Regie: Giulio Ricciarelli, Drehbuch: Elisabeth Bartel,
Giulio Ricciarelli, Musik: Sebastian Pille und Niki Reiser
Darsteller: Alexander Fehling, André Szymanski, Gert Voss,
Johannes Krisch, Johann von Bülow, Friederike Becht, Hansi Jochmann, Robert
Hunger-Bühler, Elinor Eidt, Mathis Reinhardt, Tim Williams
FSK: 12, Dauer: 123 Minuten.
Ende der 1950er Jahre in Frankfurt am Main: Johann Radmann
(Alexander Fehling, "Buddy") geht es richtig gut. Im boomenden
Wirtschaftswunderland hat er kürzlich sein Jura-Studium abgeschlossen und
arbeitet nun für die Staatsanwaltschaft. Zwar muß er als Anfänger sich zunächst mit Verkehrsdelikten und ähnlich "spannenden" Angelegenheiten
beschäftigen – aber immerhin lernt er auf diese Weise die gewitzte
Verkehrssünderin Marlene (Friederike Becht, "Hannah Arendt") kennen,
die schon bald seine Freundin wird. Eines Tages sieht Johann im
Gerichtsgebäude, wie der wütende Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski)
die zufällig gerade anwesenden Anwälte der Reihe nach fragt, warum sie einen
ehemaligen KZ-Wärter nicht anklagen wollen, obwohl sein jüdischer Künstlerfreund Simon
Kirsch (Johannes Krisch, "Finsterworld") ihn als Lehrer auf dem Pausenhof
einer Frankfurter Schule erkannt hat. Johann ist irritiert, denn wie
viele seiner Altersgenossen weiß er über die Konzentrationslager im Zweiten
Weltkrieg kaum etwas – und die älteren Generationen schweigen großteils zu dieser
Thematik. Johanns Interesse ist geweckt, und das, was er von Gnielka und später
diversen KZ-Überlebenden hört und liest, trifft ihn bis ins Mark. Er will die
damaligen Mittäter, die bei den Nürnberger Prozessen keine Rolle spielten, vor
Gericht bringen – stößt mit diesem Ansinnen aber vorwiegend auf Ablehnung. Die entscheidende
Person allerdings stimmt ihm zu: Der (jüdische) Generalstaatsanwalt Fritz Bauer
(Gert Voss, "Zettl") überträgt Johann kurzerhand die Leitung
der Ermittlungen. Ein Name springt dem jungen Staatsanwalt dabei bald besonders
ins Gesicht: der des früheren KZ-Arztes Josef Mengele …
Kritik:
Heutzutage ist es ja schwer vorstellbar, daß irgendjemand, der
die Schule durchlaufen hat oder generell nicht komplett mit Scheuklappen durch die Welt läuft und sämtliche Medien ignoriert, nicht zumindest in
groben Zügen wissen könnte, was die Nazis unter Führung Hitlers im Zweiten
Weltkrieg (und schon davor) verbrochen haben. Nicht zuletzt dank Hollywood wie
auch der deutschen Filmindustrie sind die Schrecken von Judenverfolgung und
Konzentrationslagern absolutes Allgemeinwissen – dessen Vermittlung schon
deshalb konsequent angestrebt wird, damit sich solch unfaßbare Verbrechen
gegen die Menschlichkeit nie wieder ereignen können. Wenige Jahre nach dem
Kriegsende 1945 sah das allerdings noch ganz anders aus: Da es buchstäblich
millionenfach Mitläufer gab, die von den Kriegsverbrecherprozessen nicht
berührt wurden, kamen viele Parteigänger Hitlers erschreckend schnell
wieder in hohe, respektable gesellschaftliche Positionen und hatten entsprechend
wenig Interesse daran, an die eigene Nazi-Vergangenheit erinnert zu werden. Dazu kam
vermutlich auch noch eine generelle Scham – wie sollte man auch den Kindern in
der Schule erklären, daß viele ihrer Eltern begeisterte Anhänger einer mörderischen,
haßgesteuerten Ideologie waren? Eine erschreckende, zugleich aber mutmachende Episode aus dieser Zeit des Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren
erzählt der italienische Regisseur Giulio Ricciarelli in seinem gelungenen
Langfilm-Regiedebüt "Im Labyrinth des Schweigens".
Das Ausmaß der Verdrängung in jener Zeit muß
beeindruckend gewesen sein. Natürlich wußte ich um die Grenzen der von den
Alliierten nach dem Kriegsende durchgeführten Politik der "Entnazifizierung"
und darum, wie viele hochstehende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens
später als Ex-Nazis entlarvt wurden (mitunter geschieht das ja heute noch) –
dennoch muß ich ehrlich zugeben, daß die Situation, wie sie in "Im
Labyrinth des Schweigens" geschildert wird, schon etwas schockiert.
Beispielhaft dafür ist eine Szene, in der der Journalist Gnielka der Reihe nach
einige Anwälte fragt, was sie ihnen der Ortsname Auschwitz sage; die Antwort ist teils betretenes,
teils abwehrendes Schweigen, weil speziell die Jungen – so wie Johann –
tatsächlich nichts darüber wissen (außer, daß es ein "typisches
Straflager" zu Kriegszeiten gewesen sei), während die älteren wohl
einfach lieber Unkenntnis heucheln. Als Zuschauer begleiten wir in der
Folge Johann Radmann bei seinen Recherchen, bei seinen Gesprächen und Diskussionen mit
Gnielka und dessen Freund Simon, der das KZ überlebt hat.
Wie der naive, idealistische Johann solcherart aus dem
Status des Unwissenden ausbricht und immer mehr schockierende Details in
Erfahrung bringt, ist von Giulio Ricciarelli behutsam, aber wirkungsvoll inszeniert –
wirkt allerdings auch recht spröde. Das liegt vor allem daran, daß der Film
sein Publikum nur sehr dosiert mit den Schreckensberichten der von Johann,
seiner treuen Sekretärin "Schmittchen" (Hansi Jochmann, "Otto –
Der Außerfriesische") und später auch seinem etwas erfahreneren Kollegen Otto Haller
(Johann von Bülow, TV-Film "Götz von Berlichingen") befragten
KZ-Überlebenden konfrontiert. Oft sehen wir die Befragungen zwar, hören
aber nicht das Gesprochene, sondern nur die Filmmusik, weshalb wir den
Gesichtern von Johann, Schmittchen und Haller den Schrecken über das Berichtete
ablesen müssen. Das ist ein durchaus effektives Stilmittel, das allerdings etwas zu häufig eingesetzt wird, um seine Wirkung
beizubehalten. Die Intention dahinter kann ich nachvollziehen, denn es ist
vermutlich nicht die schlechteste Idee, gar nicht erst den Versuch zu
unternehmen, auf emotionaler Ebene mit Spielbergs "Schindlers Liste"
oder der TV-Mini-Serie "Holocaust" mitzuhalten. Ein bißchen mehr Emotionalität
in diese Richtung wäre dennoch vorteilhaft gewesen, denn so ergibt sich die
doch etwas kuriose Situation, daß man als Zuschauer beinahe mehr Wut über die
(zweifellos verurteilenswerte) Verdrängung oder gar Leugnung der Vergangenheit
sowie die teils offenen Widerstände, mit denen sich Johann und seine Mitstreiter konfrontiert
sehen, empfindet als Betroffenheit über die Schreckenstaten an sich. Und das
kann eigentlich nicht im Sinne der Filmemacher sein, selbst wenn sie sich
ausdrücklich mit dieser eher bürokratischen Episode der Aufarbeitung befassen.
Daß man das Dargebotene dennoch und trotz einer (bis auf ein
oder zwei Traumszenen) sehr konventionellen Inszenierung und Dramaturgie aufmerksam
und gespannt verfolgt, liegt auch an den gut herausgearbeiteten Hauptfiguren.
Während manche Nebenakteure eher schablonenhaft wirken und auch die
Liebesgeschichte um Johann und Marlene nur bedingt fesseln kann, halten die
facettenreichen zentralen Charaktere das Interesse hoch. Neben Johann, der sich
durch seine Ermittlungen merklich verändert und in der Verfolgung der Täter
selbst immer fanatischer wird und dabei auch mal die Opfer kurzzeitig vergißt,
gefallen vor allem Generalstaatsanwalt Bauer, Johanns Kollege Haller und der
Journalist Gnielka. Der sympathische Fritz Bauer, der vor dem Krieg ins Exil
ging und später nach Deutschland zurückkehrte, fungiert als Stimme der Vernunft
und wird schnell zu Johanns Mentor, während sich der leichtlebige Haller – dem
man anfangs durchaus zutrauen kann, zu einem Gegenspieler Johanns zu werden –
nach und nach als wichtige Stütze des jungen Anwalts entpuppt. Gleiches gilt
für Gnielka, diesen wütenden Mann, der mit aller Kraft nach Gerechtigkeit
strebt und nicht davor zurückschreckt, sich mit allen anzulegen. Wem übrigens
die Namen der Schauspieler in "Im Labyrinth des Schweigens" wenig
sagen, der braucht sich nicht zu grämen: Bis auf Hauptdarsteller Alexander Fehling sind
die meisten davon vorrangig am Theater tätig und deshalb trotz hoher
Schauspielkunst (die vor allem bei Gert Voss offensichtlich ist) entsprechend
wenig berühmt. Fehling spielt seine Rolle derweil überzeugend, auch wenn speziell sein Dialogvortrag in einigen Schlüsselszenen
einen Hauch zu künstlich und übertrieben daherkommt.
Dramaturgisch plagen "Im Labyrinth des Schweigens"
zwei Probleme, die dafür sorgen, daß Ricciarelli kein
Meisterwerk gelungen ist: das Fehlen eines echten Antagonisten – und Johanns
Jagd nach Josef Mengele. Ersteres muß ich wohl nicht großartig erläutern: Es
ist einfach so, daß es keinen übergeordneten Gegenspieler gibt, gegen den sich Johann
und seine Getreuen durchsetzen müßten. Die ehemaligen KZ-Wärter spielen als
Personen kaum eine Rolle, und anders als im Trailer suggeriert sind selbst die offenen
(internen wie externen) Widerstände gegen das Vorgehen der Justiz, so empörend
sie sind, nur von untergeordneter Bedeutung und werden von verschiedenen
Personen begangen, von denen keine mehr als ein paar Szenen hat. Das Unrecht an
sich ist aber nunmal ein sehr abstrakter "Bösewicht", der in einem
Film in der Regel nur bei meisterhaftem Können des Autors uneingeschränkt
funktionieren kann. Diese Problematik war vermutlich auch der Gedanke hinter
der Einflechtung des zweiten Problems mit Namen Dr. Josef Mengele. Auch hier
gilt, daß es selbstverständlich hochgradig glaubwürdig ist, daß sich
Johanns gerechter Zorn – nachdem er so einiges über Mengeles "Experimente" gelesen
und gehört hat – direkt gegen den berüchtigten, wie so viele hochrangige Nazis
nach Südamerika geflohenen Arzt richtet; zumal er erfährt, daß dieser offenbar
schon seit Jahren immer wieder unbehelligt von den Behörden kurze
Heimatausflüge nach Augsburg unternimmt; und für die Charakterisierung Johanns
ist es sicherlich hilfreich, daß die Jagd nach Mengele ihn ins Schwanken geraten
und seine Prioritäten (vor allem: den Opfern zu Gerechtigkeit und Gehör zu verhelfen)
vergessen läßt. Dennoch wirkt es ein bißchen so, als begehe "Im Labyrinth
des Schweigens" in diesem Mittelteil genau den Fehler, den er eigentlich
anprangert: Auf der Jagd nach einem ganz besonders verachtenswerten Täter
vernachlässigt er die Opfer und ihre Geschichten.
Obwohl "Im Labyrinth des Schweigens" also nicht
frei von Schwächen ist, erreicht er letztlich seinen Zweck. Er informiert nicht
nur über die Untaten der Nazis – das tun viele andere Filme und Bücher
ebenfalls –, sondern auch über die Gefahren des Vergessens und Verdrängens; er
thematisiert die Mitläufer, die Hitlers Schreckensherrschaft erst möglich
gemacht haben: die Bürokraten, die "Buchhalter", die "Befehlsempfänger"
… letztlich das, was Hannah Arendt mit dem inzwischen geflügelten, aber immer
noch sehr treffenden Begriff der "Banalität des Bösen" belegte.
Gerade aufgrund der unaufgeregten Inszenierung erzielt Ricciarellis Film
über das Zustandekommen der Auschwitzprozesse beachtliche aufklärerische Wirkung und sollte daher eigentlich zu einem Pflichtfilm
in der Schule werden. Zumal er eben eine Handlung erzählt, die auf wahren Begebenheiten basiert (Bauer und Gnielka etwa existierten
tatsächlich, während Protagonist Johann Radmann eine fiktive Figur ist).
Fazit: "Im Labyrinth des Schweigens" ist
ein gelungener, gut gespielter historischer Justizkrimi, der sehr seriös und
engagiert – wenn auch recht trocken und verhältnismäßig emotionsarm – die
Bedeutung einer umfassenden Aufarbeitung der Ursachen und
individuellen Auswirkungen der Nazi-Schreckenstaten betont.
Wertung: 7,5 Punkte.
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