Regie: Guillermo del Toro, Drehbuch: Guillermo del Toro, Kim
Morgan, Musik: Nathan Johnson
Darsteller: Bradley
Cooper, Rooney Mara, Cate Blanchett, Richard Jenkins, David Strathairn, Toni Collette, Willem Dafoe,
Ron Perlman, Mark Povinelli, Holt
McCallany, Mary Steenburgen, Peter MacNeill, Paul Anderson, Jim
Beaver, David Hewlett, Tim Blake Nelson, Clifton Collins Jr., Lara Jean Chorostecki, Stephen McHattie, Romina Power
FSK: 16, Dauer: 151
Minuten.
USA, Ende der 1930er
Jahre: Stanton "Stan" Carlisle (Bradley Cooper, "A
Star Is Born") heuert beim fahrenden Zirkus von Bruno (Ron
Perlman, "Don't Look Up") an. Zunächst hilft er nur aus, doch bald nehmen ihn der alkoholkranke Pete (David Strathairn,
"Lincoln") und seine Frau, die Wahrsagerin Madame Zeena
(Toni Collette, "Stowaway"), unter ihre Fittiche. Von den beiden
lernt Stan die Kunst eines Mentalisten: durch genaue
Beobachtungsgabe und ein paar Tricks überzeugend vorzugeben,
Gedanken lesen und mit den Toten sprechen zu können. Als Stan
glaubt, daß er alles gelernt hat, was nötig ist, verläßt er den
Zirkus gemeinsam mit Molly Cahill (Rooney Mara, "Carol")
und gemeinsam führen sie ihre Tricks einem gehobenen Publikum in New
York vor, was sich als recht einträglich erweist. Als Dr. Lilith
Ritter (Cate Blanchett, "Blue Jasmine") bei einer
Vorstellung von "The Great Stanton" versucht, ihn als
Betrüger zu entlarven, kontert Stan das meisterhaft und weckt so
das Interesse der angesehenen Psychiaterin. Stan schlägt ihr eine
Zusammenarbeit vor: Lilith verrät ihm Details von Sitzungen mit
ihren Patienten, die dieser nutzt, um ihnen mit seinen
"übernatürlichen Fähigkeiten" das Geld aus der Tasche zu
ziehen. So auch bei dem ebenso reichen wie gefährlichen Ezra
Grindle (Richard Jenkins, "The Cabin in the Woods") ...
Kritik:
Der zweifache
OSCAR-Gewinner Guillermo del Toro ist seit jeher ein Meister der
Atmosphäre. Bereits seine frühen spanischsprachigen Filme "Cronos"
und "The Devil's Backbone" leben von einer faszinierenden, intensiven und düsteren Stimmung, die im Jahr 2006 im grandiosen
"Pans Labyrinth" kulminierte. In Hollywood blieb del
Toro seinem Stil weitgehend treu, wenn auch speziell in seinen
actionbetonteren Filmen wie "Pacific Rim" nicht mehr ganz
so stark. Doch eines war immer klar: Ein Film von Guillermo del Toro
sieht grandios aus (und klingt meistens auch so), atmet eine ungemein
dichte Atmosphäre und ist stark besetzt. Damit bleibt ein nicht unwichtiger Punkt, der zwischen einem richtig guten und einem nicht so guten
del Toro-Film entscheidet: die Handlung. Del Toro ist bei jeder
seiner Regiearbeiten mindestens am Drehbuch beteiligt, manchmal ist
er der alleinige Autor. Leider können nicht alle Drehbücher
qualitativ mit seinen handwerklichen Fähigkeiten mithalten. Und so
stehen vielfach ausgezeichete Werke wie "Pans Labyrinth",
"Hellboy 2" oder "Shape of Water"
mittelmäßigen bis soliden Produktionen wie "Mimic",
"Pacific Rim" oder "Crimson Peak" gegenüber. Als
bekannt wurde, daß del Toros nächster Film eine Verfilmung von William Lindsay Greshams
Noir-Roman "Nightmare Alley"
werden würde – eine sehr gut beleumundete erste Adaption von
Edmund Goulding kam bereits 1947 unter dem deutschen Titel "Der
Scharlatan" in die Kinos –, war ich gespannt. Immerhin ist
dies tatsächlich del Toros erster Film ohne jeglichen (bei den Aliens
in "Pacific Rim" und der Wasserkreatur in "Shape of
Water" im weiteren Sinne) übernatürlichen Aspekt und das auch
noch in einem Genre, das ich sehr mag. Und obwohl "Nightmare
Alley" in Wirklichkeit eher ein Drama mit Film noir-Elementen
ist (die erst in der zweiten Hälfte richtig zum Tragen kommen) als
ein "echter" Film noir, ist Guillermo del Toro zum wiederholten Male ein
atmosphärisches Wunderwerk gelungen – dessen gemeinsam mit seiner Gattin, der Filmjournalistin Kim Morgan geschriebenes Drehbuch
dummerweise zu seinen schwächeren zählt.
Am
besten läßt sich "Nightmare Alley" wohl mit del Toros
Gothic-Schauermär "Crimson Peak" vergleichen. Beide Filme
bauen eine selbst für del Toros Verhältnisse extrem dichte Stimmung mit traumhaften Bildkompositionen auf. Und bei beiden
Werken kann das Drehbuch nicht mit den Bildern des dänischen Kameramannes Dan Laustsen ("Silent Hill") mithalten, da eine im
Kern recht simple Handlung viel zu langatmig erzählt wird – nicht ohne Grund war die erste Verfilmung des Buches 40 Minuten kürzer – und die
Figurenzeichnung zu oberflächlich bleibt. Dabei ist es fast schon
beeindruckend, wie blaß die meisten Charaktere ausfallen, obwohl sich
del Toro zunächst eigentlich jede Menge Zeit nimmt, um sie
vorzustellen. Denn die gesamte erste der zweieinhalb Stunden spielt
sich im fahrenden Zirkus ab und das Aufregendste, was hier passiert, ist
eine Razzia durch einen gottesfürchtigen und zirkushassenden lokalen
Sheriff ("Supernatural"-Star Jim Beaver). Ansonsten widmet
sich "Nightmare Alley" in dieser Phase durchaus
hingebungsvoll der Gruppierung schräger Außenseiter, bei denen Stan
schnell seinen Platz findet und von denen er viel lernt. Dank der
Besetzung mit Könnern wie Willem Dafoe, Toni Collette,
Ron Perlman oder David Strathairn sieht man dabei gerne zu,
obwohl "Nightmare Alley" in dieser ersten Stunde
tatsächlich kaum mehr als ein altmodisches, wenn auch stark
inszeniertes und latent unheildräuendes Zirkusdrama ist, in dem sich
nur wenig ereignet. Und trotz starker, nachhallender Einzelszenen (etwa einem Gespräch zwischen Stan und dem von Willem Dafoe verkörperten Clem über das "Zähmen" eines sogenannten Geeks) kommt man den Figuren emotional kaum näher. Etwas mehr Spannung ergibt sich erst mit Stan und Mollys
Abschied vom Zirkus, der mit einem Zeit- und Ortssprung
einhergeht (und leider auch bedeutet, daß die übrigen Zirkusleute
fast komplett aus dem Film verschwinden).
Vom
in kleinstädtischen, ruralen Gebieten auftretenden Zirkus mit den exzentrischen Gestalten geht es zwei Jahre später in die
Großstadt und Finanzmetropole New York, in der es ebenso glamourös
wie anonym zugeht. Das Publikum von Stans
Mentalisten-Nummer ist wesentlich eleganter und
spendierfreudiger, läßt sich aber genauso leicht von Stans Tricks (mit Mollys Hilfe)
manipulieren wie die einfachen Leute auf dem Lande. Stan und Molly
könnten also eine gutes, vergleichsweise unkompliziertes Leben führen –
wäre da nicht Stans unstillbare Gier nach mehr. Bedauerlicherweise läßt die
sich nicht wirklich nachvollziehen, weil Bradley Cooper Stan zwar sehr überzeugend und ambivalent verkörpert, man der Figur
als Zuschauer aber trotzdem kaum näherkommt. Es bleibt stets eine
gewisse Distanz gewahrt und es fällt schwer, mit jemandem
mitzufiebern, dessen wahre Gefühlswelt und Motivation sich
kaum verstehen lassen. Stan ist ein getriebener Mensch, der
ziemlich skrupellos ist, ohne dabei ein echter Bösewicht zu sein –
aber warum das so ist, bleibt (trotz weniger sehr kurzer Einblicke in seine
Vergangenheit) unklar. Auch die von Rooney Mara sympathisch als eher
einfaches Mädchen mit einfachen Wünschen und Zielen portraitierte
Molly kann nicht viel Profil entwickeln und Cate Blanchetts Dr. Ritter bleibt sowieso ein Rätsel – was angesichts ihrer
Funktion als klassische Femme fatale jedoch so gewollt sein dürfte.
Für eine solche Femme fatale ist Cate Blanchett aber definitiv die
perfekte Besetzung, sie spielt ihren Part in bester Lauren
Bacall-Tradition als rätselhafte, elegant-unterkühlte Dame,
die ihre ganz eigenen Pläne verfolgt. Insgesamt ergibt das ein
Panoptikum von Figuren, die mir als Zuschauer schlicht und ergreifend
egal sind. Und es hilft auch nicht, daß Stans Konfrontation mit dem
mißtrauischen Ezra Grindle zwar mächtig aufgebauscht wird,
letztlich aber doch ziemlich banal ist und arg vorhersehbar abläuft.
Da kann alles noch so atmosphärisch sein und von faszinierenden
Bilderwelten mit raffiniertem Licht- und Schattenspiel begleitet
werden; wenn die Story nicht mitreißt, erzielt das eben
nur einen Teil der möglichen und gewünschten Wirkung. Und damit bleiben unter dem
Strich zweieinhalb Stunden, die verdammt gut aussehen und deren
handwerkliche und schauspielerische Qualität sich aufrichtig
bewundern läßt – trotzdem läßt "Nightmare Alley" mich enttäuschend kalt. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß es
zusätzlich zur in den Kinos gezeigten "normalen" Version
bei Disney+ eine Schwarzweiß-Fassung des Films gibt, die Guillermo del
Toro bevorzugt und die naturgemäß noch stärker an die großen Film
noir-Vorbilder erinnert.
Fazit:
"Nightmare Alley" ist ein handwerklich herausragend
inszeniertes, atmosphärisches und glänzend besetztes
historisches Thriller-Drama mit Film noir-Elementen, das sich mit seiner eher dünnen Geschichte viel zu viel Zeit läßt und
dessen Figuren dem Publikum weitgehend fremd bleiben.
Wertung:
6,5 Punkte.
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