Regie:
Nicolas Winding Refn, Drehbuch: Mary Laws, Polly Stenham und Nicolas Winding
Refn, Musik: Cliff Martinez
Darsteller:
Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Keanu Reeves, Desmond Harrington, Karl
Glusman, Christina Hendricks, Alessandro Nivola, Charles
Baker
FSK: 16, Dauer: 117 Minuten.
Eine knapp bekleidete schöne junge Frau liegt reglos auf
einer Couch, an ihrem rechten Arm fließt Blut herab, die Augen sind weit
geöffnet und starr. Dann ertönt das Klicken einer Kamera und wir erkennen:
Die 16-jährige Provinzschönheit Jesse (Elle Fanning, "Super 8") ist
sehr wohl noch am Leben und das makabre Photoshooting durch den über das
Internet kennengerlernten Dean (Karl Glusman, "Love") soll ihr den
Durchbruch als Model in Los Angeles bringen, wo sie zunächst im schäbigen Motel
des schmierigen Hank (Keanu Reeves, "47 Ronin") wohnt. Und
tatsächlich: Jan (Christina Hendricks, TV-Serie "Mad Men"), Leiterin einer Modelagentur, beißt an und nimmt Jesse unter Vertrag. Schnell
erregt die junge Waise die Aufmerksamkeit von Profis wie dem Star-Photographen Jack (Desmond
Harrington, TV-Serie "Dexter") oder einem angesagten Modedesigner
(Alessandro Nivola, "Selma") – was ihr allerdings die
Eifersucht der etwas älteren Models Gigi (Bella Heathcote, "Dark Shadows") und Sarah (Abbey Lee, "Mad Max: Fury Road") einbringt.
Nur Dean und die Makeup-Assistentin Ruby (Jena Malone, "Die Tribute von Panem – Catching Fire"), die sich bei der Arbeit um Jesse kümmert, scheinen für sie Freunde zu sein …
Kritik:
Als der für seinen unverkennbaren und kompromißlosen, nicht wirklich massentauglichen Stil bekannte dänische
Filmemacher Nicolas Winding Refn ankündigte, einen sehr stark weiblich geprägten
Horrorfilm zu drehen, da war meine Neugierde groß. Immerhin hat Winding Refn
mit dem adrenalintreibenden Action-Thriller "Drive" einen meiner liebsten Filme der letzten Jahre gedreht, auch mit anderen unkonventionellen
Werken wie der Charakterstudie "Bronson" mit Tom Hardy oder dem
Wikinger-Drama "Valhalla Rising" mit Mads Mikkelsen konnte er mich
überzeugen. Allerdings muß klar gesagt werden, daß Winding Refn-Filme sich
eben an alles richten, nur nicht an das typische Multiplex-Publikum! Die Werke des
Dänen zeichnen sich durch ihren ganz eigenen, mitreißenden audiovisuellen Stil
ab, aber ebenso durch Storys, die auf das Nötigste, bis auf das Grundgerüst
reduziert sind. Geredet wird in der Regel auch nicht viel, weshalb Winding
Refns Filme regelmäßig eine Herausforderung für den Zuschauer sind, dem volle
Konzentration und außerdem ein großes Maß an cineastischer Offenheit abverlangt
werden. Bei "The Neon Demon" ist das nicht anders, vielleicht ist es
sogar noch ein wenig extremer. Speziell Horror-Fans sollten sich von der
Genrezuordnung von "The Neon Demon" nicht in die Irre
führen lassen, denn wiewohl es sich hierbei ganz bestimmt um einen Horrorfilm
handelt, hat das absolut überhaupt nichts mit Stoff der Marke "Freitag,
der 13.", "Saw" oder "Conjuring" zu tun – ebenso wenig wie "Valhalla Rising" mit einem klassischen Wikinger-Abenteuer.
"Arthouse-Horror" trifft es schon deutlich besser, ein guter
Vergleichsmaßstab ist der stilistisch ziemlich ähnliche "Under the Skin" mit Scarlett Johansson (vielleicht auch "The Witch" oder sogar "Excision" ohne den schwarzen Humor) – wer mit dem nicht viel anfangen konnte, der kann
den "Neon-Dämon" getrost von seiner Liste streichen; wer ihn mochte
und kein Problem mit, ähm, extremen Neigungen von Filmfiguren hat (ich will
nicht zu viel verraten), der sollte sich auch an den Horror in der
Fashion-Branche wagen.
Bis besagter Horror in seiner ganzen, wahrlich bemerkenswerten
Abgründigkeit zum Tragen kommt, dauert es jedoch seine Zeit. In den ersten 70
oder 80 Minuten ist "The Neon Demon" primär ein Modebranchen-Drama
über einen jungen und unerfahrenen Neuankömmling auf dem steinigen Weg nach oben.
Im Kern gar nicht so unähnlich einem Film wie "Rock of Ages", nur
eben in der komplett entgegengesetzten Stoßrichtung: Statt Fröhlichkeit und
Albernheit und romantischer Liebe gibt es in Winding Refns "Stadt der
Engel" Neid, Mißgunst und Perversion und es liegt eine permanente unterschwellige Bedrohlichkeit in der Luft, die
sich nicht richtig greifen, aber definitiv nicht leugnen läßt. Ist Jesses
freundliche, galante Internetbekanntschaft Dean wirklich so harmlos? Sind
Rubys neugierige Fragen an Jesse nicht ein bißchen zu intim? Meint
Jan es gut mit ihr, wenn sie ihr empfiehlt, sie solle allen sagen, sie sei
schon 19? Ist es wirklich so eine gute Idee, sich als unbedarfter Neuling
allein mit dem wortkargen Photographen Jack am Set aufzuhalten, nachdem der auch
noch alle Anwesenden wegschickt und Jesse dann auffordert, die Kleidung
abzulegen? Oder hat Jesse Recht, wenn sie der besorgten Ruby versichert, sie sei nicht so hilflos wie sie wirke? "The Neon Demon" spielt mit den Erwartungen
des Zuschauers und mit der beklemmenden Atmosphäre des meist bei Nacht gezeigten
und hier ziemlich verkommen wirkenden Los Angeles, ohne daß in Wirklichkeit
allzu viel passieren würde.
Wie es typisch ist für Winding Refn, befaßt er sich nicht
großartig mit einer echten Handlung oder einer glaubwürdigen Figurenzeichnung,
was bei seinen Filmen häufig funktioniert, hier allerdings nicht einhundertprozentig. Gut, die sehr dünne
Story läßt sich verschmerzen; das, was "The Neon Demon" zeigt,
entwirft in seiner Kargheit doch ein ziemlich überzeugendes Bild des Moloch Los
Angeles und der oberflächlichen Modebranche. Klar, einen
Originalitätspreis gewinnt Winding Refn dafür nicht, aber als Setting für
seinen Film entfaltet es insgesamt die gewünschte Wirkung, wenn auch einzelne
Szenen übertrieben wirken. Ein gutes Beispiel dafür ist Jesses erste
Begegnung mit dem namenlos bleibenden Stardesigner bei einem Casting, das
dieser gelangweilt verfolgt (oder eher seine Assistentin verfolgen läßt). Doch
als sein Blick auf Jesse fällt, zeigt die Kamera ausführlich und in
Nahaufnahme, wie sich in seinem Gesicht eine Begeisterung einstellt, als wäre
durch Jesse gerade die Sonne aufgegangen – um ehrlich zu sein: Ich bin mir
nicht sicher, ob das ernst oder satirisch gemeint ist. Im letzteren Fall ist es
okay, im ersteren doch etwas zu viel des Guten (wenngleich von Nivola gut
gespielt). Und auch manches "Foreshadowing" und Metaphern wie der
Puma, der sich eines Nachts in das Motel verirrt, lassen es an Subtilität
mangeln: Ja, wir haben es verstanden, L.A. und die Modebranche sind
voller Raubtiere, gegen die ein Puma geradezu harmlos wirkt. Trotzdem hält sich
der Schaden, den diese Mängel ausrichten, in Grenzen, da Winding Refn durch die
phantastischen Bilderwelten, die er mit expressionistischen Licht- und
Schattenspielen kreiert, aber auch mit netzhaut-malträtierenden und von wie bei "Drive" von Cliff Martinez komponierter hypnotischer
Elektronikmusik untermalten Party- und Fashion-Szenen stets für faszinierende
Unterhaltung sorgt.
Abseits dieser Sequenzen legt "The Neon Demon"
jedoch lange ein bedächtiges Erzähltempo vor, weshalb man durchaus Zeit hat,
sich Gedanken über den Mangel an Handlung zu machen und weitere
Kritikpunkte aufzutun wie Jesses abrupte und daher wenig glaubwürdig wirkende
Charakterentwicklung nach ersten Erfolgen – die übrigen Figuren
bleiben sowieso Stereotypen, was angesichts ihrer betonten Überzeichnung jedoch
sehr wahrscheinlich so beabsichtigt ist. Realitätsnähe darf man von "The
Neon Demon" jedenfalls nicht erwarten – und in der letzten halben Stunde
schon gleich gar nicht! Fieserweise würde ich gerade über dieses unerwartet
abgründige Finale, in dem sich die ganze, bis dahin so konsequent aufgestaute
Anspannung in unfaßbaren und hemmungslosen, wenngleich sich großteils off-screen abspielenden Eruptionen entlädt, besonders gerne
schreiben; ich werde es jedoch nicht tun und noch nicht einmal (wie viele
andere Rezensenten) Stichworte nennen, da man den entfesselten, ekligen Wahnsinn, den Nicolas Winding Refn in den letzten 30 Minuten
präsentiert, wirklich selbst erleben sollte, um es glauben zu können (einen starken Magen vorausgesetzt)! Es gibt wohlgemerkt keine Splatterexzesse oder etwas in der Art (dennoch
halte ich die FSK 16-Freigabe für großzügig), das Grauen spielt sich eher in der Phantasie des Publikums ab; Horrorkenner werden dafür gelungene
Anspielungen auf etliche beliebte Genremotive bemerken.
Schauspielerisch liefert Elle Fanning (der Winding Refn den
Film nach eigener Aussage auf den Leib schrieb) in der Hauptrolle wieder einmal
eine feine Leistung ab. Ich verfolge ihren Weg schon seit J.J. Abrams'
"Super 8" mit Wohlwollen und so wie es bislang aussieht, wird sie ihrer
älteren Schwester Dakota (deren anfangs ebenfalls vielversprechende
Karriere in den letzten Jahren ins Stocken gekommen ist) schon bald die
Rücklichter zeigen – schauspielerisch ist sie meiner Ansicht nach sowieso schon
besser. In "The Neon Demon" kann sie das jedoch nur bedingt nachweisen,
da ihre Rolle trotz interessanter Facetten letztlich doch zu
eindimensional gestaltet ist, als daß Fanning ihre gesamten Darstellungskünste
abrufen müßte. Stark besetzt sind auch die Nebenrollen, wobei mir Bella
Heathcote als Gigi und Desmond Harrington als Jack am besten gefallen haben.
Und Keanu Reeves bereitet seine kleine Rolle als (freundlich formuliert) Unsympath
sichtlich Freude.
Fazit: "The Neon Demon" ist ein kunstvoller, symbollastiger
Arthouse-Horrorfilm, der lange in einem niemals langweiligen, aber doch zu
oberflächlichen und klischeehaften Handlungsaufbau schwelgt, der sich dann aber in einem
atemberaubend abgründigen Finale entlädt, das man so noch nicht erlebt hat (und
das für einige Zuschauer mit Sicherheit zu viel sein wird …).
Wertung: Schwer zu quantifizieren, aber das
dürfte es ganz gut treffen: 7 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen.
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