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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 23. Juli 2019

Klassiker-Rezension: DAS INDISCHE GRABMAL (1921)

Regie: Joe May, Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang, Musik: Wilhelm Löwitt, hier: Vojtěch Havel und Irena Havlova
Darsteller: Conrad Veidt, Olaf Fønss, Mia May, Bernhard Goetzke, Erna Morena, Paul Richter, Lya de Putti, Lewis Brody
 Das indische Grabmal zweiter Teil - Der Tiger von Eschnapur
(1921) on IMDb Rotten Tomatoes: -; FSK: 6, Dauer: 233 Minuten.

Der renommierte britische Architekt Herbert Rowland (Olaf Fønss, "Der Gang in die Nacht") staunt nicht schlecht, als eines Tages der geheimnisvolle indische Yoghi Ramigani (Bernhard Goetzke, "Dr. Mabuse, der Spieler") unangekündigt in seinem Arbeitszimmer sitzt und ihm ein verlockendes Angebot macht: Herbert soll dem Maharadscha von Eschnapur, Ayan (Conrad Veidt, "Casablanca"), ein monumentales Grabmal für seine Frau bauen. Obwohl das Angebot ein paar merkwürdige Nebenbedingungen hat – so darf Herbert seiner Verlobten Irene (Mia May, "Die Herrin der Welt") nicht bezüglich seiner Abreise Bescheid sagen –, nimmt der Architekt es schließlich an, weil die berufliche Versuchung einfach zu groß ist. In Indien angekommen, muß Herbert allerdings zu seinem Schrecken erfahren, daß Ayans Frau Savitri (Erna Morena, "Die Verschwörung zu Genua") noch quicklebendig ist – aber eine Gefangene ihres Gatten, da der sie beim Fremdgehen mit dem britischen Offizier Mac Allan (Paul Richter, "Die Nibelungen") erwischt hatte. Für zusätzliche Komplikationen sorgt wenig später die Ankunft von Irene, die durch hartnäckige Nachforschungen herausfinden konnte, wohin ihr Verlobter verschwunden ist, und nun der Sache auf den Grund gehen will …

Kritik:
Es ist heutzutage für jemanden, der sich nicht näher mit der Geschichte des Kinos befaßt hat, nur schwer zu glauben, aber es gab tatsächlich eine Zeit, in der der heutzutage international weitgehend irrelevante deutsche Film weltweit führend war – vor ziemlich genau 100 Jahren. Natürlich, auch damals eroberte das noch junge Hollywood (in dem erst 1910 der erste Film gedreht wurde) bereits in hohem Tempo die Zuschauer, vorwiegend mit den Eskapaden von Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd oder Stan Laurel & Oliver Hardy, aber auch schon mit den beeindruckenden Monumentalfilmen eines D. W. Griffiths ("Die Geburt einer Nation", "Intoleranz") oder Cecil B. DeMille ("Die zehn Gebote", "König der Könige"), die Kinosäle, aber stilprägend war der deutsche Expressionismus. Filmemacher wie Fritz Lang ("Dr. Mabuse, der Spieler", "Metropolis"), Robert Wiene ("Das Cabinet des Dr. Caligari", "Orlac's Hände"), Paul Wegener ("Der Golem, wie er in die Welt kam") oder Friedrich Wilhelm Murnau ("Nosferatu") faszinierten und gruselten in den 1920er Jahren das Publikum mit ihren experimentierfreudigen, surrealistischen, inhaltlich und stilistisch anspruchsvollen Werken des phantastischen Kinos. Joe Mays beinahe vierstündiger, innerhalb eines Monats in den zwei Teilen "Die Sendung des Yoghi" und "Der Tiger von Eschnapur" veröffentlichter Monumentalfilm "Das indische Grabmal" zählt nicht zu dieser Reihe expressionistischer Meisterwerke, ist aber ebenfalls ein deutscher Klassiker von filmhistorischer Bedeutung. Daß "der Welt größter Film" – wie er seinerzeit selbstbewußt beworben wurde – 100 Jahre später weitgehend in Vergessenheit geraten ist, könnte durchaus daran liegen, daß der umtriebige Studiochef und Regisseur Joe May dem jungen Drehbuch-Koautor Fritz Lang die Leitung eines solch aufwendigen und extrem teuren Projekts noch nicht zutraute und sie stattdessen lieber selber übernahm. Die Motivation ist nachvollziehbar, doch rückblickend betrachtet war es sicher nicht Mays beste Entscheidung, denn so verlor er den enttäuschten Lang an die Konkurrenz, während "Das indische Grabmal" letztlich zu gemischten Kritiken startete und angesichts der exorbitanten Produktionskosten auch kein kommerzieller Hit wurde.
Fairerweise sei nicht unerwähnt, daß Lang mehr als 30 Jahre später nach seiner Heimkehr aus Hollywood (wohin er Mitte der 1930er Jahre vor den Nazis geflohen war) noch eine farbenfrohe Neuverfilmung von "Das indische Grabmal" wagte, die künstlerisch jedoch trotz einer stark abgeänderten Handlung auch nicht vollends überzeugen konnte. Vielleicht liegt es also einfach an der Vorlage? Fritz Langs langjährige Arbeits- und vorübergehende Lebenspartnerin Thea von Harbou adaptierte für Mays Film gemeinsam mit Lang ihren eigenen, 1918 veröffentlichten und deutlich von den Karl May-Büchern inspirierten Trivialroman – ja, von Harbou fand den Weg zum Film über ihre ursprüngliche Tätigkeit als Autorin eher anspruchsloser Unterhaltungsromane. Entscheidend ist dabei das Wort "anspruchslos", denn das faßt die Probleme von Mays Film ziemlich treffend zusammen. Im Grunde genommen ist "Das indische Grabmal" ein Vorläufer moderner Hollywood-Großproduktionen, in denen die Schauwerte klar im Vordergrund stehen. Die können sich allerdings in der Tat sehen lassen: May und der berühmte Filmarchitekt Martin Jacoby-Boy schufen wahrlich monumentale Kulissen, die das exotische Indien mit dem Palast des Maharadschas und dem titelgebenden Grabmal im beschaulichen Woltersdorf bei Berlin zum Leben erwecken sollten, wozu bis zu 2000 Statisten in den Massenszenen ihr Scherflein beitrugen. Schade nur, daß der Inhalt da nicht mithalten kann. Besonders der mehr als zwei Stunden andauernde erste Teil "Die Sendung des Yoghi" kommt fast schon nihilistisch daher, so viel Zeit läßt sich Regisseur May, um die eher triviale Handlung mit mystischen Anklängen sich endlich entfalten zu lassen. Symbolisch dafür ist, daß wir zu Beginn per Texttafel über die Bedeutung der Yoghis aufgeklärt werden (wer einen der heiligen Männer findet und aus seinem Todesschlaf weckt, dem muß der Yoghi den tiefsten Wunsch erfüllen), nur um dann genau das Beschriebene über zehn Minuten lang in Bilder zu fassen. Da hätte man sich verlustfrei ganz erheblich kürzer fassen können, und das gilt letztlich für den gesamten Film. Zugegeben, May baut in diesen Szenen gekonnt eine mystische Atmosphäre auf, aber anstatt die handelnden Figuren den Zuschauern näherzubringen, setzt er lieber immer wieder die teuren Kulissen und Kostüme ins Bild. Die Musik, die das tschechische Ehepaar "The Havels" für die restaurierte Neuveröffentlichung komponierte (bei den allermeisten Stummfilmen gab es ja nicht die eine Filmmusik, da die Vorstellungen je nach Aufführungsort von einem Pianisten oder sogar einem ganzen Orchester begleitet wurden, die sich in der Regel nur an lose Vorgaben halten mußten und viel improvisieren durften), liefert dazu eine passende Untermalung ab: klangvoll und ein wenig melancholisch, mitunter jedoch einen Tick zu monoton.
Natürlich ist es ohne gesprochene Dialoge nicht so einfach, tiefgreifende Charakterisierungen zu erschaffen, aber es gibt genügend Stummfilm-Belege, daß es möglich ist. "Das indische Grabmal" legt darauf einfach deutlich erkennbar nicht viel Wert. Die durch ihren detektivischen Spürsinn gekennzeichnete Irene (verkörpert von Joe Mays österreichischer Ehefrau Mia, einer mitunter etwas zu affektiert agierenden früheren Operettensängerin) und der vom großartigen Conrad Veidt gewohnt ausdrucksstark gespielte, von der Liebe enttäuschte und rachsüchtige Maharadscha Ayan schneiden noch am besten ab. Schon beim die meiste Zeit allzu passiven Herbert (der Däne Olaf Fønss) sieht es deutlich schlechter aus, die tragische Liebesgeschichte zwischen Fürstin Savitri und dem britischen Offizier Mac Allan bleibt komplett beliebig und ruft entsprechend wenig Emotionen beim Betrachter hervor. Immerhin darf der spätere Siegfried-Darsteller (in Langs "Die Nibelungen") Paul Richter in der einzigen, dafür wirklich spannend in Szene gesetzten Actionsequenz des ersten Teils seine Heldenqualitäten unter Beweis stellen, als ihm eine gewagte Flucht aus einer vom Maharadscha gestellten Falle gelingt. Im mit gut 110 Minuten etwas kürzeren zweiten Teil (wobei ein paar davon für wiederholte Szenen aus Teil 1 draufgehen), "Der Tiger von Eschnapur", ziehen Tempo und Dramatik zum Glück merklich an und vor allem Conrad Veidt darf seine schauspielerischen Stärken als zunehmend manisch agierender Ayan ausspielen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, daß der Film (wie schon das Buch) rassistische Elemente beinhaltet. Das ist besonders daran gut zu erkennen, daß abgesehen vom weisen Yoghi eigentlich alle Inder ziemlich barbarisch und wenig schmeifelhaft gezeichnet werden. Für die damalige Zeit ist das bekanntlich nicht ungewöhnlich und daß sich auch unter den Statisten kaum Inder befinden, ist angesichts der logistischen Schwierigkeiten natürlich nachvollziehbar (daß man dem in der deutschen Kolonie Kamerun geborenen Lewis Brody in der Rolle von Ayans Diener an der Hautfarbe unschwer die afrikanische statt indische Herkunft ansieht, hat damals vermutlich auch kaum ein Zuschauer bemerkt). Letztlich ist diese rassistische Komponente aber dezent genug ausgeprägt (gerade im Vergleich etwa zu "Die Geburt einer Nation"), daß man sie ob des historischen Kontextes gut verdrängen und sich auf die Stärken des abenteuerlichen Filmes konzentrieren kann.

Fazit: "Das indische Grabmal" ist ein opulenter Monumental-Stummfilm, der mit spektakulären Kulissen und einem überzeugenden Hauptdarsteller über deutliche erzählerische Schwächen hinwegtäuscht.

Wertung: 7 Punkte (6,5 für Teil 1, 7,5 für Teil 2).


"Das indische Grabmal" erschien im Vertrieb der AV Visionen GmbH am 12. Juli 2019 in restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray. Echtes Bonusmaterial gibt es auf den Scheiben nicht, dafür entschädigt jedoch ein knapp 30-seitiges Booklet mit kenntnisreich und informativ geschriebenen Texten verschiedener Autoren u.a. zum Film selbst, zu Regisseur Joe May und zu der Autorin Thea von Harbou. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Themrock PR & Promotion zur Verfügung gestellt.


Screenshots: © AV Visionen GmbH

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