Originaltitel: The Reader
Regie: Stephen Daldry, Drehbuch: Sir David Hare, Musik: Nico
Muhly
Darsteller: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Bruno
Ganz, Lena Olin, Alexandra Maria Lara, Hannah Herzsprung, Burghart Klaußner,
Jeanette Hain, Volker
Bruch, Susanne Lothar, Matthias Habich, Karoline Herfurth, Florian Bartholomäi, Vijessna Ferkic, Linda Bassett, Jürgen Tarrach, Sylvester Groth
FSK: 12, Dauer: 124 Minuten.
In einer deutschen Kleinstadt lernt der 15-jährige Schüler
Michael Berg (David Kross, "Krabat") im Jahr 1958 zufällig die etwa 20 Jahre
ältere Straßenbahn-Schaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet, "Little Children") kennen – schnell ergibt sich daraus eine Affäre für einen Sommer, dann
verschwindet Hanna ganz plötzlich aus der Stadt. Erst viele Jahre später sieht
Michael, mittlerweile Jura-Student unter Professor Rohl (Bruno Ganz, "Der Himmel über Berlin"), sie wieder: als Angeklagte bei einem Prozeß gegen ehemalige
KZ-Aufseherinnen! Als er sie auf der Anklagebank erkennt, ist Michael entsetzt, den
Verlauf der Verhandlung verfolgt er in einem Chaos der widerstreitenden Gefühle …
Kritik:
Die Behauptung, der Brite Stephen Daldry hätte einen gelungenen Karriereeinstand im Kino gehabt, wäre eine maßlose Untertreibung. Immerhin ist dem eigentlichen Theater-Regisseur das Kunststück gelungen, für seine ersten drei Kinofilme jeweils eine OSCAR-Nominierung als bester Regisseur zu erhalten. Allerdings läßt sich auch nicht verhehlen, daß die Begeisterung über seine filmische Arbeit über die Jahre doch etwas nachgelassen hat. Waren die gefühlvolle Tragikomödie "Billy Elliot – I Will Dance" und die dramatische, drei nur lose miteinander verknüpfte und auf verschiedenen Zeitebenen spielende Episoden erzählende Romanverfilmung "The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit" noch regelrecht euphorisch aufgenommen worden, waren die Reaktionen auf "Der Vorleser" schon deutlich verhaltener. Und sein Folgewerk "Extrem Laut & Unglaublich Nah" über die Nachwehen von 9/11 erhielt zwar überraschend wie die drei Vorgänger eine OSCAR-Nominierung in der Kategorie "Bester Film", gilt aber allgemein als ziemlich mißlungen. Man könnte also durchaus sagen, daß mit "Der Vorleser" Daldrys Abwärtstrend begann – wenngleich die Adaption eines Welt-Bestsellers des deutschen Autors Bernhard Schlink beim breiten Publikum deutlich besser ankam als bei vielen professionellen Rezensenten (siehe IMDB-Wert).
Die Behauptung, der Brite Stephen Daldry hätte einen gelungenen Karriereeinstand im Kino gehabt, wäre eine maßlose Untertreibung. Immerhin ist dem eigentlichen Theater-Regisseur das Kunststück gelungen, für seine ersten drei Kinofilme jeweils eine OSCAR-Nominierung als bester Regisseur zu erhalten. Allerdings läßt sich auch nicht verhehlen, daß die Begeisterung über seine filmische Arbeit über die Jahre doch etwas nachgelassen hat. Waren die gefühlvolle Tragikomödie "Billy Elliot – I Will Dance" und die dramatische, drei nur lose miteinander verknüpfte und auf verschiedenen Zeitebenen spielende Episoden erzählende Romanverfilmung "The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit" noch regelrecht euphorisch aufgenommen worden, waren die Reaktionen auf "Der Vorleser" schon deutlich verhaltener. Und sein Folgewerk "Extrem Laut & Unglaublich Nah" über die Nachwehen von 9/11 erhielt zwar überraschend wie die drei Vorgänger eine OSCAR-Nominierung in der Kategorie "Bester Film", gilt aber allgemein als ziemlich mißlungen. Man könnte also durchaus sagen, daß mit "Der Vorleser" Daldrys Abwärtstrend begann – wenngleich die Adaption eines Welt-Bestsellers des deutschen Autors Bernhard Schlink beim breiten Publikum deutlich besser ankam als bei vielen professionellen Rezensenten (siehe IMDB-Wert).
Schlinks Roman habe ich nicht gelesen, folglich wird es von
mir keine Vergleiche zwischen Film und Buch geben. Ich kann deshalb auch nicht
sagen, ob die in meinen Augen größte Schwäche eines Films, der sein beträchtliches dramaturgisches Potential niemals ausschöpft, in der Verantwortung der Vorlage liegt oder dem Drehbuch-Autor Sir David Hare
("Verhängnis") und Regisseur Daldry anzulasten ist, die die Handlung
des Romans logischerweise für die Verfilmung verdichten mußten. Jedenfalls bin
ich der Meinung, daß die Geschichte, die der Film "Der Vorleser"
erzählt, unter einer fragwürdigen Gewichtung der einzelnen Elemente leidet. Denn
Stephen Daldry konzentriert sich bei seiner Inszenierung zu stark auf die unmögliche
Liebesgeschichte zwischen Michael (der in den zeitlich später angesiedelten Szenen von Ralph "Voldemort"
Fiennes verkörpert wird) und Hanna. Die ist zwar von Daldry stilvoll und mit viel Eleganz umgesetzt und speziell
von der für ihre Leistung mit ihrem ersten OSCAR gekrönten Kate Winslet phänomenal
gespielt – aber eigentlich nur bedingt interessant.
Zugegeben, ich bin kein ausgewiesener Fan von Liebesfilmen, doch
bin ich sicher nicht der einzige, für den der viel interessantere Aspekt der
Geschichte die Frage (nicht nur) Hannas moralischer Schuld ist, die anhand der Storyline in
vielerlei Hinsicht aufgeworfen wird, um dann bedauerlicherweise nur an der
Oberfläche dieses schwierigen Themenkomplexes zu kratzen. Denn der Prozeß gegen
eine Handvoll früherer KZ-Aufseherinnen wirft natürlich viele Fragen auf: Etwa
die, warum unter den Tausenden
von KZ-Aufsehern nun ausgerechnet diese sechs Frauen angeklagt werden? Die Antwort eines Kommilitonen aus Michaels Jura-Seminar
ist übrigens ebenso zynisch wie treffsicher: Weil gerade die Taten dieser sechs Aufseherinnen in dem
erfolgreichen Buch einer Überlebenden (Lena Olin, "Die neun Pforten") geschildert werden, die Justiz also unter Zugzwang ist. Aber inwiefern sind
diese Befehlsempfängerinnen überhaupt aktiv schuldig (eine Frage, die nach der deutschen Wiedervereinigung ja auch bei der Thematik der "Mauerschützen"
aufkam)? Oder ganz konkret anhand der Person Hanna Schmitz: Wie schuldfähig ist
eine vollkommen ungebildete, einfach gestrickte Frau, die mit einer im Prozeß ehrlich offenbarten, folgenreichen Entscheidung ein höchst ungewöhnliches Werte-Verständnis zeigt –
und ob ihrer unfassbaren Naivität von den übrigen fünf Angeklagten
skrupellos zum alleinigen Sündenbock gestempelt wird? Und was ist mit der moralischen
Schuld der ganz normalen Bürger, von denen so viele nichts gegen die Nazis
unternommen haben? So wie Michaels von Bruno Ganz angenehm nachdenklich dargestellter, an seinen Entscheidungen zweifelnder
Rechts-Professor Rohl, der selbst keine Antwort auf diese Frage weiß?
Selbstverständlich sind das Fragen, auf die es keine einfachen oder gar endgültigen Antworten geben kann. Bis heute werden immer wieder inzwischen über 90-jährige frühere KZ-Aufseher vor Gericht gebracht (so ihre Gesundheit es ansatzweise zuläßt), bis heute erfährt man aber auch immer wieder durch wissenschaftliche Untersuchungen und die sorgfältiger Aufarbeitung alter Dokumente, wie erschreckend viele ziemlich hohe Nazi-Tiere die Geschichte der jungen Bundesrepublik Deutschland bis in die 1960er Jahre hinein weitgehend ungestört von der Justiz noch stärker geprägt haben als lange angenommen. Und es wird ganz bestimmt auch in den kommenden Jahrzehnten noch weitere überraschende und/oder erschreckende Enthüllungen geben. Die Aufarbeitung dieses schrecklichen Teils der deutschen Vergangenheit ist also noch immer im Fluß – das ändert jedoch nichts daran, daß die Beschäftigung damit und die kontroverse Debatte darüber auch im Rahmen der Kunst sehr interessant und aufschlußreich sein kann. "Der Vorleser" deutet das in seinen stärksten Momenten – abzulesen häufig am Gesicht des innerlich zerrissenen, vom damals erst 17-jährigen David Kross bemerkenswert glaubhaft verkörperten Michael – wiederholt an, und die Thematik durchzieht auch subtil den gesamten Film. Allerdings etwas zu subtil für meinen Geschmack. Letztlich traut sich der Film nicht, bei diesen essentiellen Fragestellungen wirklich in die Tiefe zu gehen, die teilweise kontroversen Diskussionen unter den Studenten beispielsweise werden in der Regel nur kurz angerissen. Und das finde ich ausgesprochen schade. Man kann sicher argumentieren, daß "Der Vorleser" durch diese subtile Vorgehensweise nur Fragen aufwerfen und den Zuschauer dazu animieren möchte, selbst darüber nachzudenken und mit anderen zu diskutieren. Aber selbst dann wäre etwas Greifbareres, ein etwas stärkeres Augenmerk auf diesen Teil der Geschichte im Vergleich zur unglücklichen romantisch-erotischen Beziehung zwischen Michael und Hanna, wünschenswert gewesen.
Selbstverständlich sind das Fragen, auf die es keine einfachen oder gar endgültigen Antworten geben kann. Bis heute werden immer wieder inzwischen über 90-jährige frühere KZ-Aufseher vor Gericht gebracht (so ihre Gesundheit es ansatzweise zuläßt), bis heute erfährt man aber auch immer wieder durch wissenschaftliche Untersuchungen und die sorgfältiger Aufarbeitung alter Dokumente, wie erschreckend viele ziemlich hohe Nazi-Tiere die Geschichte der jungen Bundesrepublik Deutschland bis in die 1960er Jahre hinein weitgehend ungestört von der Justiz noch stärker geprägt haben als lange angenommen. Und es wird ganz bestimmt auch in den kommenden Jahrzehnten noch weitere überraschende und/oder erschreckende Enthüllungen geben. Die Aufarbeitung dieses schrecklichen Teils der deutschen Vergangenheit ist also noch immer im Fluß – das ändert jedoch nichts daran, daß die Beschäftigung damit und die kontroverse Debatte darüber auch im Rahmen der Kunst sehr interessant und aufschlußreich sein kann. "Der Vorleser" deutet das in seinen stärksten Momenten – abzulesen häufig am Gesicht des innerlich zerrissenen, vom damals erst 17-jährigen David Kross bemerkenswert glaubhaft verkörperten Michael – wiederholt an, und die Thematik durchzieht auch subtil den gesamten Film. Allerdings etwas zu subtil für meinen Geschmack. Letztlich traut sich der Film nicht, bei diesen essentiellen Fragestellungen wirklich in die Tiefe zu gehen, die teilweise kontroversen Diskussionen unter den Studenten beispielsweise werden in der Regel nur kurz angerissen. Und das finde ich ausgesprochen schade. Man kann sicher argumentieren, daß "Der Vorleser" durch diese subtile Vorgehensweise nur Fragen aufwerfen und den Zuschauer dazu animieren möchte, selbst darüber nachzudenken und mit anderen zu diskutieren. Aber selbst dann wäre etwas Greifbareres, ein etwas stärkeres Augenmerk auf diesen Teil der Geschichte im Vergleich zur unglücklichen romantisch-erotischen Beziehung zwischen Michael und Hanna, wünschenswert gewesen.
Nicht wenige Kritiker empfanden Hannas Rolle übrigens als
fragwürdig, da der Film zu viele Sympathien für sie als Täterin wecke oder ihre
Schuld zu relativieren versuche. Das kann man durchaus so sehen, doch findet
Kate Winslet in ihrer facettenreichen Darstellung meines Erachtens die richtige Balance,
die uns Hannas Taten und ihre Beweggründe nachvollziehen läßt, ohne sie auch
nur ansatzweise zu entschuldigen. Letztlich bleibt das Geschmackssache, aber
ich bin davon überzeugt, daß es simplifizierend, gar gefährlich verharmlosend
ist, Nazis – selbst Hitler – einfach nur als durch und durch böse zu zeigen,
eher Dämonen als Menschen. Denn in Wirklichkeit waren sie natürlich alle sehr
wohl Menschen, und deshalb besteht auch immer die latente Gefahr, daß sich
irgendwann irgendwo ähnliche Greueltaten in ähnlichem Ausmaß wiederholen könnten. Man muß Hanna Schmitz nicht für ein Monster, eine Ausgeburt des Teufels halten, um zu wissen, wie schrecklich falsch sie gehandelt hat.
Fazit: Stephen Daldrys "Der Vorleser" ist eine handwerklich gut gemachte und vor allem von Kate Winslet herausragend gespielte ungewöhnliche Liebesgeschichte mit höchst tragischen Untertönen, deren historische und moralische Ausmaße aber viel zu oberflächlich abgehandelt werden.
Fazit: Stephen Daldrys "Der Vorleser" ist eine handwerklich gut gemachte und vor allem von Kate Winslet herausragend gespielte ungewöhnliche Liebesgeschichte mit höchst tragischen Untertönen, deren historische und moralische Ausmaße aber viel zu oberflächlich abgehandelt werden.
Wertung: 6,5 Punkte.
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