Originaltitel: Death on the Nile
Regie: Kenneth
Branagh, Drehbuch: Michael Green, Musik: Patrick Doyle
Darsteller: Kenneth
Branagh, Gal Gadot, Armie Hammer, Tom Bateman, Annette Bening, Ali Fazal, Emma
Mackey, Sophie Okonedo, Letitia Wright, Russell Brand,
Rose Leslie, Jennifer Saunders, Dawn French, Susannah Fielding
FSK: 12, Dauer: 127
Minuten.
Wir schreiben das
Jahr 1937: Der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth
Branagh, "Dunkirk") macht gerade Urlaub in Ägypten, wo er unverhofft auf seinen
alten Freund Bouc (Tom Bateman, "Hard Powder") trifft. Dieser ist einer der
Gäste auf der luxuriösen Hochzeitsreise der
steinreichen Linnet Ridgeway (Gal Gadot, "Wonder Woman")
mit Simon Doyle (Armie Hammer, "Lone Ranger"). Zu den
weiteren Gästen zählen etwa Boucs Mutter Euphemia (Annette Bening, "The Report")
und die Jazz-Sängerin Salome Otterbourne (Sophie Okonedo, "Hotel
Ruanda") mit ihrer Nichte und Agentin Rosalie (Letitia Wright, "Black
Panther"). Als Simons Ex-Verlobte – und zugleich Linnets
ehemalige beste Freundin – Jacqueline "Jackie" de
Bellefort (Emma Mackey, "Eiffel in Love") auftaucht und einen kleinen Eklat verursacht,
beschließen Linnet und Simon, die Reise auf dem Flußdampfer "Karnak" auf
dem Nil fortzusetzen, wohin Jackie ihnen nicht folgen kann. Auf
Bitten des Brautpaars schließt sich Poirot der Reisegesellschaft an – und muß schon bald sein Können beweisen,
als ein heimtückischer Mord verübt wird. Mit dem gewohnten Scharfsinn
und unbestechlicher Kombinationsgabe geht Poirot der Angelegenheit nach. Doch unglücklicherweise hat so ziemlich jeder der Anwesenden ein mehr oder
weniger überzeugendes Tatmotiv und einige haben kein Alibi. Es
soll auch nicht der einzige Mord an Bord des Schiffes bleiben ...
Kritik:
Nach
dem unerwartet großen Erfolg von Sir Kenneth Branaghs Poirot-Reboot
"Mord im Orient Express" im Jahr 2017 – die
Produktionskosten von $55 Mio. wurden im Einspielergebnis trotz eher
mediokrer Kritiken um mehr als das Sechsfache übertroffen! –
sollte bereits zwei Jahre später der nächste Poirot-Fall
"Tod auf dem Nil" in die Kinos kommen. Doch dieser Zeitplan
erwies sich als etwas zu ehrgeizig, weshalb die Agatha
Christie-Adaption zunächst um ein Jahr auf Weihnachten 2020
verschoben wurde – und damit genau in die Hochphase der
Corona-Pandemie fiel, was mehrere weitere Verschiebungen nach sich
zog. Da zwischenzeitlich auch noch mit Armie Hammer einer der
Hauptdarsteller wegen Vorwürfen
sexueller Belästigung in öffentliche Ungnade fiel und seine Figur für die
Handlung zu wichtig war, um einfach umbesetzt oder rausgeschnitten zu
werden, verzögerte sich der Kinostart weiter, bis es im Februar 2022
endlich so weit war. Die lange Wartezeit wirkte sich im Verbund mit
dem relativ ungünstigen Starttermin (der Vorgänger wurde im
lukrativen Weihnachtsgeschäft plaziert) jedoch ziemlich negativ
aus, diesmal gelang trotz sehr ähnlicher Rezensionen nicht
einmal eine Verdopplung des auf $90 Mio. angestiegenen Budgets (die allgemein als mindestens notwendig angesehen wird, um nach Abzug aller Kosten in die Gewinnzone zu kommen). Dies
hätte das schnelle Ende der Reihe bedeuten können, allerdings
scheint das produzierende Studio 20th Century an der Marke festhalten
zu wollen und hat "Tod auf dem Nil"-Autor Michael Green
bereits mit einem weiteren Drehbuch beauftragt, das erstmals in der
Reihe auf einer noch nicht fürs Kino verfilmten Geschichte von
Agatha Christie basieren soll. Es bleibt zu hoffen, daß es tatsächlich
weitergeht, denn wenngleich "Tod auf dem Nil" aufgrund
einer zu sehr in die Länge gezogenen ersten Filmhälfte nicht ganz
den Unterhaltungsfaktor von "Mord im Orient Express"
erreicht, macht Branaghs Interpretation des belgischen
Meisterdetektivs nach wie vor Spaß und bleibt neben der
ausgesprochen eleganten Inszenierung der primäre
Erfolgsfaktor der Reihe.
Ich bin ein großer Fan von Sir Peter Ustinovs Darstellung des
Hercule Poirot als gutmütige, verschmitzte, großväterliche
Spürnase, aber Branaghs gänzlich andere Interpretation gefällt mir vielleicht sogar noch besser. Bei ihm ist Poirot melancholisch
(den wenig überraschenden Grund dafür erfahren wir diesmal im
Prolog und einem späteren Gespräch), selbstverliebt und herrisch,
was es nicht so einfach macht, ihn ins Herz zu schließen. Doch Branaghs
Charisma und seine Schauspielkunst, die einen stets die
Verletzlichkeit hinter Poirots kühl-profesioneller Fassade erahnen
läßt, sorgen ebenso wie die geniale Kombinationsgabe dafür, daß
man doch mit ihm mitfiebert. Bedauerlicherweise kommt es dazu hier
jedoch erst in der zweiten Hälfte der zweistündigen Laufzeit,
denn das Drehbuch von Michael Green ("Blade Runner 2049")
nimmt sich eine geschlagene Stunde Zeit, um das Ensemble an
Verdächtigen und die Konstellation der einzelnen Personen
untereinander einzuführen, ehe es zum ersten Mord kommt. Und das ist
trotz der prachtvollen Ägypten-Bilder (die aufwendig angefertigte und mit CGI angereicherte Studiokulissen zeigen, denn entgegen der
ursprünglichen Planung wurde lediglich in England gedreht) und
der eleganten, stimmungsvollen Musik von Patrick Doyle ("Cinderella")
einfach zu viel Zeit. Hinzu kommt das Problem, daß Greens Drehbuch
die Verdächtigen nicht sonderlich interessant zeichnet. Das fällt
gerade im Vergleich zur hervorragenden und wohl werktreueren (ich
selbst habe nie einen Christie-Roman gelesen, wie ich gestehen muß) "Tod auf dem
Nil"-Adaption von John Guillermin aus dem Jahr 1978 auf (mein
Lieblings-Ustinov-Poirot-Film), bei der die meisten Figuren erheblich
schillernder ausfallen. Green hat die Charaktere teils
sogar ziemlich radikal verändert, doch funktioniert das nicht allzu gut – außer vielleicht bei Salome Otterbourne, die
als Jazz-Sängerin sicher nicht weniger interessant ist als die
ursprüngliche Erotik-Schriftstellerin und zudem den Film durch ihre
Auftritte atmosphärisch und musikalisch bereichert. Die Mehrzahl der
übrigen Figuren fällt dagegen ziemlich unauffällig aus und auch
die Besetzung kann, obwohl sehr solide, qualitativ nicht mit dem
denkwürdigen Cast des 1978er-Films (in dem u.a. die
Leinwand-Legenden Bette Davis, Maggie Smith, Angela Lansbury, David
Niven, Jane Birkin und Mia Farrow agierten) mithalten.
Daß
sich die erste Filmhälfte arg in die Länge zieht, fällt auch
deswegen auf, weil "Tod auf dem Nil" kaum Actionszenen
beinhaltet. Zeichnete sich "Mord im Orient Express" im
Vergleich zu früheren Verfilmungen noch gerade durch ein höheres
Tempo und mehr Actionsequenzen aus, wurde dieser Aspekt in der
Fortsetzung beinahe komplett fallengelassen (ebenso übrigens wie
Poirots in "Mord im Orient Express" angedeuteter Autismus - interessanterweise wurden zwar einige entsprechende Szenen gedreht, dann aber doch wieder rausgeschnitten).
Und da auch noch der Humor in den Dialogen stark in den Hintergrund
rückt, bleibt "Tod auf dem Nil" eine Stunde lang eine toll aussehende und atmosphärisch überzeugende, aber inhaltlich
ziemlich triste bis langweilige Angelegenheit, die man bestimmt um 20 oder 30 Minuten hätte kürzen können. Zum Glück ändert
sich das mit dem ersten Mord, denn sobald Poirot seiner Arbeit
nachgehen darf, laufen er und das Drehbuch zur Hochform auf und obwohl
es weiterhin kaum Action gibt, wird das durch
maschinengewehrschnelle und clever inszenierte Dialogeduelle und
kombinatorische Poirot-Monologe (wenn die Kamera etwa Poirot dabei
folgt, wie er während eines seiner Monologe den Verdächtigen
umkreist wie ein Raubtier seine Beute) wettgemacht. Positiv
wirkt sich außerdem aus, daß der Fall gerade deshalb, weil seine
Auflösung nicht ganz so spektakulär ist wie die von "Mord im Orient
Express", für das Publikum relativ schwer zu lösen ist (sofern
man die Vorlage nicht kennt). Obwohl ich die
Ustinov-Version liebe, hatte ich beispielsweise keine Ahnung mehr,
wer Mordopfer und Täter sein würden, was das Miträtseln
natürlich deutlich spaßiger macht. Und obwohl wahrscheinlich viele
Zuschauer, wie ich, noch vor Poirot auf die Auflösung kommen werden,
bleibt es bis zuletzt spannend, weil erst der belgische Meisterdetektiv
sämtliche offenen Fragen beantworten und genau erklären kann, wie
und warum alles geschah. Daß der Nildampfer selbst insgesamt weniger
in die Story und die Inszenierung involviert ist als der Zug in "Mord
im Orient Express", ist dabei bedauerlich, aber verkraftbar.
Denn letztlich lebt der Film von seiner von Branagh wiederum
vorzüglich gespielten Hauptfigur, zumal diese vom Verlauf des
Mordfalles unerwartet persönlich betroffen ist. Gerne mehr von
diesem Detektiv, wenn auch in Zukunft bitte mit einem noch besseren
Drehbuch mit spannenderen Nebenfiguren.
Fazit:
"Tod auf dem Nil" ist wie sein Vorgänger ein bewußt
altmodischer und äußerst elegant inszenierter Whodunit-Krimi mit
einem tollen Protagonisten, der allerdings nach einem unnötig zähen
Auftakt erst in der zweiten Hälfte voll zur Geltung kommt.
Wertung:
7 Punkte (5,5 für die erste Hälfte, 8,5 für die zweite).
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