Regie: Joe May, Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang,
Musik: Wilhelm Löwitt, hier: Vojtěch Havel und Irena Havlova
Darsteller: Conrad Veidt, Olaf Fønss, Mia May, Bernhard
Goetzke, Erna Morena, Paul Richter, Lya de Putti, Lewis Brody
Der renommierte britische Architekt Herbert Rowland (Olaf
Fønss, "Der Gang in die Nacht") staunt nicht schlecht, als eines
Tages der geheimnisvolle indische Yoghi Ramigani (Bernhard Goetzke, "Dr.
Mabuse, der Spieler") unangekündigt in seinem Arbeitszimmer sitzt und ihm
ein verlockendes Angebot macht: Herbert soll dem Maharadscha von
Eschnapur, Ayan (Conrad Veidt, "Casablanca"), ein monumentales
Grabmal für seine Frau bauen. Obwohl das Angebot ein paar merkwürdige Nebenbedingungen
hat – so darf Herbert seiner Verlobten Irene (Mia May, "Die Herrin der
Welt") nicht bezüglich seiner Abreise Bescheid sagen –, nimmt der
Architekt es schließlich an, weil die berufliche Versuchung einfach zu groß
ist. In Indien angekommen, muß Herbert allerdings zu seinem Schrecken erfahren, daß
Ayans Frau Savitri (Erna Morena, "Die Verschwörung zu Genua") noch
quicklebendig ist – aber eine Gefangene ihres Gatten, da der sie beim
Fremdgehen mit dem britischen Offizier Mac Allan (Paul Richter, "Die
Nibelungen") erwischt hatte. Für zusätzliche Komplikationen sorgt wenig
später die Ankunft von Irene, die durch hartnäckige Nachforschungen
herausfinden konnte, wohin ihr Verlobter verschwunden ist, und nun der Sache
auf den Grund gehen will …
Kritik:
Es ist heutzutage für jemanden, der sich nicht näher mit der
Geschichte des Kinos befaßt hat, nur schwer zu glauben, aber es gab tatsächlich
eine Zeit, in der der heutzutage international weitgehend irrelevante deutsche
Film weltweit führend war – vor ziemlich genau 100 Jahren. Natürlich, auch
damals eroberte das noch junge Hollywood (in dem erst 1910 der erste Film
gedreht wurde) bereits in hohem Tempo die Zuschauer, vorwiegend mit den Eskapaden von Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd oder
Stan Laurel & Oliver Hardy, aber auch schon mit den beeindruckenden Monumentalfilmen eines
D. W. Griffiths ("Die Geburt einer Nation", "Intoleranz") oder
Cecil B. DeMille ("Die zehn Gebote", "König der Könige"),
die Kinosäle, aber stilprägend war der deutsche Expressionismus.
Filmemacher wie Fritz Lang ("Dr. Mabuse, der Spieler",
"Metropolis"), Robert Wiene ("Das Cabinet des Dr.
Caligari", "Orlac's Hände"), Paul Wegener ("Der Golem, wie
er in die Welt kam") oder Friedrich Wilhelm Murnau ("Nosferatu") faszinierten und gruselten in den 1920er Jahren das Publikum
mit ihren experimentierfreudigen, surrealistischen, inhaltlich und stilistisch anspruchsvollen Werken des phantastischen Kinos. Joe Mays beinahe vierstündiger,
innerhalb eines Monats in den zwei Teilen "Die Sendung des Yoghi" und
"Der Tiger von Eschnapur" veröffentlichter Monumentalfilm "Das
indische Grabmal" zählt nicht zu dieser Reihe expressionistischer
Meisterwerke, ist aber ebenfalls ein deutscher Klassiker von filmhistorischer
Bedeutung. Daß "der Welt größter Film" – wie er seinerzeit selbstbewußt
beworben wurde – 100 Jahre später weitgehend in Vergessenheit geraten ist,
könnte durchaus daran liegen, daß der umtriebige Studiochef und Regisseur Joe May
dem jungen Drehbuch-Koautor Fritz Lang die Leitung eines solch aufwendigen und
extrem teuren Projekts noch nicht zutraute und sie stattdessen lieber selber
übernahm. Die Motivation ist nachvollziehbar, doch rückblickend betrachtet war es sicher nicht Mays beste Entscheidung,
denn so verlor er den enttäuschten Lang an die Konkurrenz, während "Das
indische Grabmal" letztlich zu gemischten Kritiken startete und
angesichts der exorbitanten Produktionskosten auch kein kommerzieller Hit
wurde.
Fairerweise sei nicht unerwähnt, daß Lang mehr als 30 Jahre
später nach seiner Heimkehr aus Hollywood (wohin er Mitte der 1930er Jahre vor
den Nazis geflohen war) noch eine farbenfrohe Neuverfilmung von "Das
indische Grabmal" wagte, die künstlerisch jedoch trotz einer stark
abgeänderten Handlung auch nicht vollends überzeugen konnte. Vielleicht liegt
es also einfach an der Vorlage? Fritz Langs langjährige Arbeits- und vorübergehende
Lebenspartnerin Thea von Harbou adaptierte für Mays Film gemeinsam mit Lang
ihren eigenen, 1918 veröffentlichten und deutlich von den Karl
May-Büchern inspirierten Trivialroman – ja, von Harbou fand den Weg zum Film
über ihre ursprüngliche Tätigkeit als Autorin eher anspruchsloser Unterhaltungsromane. Entscheidend ist dabei das Wort
"anspruchslos", denn das faßt die Probleme von Mays Film ziemlich
treffend zusammen. Im Grunde genommen ist "Das indische Grabmal" ein
Vorläufer moderner Hollywood-Großproduktionen, in denen die Schauwerte klar im
Vordergrund stehen. Die können sich allerdings in der Tat sehen lassen: May und
der berühmte Filmarchitekt Martin Jacoby-Boy schufen wahrlich monumentale
Kulissen, die das exotische Indien mit dem Palast des Maharadschas
und dem titelgebenden Grabmal im beschaulichen Woltersdorf bei Berlin zum Leben
erwecken sollten, wozu bis zu 2000 Statisten in den Massenszenen ihr Scherflein
beitrugen. Schade nur, daß der Inhalt da nicht mithalten kann.
Besonders der mehr als zwei Stunden andauernde erste Teil "Die Sendung des
Yoghi" kommt fast schon nihilistisch daher, so viel Zeit läßt sich
Regisseur May, um die eher triviale Handlung mit mystischen Anklängen sich
endlich entfalten zu lassen. Symbolisch dafür ist, daß wir zu Beginn per
Texttafel über die Bedeutung der Yoghis aufgeklärt werden (wer einen der
heiligen Männer findet und aus seinem Todesschlaf weckt, dem muß der Yoghi den
tiefsten Wunsch erfüllen), nur um dann genau das Beschriebene über zehn Minuten
lang in Bilder zu fassen. Da hätte man sich verlustfrei ganz erheblich
kürzer fassen können, und das gilt letztlich für den gesamten Film. Zugegeben,
May baut in diesen Szenen gekonnt eine mystische Atmosphäre auf, aber
anstatt die handelnden Figuren den Zuschauern näherzubringen, setzt er lieber
immer wieder die teuren Kulissen und Kostüme ins Bild. Die Musik, die das tschechische Ehepaar "The Havels" für die restaurierte Neuveröffentlichung komponierte (bei den allermeisten Stummfilmen gab es ja nicht die eine Filmmusik, da die Vorstellungen je nach Aufführungsort von einem Pianisten oder sogar einem ganzen Orchester begleitet wurden, die sich in der Regel nur an lose Vorgaben halten mußten und viel improvisieren durften), liefert dazu eine passende Untermalung ab: klangvoll und ein wenig melancholisch, mitunter jedoch einen Tick zu monoton.
Natürlich ist es ohne gesprochene Dialoge nicht so einfach,
tiefgreifende Charakterisierungen zu erschaffen, aber es gibt genügend
Stummfilm-Belege, daß es möglich ist. "Das indische Grabmal" legt
darauf einfach deutlich erkennbar nicht viel Wert. Die durch ihren
detektivischen Spürsinn gekennzeichnete Irene (verkörpert von Joe Mays
österreichischer Ehefrau Mia, einer mitunter etwas zu affektiert agierenden früheren Operettensängerin) und der vom
großartigen Conrad Veidt gewohnt ausdrucksstark gespielte, von der Liebe enttäuschte und rachsüchtige Maharadscha Ayan schneiden noch am besten
ab. Schon beim die meiste Zeit allzu passiven Herbert (der Däne
Olaf Fønss) sieht es deutlich schlechter aus, die tragische
Liebesgeschichte zwischen Fürstin Savitri und dem britischen Offizier Mac Allan
bleibt komplett beliebig und ruft entsprechend wenig Emotionen beim Betrachter
hervor. Immerhin darf der spätere Siegfried-Darsteller (in Langs "Die
Nibelungen") Paul Richter in der einzigen,
dafür wirklich spannend in Szene gesetzten Actionsequenz des ersten Teils seine
Heldenqualitäten unter Beweis stellen, als ihm eine gewagte Flucht aus einer
vom Maharadscha gestellten Falle gelingt. Im mit gut 110 Minuten etwas kürzeren
zweiten Teil (wobei ein paar davon für wiederholte Szenen aus Teil 1 draufgehen),
"Der Tiger von Eschnapur", ziehen Tempo und Dramatik zum Glück
merklich an und vor allem Conrad Veidt darf seine schauspielerischen Stärken
als zunehmend manisch agierender Ayan ausspielen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, daß der Film (wie schon das
Buch) rassistische Elemente beinhaltet. Das ist besonders daran gut zu
erkennen, daß abgesehen vom weisen Yoghi eigentlich alle Inder ziemlich
barbarisch und wenig schmeifelhaft gezeichnet werden. Für die damalige Zeit ist
das bekanntlich nicht ungewöhnlich und daß sich auch unter den Statisten kaum Inder befinden, ist angesichts der logistischen Schwierigkeiten natürlich
nachvollziehbar (daß man dem in der deutschen Kolonie Kamerun geborenen
Lewis Brody in der Rolle von Ayans Diener an der Hautfarbe unschwer die
afrikanische statt indische Herkunft ansieht, hat damals vermutlich auch kaum
ein Zuschauer bemerkt). Letztlich ist diese rassistische Komponente aber dezent
genug ausgeprägt (gerade im Vergleich etwa zu "Die Geburt einer Nation"), daß man sie ob des historischen Kontextes gut
verdrängen und sich auf die Stärken des abenteuerlichen Filmes konzentrieren kann.
Fazit: "Das indische Grabmal" ist ein
opulenter Monumental-Stummfilm, der mit spektakulären Kulissen und einem überzeugenden
Hauptdarsteller über deutliche erzählerische Schwächen hinwegtäuscht.
Wertung: 7 Punkte (6,5 für Teil 1, 7,5 für Teil 2).
"Das indische Grabmal" erschien im Vertrieb der AV Visionen GmbH am 12. Juli 2019 in restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray. Echtes Bonusmaterial gibt es auf den Scheiben nicht, dafür entschädigt jedoch ein knapp 30-seitiges Booklet mit kenntnisreich und informativ geschriebenen Texten verschiedener Autoren u.a. zum Film selbst, zu Regisseur Joe May und zu der Autorin Thea von Harbou. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Themrock PR & Promotion zur Verfügung gestellt.
"Das indische Grabmal" erschien im Vertrieb der AV Visionen GmbH am 12. Juli 2019 in restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray. Echtes Bonusmaterial gibt es auf den Scheiben nicht, dafür entschädigt jedoch ein knapp 30-seitiges Booklet mit kenntnisreich und informativ geschriebenen Texten verschiedener Autoren u.a. zum Film selbst, zu Regisseur Joe May und zu der Autorin Thea von Harbou. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Themrock PR & Promotion zur Verfügung gestellt.
Screenshots: © AV Visionen GmbH
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