Regie und Drehbuch: Rian Johnson, Musik: Nathan Johnson
Darsteller: Daniel
Craig, Edward Norton, Janelle Monáe, Dave Bautista, Kathryn Hahn,
Kate Hudson, Leslie Odom Jr., Jessica Henwick, Madelyn Cline, Noah
Segan, Hugh Grant, Jackie Hoffman, Dallas Roberts, Ethan Hawke,
Angela Lansbury, Stephen Sondheim, Kareem Abdul-Jabbar, Natasha
Lyonne, Serena Williams, Yo-Yo Ma, Jake Tapper, Joseph Gordon-Levitt
FSK: 12, Dauer: 139
Minuten.
Mai 2020: Die
COVID-19-Pandemie grassiert in den USA und der Meisterdetektiv Benoit
Blanc (Daniel Craig, "Skyfall") langweilt sich während des
Lockdowns beinahe zu Tode – zumal er erstaunlich schlecht bei
Gesellschaftsspielen ist. Umso willkommener ist die Einladung des visionären Tech-Milliardärs Miles Bron (Edward
Norton, "Birdman"), der jedes Jahr seine engen Freunde zu
einem verschwenderischen Wochenende einlädt. Diesmal ist das Ziel
seine neue Privatinsel nahe der griechischen Küste, wo er ein
"Murder Mystery"-Spiel vorbereitet hat, in dem sein eigener Tod
aufgeklärt werden soll – und mit Blanc gibt es erstmals eine zum
Thema passende Addition zur etablierten Gruppe. Die setzt sich
zusammen aus der Politikerin und Gouverneurin Claire (Kathryn Hahn,
"Bad Moms"), dem Twitch-Streamer und "Männerrechtler" Duke
(Dave Bautista, "Hotel Artemis") mit seiner Freundin
Whiskey (Madelyn Cline, TV-Serie "Outer Banks"), dem Wissenschaftler Lionel (Leslie Odom Jr.,
"Mord im Orient Express") und dem ehemaligen Supermodel Birdie
(Kate Hudson, "Almost Famous") mit ihrer Assistentin Peg
(Jessica Henwick, "Love and Monsters"). Für alle überraschend nimmt ebenfalls Miles' frühere Geschäftspartnerin Andi (Janelle Monáe,
"Hidden Figures") die Einladung an, obwohl Miles sie erst vor kurzer Zeit vor Gericht aus dem gemeinsam gegründeten Unternehmen
gedrängt hatte. Spannungen sind also vorhanden und schon bald gibt
es eine echte Leiche. Blancs Spürnase ist gefragt ...
Kritik:
Nachdem sein erster
"Star Wars"-Film "Die letzten Jedi" dem
US-Filmemacher Rian Johnson zwar viel Lob, aber auch reichlich Ärger (von
Fans, die seine Story-Entscheidungen ablehnten) einbrachte, gelang
ihm im Jahr 2019 mit der ironischen Agatha Christie-Hommage "Knives
Out" ein Hit, der bei Kritikern und sonstigen Zuschauern
gleichermaßen prächtig ankam – und Rian Johnson eine OSCAR-Nominierung fürs Drehbuch einbrachte. Da gerade die vom langjährigen James Bond-Darsteller Daniel Craig verkörperte
Hauptfigur des Privatdetektivs Benoit Blanc auf Anhieb
viele Fans fand, war eine Fortsetzung nur eine Frage der Zeit und
wurde recht schnell beschlossen. Jedoch nicht von
einem der klassischen Hollywood-Studios, sondern von Netflix, denn
der Streamingdienst-Pionier setzte sich in einem Wettbieten durch.
Leider bedeutet das auch, daß "Glass Onion: A Knives Out
Mystery" nur einen (erfolgreichen) Alibi-Kurzeinsatz in den
Kinos hatte und für die meisten Interessierten lediglich im Heimkino zu sehen ist. Das ist bedauerlich, da "Glass Onion"
den Vorgänger in vielerlei Hinsicht sogar noch übertrifft und den
Kinos mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen
zusätzlichen, nach der Corona-Pandemie dringend benötigten Hit
beschert hätte. Außerdem hätte es der Film schlicht verdient gehabt, auf einer
großen Leinwand genossen zu werden. Letztlich funktioniert
"Glass Onion" – benannt nach einem wenig bekannten
Beatles-Song – aber natürlich auch auf dem heimischen Bildschirm ausgezeichnet und
lässt auf weitere Abenteuer von Benoit Blanc hoffen.
Obwohl die
Reaktionen auf "Glass Onion" insgesamt weit überwiegend positiv sind, scheint der Film doch etwas stärker zu
polarisieren als der allseits mindestens respektierte "Knives
Out". Das ist bei genauerer Betrachtung nicht verwunderlich, da
Johnson stilistisch einen anderen Weg einschlägt als beim im Kern relativ konventionellen Vorgänger, noch stärker seinem
Faible für exzentrische Figuren nachgibt und zudem ganz gezielt die
Tech-Branche und die sozialen Medien aufs Korn nimmt. Bereits der
Einstieg in die neue Geschichte dürfte einige Interessierte
irritieren bis verschrecken, denn während "Knives Out" ein Krimi
mit humorvollen Elementen war, präsentiert sich "Glass Onion"
von Beginn an als eine waschechte Krimikomödie, die sich selbst nicht
ganz ernst nimmt. Das erkennt man auch an der Präsentation des "Glass
Onion"-Personals (aka "die Verdächtigen"). Bereits in
"Knives Out" war das Ensemble schön schräg und ein wenig
überzeichnet, allerdings ging Johnson dabei noch ziemlich subtil
vor. In "Glass Onion" legt er eine Schippe drauf
und zeigt uns die Entourage des stark an einen gewissen Elon Musk
erinnernden Tech-Milliardärs Miles Bron als parodistisch überhöhte
Stereotype. Die sind aber sehr gut beobachtet und damit
ausgesprochen treffsicher, zudem ungemein amüsant.
Alleine für die Idee, den ganzkörpertätowierten Ex-Wrestler und
Muskelprotz Dave Bautista als prolligen Twitch-Streamer und
"Männerrechtler" zu besetzen (der natürlich bei
seiner Mutter wohnt, die auch gerne mal seine Live-Streams stört …),
hätte Johnson einen OSCAR verdient – und Bautista, der sich
seit dem Ende seiner Wrestling-Karriere leidenschaftlich in jede neue
Rolle stürzt und dabei wiederholt bemerkenswertes
schauspielerisches Talent offenbart (mein Favorit in dieser Hinsicht
ist immer noch sein kleiner, feiner Auftritt in "Blade
Runner 2049"), erweist sich als echter Glücksgriff, der Duke Cody bei aller Karikatur erstaunlich facettenreich und gar nicht unsympathisch portraitiert.
Daß Rian Johnson
mit "Glass Onion" vom Erfolg des Vorgängers profitieren
und selbst noch mehr Spaß beim Drehen haben wollte, beweist bereits
die erste Szene von Benoit Blanc, der – wie offenbar ständig seit
Beginn des Corona-Lockdowns – in der Badewanne liegt und in seiner
Verzweiflung, seine Fähigkeiten nicht in der "echten
Welt" einsetzen zu können, via Zoom mit einigen Freunden das
Mehrspieler-Phänomen "Among Us" spielt. Diese Freunde sind nämlich echte Prominente und es bleiben nicht die einzigen
hochkarätigen Cameos in "Glass Onion" – neben Craig
kehren aus "Knives Out" übrigens auch Johnsons langjährige
"Maskottchen" Noah Segan und Joseph Gordon-Levitt zurück
(in neuen Rollen), die in jedem von Johnsons Filmen dabei sind.
Die tödliche Langeweile erklärt auch, warum Blanc die
unverhoffte Einladung durch Miles Bron zu dessen "Murder Mystery"
sofort annimmt und voller Vorfreude und Tatendrang in Griechenland
eintrifft. Mit der Ankunft auf Miles' luxuriöser, hochtechnologisierter Privatinsel legt dann der Krimi-Teil von "Glass
Onion" richtig los. Und bei allen komödiantischen Elementen
kann der sich wirklich sehen lassen. Wie in "Knives Out"
gibt es irgendwann einen (wirklich!) überraschenden Twist, der das
Publikum das Geschehen aus einer gänzlich neuen Perspektive betrachten
läßt. Zudem greift Johnson auf einige erzählerische Tricks zurück,
die legitim und im Krimi-Genre sehr wohl etabliert sind, bei
manchen Anhängern klassischer Krimikost jedoch eine gewisse
Verärgerung hervorrufen und das (berechtigte) Gefühl, von Johnson
manipuliert zu werden. Das sorgt aber eben auch dafür, daß "Glass
Onion" bis zum Schluß unvorhersehbar bleibt und immer
wieder neue spannende und amüsante Haken schlägt – die am Ende
meiner Ansicht nach sogar alle Sinn ergeben (wobei Johnson
glücklicherweise nicht alles haarklein erklärt, sondern einige
Zusammenhänge die Zuschauer selbst erkennen läßt – doch dafür muß
man halt auch aufpassen ...).
Um Spoiler zu
vermeiden, kann ich auf die Story nicht konkret eingehen, aber
verraten, daß ich sie als sehr vergnüglich und clever empfand
mit einigen herrlichen, zielgenauen Seitenhieben auf die sozialen
Medien, die Tech-Branche und Typen wie Musk (dessen
Twitter-Eskapaden Johnson beim Verfassen des Drehbuchs noch nicht
ahnen konnte, aber im Grunde genommen gut vorhersagt). Zudem ist der
Hauptschauplatz – Miles' Privatinsel – sehenswert gestaltet, die
Figuren sind mit schön exzentrischen Kostümen ausgestattet (vor
allem Blancs Kleidung sorgt für einige hochgezogene Augenbrauen und
Schmunzler) und die bunte Songauswahl von den Bee Gees über David
Bowie und Nat King Cole bis zu den Red Hot Chili Peppers
unterstreicht die gute Laune, die "Glass Onion" verbreitet. Das Ensemble ist derweil
vielleicht nicht ganz so namhaft wie in "Knives Out", aber
ebenfalls paßgenau. Interessant ist dabei, daß Daniel Craig viel
mehr Raum als im Vorgänger bekommt, um seinen Benoit Blanc (der in
"Knives Out" lange primär als Beobachter im Hintergrund
fungierte) weiterzuentwickeln. Diesmal wirkt Blanc weit
exzentrischer – was natürlich zumindest teilweise eine Folge des
Corona-Lockdowns sein kann – und erinnert ein wenig an Kenneth
Branaghs Hercule Poirot-Darstellung ohne dessen Hang zur Melancholie
(wobei ich Blancs auffällige Badekleidung jedoch für eine Hommage an
Sir Peter Ustinovs Poirot in "Das Böse unter der Sonne"
halte). Dieser aktivere, leidenschaftlichere und etwas skurrilere
Benoit Blanc mag ein wenig gewöhnungsbedürftig sein, hinterläßt
meines Erachtens aber mehr Eindruck als in "Knives Out".
Neben Craig und Bautista überzeugen vor allem Edward Norton – bei
dessen Miles Bron man nie genau weiß, ob er nun das Genie ist, als
das er gilt, oder nur ein gerissener und vom Glück
verfolgter Idiot – und Janelle Monáe, die aufgrund ihrer
Vorgeschichte mit Miles neben Blanc die zweite Außenseiterin der
Gruppe ist. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, wie
unverschämt lustig "Glass Onion" ist. Es gibt etliche
wunderbare Momente, die mich laut auflachen ließen, wobei sich das
sowohl auf Johnsons Dialoge bezieht (vor allem Blanc glänzt mit
einigen herrlichen Bonmots) als auch auf Situationskomik (etwa, als
Blanc Miles' "Murder Mystery" aufklärt). "Glass
Onion" macht viel Spaß und überzeugt nebenbei noch mit seinem intelligent aufgezogenen Krimiplot. Ein dritter
Fall für Benoit Blanc, wiederum aus der Feder von Johnson, gilt
glücklicherweise als sicher.
Fazit:
"Glass Onion: A Knives Out Mystery" ist eine herrliche
Krimikomödie mit einem sehr gut aufgelegten Ensemble und einer
spannenden, wendungsreichen Story.
Wertung:
Gut 9 Punkte.
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