Originaltitel:
X-Men: Days of Future Past
Regie: Bryan Singer, Drehbuch: Simon Kinberg, Musik: John
Ottman
Darsteller: Hugh Jackman, Michael Fassbender, James McAvoy,
Sir Ian McKellen, Sir Patrick Stewart, Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Peter
Dinklage, Halle Berry, Omar Sy, Shawn Ashmore, Ellen Page, Daniel Cudmore, Fan
Bingbing, Adan Canto, Booboo Stewart, Lucas Till,
Evan Peters, Josh Helman, Evan Jonigkeit, Mark Camacho, Mike Dopud, Anna Paquin, Kelsey Grammer, Famke
Janssen, James Marsden
FSK: 12, Dauer: 132 Minuten.
In den 1970er Jahren arbeitet der Wissenschaftler Dr. Bolivar
Trask (Peter Dinklage aus der TV-Hitserie "Game of Thrones") an
"Sentinels" genannten Maschinenwesen, die die von ihm gefürchtete
Ausrottung der Menschheit durch Mutanten verhindern sollen. Raven alias
Mystique (Jennifer Lawrence, "Silver Linings") will Dr. Trask stoppen (und einige von dessen Männern getötete Mutanten rächen),
indem sie ihn vor aller Augen erschießt – dummerweise erreicht sie damit das Gegenteil, denn
für die Politiker und Militärs, die Dr. Trasks düsteren Vorhersagen bis dahin nur
sehr bedingt Glauben schenkten, sind die Mutanten nun tatsächlich eine große
Gefahr. Das Sentinel-Programm wird fortgesetzt, führt aber letztlich dazu, daß bis zum Jahr 2023 Mutanten und Menschen (von denen schließlich die meisten das theoretische Potential späterer Mutationen in sich tragen) zum größten Teil von den Sentinels
ausgerottet wurden. Gemeinsam mit den letzten überlebenden Mutanten hecken
Professor X (Sir Patrick Stewart, "Fletchers Visionen") und Magneto (Sir Ian McKellen, "Der Hobbit") einen wahnwitzigen Plan aus: Kitty Pryde (Ellen Page,
"To Rome with Love") schickt Logans (Hugh Jackman, "Scoop") Bewußtsein zurück in seinen Körper des Jahres 1973, wo er unter Mithilfe der jungen Charles (James McAvoy, "Abbitte") und Erik
(Michael Fassbender, "Shame") Mystique stoppen soll, bevor
diese Dr. Trask töten kann …
Kritik:
Eines (nicht zum ersten Mal) vorweg: Ich lese kaum Comics
und überhaupt keine Superhelden-Comics. Trotzdem sehe ich mir die Verfilmungen
mit oft großem Vergnügen gerne im Kino an. Naturgemäß habe ich auf die präsentierten
Geschichten aber einen etwas anderen Blick als die Comic-Experten, was durchaus in
sehr unterschiedliche Urteile münden kann. "Iron Man 3"
beispielsweise ist bei den Kennern der Vorlage wegen der Rolle des Mandarin
heftig umstritten, viele "unbelastete" Kinogänger fanden ihn
sehr unterhaltsam. Ein besonders polarisierendes Beispiel ist der dritte
X-Men-Film, der nach dem Abgang des Reihenschöpfers Bryan Singer (der lieber "Superman Returns" inszenierte, was im Nachhinein betrachtet vielleicht nicht die
allerglücklichste Wahl war …) von "Rush Hour"-Regisseur Brett Ratner
inszeniert wurde und bei den Comic-Fans auf fast einhellige Ablehnung stieß.
Mir hat er trotzdem ganz gut gefallen, und wie der ordentliche IMDB-Wert von
6,8 zeigt, ging es da nicht nur mir so. Aber ich scheine generell ein Faible
für die Reihe zu haben: Zwar würde ich niemals auf die Idee kommen, die X-Men als
meine Lieblings-Superhelden zu bezeichnen, aber mich hat tatsächlich jeder der
inklusive Spin-Offs nun sieben X-Men-Filme gut unterhalten. In
unterschiedlichem Ausmaß selbstverständlich – Bryan Singers "X-Men 2" halte
ich für einen der besten Superhelden-Filme überhaupt, Gavin Hoods "X-Men
Origins: Wolverine" für gerade eben noch akzeptabel –, aber immerhin. So habe
ich mich natürlich auch gefreut, als bekannt wurde, daß Singer für ein
besonderes Highlight zum Franchise zurückkehren würde, denn "Zukunft ist
Vergangenheit" sollte das äußerst anspruchsvolle Kunststück schaffen, die
Originalbesetzung und ihre im Prequel "Erste Entscheidung"
überzeugend eingeführten jüngeren Versionen unter einen Hut zu bekommen.
Zweifel daran, ob das wirklich gelingen kann, waren erlaubt, schließlich gab es
viele mögliche Stolpersteine – die Kombination mehrerer Zeitebenen kann mächtig
in die Hose gehen, außerdem kann man bei einem solch riesigen Ensemble nie
jeder Figur gerecht werden –, doch Singer hat es tatsächlich geschafft.
"X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" ist zwar (aus Sicht eines
Nicht-Comic-Kenners) nicht der beste X-Men-Film, aber ein richig guter.
Mit einem Knall meldet sich Bryan Singer gleich zu
Beginn zurück, denn der sensationelle Einstieg im Jahr 2023 etabliert die
Sentinels unmittelbar als brandgefährliche (und gelungen designte) Gegner der Mutanten, gegen die kein
Kraut gewachsen scheint. Die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit der Situation in
einer bereits weitgehend entvölkerten nahen Zukunft bringen Singer und
Kameramann Newton Thomas Sigel ("Drive") durch apokalyptische
(CGI-)Bilder sehr eindrucksvoll zur Geltung. Zugleich freut man sich über das
Wiedersehen mit alten Bekannten wie Storm (Halle Berry, "Cloud Atlas"), Colossus (Daniel Cudmore, "Twilight"-Reihe), Iceman (Shawn Ashmore, TV-Serie "The
Following") oder Kitty Pryde, zusätzlich werden ein paar interessante neue X-Men (Bishop, Blink, Sunspot, Warpath) im
Kampfmodus eingeführt. Ohne große Erläuterungen der
Geschehnisse nach dem Ende von "Der letzte Widerstand" wird dem
Publikum eindrücklich vermittelt, warum die letzten Überlebenden keinen anderen
Ausweg sehen als die Verzweiflungstat, Wolverines Bewußtsein in die
Vergangenheit zu schicken.
Mit eben diesem Bewußtseins- und Zeitsprung beginnt der lange Mittelteil des Films, der vergleichsweise wenig Actionszenen
bietet und sich stattdessen erfreulich stark auf die Story und die
Charaktere konzentriert. Daß der "Zeitreisende" Wolverine wieder
einmal im Zentrum eines X-Men-Films steht, ist angesichts der generellen
Popularität dieser von Hugh Jackman so charismatisch verkörperten Figur nachvollziehbar und sogar storytechnisch begründet (da er quasi unsterblich
ist, kann Logan als einziger einen Zeitsprung dieser Ausmaße überleben), auch
wenn in der Comicvorlage Kitty Pryde diese Ehre zuteil wurde. Dennoch werden manche
Fans nicht ganz so glücklich mit dieser Entscheidung sein, schließlich hat
Wolverine schon zwei eigene Spin-Offs erhalten und nahm auch in allen anderen
Filmen der Reihe (außer "Erste Entscheidung") eine dominante Rolle
ein. Da kann man sich schon mal einen anderen Haupt-Protagonisten wünschen,
aber es sollte nunmal nicht so sein – und da Wolverine mit seinem knurrigen
Humor immer noch höchst unterhaltsam ist und sich zudem wieder einmal gut in
das Ensemble einfügt, kann man objektiv betrachtet auch nicht allzu sehr darüber
klagen.
Drehbuch-Autor Simon Kinberg, der bereits Co-Autor des dritten Films war, verdient großes Lob dafür, wie
flüssig er die eher als Rahmenhandlung dienende Zukunfts-Storyline mit der
zentralen Vergangenheits-Handlung verbindet und dabei immer wieder nostalgische
Anspielungen auf die vorangegangenen Filme einflicht. Da schon diese nicht völlig frei von inhaltlichen Widersprüchen waren, kann es
durchaus sein, daß es auch hier solche gibt, die dürften dann aber nur echten
Kennern störend auffallen. Ein bißchen verrenken muß sich Kinberg allerdings schon,
um alle wichtigen Figuren in die Story einzubinden. Gerade der junge Erik, der
erst einmal aus einem Gefängnis unterhalb des Pentagon befreit werden muß, hat
bei genauerer Betrachtung keine unverzichtbare Rolle beim Versuch inne, Mystique
aufzuhalten, vielmehr verkompliziert er – ganz überraschend ... – die Dinge sogar
noch. Logan, Charles und Hank alias Beast (Nicholas Hoult, "Jack and the Giants") hätten ihre Mission alleine oder mit der Unterstützung
anderer Mutanten sicher leichter über die Bühne bringen können als unter
Einbeziehung Eriks. Aber auch hier gilt: Es fällt schwer, dieses kleine
erzählerische Manko wirklich zu kritisieren, denn ohne Erik würden dem Film
etliche Highlights fehlen. Allen voran natürlich die Schauspielkunst von
Michael Fassbender, der bereits in "Erste Entscheidung" beeindruckte,
in "Zukunft ist Vergangenheit" aber noch einmal eine Schippe drauflegt
und seine weißgott nicht schlecht gespielten Mit-Mutanten in den Schatten
stellt. Aber auch den blitzschnellen Quicksilver (Evan Peters aus der TV-Serie
"American Horror Story") hätten wir dann nicht kennengelernt und wir
hätten nicht gesehen, wie dank Quicksilver in einer höchst vergnüglichen
Sequenz Erik aus seinem Hochsicherheitsgefängnis befreit wird. Und die
bereits in den Vorgängern faszinierende, wechselhafte Beziehung zwischen Erik
und Charles, die bei den jungen Ausgaben der beiden meines Erachtens sogar noch
deutlich interessanter ist als bei ihren älteren Versionen und den beiden Figuren
(ebenso wie das Ringen um Mystique) mehr Tiefe
verleiht, ist eigentlich sowieso unverzichtbar. Also: Wen kümmert's, daß Eriks Rolle in
der Geschichte nicht hundertprozentig logisch ist, wenn doch der gesamte Film
so deutlich von seiner Anwesenheit profitiert?
Apropos Logik: Noch so eine Sache, die man mit zwiespältigen
Gefühlen betrachten kann, ist die "Wiederauferstehung" des alten
Professor X, der ja in "Der letzte Widerstand" scheinbar starb. Zwar
sah man in der Post-Abspann-Szene dieses Films, daß der Professor doch noch
(oder wieder?) lebt, aber eine Erklärung dafür gab es nicht. Auch
"Zukunft ist Vergangenheit" liefert keine, sodaß sein Comeback
zumindest für diejenigen, die nicht die Comics kennen, ein Mysterium bleibt. Es fehlt einfach ein Film zwischen "Der letzte
Widerstand" und "Zukunft ist Vergangenheit" – schließlich liegt
zwischen den beiden Storys eine Zeitspanne von rund 15 Jahren, die es
tatsächlich schwierig macht, eine Erklärung für die Rückkehr des Professors glaubhaft
einzuflechten. Warum sollte er (oder ein anderer) auch inmitten der
bevorstehenden Ausrottung aller Mutanten in Erinnerungen an ein für die
aktuelle Situation völlig unerhebliches Ereignis aus der Vergangenheit
schwelgen? Da hätte Autor Kinberg die Handlung sich schon arg verbiegen müssen,
um das auch nur ansatzweise schlüssig einzubauen – insofern hielten es wohl
alle Beteiligten für die bessere Wahl, die Thematik schlicht zu ignorieren.
Vielleicht wird sie ja in einem der kommenden Filme noch einmal aufgegriffen.
Wobei die bereits für Mai 2016 angesetzte (und nach dem Abspann mit der fast schon obligatorischen zusätzlichen Szene mysteriös eingeleitete) Fortsetzung mit dem Untertitel
"Apocalypse" wohl in den 1980er Jahren spielen soll und somit im
Normalfall nur die jungen Mutantenausgaben enthalten sollte.
Irgendeine Verbindung zur Gegenwarts- oder Zukunftsstoryline
dürfte es dennoch geben, dafür spricht jedenfalls klar das Ende von
"Zukunft ist Vergangenheit", das ich natürlich nicht spoilern werde.
Abgesehen davon, daß es nahtlos an den tollen Anfang anknüpft und in einer
virtuosen Montage den parallelen Kampf der Mutanten in Vergangenheit und
Zukunft gegen die Sentinels zu einem explosiven, aufregenden Showdown führt. Für einen X-Men-Film von Singer ist das in meinen Augen übrigens ein Novum, denn bei "X-Men" und "X-Men 2" konnte das Finale jeweils nicht ganz die sehr hohe Qualität der ersten beiden Filmdrittel halten.
Die Spezialeffekte von "Zukunft ist Vergangenheit" sind, wie nicht anders zu erwarten, von hervorragender
Qualität, der 3D-Einsatz ist allerdings arg unspektakulär geraten, obwohl es sich
zur Abwechslung mal nicht um eine nachträgliche Konvertierung handelt. Die bombastische
Soundkulisse (vor allem mit Dolby Atmos) kann dafür beeindrucken, auch der
erneut von John Ottman (der übrigens auch den Schnitt des Films verantwortet)
komponierte Action-Score ist sehr gelungen – ähnelt den Melodien von
"Erste Entscheidung" aber ziemlich.
Ein bißchen schade ist es bei allem Lob aber doch, daß die
Vergangenheits- und Zukunfts-Handlungen nicht etwas stärker miteinander
verbunden sind. Abgesehen von Logan gibt es kaum Berührungspunkte, weshalb vor
allem die "späteren" Mutanten nicht wirklich zu ihrem Recht kommen.
Gerade die markanten Neulinge wie der Energie absorbierende Bishop (Omar Sy,
"Ziemlich beste Freunde"), die teleportierende Blink (Fan Bingbing, "Wu
Ji – Die Meister des Schwertes"), der feurige Sunspot (Adan Canto) oder
der übernatürlich starke Warpath (Booboo Stewart, "Twilight"-Reihe)
können gar keine eigene Persönlichkeit entwickeln, da sie
eigentlich nur in – zweifelsohne eindrucksvollen – Kampfszenen zum Einsatz
kommen. Ein bißchen mehr wäre da sicher möglich gewesen, zumal sich speziell
Charles' Selbstzweifel im Mittelteil doch etwas in die Länge ziehen
(worunter übrigens auch der menschliche Haupt-Antagonist Dr. Trask zu leiden
hat, dessen Motivation recht oberflächlich bleibt). Man kann nur hoffen, daß
sie in die zukünftigen Filme irgendwie involviert sein werden, da Singer sie
trotz der Kürze ihrer Szenen zu spannend in Szene gesetzt hat, als daß er sie nun
einfach wieder verschwinden lassen sollte. Dennoch: Angesichts der reinen
Anzahl von Mutanten in "Zukunft ist Vergangenheit" hatte ich, wie weiter oben angedeutet,
ursprünglich größere Komplikationen befürchtet. Singer und Kinberg gelingt es
aber insgesamt gut, die einzelnen Handlungsstränge auszubalancieren und auch
den nicht mit den Comics vertrauten Teil des Publikums nicht zu überfordern.
Fazit: "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit"
ist ein weiterer sehr gelungener Beitrag zur X-Men-Filmreihe, der zwar nicht
allen Figuren ganz gerecht werden kann und storytechnisch kleinere Mängel aufweist,
aber mit seinen zwei Zeitebenen, furiosen Actionszenen und einer gewohnt starken Besetzung, aus der
Michael Fassbender noch hervorsticht, Freunden des Genres viel Freude bereitet.
Wertung: Gut 8 Punkte.
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