Regie: Spike Lee, Drehbuch: Danny Bilson, Paul De Meo, Kevin
Willmott, Spike Lee, Musik: Terence Blanchard
Darsteller: Delroy Lindo, Clarke Peters, Isiah Whitlock Jr.,
Norm Lewis, Jonathan Majors, Johnny Trí Nguyễn, Chadwick Boseman, Jean Reno, Mélanie
Thierry, Jasper Pääkkönen, Paul Walter Hauser, Lȇ Y Lan, Nguyễn Ngọc
Lâm, Sandy Huong Phạm, Vân Veronica Ngô
Nach fast einem halben Jahrhundert kehren die afroamerikanischen Vietnam-Veteranen Paul (Delroy Lindo, "Schnappt
Shorty"), Otis (Clarke Peters, "Three Billboards …"), Eddie
(Norm Lewis, TV-Serie "Scandal") und Melvin (Isiah Whitlock Jr.,
"Ein Gauner & Gentleman") in das asiatische Land zurück, in dem
sie endlich die sterblichen Überreste ihres damals gefallenen Kameraden Norman
(Chadwick Boseman, "Black Panther") bergen und sie zurück in die USA
bringen wollen. Allerdings ist das nicht ihr einziges Ziel, denn bei einer
Mission waren sie auf ein abgestürztes CIA-Flugzeug mit einer Truhe voller
Goldbarren gestoßen, die sie vergruben. Dummerweise waren nach dem Krieg keine
der Landmarken mehr übrig, die dem überlebenden Quartett hätten den Weg weisen
können. Erst jetzt hat ein Erdrutsch das Flugzeug-Wrack und damit die
ungefähre Position des Schatzes wieder freigegeben. Ungeplant schließt sich den
Veteranen in Ho Chi Minh City (dem früheren Saigon) Pauls entfremdeter Sohn
David (Jonathan Majors, "Feinde – Hostiles") an, der herausgefunden
hat, was sein Vater und seine Kumpels vorhaben. Nachdem mit dem zwielichtigen französischen
Geschäftsmann Desroche (Jean Reno, "22 Bullets") ein Deal geschlossen
wurde, das Gold sicher aus Vietnam transportieren, machen sich die fünf
Männer mit dem einheimischen Führer Vinh (Johnny Trí Nguyễn) auf den
Weg in den Dschungel. Dort machen der Gruppe nicht nur das Alter der Veteranen
und düstere Erinnerungen zu schaffen, für Spannungen sorgt außerdem Pauls aggressives, paranoides
und zunehmend erratisches Verhalten …
Kritik:
Als Spike Lee seinen Plan eines Films über vier schwarze
Vietnam-Veteranen, die knapp 50 Jahre später dorthin
zurückkehren, um einen verstorbenen Kameraden und einen vergrabenen Goldschatz
zu finden, den Studios vorstellte, stieß er nicht unbedingt auf offene Ohren.
So kommt es, daß "Da 5 Bloods" trotz des großen Erfolges von Lees
mit dem Drehbuch-OSCAR prämiertem "BlacKkKlansman" zwei Jahre zuvor nicht in die
Kinos kam, sondern direkt beim Streaming-Giganten Netflix veröffentlicht wurde
– der als einziger zur Finanzierung bereit war. Nachträglich werden sich einige
Verantwortliche über ihre Absage an Lee geärgert haben, denn daß der betont
sozialkritische "Da 5 Bloods" genau zu einer weltweiten Welle von
"Black Lives Matter"-Demonstrationen veröffentlicht wurde und als
ernsthafter OSCAR-Kandidat gilt, hätte mit Sicherheit für großes
Zuschauer-Interesse in den Kinos gesorgt – naja, zumindest wenn es keine
globale Corona-Pandemie gäbe (die auf jeden Fall zu einer Verschiebung des
Kinostarts geführt hätte). So oder so kann sich Netflix über einen
hochkarätigen Neuzugang in seinem qualitativ sehr wechselhaften Angebot von Film-Eigenproduktionen
freuen, der allerdings auf der großen Leinwand mit Sicherheit noch besser
gewirkt hätte als im Heimkino. Denn wenngleich Spike Lees zweieinhalbstündiges Epos
nicht frei von Schwächen ist, ist dem streitbaren US-Filmemacher ein
eindrucksvolles Werk gelungen, das großen Hollywood-Klassikern Tribut
zollt, ohne dabei auf eine eigene Blickweise nicht nur auf die
Rassismus-Thematik zu verzichten.
Den gesellschaftspolitischen Rahmen gibt Spike Lee "Da
5 Bloods" vor durch eine Art Prolog mit Archivaufnahmen von u.a. Martin
Luther King, Malcolm X und den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und Richard
Nixon, die den Kontext zwischen Bürgerrechtsbewegung und Vietnam-Krieg erklärt,
denn beispielsweise war es so, daß gemessen am Bevölkerungsanteil
viel mehr junge schwarze Männer in den Krieg geschickt wurden als weiße, die bei entsprechenden Beziehungen schon mal wegen eines Fersensporns vom Kriegsdienst befreit werden konnten – ein
Thema, das bereits in Oliver Stones Vietnam-Klassiker "Platoon" eine bedeutende Rolle spielte, in dem der von Charlie Sheen verkörperte weiße Protagonist
sich gerade wegen dieser Ungerechtigkeit freiwillig zum Kriegsdienst an der
Front meldet (analog zu Stone selbst). Wie stark sich die Auswirkungen der
rassistisch geprägten Soldaten-Auswahl auswirkten, erkennt man
natürlich in erster Linie an den vielen afroamerikanischen Soldaten, die den
Vietnam-Krieg nicht überlebten – doch Lee will mit "Da 5
Bloods" aufzeigen, daß auch die Überlebenden oft dauerhaft unter ihren
Erlebnissen litten respektive immer noch leiden. Dementsprechend haben unsere
vier Protagonisten – inzwischen alle locker in ihren 60ern – allesamt noch
immer eine posttraumatische Belastungsstörung (auf Englisch mit PTSD
abgekürzt), was sie sich offen eingestehen (es gibt weitere
gesundheitliche Auswirkungen, aber die will ich nicht spoilern). Manche kamen
damit besser zurecht als andere, wobei es speziell Paul offenbar nie gelungen
ist, sich von seinen damaligen Erfahrungen zu lösen. Paul ist laut, aggressiv,
ungeduldig und gegenüber den Vietnamesen mindestens latent rassistisch eingestellt, außerdem hat er ein schlechtes Verhältnis zu seinem Sohn David und ist – zum
Schreck seiner einstigen Kumpels – ein überzeugter Trump-Wähler, der seine rote
MAGA-Kappe sogar in den vietnamesischen Dschungel mitnimmt …
Angesichts dessen könnte man meinen, Lee habe den
Unsympath Paul als Quasi-Antagonist in seinen Film aufgenommen (wobei vier
weitere Autoren am Drehbuch beteiligt waren; wer Paul schuf, ist mir nicht
bekannt), als Troublemaker, der die Handlung vorantreiben und zugleich ein
schlechtes Licht auf reaktionäre Trump-Fans werfen soll. Doch so einfach macht
es sich der offene Trump-Kritiker Lee zum Glück nicht. Zwar wird Paul trotz einiger netter Momente mit
seinem Sohn nie zu einem Sympathieträger und es gibt mehr als genügend Szenen,
in denen man diesem Kerl liebend gerne Vernunft einbläuen würde; dennoch stellt
sich nach und nach heraus, daß genau dieser Paul das emotionale Zentrum von
"Da 5 Bloods" ist. Daß man Pauls Beweggründe erst spät richtig
erklärt bekommt, kann man durchaus kritisch sehen, immerhin wirkt sein zunehmend erratisches Verhalten bis dahin selbst mit der Allzweck-Erklärung PTSD
nur bedingt nachvollziehbar. Vielleicht wäre es besser gewesen, mit den Hintergründen früher aufzuwarten, aber auch diese nachträgliche Rechtfertigung
funktioniert und ist an dieser späten Stelle womöglich sogar effektiver. Das ist auch der phantastischen Leistung von Paul-Darsteller Delroy
Lindo zu verdanken – ich mochte den Briten, der in den 1990er Jahren häufig
prägnante Nebenrollen in Hollywood-Produktionen wie "Schnappt
Shorty", "Operation: Broken Arrow" oder
"Nur noch 60 Sekunden" spielte, in den letzten Jahren aber
überwiegend im TV-Bereich tätig war, schon immer, umso mehr freut es mich, daß
er nun in fortgeschrittenem Alter endlich eine ganz auf ihn zugeschnittene
Hauptrolle bekommen hat, die er so exzellent spielt, daß er ein sehr
ernsthafter OSCAR-Kandidat ist. Ja, seine extrovertierte Rolle ist dankbar,
trotzdem muß man das erst mal so überzeugend und intensiv umsetzen, ohne ins Overacting abzudriften. Vor allem ein denkwürdiger Monolog, den Paul gegen
Ende direkt in die (iPhone-)Kamera spricht, dürfte in die Filmgeschichte
eingehen.
Apropos Kamera: "Da 5 Bloods" wartet mit drei
unterschiedlichen Seitenverhältnissen auf: Zu Beginn wird die Geschichte im
ganz normalen 16:9-Verhältnis erzählt, wechselt dann aber mit dem Verlassen von
Ho Chi Minh City in Richtung Urwald ins Vollbild, wobei Spike Lee und sein Kameramann
Newton Thomas Sigel ("Bohemian Rhapsody") diesen Umbruch mit einer tollen "Apocalypse Now"-Hommage
regelrecht zelebrieren – und die gelegentlichen Rückblenden in den
Vietnam-Krieg warten mit einem quadratischen Format auf und sind auf
grobkörnigem Filmmaterial gedreht, um möglichst authentisch zu wirken. Dieses
Vorhaben gelingt, wird aber dadurch ein wenig konterkariert, daß in den
Rückblenden keineswegs jüngere Schauspieler an der Seite des gefallenen Norman
agieren, sondern die (auch nicht via CGI verjüngten) Darsteller der
Gegenwarts-Handlung. Lee sagt offen, daß diese Entscheidung in erster Linie
finanzielle Gründe hatte, doch entwickelt sie
eine vielleicht gar nicht eingeplante künstlerische Wirkung, denn für das Publikum
wird so der Eindruck verstärkt, daß Paul, Otis und Co. den Vietnam-Krieg nie richtig
hinter sich gelassen haben und in ihren Köpfen noch als alte Männer auf den
Schlachtfeldern von damals kämpfen. Francis Ford Coppolas Meisterwerk
"Apocalypse Now" ist übrigens generell die offensichtlichste
Inspirationsquelle zumindest der ersten zwei Akte von "Da 5 Bloods",
denn neben einer direkten Einbindung des Films in einer Bar von Ho Chi Minh
City hat Lee einige Anspielungen eingebaut, phasenweise folgt sogar die
Storystruktur der von "Apocalypse Now" und ein paar ikonische
Einstellungen wurden fast eins zu eins übernommen – und Paul kann man mit ein
bißchen Phantasie als Lees Variante von Marlon Brandos Colonel Kurtz betrachten. Das letzte Drittel löst sich derweil von "Apocalypse Now" und
orientiert sich erkennbar an John Hustons Abenteuer-Klassiker "Der Schatz
der Sierra Madre" aus dem Jahr 1948.
Wenngleich "Da 5 Bloods" zweifellos als
eigenständiges Werk funktioniert, sind diese häufigen Verweise auf die großen
Vorbilder doch nicht ganz problemlos. So ist die Kernhandlung mit der Suche
nach Norman und dem Goldschatz doch arg dünn. Einige dazustoßende Personen –
wie das für eine NGO nach übriggebliebenen Landminen suchende Trio Hedy
(Mélanie Thierry, "The Zero Theorem"), Seppo (Jasper Pääkkönen,
TV-Serie "Vikings") und Simon (Paul Walter Hauser, "I, Tonya") – bringen zwar etwas Schwung hinein, aber das wirkt eher
gezwungen und nur bedingt glaubwürdig. Dazu kommt, daß die Figurenzeichnung
generell ziemlich flach bleibt – außer bei Paul erfahren wir kaum etwas über
die Charaktere, ihre Vergangenheit oder ihre Motivation. Das ist besonders bei
Pauls "Blutsbrüdern" bedauernswert, auch wenn die guten Schauspieler ein Stück weit
darüber hinwegtrösten. Hinsichtlich der Handlung kann man sich außerdem kaum des
Eindrucks erwehren, daß Lee zu viele Themen irgendwie einbringen wollte und es
deshalb wirkt, als habe er eine Checkliste erstellt, auf der er jeden Punkt
abhakt, wenn er einen halbwegs passenden Einsatzort gefunden hat (z.B.
die Erwähnung des Massakers von My Lai). Die Beweggründe dafür sind
nachvollziehbar, subtil geht aber natürlich anders – was auch für den ersten
großen dramatischen Schockmoment von "Da 5 Bloods" gilt, der leider
so plakativ inszeniert ist, daß er für kaum jemanden, der schon ein paar
Kriegsfilme gesehen hat, überraschend kommen dürfte. Schwächen hat "Da 5
Bloods" also einige, doch alles in allem funktioniert der Film – der übrigens
mit Songs aus dem Antikriegs-Album "What's Going On" von
Marvin Gaye aus dem Jahr 1971 unterlegt ist – aufgrund seiner frischen Perspektive, einer
erstklassigen handwerklichen Umsetzung, der Einbettung in den aktuellen
gesellschaftlichen Kontext und der vom sensationell aufspielenden Delroy Lindo
angeführten starken Besetzung gut.
Fazit: "Da 5 Bloods" ist eine Mischung aus
Kriegsdrama, Abenteuerfilm und Charakterstudie, die zwar storymäßig etwas dünn
ausfällt, jedoch toll aussieht, viele gute Einfälle hat und mit einem OSCAR-reif
aufspielenden Hauptdarsteller begeistert.
Wertung: 7,5 Punkte.
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