "Schnappt Shorty"), Otis (Clarke Peters, "Three Billboards …"), Eddie (Norm Lewis, TV-Serie "Scandal") und Melvin (Isiah Whitlock Jr., "Ein Gauner & Gentleman") in das asiatische Land zurück, in dem sie endlich die sterblichen Überreste ihres damals gefallenen Kameraden Norman (Chadwick Boseman, "Black Panther") bergen und sie zurück in die USA bringen wollen. Allerdings ist das nicht ihr einziges Ziel, denn bei einer Mission waren sie auf ein abgestürztes CIA-Flugzeug mit einer Truhe voller Goldbarren gestoßen, die sie vergruben. Dummerweise waren nach dem Krieg keine der Landmarken mehr übrig, die dem überlebenden Quartett hätten den Weg weisen können. Erst jetzt hat ein Erdrutsch das Flugzeug-Wrack und damit die ungefähre Position des Schatzes wieder freigegeben. Ungeplant schließt sich den Veteranen in Ho Chi Minh City (dem früheren Saigon) Pauls entfremdeter Sohn David (Jonathan Majors, "Feinde – Hostiles") an, der herausgefunden hat, was sein Vater und seine Kumpels vorhaben. Nachdem mit dem zwielichtigen französischen Geschäftsmann Desroche (Jean Reno, "22 Bullets") ein Deal geschlossen wurde, das Gold sicher aus Vietnam transportieren, machen sich die fünf Männer mit dem einheimischen Führer Vinh (Johnny Trí Nguyễn) auf den Weg in den Dschungel. Dort machen der Gruppe nicht nur das Alter der Veteranen und düstere Erinnerungen zu schaffen, für Spannungen sorgt außerdem Pauls aggressives, paranoides und zunehmend erratisches Verhalten …

Kritik:
Als Spike Lee seinen Plan eines Films über vier schwarze Vietnam-Veteranen, die knapp 50 Jahre später dorthin zurückkehren, um einen verstorbenen Kameraden und einen vergrabenen Goldschatz zu finden, den Studios vorstellte, stieß er nicht unbedingt auf offene Ohren. So kommt es, daß "Da 5 Bloods" trotz des großen Erfolges von Lees mit dem Drehbuch-OSCAR prämiertem "BlacKkKlansman" zwei Jahre zuvor nicht in die Kinos kam, sondern direkt beim Streaming-Giganten Netflix veröffentlicht wurde – der als einziger zur Finanzierung bereit war. Nachträglich werden sich einige Verantwortliche über ihre Absage an Lee geärgert haben, denn daß der betont sozialkritische "Da 5 Bloods" genau zu einer weltweiten Welle von "Black Lives Matter"-Demonstrationen veröffentlicht wurde und als ernsthafter OSCAR-Kandidat gilt, hätte mit Sicherheit für großes Zuschauer-Interesse in den Kinos gesorgt – naja, zumindest wenn es keine globale Corona-Pandemie gäbe (die auf jeden Fall zu einer Verschiebung des Kinostarts geführt hätte). So oder so kann sich Netflix über einen hochkarätigen Neuzugang in seinem qualitativ sehr wechselhaften Angebot von Film-Eigenproduktionen freuen, der allerdings auf der großen Leinwand mit Sicherheit noch besser gewirkt hätte als im Heimkino. Denn wenngleich Spike Lees zweieinhalbstündiges Epos nicht frei von Schwächen ist, ist dem streitbaren US-Filmemacher ein eindrucksvolles Werk gelungen, das großen Hollywood-Klassikern Tribut zollt, ohne dabei auf eine eigene Blickweise nicht nur auf die Rassismus-Thematik zu verzichten.

Den gesellschaftspolitischen Rahmen gibt Spike Lee "Da 5 Bloods" vor durch eine Art Prolog mit Archivaufnahmen von u.a. Martin Luther King, Malcolm X und den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und Richard Nixon, die den Kontext zwischen Bürgerrechtsbewegung und Vietnam-Krieg erklärt, denn beispielsweise war es so, daß gemessen am Bevölkerungsanteil viel mehr junge schwarze Männer in den Krieg geschickt wurden als weiße, die bei entsprechenden Beziehungen schon mal wegen eines Fersensporns vom Kriegsdienst befreit werden konnten – ein Thema, das bereits in Oliver Stones Vietnam-Klassiker "Platoon" eine bedeutende Rolle spielte, in dem der von Charlie Sheen verkörperte weiße Protagonist sich gerade wegen dieser Ungerechtigkeit freiwillig zum Kriegsdienst an der Front meldet (analog zu Stone selbst). Wie stark sich die Auswirkungen der rassistisch geprägten Soldaten-Auswahl auswirkten, erkennt man natürlich in erster Linie an den vielen afroamerikanischen Soldaten, die den Vietnam-Krieg nicht überlebten – doch Lee will mit "Da 5 Bloods" aufzeigen, daß auch die Überlebenden oft dauerhaft unter ihren Erlebnissen litten respektive immer noch leiden. Dementsprechend haben unsere vier Protagonisten – inzwischen alle locker in ihren 60ern – allesamt noch immer eine posttraumatische Belastungsstörung (auf Englisch mit PTSD abgekürzt), was sie sich offen eingestehen (es gibt weitere gesundheitliche Auswirkungen, aber die will ich nicht spoilern). Manche kamen damit besser zurecht als andere, wobei es speziell Paul offenbar nie gelungen ist, sich von seinen damaligen Erfahrungen zu lösen. Paul ist laut, aggressiv, ungeduldig und gegenüber den Vietnamesen mindestens latent rassistisch eingestellt, außerdem hat er ein schlechtes Verhältnis zu seinem Sohn David und ist – zum Schreck seiner einstigen Kumpels – ein überzeugter Trump-Wähler, der seine rote MAGA-Kappe sogar in den vietnamesischen Dschungel mitnimmt …

Angesichts dessen könnte man meinen, Lee habe den Unsympath Paul als Quasi-Antagonist in seinen Film aufgenommen (wobei vier weitere Autoren am Drehbuch beteiligt waren; wer Paul schuf, ist mir nicht bekannt), als Troublemaker, der die Handlung vorantreiben und zugleich ein schlechtes Licht auf reaktionäre Trump-Fans werfen soll. Doch so einfach macht es sich der offene Trump-Kritiker Lee zum Glück nicht. Zwar wird Paul trotz einiger netter Momente mit seinem Sohn nie zu einem Sympathieträger und es gibt mehr als genügend Szenen, in denen man diesem Kerl liebend gerne Vernunft einbläuen würde; dennoch stellt sich nach und nach heraus, daß genau dieser Paul das emotionale Zentrum von "Da 5 Bloods" ist. Daß man Pauls Beweggründe erst spät richtig erklärt bekommt, kann man durchaus kritisch sehen, immerhin wirkt sein zunehmend erratisches Verhalten bis dahin selbst mit der Allzweck-Erklärung PTSD nur bedingt nachvollziehbar. Vielleicht wäre es besser gewesen, mit den Hintergründen früher aufzuwarten, aber auch diese nachträgliche Rechtfertigung funktioniert und ist an dieser späten Stelle womöglich sogar effektiver. Das ist auch der phantastischen Leistung von Paul-Darsteller Delroy Lindo zu verdanken – ich mochte den Briten, der in den 1990er Jahren häufig prägnante Nebenrollen in Hollywood-Produktionen wie "Schnappt Shorty", "Operation: Broken Arrow" oder "Nur noch 60 Sekunden" spielte, in den letzten Jahren aber überwiegend im TV-Bereich tätig war, schon immer, umso mehr freut es mich, daß er nun in fortgeschrittenem Alter endlich eine ganz auf ihn zugeschnittene Hauptrolle bekommen hat, die er so exzellent spielt, daß er ein sehr ernsthafter OSCAR-Kandidat ist. Ja, seine extrovertierte Rolle ist dankbar, trotzdem muß man das erst mal so überzeugend und intensiv umsetzen, ohne ins Overacting abzudriften. Vor allem ein denkwürdiger Monolog, den Paul gegen Ende direkt in die (iPhone-)Kamera spricht, dürfte in die Filmgeschichte eingehen.

Apropos Kamera: "Da 5 Bloods" wartet mit drei unterschiedlichen Seitenverhältnissen auf: Zu Beginn wird die Geschichte im ganz normalen 16:9-Verhältnis erzählt, wechselt dann aber mit dem Verlassen von Ho Chi Minh City in Richtung Urwald ins Vollbild, wobei Spike Lee und sein Kameramann Newton Thomas Sigel ("Bohemian Rhapsody") diesen Umbruch mit einer tollen "Apocalypse Now"-Hommage regelrecht zelebrieren – und die gelegentlichen Rückblenden in den Vietnam-Krieg warten mit einem quadratischen Format auf und sind auf grobkörnigem Filmmaterial gedreht, um möglichst authentisch zu wirken. Dieses Vorhaben gelingt, wird aber dadurch ein wenig konterkariert, daß in den Rückblenden keineswegs jüngere Schauspieler an der Seite des gefallenen Norman agieren, sondern die (auch nicht via CGI verjüngten) Darsteller der Gegenwarts-Handlung. Lee sagt offen, daß diese Entscheidung in erster Linie finanzielle Gründe hatte, doch entwickelt sie eine vielleicht gar nicht eingeplante künstlerische Wirkung, denn für das Publikum wird so der Eindruck verstärkt, daß Paul, Otis und Co. den Vietnam-Krieg nie richtig hinter sich gelassen haben und in ihren Köpfen noch als alte Männer auf den Schlachtfeldern von damals kämpfen. Francis Ford Coppolas Meisterwerk "Apocalypse Now" ist übrigens generell die offensichtlichste Inspirationsquelle zumindest der ersten zwei Akte von "Da 5 Bloods", denn neben einer direkten Einbindung des Films in einer Bar von Ho Chi Minh City hat Lee einige Anspielungen eingebaut, phasenweise folgt sogar die Storystruktur der von "Apocalypse Now" und ein paar ikonische Einstellungen wurden fast eins zu eins übernommen – und Paul kann man mit ein bißchen Phantasie als Lees Variante von Marlon Brandos Colonel Kurtz betrachten. Das letzte Drittel löst sich derweil von "Apocalypse Now" und orientiert sich erkennbar an John Hustons Abenteuer-Klassiker "Der Schatz der Sierra Madre" aus dem Jahr 1948.

Wenngleich "Da 5 Bloods" zweifellos als eigenständiges Werk funktioniert, sind diese häufigen Verweise auf die großen Vorbilder doch nicht ganz problemlos. So ist die Kernhandlung mit der Suche nach Norman und dem Goldschatz doch arg dünn. Einige dazustoßende Personen – wie das für eine NGO nach übriggebliebenen Landminen suchende Trio Hedy (Mélanie Thierry, "The Zero Theorem"), Seppo (Jasper Pääkkönen, TV-Serie "Vikings") und Simon (Paul Walter Hauser, "I, Tonya") – bringen zwar etwas Schwung hinein, aber das wirkt eher gezwungen und nur bedingt glaubwürdig. Dazu kommt, daß die Figurenzeichnung generell ziemlich flach bleibt – außer bei Paul erfahren wir kaum etwas über die Charaktere, ihre Vergangenheit oder ihre Motivation. Das ist besonders bei Pauls "Blutsbrüdern" bedauernswert, auch wenn die guten Schauspieler ein Stück weit darüber hinwegtrösten. Hinsichtlich der Handlung kann man sich außerdem kaum des Eindrucks erwehren, daß Lee zu viele Themen irgendwie einbringen wollte und es deshalb wirkt, als habe er eine Checkliste erstellt, auf der er jeden Punkt abhakt, wenn er einen halbwegs passenden Einsatzort gefunden hat (z.B. die Erwähnung des Massakers von My Lai). Die Beweggründe dafür sind nachvollziehbar, subtil geht aber natürlich anders – was auch für den ersten großen dramatischen Schockmoment von "Da 5 Bloods" gilt, der leider so plakativ inszeniert ist, daß er für kaum jemanden, der schon ein paar Kriegsfilme gesehen hat, überraschend kommen dürfte. Schwächen hat "Da 5 Bloods" also einige, doch alles in allem funktioniert der Film – der übrigens mit Songs aus dem Antikriegs-Album "What's Going On" von Marvin Gaye aus dem Jahr 1971 unterlegt ist – aufgrund seiner frischen Perspektive, einer erstklassigen handwerklichen Umsetzung, der Einbettung in den aktuellen gesellschaftlichen Kontext und der vom sensationell aufspielenden Delroy Lindo angeführten starken Besetzung gut.

Fazit: "Da 5 Bloods" ist eine Mischung aus Kriegsdrama, Abenteuerfilm und Charakterstudie, die zwar storymäßig etwas dünn ausfällt, jedoch toll aussieht, viele gute Einfälle hat und mit einem OSCAR-reif aufspielenden Hauptdarsteller begeistert.

Wertung: 7,5 Punkte.

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