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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 10. November 2021

STOWAWAY – BLINDER PASSAGIER (2021)

Regie: Joe Penna, Drehbuch: Joe Penna und Ryan Morrison, Musik: Volker Bertelmann
Darsteller: Anna Kendrick, Daniel Dae Kim, Shamier Anderson, Toni Collette
Rotten Tomatoes: 76% (6,5); Zuschauer in Deutschland: ca. 3000 (im Rest der Welt bei Netflix veröffentlicht); FSK: 12, Dauer: 116 Minuten.
In nicht allzu ferner Zukunft macht sich ein kleines Raumschiff auf den fünf Monate währenden Weg zum Mars, wo mit diversen Experimenten eine zukünftige Besiedlung des roten Planeten vorbereitet werden soll. Trotz kleiner Probleme gelingt der Start und die dreiköpfige Besatzung, die aus der erfahrenen Commander Marina Barnett (Toni Collette, "Knives Out"), dem Biologen David Kim (Daniel Dae Kim, TV-Serie "Lost") und der Ärztin Zoe Levenson (Anna Kendrick, "The Voices") besteht, richtet sich auf die lange Reise ein. Doch dann bemerkt Barnett Blut am Boden und entdeckt einen bewußtlosen und verwundeten jungen Mann. Wie sich herausstellt, heißt der Bewußtlose Michael Adams (Shamier Anderson, TV-Serie "Wynonna Earp") und ist ein Ingenieur, der an den Startvorbereitungen beteiligt war, jedoch bei einem unbemerkten Unfall bewußtlos wurde und versehentlich mit ins All geschossen wurde. Nach der ersten Aufregung fügt sich Michael schnell in die Crew ein - eine sofortige Rückkehr ist nicht möglich -, allerdings bemerkt man wenig später, daß bei dem Unfall auch das Lebenserhaltungssystem irreparabel beschädigt wurde und der Sauerstoffvorrat selbst im Idealfall für maximal drei Personen reicht. Während Commander Barnett und Daniel sich relativ schnell damit abfinden, daß es keinen anderen Weg gibt, als den unfreiwilligen blinden Passagier Michael sterben zu lassen, weigert sich Zoe, das zu akzeptieren ...

Kritik:
Wenn ein unabhängig von den Hollywood-Studios und mit überschaubarem Budget produzierter Film mit echten Stars in den Hauptrollen aufwarten kann, ist das in aller Regel ein sehr gutes Zeichen. Denn wenn es offensichtlich nicht das Gehalt ist, das diese Stars zur Mitwirkung überredet, dann muß es eigentlich die durch das Drehbuch genährte Überzeugung sein, daß das jeweilige Projekt inhaltlich vielversprechend ist (manchmal leisten die Stars natürlich auch einfach nur Freundschaftsdienste, aber das läßt sich meist schnell herausfinden). Und das gilt umso mehr, wenn es sich um einen Film handelt, der weder US-amerikanisch noch britisch ist, also fernab der großen Zentren des englischsprachigen Films entsteht. Ein gutes Beispiel dafür ist der für etwa $10 Mio. produzierte "Stowaway – Blinder Passagier", denn hierbei handelt es sich doch tatsächlich um einen deutschen Science Fiction-Film, auch wenn das angesichts der englischsprachigen Besetzung, des brasilianischen Regisseurs und Drehbuch-Autors Joe Penna sowie seines Koautors Ryan Morrison nicht einfach zu erkennen ist. Doch "Stowaway" ist hauptsächlich deutsch finanziert, ein großer Teil der Crew hinter der Kamera besteht aus deutschsprachigen Personen und der Film wurde in den traditionsreichen Münchener Bavaria-Studios sowie in Köln gedreht. Und ja, es läßt sich erkennen, warum es dem Musiker und Videokünstler Penna in seinem zweiten Film nach dem von der Kritik gefeierten Survival-Drama "Arctic" gelang, zwei OSCAR-Nominees (Collette und Kendrick, die sich zusätzlich sogar als Produzentin engagiert) und einen beliebten TV-Star (Kim) für drei der vier Rollen seines Weltall-Kammerspiels zu gewinnen (und mit dem Kanadier Shamier Anderson zudem einen weniger bekannten, aber ebenfalls talentierten Darsteller). Denn sein Drehbuch arbeitet die Charaktere gut aus und präsentiert dem Publikum ein intelligentes, realistisch inszeniertes Thriller-Drama, das sich allerdings ganz bewußt sehr viel Zeit für seine Figuren und ihr moralisches Dilemma läßt. Das ist keineswegs ganz frei von Mängeln, bietet aber speziell Arthouse-Anhängern gut anzuschauende Unterhaltung auf gehobenem Niveau.
Joe Penna zeigt dem Publikum gleich von Anfang an, was es von "Stowaway" zu erwarten hat: Wer nach der zehnminütigen, in aller unaufgeregten Ausführlichkeit präsentierten Startsequenz des Raumschiffs schon gelangweilt ist, der sollte die Sichtung besser gleich abbrechen, denn sie steht stellvertretend für den Stil und das Tempo des Films. Gut, ein bißchen dramatischer und schneller wird die Handlung danach schon, aber eben nicht viel und keinesfalls vergleichbar mit beispielsweise Alfonso Cuaróns inhaltlich etwas verwandtem OSCAR-Gewinner "Gravity" (oder auch dem Indie-SciFi-Film "Europa Report", der in etwa die gleichen Produktionskosten wie "Stowaway" hatte). Stattdessen setzt Penna auf Authentizität hinsichtlich der Tätigkeiten der Astronauten während der Reise und auf sorgfältige Charakterzeichnung. Wobei letztere sich kurioserweise vorrangig auf Zoe, David und Michael konzentriert, wogegen ausgerechnet Toni Collette - als wohl hochkarätigste Schauspielerin des Quartetts - etwas zu kurz kommt, zumal ihre Figur die einzige ist, über die wir kaum Hintergründe erfahren. Angesichts Collettes unbestrittenen schauspielerischen Talents ist das etwas bedauerlich, aber sie spielt ihre Rolle routiniert aus und läßt ihre Nebenmänner und -frauen uneitel glänzen - und die nutzen diese Gelegenheit mit (passend zu ihren Figuren) zurückhaltendem, aber intensiven Spiel. 
Dabei ist es wohltuend, wie rational und sachlich alle vier Personen an die lebensbedrohliche Problematik herangehen - wohltuend, allerdings auch ein wenig unglaubwürdig. Natürlich ist es so, daß drei der vier bestens ausgebildete Wissenschaftler sind, die auch psychologisch auf ihren Einsatz vorbereitet wurden - und der vierte ist zumindest ein angehender Wissenschaftler. Bei dieser Konstellation darf man vernünftiges Vorgehen sicherlich erwarten, wenn nicht sogar voraussetzen - trotzdem fällt es mir (nennt mich ruhig einen Zyniker) schwer zu glauben, daß in einer solchen Situation in der Realität alle Beteiligten ähnlich vernünftig handeln würden. Es ist wie gesagt trotzdem sehr wohltuend, daß dieses Quartett die technischen Probleme wie auch das gewaltige moralische Dilemma sachlich und mit klaren Argumenten ausdiskutiert anstatt sich - wie man es aus anderen Filmen gewohnt ist - anzuschreien, zu prügeln, zu intrigieren oder ähnliches. Das wäre zweifellos dramatischer, wohingegen hier ein kleiner Gefühlsausbruch von Zoe schon das Maximum ist, aber gerade durch diese betont überlegte Herangehensweise unterscheidet sich "Stowaway" von den meisten Genrekollegen und heben sich die handelnden Figuren von vielen Mainstream-Filmrollen ab. Das muß man mögen - oder eben nicht; ich mag es. Daß die Handlung an sich ziemlich geradlinig und ein wenig vorhersehbar verläuft, der Film dem Publikum die Dringlichkeit der scheinbar ausweglosen Situation erst spät richtig emotional vermittelt und die Dramatik am Ende auch nur durch einen nicht übermäßig eleganten "Deus ex machina"-Kniff entsteht, läßt sich verkraften.
Joe Penna geht es eben nicht in erster Linie um die Story, sondern um die komplexen Gefühle und Entscheidungen, welche die Geschehnisse in seinen Figuren auslösen; und die vermitteln er und die Besetzung dem Publikum überzeugend und mit großer Empathie. Ähnlich gelungen fällt die viuselle und akustische Gestaltung von "Stowaway" aus. Das kleine Raumschiff, das - neben dem umgebenden Weltraum -, den einzigen Handlungsort des Kammerspiels darstellt, wirkt (für mich als Laien) realistisch gestaltet und sieht gut aus, auch die Spezialeffekte etwa beim obligatorischen Weltraumspaziergang überzeugen. Natürlich sieht der Film dabei nie so brillant aus wie etwa der viel teurere "Gravity" oder Sir Ridley Scotts "Der Marsianer", aber das kann man von einer Indie-Produktion kaum erwarten und es ist für ein so bodenständiges, um Authentizität bemühtes Werk auch nicht nötig. Hörenswert untermalt wird "Stowaway" von der getragenen, sphärischen und phasenweise fast hypnotisch anmutenden Musik des deutschen Komponisten Volker Bertelmann aka Hauschka ("The Old Guard"), die perfekt ans gemächliche Erzähltempo und an die Schwere der moralisch-philosophischen Fragen angepaßt ist. Man darf gespannt sein, wie sich Joe Pennas Weg als Filmemacher weiter gestalten wird, ich würde mich jedenfalls über mehr Filme in der Art von "Stowaway" freuen - gerne auch als deutsche Produktionen!

Fazit: "Stowaway – Blinder Passagier" ist ein bedächtig erzähltes, aber intelligentes Arthouse-SciFi-Thrillerdrama mit gutem Drehbuch und starker Besetzung.

Wertung: Knapp 7,5 Punkte.
 
 
"Stowaway - Blinder Passagier" erscheint am 11. November 2021 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, Bonusmaterial gibt es abseits des Trailers keines. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
 
 

 

Screenshots: © EuroVideo Medien

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