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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 30. Juni 2016

THE NEON DEMON (2016)

Regie: Nicolas Winding Refn, Drehbuch: Mary Laws, Polly Stenham und Nicolas Winding Refn, Musik: Cliff Martinez
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Keanu Reeves, Desmond Harrington, Karl Glusman, Christina Hendricks, Alessandro Nivola, Charles Baker
The Neon Demon
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 59% (6,0); weltweites Einspielergebnis: $3,6 Mio.
FSK: 16, Dauer: 117 Minuten.

Eine knapp bekleidete schöne junge Frau liegt reglos auf einer Couch, an ihrem rechten Arm fließt Blut herab, die Augen sind weit geöffnet und starr. Dann ertönt das Klicken einer Kamera und wir erkennen: Die 16-jährige Provinzschönheit Jesse (Elle Fanning, "Super 8") ist sehr wohl noch am Leben und das makabre Photoshooting durch den über das Internet kennengerlernten Dean (Karl Glusman, "Love") soll ihr den Durchbruch als Model in Los Angeles bringen, wo sie zunächst im schäbigen Motel des schmierigen Hank (Keanu Reeves, "47 Ronin") wohnt. Und tatsächlich: Jan (Christina Hendricks, TV-Serie "Mad Men"), Leiterin einer Modelagentur, beißt an und nimmt Jesse unter Vertrag. Schnell erregt die junge Waise die Aufmerksamkeit von Profis wie dem Star-Photographen Jack (Desmond Harrington, TV-Serie "Dexter") oder einem angesagten Modedesigner (Alessandro Nivola, "Selma") – was ihr allerdings die Eifersucht der etwas älteren Models Gigi (Bella Heathcote, "Dark Shadows") und Sarah (Abbey Lee, "Mad Max: Fury Road") einbringt. Nur Dean und die Makeup-Assistentin Ruby (Jena Malone, "Die Tribute von Panem – Catching Fire"), die sich bei der Arbeit um Jesse kümmert, scheinen für sie Freunde zu sein

Kritik:
Als der für seinen unverkennbaren und kompromißlosen, nicht wirklich massentauglichen Stil bekannte dänische Filmemacher Nicolas Winding Refn ankündigte, einen sehr stark weiblich geprägten Horrorfilm zu drehen, da war meine Neugierde groß. Immerhin hat Winding Refn mit dem adrenalintreibenden Action-Thriller "Drive" einen meiner liebsten Filme der letzten Jahre gedreht, auch mit anderen unkonventionellen Werken wie der Charakterstudie "Bronson" mit Tom Hardy oder dem Wikinger-Drama "Valhalla Rising" mit Mads Mikkelsen konnte er mich überzeugen. Allerdings muß klar gesagt werden, daß Winding Refn-Filme sich eben an alles richten, nur nicht an das typische Multiplex-Publikum! Die Werke des Dänen zeichnen sich durch ihren ganz eigenen, mitreißenden audiovisuellen Stil ab, aber ebenso durch Storys, die auf das Nötigste, bis auf das Grundgerüst reduziert sind. Geredet wird in der Regel auch nicht viel, weshalb Winding Refns Filme regelmäßig eine Herausforderung für den Zuschauer sind, dem volle Konzentration und außerdem ein großes Maß an cineastischer Offenheit abverlangt werden. Bei "The Neon Demon" ist das nicht anders, vielleicht ist es sogar noch ein wenig extremer. Speziell Horror-Fans sollten sich von der Genrezuordnung von "The Neon Demon" nicht in die Irre führen lassen, denn wiewohl es sich hierbei ganz bestimmt um einen Horrorfilm handelt, hat das absolut überhaupt nichts mit Stoff der Marke "Freitag, der 13.", "Saw" oder "Conjuring" zu tun – ebenso wenig wie "Valhalla Rising" mit einem klassischen Wikinger-Abenteuer. "Arthouse-Horror" trifft es schon deutlich besser, ein guter Vergleichsmaßstab ist der stilistisch ziemlich ähnliche "Under the Skin" mit Scarlett Johansson (vielleicht auch "The Witch" oder sogar "Excision" ohne den schwarzen Humor) – wer mit dem nicht viel anfangen konnte, der kann den "Neon-Dämon" getrost von seiner Liste streichen; wer ihn mochte und kein Problem mit, ähm, extremen Neigungen von Filmfiguren hat (ich will nicht zu viel verraten), der sollte sich auch an den Horror in der Fashion-Branche wagen.

Bis besagter Horror in seiner ganzen, wahrlich bemerkenswerten Abgründigkeit zum Tragen kommt, dauert es jedoch seine Zeit. In den ersten 70 oder 80 Minuten ist "The Neon Demon" primär ein Modebranchen-Drama über einen jungen und unerfahrenen Neuankömmling auf dem steinigen Weg nach oben. Im Kern gar nicht so unähnlich einem Film wie "Rock of Ages", nur eben in der komplett entgegengesetzten Stoßrichtung: Statt Fröhlichkeit und Albernheit und romantischer Liebe gibt es in Winding Refns "Stadt der Engel" Neid, Mißgunst und Perversion und es liegt eine permanente unterschwellige Bedrohlichkeit in der Luft, die sich nicht richtig greifen, aber definitiv nicht leugnen läßt. Ist Jesses freundliche, galante Internetbekanntschaft Dean wirklich so harmlos? Sind Rubys neugierige Fragen an Jesse nicht ein bißchen zu intim? Meint Jan es gut mit ihr, wenn sie ihr empfiehlt, sie solle allen sagen, sie sei schon 19? Ist es wirklich so eine gute Idee, sich als unbedarfter Neuling allein mit dem wortkargen Photographen Jack am Set aufzuhalten, nachdem der auch noch alle Anwesenden wegschickt und Jesse dann auffordert, die Kleidung abzulegen? Oder hat Jesse Recht, wenn sie der besorgten Ruby versichert, sie sei nicht so hilflos wie sie wirke? "The Neon Demon" spielt mit den Erwartungen des Zuschauers und mit der beklemmenden Atmosphäre des meist bei Nacht gezeigten und hier ziemlich verkommen wirkenden Los Angeles, ohne daß in Wirklichkeit allzu viel passieren würde.

Wie es typisch ist für Winding Refn, befaßt er sich nicht großartig mit einer echten Handlung oder einer glaubwürdigen Figurenzeichnung, was bei seinen Filmen häufig funktioniert, hier allerdings nicht einhundertprozentig. Gut, die sehr dünne Story läßt sich verschmerzen; das, was "The Neon Demon" zeigt, entwirft in seiner Kargheit doch ein ziemlich überzeugendes Bild des Moloch Los Angeles und der oberflächlichen Modebranche. Klar, einen Originalitätspreis gewinnt Winding Refn dafür nicht, aber als Setting für seinen Film entfaltet es insgesamt die gewünschte Wirkung, wenn auch einzelne Szenen übertrieben wirken. Ein gutes Beispiel dafür ist Jesses erste Begegnung mit dem namenlos bleibenden Stardesigner bei einem Casting, das dieser gelangweilt verfolgt (oder eher seine Assistentin verfolgen läßt). Doch als sein Blick auf Jesse fällt, zeigt die Kamera ausführlich und in Nahaufnahme, wie sich in seinem Gesicht eine Begeisterung einstellt, als wäre durch Jesse gerade die Sonne aufgegangen – um ehrlich zu sein: Ich bin mir nicht sicher, ob das ernst oder satirisch gemeint ist. Im letzteren Fall ist es okay, im ersteren doch etwas zu viel des Guten (wenngleich von Nivola gut gespielt). Und auch manches "Foreshadowing" und Metaphern wie der Puma, der sich eines Nachts in das Motel verirrt, lassen es an Subtilität mangeln: Ja, wir haben es verstanden, L.A. und die Modebranche sind voller Raubtiere, gegen die ein Puma geradezu harmlos wirkt. Trotzdem hält sich der Schaden, den diese Mängel ausrichten, in Grenzen, da Winding Refn durch die phantastischen Bilderwelten, die er mit expressionistischen Licht- und Schattenspielen kreiert, aber auch mit netzhaut-malträtierenden und von wie bei "Drive" von Cliff Martinez komponierter hypnotischer Elektronikmusik untermalten Party- und Fashion-Szenen stets für faszinierende Unterhaltung sorgt.

Abseits dieser Sequenzen legt "The Neon Demon" jedoch lange ein bedächtiges Erzähltempo vor, weshalb man durchaus Zeit hat, sich Gedanken über den Mangel an Handlung zu machen und weitere Kritikpunkte aufzutun wie Jesses abrupte und daher wenig glaubwürdig wirkende Charakterentwicklung nach ersten Erfolgen – die übrigen Figuren bleiben sowieso Stereotypen, was angesichts ihrer betonten Überzeichnung jedoch sehr wahrscheinlich so beabsichtigt ist. Realitätsnähe darf man von "The Neon Demon" jedenfalls nicht erwarten – und in der letzten halben Stunde schon gleich gar nicht! Fieserweise würde ich gerade über dieses unerwartet abgründige Finale, in dem sich die ganze, bis dahin so konsequent aufgestaute Anspannung in unfaßbaren und hemmungslosen, wenngleich sich großteils off-screen abspielenden Eruptionen entlädt, besonders gerne schreiben; ich werde es jedoch nicht tun und noch nicht einmal (wie viele andere Rezensenten) Stichworte nennen, da man den entfesselten, ekligen Wahnsinn, den Nicolas Winding Refn in den letzten 30 Minuten präsentiert, wirklich selbst erleben sollte, um es glauben zu können (einen starken Magen vorausgesetzt)! Es gibt wohlgemerkt keine Splatterexzesse oder etwas in der Art (dennoch halte ich die FSK 16-Freigabe für großzügig), das Grauen spielt sich eher in der Phantasie des Publikums ab; Horrorkenner werden dafür gelungene Anspielungen auf etliche beliebte Genremotive bemerken.

Schauspielerisch liefert Elle Fanning (der Winding Refn den Film nach eigener Aussage auf den Leib schrieb) in der Hauptrolle wieder einmal eine feine Leistung ab. Ich verfolge ihren Weg schon seit J.J. Abrams' "Super 8" mit Wohlwollen und so wie es bislang aussieht, wird sie ihrer älteren Schwester Dakota (deren anfangs ebenfalls vielversprechende Karriere in den letzten Jahren ins Stocken gekommen ist) schon bald die Rücklichter zeigen – schauspielerisch ist sie meiner Ansicht nach sowieso schon besser. In "The Neon Demon" kann sie das jedoch nur bedingt nachweisen, da ihre Rolle trotz interessanter Facetten letztlich doch zu eindimensional gestaltet ist, als daß Fanning ihre gesamten Darstellungskünste abrufen müßte. Stark besetzt sind auch die Nebenrollen, wobei mir Bella Heathcote als Gigi und Desmond Harrington als Jack am besten gefallen haben. Und Keanu Reeves bereitet seine kleine Rolle als (freundlich formuliert) Unsympath sichtlich Freude.

Fazit: "The Neon Demon" ist ein kunstvoller, symbollastiger Arthouse-Horrorfilm, der lange in einem niemals langweiligen, aber doch zu oberflächlichen und klischeehaften Handlungsaufbau schwelgt, der sich dann aber in einem atemberaubend abgründigen Finale entlädt, das man so noch nicht erlebt hat (und das für einige Zuschauer mit Sicherheit zu viel sein wird …).

Wertung: Schwer zu quantifizieren, aber das dürfte es ganz gut treffen: 7 Punkte.


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