Am Sonntag steht die 94. Verleihung der Academy Awards in
Los Angeles ins Haus (die erneut live bei Pro 7 übertragen wird), wie jedes
Jahr wage ich kurz vorher eine ausführliche Analyse und Prognose für alle
Kategorien. Als Basis für meine Einschätzung der Favoritenlage dienen dabei
neben meiner eigenen jahrelangen Erfahrung vor allem die bisherigen
Preisverleihungen der aktuellen Awards Season seit Ende November 2021 sowie
amerikanische OSCAR-Blogs wie Goldderby.com, Awardsdaily
und Indiewire.
Letztes Jahr habe ich mit nur 14 von 23 richtig vorhergesagten
Kategorien ziemlich
versagt (wobei es seit letztem Jahr eine Kategorie weniger gibt, da die beiden Ton-Kategorien zu einer zusammengefaßt wurden), 2019 lief es dafür mit 17 Siegertips ziemlich gut - in den
Jahren davor
waren es 14, 19, 14, 16, 15 und 18; ich kann demnach zwar nicht die Lottozahlen
prognostizieren, tippe aber keineswegs einfach so ins Blaue (und da ich jedes zweite Jahr deutlich besser zu sein scheine, sollte es diesmal eigentlich gut laufen) ... Einschränkend muß aber erwähnt werden, daß ich wie im Vorjahr coronabedingt leider deutlich weniger der nominierten Filme selbst gesehen habe (und damit besser einschätzen kann) als es vor der Pandemie üblich war.
Bester Film:
- Belfast- CODA
- Drive My Car
- King Richard
- Licorice Pizza
- Nightmare Alley
- West Side Story
Davon habe ich gesehen und kann daher selbst beurteilen: "Don't Look Up", "Dune" und "The Power of the Dog".
Favoriten: "The Power of the Dog" vor "CODA", "Dune" und "Belfast". Im Grunde genommen von Beginn der langen Awards Season an war Jane Campions Netflix-Produktion "The Power of the Dog" der Favorit für die Königskategorie - das allerdings nie so deutlich, daß man von einem Durchmarsch und einem sicheren OSCAR-Gewinn ausgehen konnte. Und in den letzten Wochen haben sich die Rückschläge für das Westerndrama gehäuft, speziell bei den einflußreichen Gilden - bei deren Mitgliedern eine recht hohe Überschneidung zu den über die OSCARs entscheidenden Academy-Mitgliedern besteht - überraschte zuletzt "CODA" mit Triumphen bei den Schauspielern (SAG Award) und den Produzenten (PGA Award). "The Power of the Dog" bleibt zwar erster Siegkandidat, die lange als typischer Alibi-Indie-Kandidat und damit chancenlos betrachtete Gehörlosen-Tragikomödie "CODA" - übrigens ein Remake des französischen Hits "Verstehen Sie die Béliers?" aus dem Jahr 2014 - hat sich aber auf Platz 2 der Favoritenliste geschoben und nun eine echte Siegchance. Außenseiterchancen besitzen auch "Dune" - die Wahl für jene, die mal wieder ein großes, aber zugleich recht anspruchsvolles Hollywood-Spektakel als Gewinner sehen wollen -, Kenneth Branaghs "Belfast" (dem aber "CODA" wohl den Rang als Top-Indie-Vertreter abgelaufen hat) und Steven Spielbergs "West Side Story"-Remake für die Nostalgiker unter dem Stimmberechtigen. "Don't Look Up", "King Richard", "Licorice Pizza" und "Nightmare Alley" sollten chancenlos sein und auch der japanische "Drive My Car" scheint schlechte Aussichten haben, den "Parasite"-Triumph als nicht-englischsprachiger Film zu wiederholen.
Gewinnen sollte: "The Power of the Dog" (auch wenn dieses Urteil angesichts sieben nicht gesehener Kandidaten natürlich von überschaubarer Relevanz ist ...).
Gewinnen wird: "The Power of the Dog".
Regie:
- Kenneth Branagh, "Belfast"
- Ryusuke Hamaguchi, "Drive My Car"
- Paul Thomas Anderson, "Licorice Pizza"
- Jane Campion, "The Power of the Dog"
- Steven Spielberg, "West Side Story"
Gesehen: Nur "The Power of the Dog".
Favoritin: Jane Campion. Wie es aussieht, ist dies eine der am wenigsten umkämpften Kategorien der diesjährigen Veranstaltung. Die Neuseeländerin Campion hat die meisten wichtigen Preise auf der "Road to the OSCARs" für sich entschieden und wird von fast allen Experten als Siegerin prognostiziert. Am ehesten könnten ihr noch Kenneth Branagh oder Ryusuke Hamaguchi gefährlich werden.
Gewinnen sollte: Auch, wenn ich nur einen der Filme gesehen habe: Jeder Nominierte wäre definitiv ein würdiger Gewinner, ich drücke aber Jane Campion die Daumen.
Gewinnen wird: Jane Campion für "The Power of the Dog".
Hauptdarsteller:
- Javier Bardem, "Being the Ricardos"
- Benedict Cumberbatch, "The Power of the Dog"
- Will Smith, "King Richard"
- Denzel Washington, "The Tragedy of Macbeth"
Gesehen: Cumberbatch und Garfield.
Favorit: Will Smith. Es sieht schwer danach aus, daß Will Smith 20 Jahre nach seiner ersten Nominierung (für "Ali") endlich fällig ist für den Goldjungen. Die Konkurrenz ist zwar groß und Cumberbatch - der als Favorit in die Awards Season startete, seitdem aber viele Rückschläge verkraften mußte - und Garfield sind nicht komplett chancenlos, dennoch spricht nach dem Verlauf der Awards Season fast alles für Smith, der für seine Rolle im Tennis-Biopic als Trainer-Vater der Williams-Schwestern zuletzt auch bei der Schauspielergilde und den britischen BAFTAs triumphierte.
Gewinnen sollte: Andrew Garfield, der in "tick, tick... BOOM!" eine herausragende Leistung zeigt.
Gewinnen wird: Will Smith für "King Richard".
Hauptdarstellerin:
- Jessica Chastain, "The Eyes of Tammy Faye"
- Olivia Colman, "Frau im Dunkeln"
- Penélope Cruz, "Parallele Mütter"
- Nicole Kidman, "Being the Ricardos"
- Kristen Stewart, "Spencer"
Gesehen: Nur Colman.
Favoritin: Jessica Chastain vor Nicole Kidman. Eine umkämpfte Kategorie. Lange sah Nicole Kidman mit u.a. dem Gewinn bei den Golden Globes nach der Frontrunnerin aus, die letzten wichtigen Preise konnte sich jedoch Jessica Chastain schnappen, darunter den SAG Award und den Critics' Choice Award. Damit ist sie nun in die Rolle der Gejagten geschlüpft, wobei keine der fünf Nominees komplett chancenlos erscheint. Gerade Olivia Colmans intensive Darstellung im sperrigen Drama "Frau im Dunkeln" hat viele Anhänger, auch Kristen Stewart wird für die Rolle der Prinzessin Diana als Kandidatin für eine Überraschung gehandelt. Lediglich ein Cruz-Sieg wäre eine ziemliche Sensation.
Gewinnen sollte: Grundsätzlich hat Jessica Chastain schon lange einen OSCAR verdient, allerdings weiß ich nicht, ob der unbedingt für eine Rolle wie diese kommen sollte, in der sie unter jeder Menge Makeup kaum wiederzuerkennen ist. Sowas liebt die Academy zwar, aber schauspielerisch dürfte sie schon forderndere Rollen gespielt haben. Insofern drücke ich diesmal eher Nicole Kidman die Daumen.
Gewinnen wird: Nicole Kidman für "Being the Ricardos".
Nebendarsteller:
- Ciarán Hinds, "Belfast"
- Troy Kotsur, "CODA"
- Jesse Plemons, "The Power of the Dog"
- J.K. Simmons, "Being the Ricardos"
- Kodi Smit-McPhee, "The Power of the Dog"
Gesehen: Plemons und McPhee.
Favorit: Troy Kotsur. Eine ähnliche Konstellation wie bei den Hauptdarstellern: Zu Beginn der Saison sah es so aus, als würde Kodi Smit-McPhee zu einem ungefährdeten OSCAR-Gewinn durchstarten, doch je näher die Academy Awards kamen, desto stärker rückte der gehörlose Troy Kotsur in den Vordergrund und konnte zuletzt nahezu alle bedeutenden Preise für sich entscheiden. Ciarán Hinds hat als lange unterschätzter Veteran eine Außenseiterchance, Plemons und Simmons brauchen eher keine Dankesrede vorzubereiten.
Gewinnen sollte: Kann ich nicht wirklich beurteilen, aber wenn ich mir jemanden wünschen dürfte, wäre es Ciarán Hinds.
Gewinnen wird: Troy Kotsur für "CODA".
Nebendarstellerin:
- Jessie Buckley, "Frau im Dunkeln"
- Ariana DeBose, "West Side Story"
- Judi Dench, "Belfast"
- Kirsten Dunst, "The Power of the Dog"
- Aunjanue Ellis, "King Richard"
Gesehen: Buckley und Dunst.
Favoritin: Ariana DeBose. Die Newcomerin hat in der OSCAR-Saison groß abgeräumt und ist dementsprechend die große Favoritin - einzige echte Rivalin ist wohl Kirsten Dunst, deren erste OSCAR-Nominierung von vielen in der Branche als überfällig betrachtet wurde.
Gewinnen sollte: Ohne "West Side Story" gesehen zu haben: Kirsten Dunst.
Gewinnen wird: Ariana DeBose für "West Side Story".
Animationsfilm:
- Encanto
- Flee
- Die Mitchells gegen die Maschinen
Gesehen: Alle außer "Flee".
Favorit: "Encanto" vor "Die Mitchells gegen die Maschinen" und "Flee". Disneys "Encanto" ist eigentlich der logische Gewinner, hat er doch Top-Kritiken erhalten, mit seinen Songs die Charts gestürmt, für volle Kinokassen gesorgt und u.a. den Golden Globe und den von den Produzenten vergebenen PGA Award gewonnen. Jedoch: Bei den "Animations-OSCARs", den Annies, setzte die Netflix-Produktion "Die Mitchells gegen die Maschinen" zu einem unerwarteten Triumphzug an (und gewann auch den Critics' Choice Award) und hat sich somit zum größten Rivalen von "Encanto" aufgeschwungen. Das schien bis dahin der gefeierte dänische Animations-Dokumentarfilm "Flee" zu sein, der weiterhin Außenseiterchancen hat. Kaum Aussichten auf einen Sieg haben erstaunlicherweise Pixars "Luca" (den ich ursprünglich als sicheren Sieger betrachtete ...) und Disneys "Raya und der letzte Drache".
Gewinnen sollte: Von den vier Filmen, die ich gesehen habe, eindeutig "Luca" - ich halte sowohl "Encanto" als auch "Die Mitchells ..." für klar überbewertet.
Gewinnen wird: "Encanto".
Internationaler Film:
- "Drive My Car", Japan
- "Flee", Dänemark
- "Lunana: A Yak in the Classroom", Bhutan
- "Der schlimmste Mensch der Welt", Norwegen
Gesehen: "Die Hand Gottes".
Favorit: "Drive My Car" vor "Der schlimmste Mensch der Welt" und "Flee". Von seinen insgesamt vier OSCAR-Nominierungen ist die als Internationaler Film jene, die der Kritikerliebling "Drive My Car" am sichersten gewinnen sollte. Zwar ist die Konkurrenz durch die ebenfalls gefeierte und vermutlich massentauglichere schwarzhumorige romantische Komödie "Der schlimmste Mensch der Welt" und "Flee" groß - und auch Paolo Sorrentinos wunderbarer "Die Hand Gottes" darf nicht außer Acht gelassen werden, auch wenn ihn wenige als Gewinner auf dem Zettel haben. Aber Regisseur Ryusuke Hamaguchi ist derjenige, den es hier zu schlagen gilt.
Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen, aber "Die Hand Gottes" wäre definitiv ein verdienter Sieger.
Gewinnen wird: "Der schlimmste Mensch der Welt".
Originaldrehbuch:
- Kenneth Branagh, "Belfast"
- Adam McKay und David Sirota, "Don't Look Up"
- Zach Baylin, "King Richard"
- Paul Thomas Anderson, "Licorice Pizza"
- Eskil Vogt und Joachim Trier, "Der schlimmste Mensch der Welt"
Gesehen: Nur "Don't Look Up".
Favoriten: "Belfast" und "Licorice Pizza". Eine umkämpfte Kategorie, in der es nach einem Zweikampf zwischen den beiden in den 1960er respektive 1970er Jahren spielenden Coming of Age-Filmen aussieht. Branagh gewann bei den Golden Globes und den Critics' Choice Awards und hat damit wohl knapp die Nase vorn. Bei der Schriftstellergilde setzte sich dagegen "Don't Look Up" durch und schob sich damit in der Favoritenliste zumindest auf Platz 3, allerdings war "Belfast" dort nicht teilnahmeberechtigt. Chancenlos ist derweil keiner der fünf Nominees, zumal es gerade bei den beiden Drehbuch-Kategorien gerne mal unerwartete Gewinner gibt.
Gewinnen sollte: Nicht "Don't Look Up"!
Gewinnen werden: Hier wage ich einen Überraschungs-Tip: Eskil Vogt und Joachim Trier für "Der schlimmste Mensch der Welt".
Adaptiertes Drehbuch:
- Siân Heder, "CODA"
- Ryusuke Hamaguchi und Takamasa Oe, "Drive My Car"
- Jon Spaihts, Denis Villeneuve und Eric Roth, "Dune"
- Maggie Gyllenhaal, "Frau im Dunkeln"
- Jane Campion, "The Power of the Dog"
Gesehen: "Dune", "Frau im Dunkeln" und "The Power of the Dog".
Favorit: "CODA" vor "The Power of the Dog". Auch hier scheint vieles offen, lediglich "Dune" kann man als Gewinner wohl ausschließen. Bei den WGA Awards setzte sich "CODA" durch, da war "The Power of the Dog" aber nicht dabei, der dafür den Critics' Choice Award gewann - und "Frau im Dunkeln" setzte sich u.a. beim zweitwichtigsten von Drehbuchautoren verliehenen Preis (nach den WGA Awards), dem USC Scripter Award, durch. Das Feld ist also ziemlich weit geöffnet, trotzdem deutet vieles auf "CODA" als Sieger hin.
Gewinnen sollte: "The Power of the Dog".
Gewinnen wird: Siân Heder für "CODA".
Das war also meine Vorschau auf und Prognose für die elf wichtigsten Kategorien der
Academy Awards. In Teil 2 geht es um die verbliebenen 12
Nebenkategorien.
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