Regie: Pablo Larraín, Drehbuch: Noah Oppenheim, Musik: Mica
Levi
Darsteller:
Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Billy Crudup, Sir John Hurt, Greta Gerwig,
John Carroll Lynch, Beth Grant, Richard E. Grant, Caspar Phillipson, Max
Casella
FSK: 12, Dauer: 100 Minuten.
Ende November 1963: Eine Woche nach der Ermordung ihres
Ehemannes John F. Kennedy, des 35.
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, gewährt seine Witwe Jackie
(Natalie Portman, "Black Swan") einem Reporter (Billy Crudup,
"Spotlight") ein ausführliches Interview am Sommersitz der Familie
Kennedy – allerdings nach ihren ganz eigenen Regeln. Während sie dem Reporter
unter widerstreitenden Gefühlen davon erzählt, wie sie das Attentat und die
quälenden Stunden und Tage danach erlebt hat, in denen sie sich in die
Vorbereitungen auf die Beerdigung ihres Ehemannes stürzte in dem Bemühen, JFKs
Vermächtnis für alle Zeiten in der amerikanischen Geschichte zu zementieren,
kommen ihr andere Erinnerungen in den Sinn. Sie denkt an glückliche
Momente mit "Jack" (Kennedys Rufname) und den gemeinsamen Kindern, jedoch auch an ihre offenen Gespräche mit einem Priester (Sir John Hurt,
"Alien") nach dem Attentat. Vor allem geht es ihr in diesem
Interview allerdings – wie sie offen zugibt – darum, der Öffentlichkeit ihre Version der
tragischen Geschichte zu erzählen …
Kritik:
Mit Biopics ist das so eine Sache. Sie sind weltweit auf
Produzentenseite beliebt (schließlich hat jedes Land historische
Persönlichkeiten, deren Leben aufregend oder inspirierend genug war, um auf der
Leinwand nacherzählt zu werden), erzielen nicht selten kommerzielle
Erfolge und sind bei Preisverleihungen sehr beliebt. Allerdings hat das Genre
auch das Problem, daß es auf den ersten Blick recht unflexibel daherkommt.
Konventionelle Biopics wirken beinahe zwangsläufig eher anekdotenhaft, weil sie
sich nunmal von einem wichtigen Ereignis im Leben der zentralen Figur zum
nächsten hangeln und nur selten eine wirklich konsistente Handlung erzählen
können – schließlich wird das Leben nicht von einem Dramaturgen geschrieben
(auch wenn man in Ausnahmefällen durchaus den Eindruck haben könnte
…). Versuche, diese starre Struktur aufzubrechen, gibt es immer wieder; ein
aktueller Trend scheint die Konzentration auf eine vergleichsweise kurze
Zeitspanne zu sein. Anstelle einer Nacherzählung des kompletten Lebens steht
also eine (vermeintlich) besonders prägende Zeit im Fokus, manchmal – wie bei
Danny Boyles "Steve Jobs" – auch mehrere Phasen, die aber thematisch
stark verbunden sind. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín
("Neruda") geht in seinem englischsprachigen Debüt auf Grundlage des
exzellent ausgearbeiteten Drehbuchs von Noah Oppenheim ("Maze
Runner") ähnlich vor und charakterisiert Jackie Kennedy anhand ihrer
Reaktion auf die Ermordung ihres Ehemannes, wobei ihr Psychogramm durch einige
Rückblenden komplettiert wird. Es ist eine kunstvolle Methode und sie funtkioniert
ausgezeichnet, denn wenngleich der für drei OSCARS (Hauptdarstellerin,
Musik, Kostüme) nominierte "Jackie" nicht wirklich eine Geschichte
erzählt, ist der Film ein komplexes, durch das Durcheinanderwürfeln mehrerer
(nicht weit voneinander entfernter) Zeitebenen kreiertes Portrait einer
außergewöhnlichen Frau geworden, das ebenso berührt wie fasziniert.
Als Rahmenhandlung in der Filmgegenwart dient das Interview,
das Jackie eine Woche nach dem Attentat
nach ihren eigenen Regeln einem passenderweise namenlos bleibenden Reporter gibt (in der Realität war das Theodore H. White vom "LIFE Magainze"). Heutzutage ist es – vor allem
in Europa, in den USA eigentlich weniger – ganz normal, daß Interview-Partner vor
der Veröffentlichung den gesamten Text absegnen, wobei es öfters zu teilweise
sehr umfangreichen Korrekturen kommt (die wiederum dazu führen können, daß die
jeweilige Publikation ganz auf die Veröffentlichung verzichtet). Jackie
Kennedy hat genau das schon damals getan. Natürlich spekuliert der Film in der Hinsicht
ein wenig, aber angesichts der Tatsache, daß das mehrere Stunden andauernde Gespräch zwischen
White und Jackie zu einem gerade zweiseitigen Text führte, wirkt es
absolut glaubwürdig, daß die frühere First Lady der USA White vieles erzählte,
das er dann nicht schreiben durfte. In der Filmversion dieses Interviews blickt
Jackie – teils dem Reporter gegenüber, teils in Gedanken – auf
verschiedene Momente der Vergangenheit zurück. Während manche Sachen
nur kurz angeschnitten werden (das Attentat selbst; eine Geburtstagsfeier des
Sohnes Jack Jr.; JFKs Lieblingssong aus dem Musical "Camelot", der
später zum Aufhänger des Artikels wurde), stechen vor allem zwei
Handlungsstränge heraus. Der eine ist die Aufzeichnung einer CBS-Fernsehsendung ein Jahr nach Kennedys Amtsantritt (also knapp zwei Jahre vor seiner
Ermordung), in der Jackie Amerika durch das Weiße Haus führt und dieses damit
erstmals in Gänze der Öffentlichkeit vorführt. Dieser Rückblick dient vor allem
dazu, Jackie zu einer fröhlicheren Zeit zu zeigen, als die Präsidentschaft ihres
Mannes an ihrem hoffnungsvollen Beginn stand und sie und ihr Mann (und dessen
Bruder Bobby) so viele idealistische Pläne für die USA hatten. Zugleich war
die Sendung ein wichtiger Bestandteil von Jackies raschem Aufstieg nicht
nur zu einer Modeikone, sondern auch zu einer Vorbildfigur für viele Frauen –
eine Stellung, die mutmaßlich ihr PR-Bewußtsein förderte, das sie nach
dem Tod ihres Mannes mit aller Macht anwendet, um ihn gewissermaßen unsterblich
zu machen.
Noch wichtiger als die Sendung ist aber natürlich jener Erzählstrang,
der Jackie in den Stunden und Tagen nach dem Attentat zeigt. Die
Persönlichkeit, die die junge Witwe im Film in dieser Zeit entwickeln darf, ist erfreulich
komplex und ambivalent und dabei sehr fesselnd geschildert, ohne Jackie zu glorifizieren. Während ihr
Schwager Bobby Kennedy (Peter Sarsgaard, "Die glorreichen Sieben"),
der wichtigste Berater seines Bruders und viereinhalb Jahre später selbst
Attentats-Opfer, beispielsweise nicht über die entscheidenden Momente
sprechen will, kann Jackie gar nicht anders, als das Erlebte wieder und wieder
durchzuspielen. Auch von anderen Anwesenden läßt sie sich genau schildern, was sie beobachtet und erlebt haben; ein bißchen wirkt das wie Selbstkasteiung,
zumal sie sich tatsächlich Vorwürfe macht, nicht genug getan zu haben, um ihren
Mann zu retten. In den Stunden nach dem Tod des Präsidenten ist Jackie
faszinierenderweise gleichermaßen eine gebrochene Ehefrau und eine unbeugsame
öffentliche Person. Alleine ihre trotzige Entscheidung, die Kennedys Sarg
transportierende Air Force One aufrecht in der noch mit dem Blut ihres Mannes
besudelten Kleidung zu verlassen, damit auch jeder sieht, was man ihr und ihrer
Familie angetan hat, ist von einer kaltblütigen Brillanz, von der man nicht
weiß, ob man sie mehr bewundern oder fürchten soll. Auch sonst weiß Jackie ganz
genau, was sie will, sie denkt ausgesprochen strategisch und plant Kennedys
Beerdigung so, daß die Welt sie und JFKs politisches Vermächtnis – von dem
selbst Bobby frustriert sagt, daß er eigentlich gar nicht genug Zeit hatte,
eines zu hinterlassen – niemals vergessen wird.
Denn Jackie weiß genau, daß vor ihrem Gatten bereits
drei US-Präsidenten im Amt ermordet wurden, doch während bei Garfield und
Wilson selbst viele Amerikaner nicht mal mehr wissen, daß sie frühere
Präsidenten sind, blieb nur Lincoln unvergessen. Also liest sie alle möglichen
Bücher über ihn und seine Beerdigung, um zu verstehen, warum ausgerechnet Lincoln
die Zeit überdauerte und wie sie das auch ihrem (trotz dessen
Affären, die sie lediglich indirekt und in Metaphern erwähnt, wobei man aber an ihrem
Gesicht genau ablesen kann, wie sehr die sie geschmerzt haben) geliebten Jack bescheren kann. Man
kommt kaum umhin, sich zu fragen, was diese Frau mit ihrem Charisma, ihrer
Klugheit, ihrer Willensstärke und vor allem ihrem strategischen Geschick hätte
erreichen können, wäre sie einige Jahrzehnte später geboren und vielleicht selbst
US-Präsidentin geworden … Doch so stark sich Jackie öffentlich auch gibt: In
privaten Momenten, wenn sie niemand (außer manchmal engen Vertrauten) sehen
kann, bricht sich der Schmerz immer wieder Bahn. Besonders jene Szene, in der
sie ihren beiden kleinen Kindern den Tod des Vaters beibringt, ist
wahrlich herzzerreißend! Halt geben Jackie eigentlich nur Bobby (dem es aber
natürlich selbst nicht besser geht, weshalb sie ihre Wut und Trauer auch einmal gegenseitig aneinander auslassen), ihre loyale Assistentin Nancy (Greta
Gerwig, "To Rome with Love") und ein ebenso mitfühlender wie
altersweiser Priester (Sir John Hurt in einer seiner letzten Rollen), dem sie
ihr Herz ausschütten kann. Die getragene, recht dominant eingesetzte Musik von Mica Levi ("Under the Skin") könnte man übrigens
als ein bißchen arg bedeutungsschwanger betrachten, jedoch paßt sie zum Geschehen
und untermalt vor allem Jackies Gemütszustand sehr passend. Etwas verwunderlich ist derweil, daß mit dem Salut des kleinen Jack jr. eines der ikonischsten Bilder von Kennedys Beerdigung im Film nicht vorkommt – vermutlich, weil eben Jackie Thema von Larraíns Werk ist und nicht ihre Kinder.
Wo ich nun aber die ganze Zeit nur über Jackie Kennedy schrieb,
darf selbstredend ihre wie Komponist Levi OSCAR-nominierte Darstellerin Natalie
Portman nicht vergessen werden. Die sieht Jackie Kennedy zwar halbwegs ähnlich,
doch wenn es nur nach der Optik geht, gibt es einige bedeutende Unterschiede.
So ist Portman zehn Zentimeter kleiner, dazu von deutlich
zierlicherer Statur, außerdem hat sie ein schmaleres Gesicht. Das vergißt man
im Film aber schnell, denn dafür paßt ansonsten fast alles an Portmans
meisterhaft nuancierter Vorstellung – wobei man den Film in der Originalfassung
sehen muß, um das voll anerkennen zu können, denn nicht nur Gestik, Mimik
und Bewegungsablauf gleichen dem realen Vorbild fast perfekt, sondern auch und
sogar vor allem Stimme, Tonlage und der eigenwillige, distinktive "Kennedy-Akzent"
(ich habe es hinterher mit der echten CBS-Sendung verglichen, die man
bei YouTube findet). Natalie Portman hat Jackie Kennedy penibel studiert und sie
macht aus dem, was sie dabei gelernt hat, nicht nur eine seelenlose Imitation,
sondern sie haucht Jackie echtes Leben und eine starke Persönlichkeit ein. Eine
wahrlich OSCAR-reife Vorstellung in einem auch ohne echte Handlung rundum überzeugenden Charakterdrama!
Fazit: "Jackie" ist ein kunstvoll
verschachteltes, sehr überzeugend dargebotenes Portrait der von Natalie
Portman perfekt verkörperten Präsidentenwitwe Jackie Kennedy, das ihre Leiden,
aber auch ihre große Willensstärke in den Tagen nach der Ermodung ihres Mannes
John F. Kennedy einfühlsam und bewegend greifbar macht.
Wertung: 9 Punkte.
Wer mehr wissen will:
LIFE Magazine-Artikel: "An Epilogue"Jacqueline Kennedy: White House Tour (YouTube)
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