Originaltitel: È stata la mano di Dio, Alternativtitel: The Hand of God
Regie und Drehbuch:
Paolo Sorrentino, Musik: Lele Marchitelli
Darsteller: Filippo
Scotti, Toni Servillo, Teresa Saponangelo, Marlon Joubert, Luisa
Ranieri, Massimiliano Gallo, Betti Pedrazzi, Renato Carpentieri,
Biagio Manna, Sofya Gershevich, Lino Musella, Ciro Capano, Monica
Nappo, Alessandro Bressanello
FSK: 12, Dauer: 134
Minuten.
Neapel, 1984:
Während in der Stadt das Gerücht für Furore sorgt, der
argentinische Fußball-Star Diego Armando Maradona würde zum SSC
Neapel wechseln, wächst der introvertierte 17-jährige Fabio
"Fabietto" Schisa (Filippo Scotti) mit seinen Eltern
Maria
(Teresa Saponangelo, "Die süße Kunst des Müßiggangs") und Saverio (Toni Servillo, "La Grande Bellezza"), seinem älteren Bruder Marchino (Marlon Joubert, TV-Serie
"Romulus") und seiner Schwester Daniela
(Rossella Di Lucca) auf. Fabietto weiß noch nicht wirklich, was er
nach der Schule machen will, er interessiert sich aber für
Philosophie und ist auch vom Filmemachen fasziniert – zumal sein
Bruder Schauspieler werden will und Fabietto ihn beispielsweise zum
Casting für einen Fellini-Film begleitet. Freunde hat Fabietto eher
nicht, dafür hält ihn allerdings seine schillernde Verwandtschaft genügend auf Trab, darunter seine schöne, zu seiner Freude exhibitionistisch veranlagte Tante Patrizia (Luisa Ranieri, "Briefe
an Julia"), die darunter leidet, keine Kinder zu
bekommen. Zuhause droht derweil Ungemach, als die Langzeit-Geliebte
von Fabiettos Vater anruft und eine schwere Familienkrise
auslöst. Aber zumindest findet Fabietto in dem älteren Schmuggler
Armando (Biagio Manna) endlich einen Freund ...
Kritik:
Seit
seinem internationalen Durchbruch mit der gefeierten Politsatire "Il
Divo" im Jahr 2008 hat sich der italienische Filmemacher Paolo Sorrentino bei
Cineasten auf der ganzen Welt einen exzellenten Ruf erarbeitet
als präziser Beobachter der italienischen Gesellschaft. Auffällig ist
dabei, daß er seine stets von feiner Ironie durchzogenen
gehobenen Alltagsgeschichten ("La Grande Bellezza", "Ewige Jugend") ebenso wie seine sehr frei interpretierten Biopics
über reale Persönlichkeiten wie die italienischen
Ministerpräsidenten Giulio Andreotti ("Il Divo") und
Silvio Berlusconi ("Loro – Die Verführten")
schwelgerisch, bildgewaltig und stilistisch sehr einfallsreich
inszeniert und so immer wieder denkwürdige Szenen und
Bildkompositionen erschafft – ganz wie sein offensichtliches
Vorbild Federico Fellini ("Das süße Leben"). Der vielleicht berühmteste und
einflußreichste italienische Filmemacher aller Zeiten spielt auch in
der Netflix-Produktion "Die Hand Gottes" eine Rolle, was
insofern folgerichtig ist, als der Film stark autobiographisch
geprägt ist und der junge Fabietto als Sorrentinos Alter Ego fungiert. Dieses
autobiographische Element erklärt vermutlich, warum "Die
Hand Gottes" im Vergleich zu Sorrentinos sonstigen Werken etwas
geerdeter und unspektakulärer daherkommt, wenngleich sein
unverwechselbarer Stil natürlich – und glücklicherweise – immer
noch häufig durchscheint. Trotz einer OSCAR-Nominierung zählen
viele Kritiker "Die Hand Gottes" nicht zu Sorrentinos
allerbesten Werken, mir hat die tragikomische Coming of
Age-Geschichte jedoch ausgesprochen gut gefallen, wenn auch in der
ersten Hälfte deutlich besser als in der zweiten.
Die
inhaltliche und stilistische Zweiteilung des über zweistündigen Werkes ist offensichtlich: Während in der äußerst
unterhaltsamen, für Fabietto noch ziemlich sorglosen ersten Hälfte
die Komik überwiegt und wir ausführlich die vielen herrlich
exzentrischen Gestalten aus Fabiettos erweiterter Familie
kennenlernen, kippt die Stimmung mit einem – der Realität
entsprechenden – Schlüsselereignis deutlich ins Tragische. Und das
betrifft nicht alleine Fabietto, sondern fast all seine Bekannten
und Verwandten, deren Unglück von der Aufgabe eines beruflichen
Traums über eine psychiatrische Anstalt bis hin zum Gefängnis
reicht – wobei Sorrentino betont, daß die Realität hierfür
nur der Ausgangspunkt war, den er mit Phantasie filmtauglich
erweiterte. Wie es bei Coming of Age-Filmen häufig der Fall ist,
erzählt "Die Hand Gottes" nicht wirklich eine durchgehende
Geschichte; es geht einfach um Fabiettos Erwachsenwerden,
eingebettet in eine aufregende Zeit der süditalienischen Metropole
Neapel, die dank Weltstar Diego Armando Maradona vorübergehend
zu so etwas wie dem Nabel der Fußballwelt wurde. Dramaturgisch ist das
Fehlen einer echten Geschichte nicht immer ganz unproblematisch,
dennoch unterhalten Sorrentinos teils nostalgische, teils bittersüße
Jugenderinnerungen gut, zumal Fabietto einen sympathischen
Protagonisten abgibt. Wie erwähnt, gilt das aber vor allem für
die erste Hälfte, welche locker-leicht daherkommt und jede Menge Komik
beinhaltet – allem voran immer dann, wenn Fabiettos Tante Patrizia
sich splitterfasernackt auszieht und Sorrentino so genußvoll wie
meisterhaft die Verlegenheit, Verärgerung, Erregung,
Frustration, Fatalismus und Amüsement umfassende Mimik speziell der anwesenden
Männer einfängt! Aus dem Cast sticht niemand
wirklich heraus, er harmoniert wunderbar und die Spielfreude aller
Beteiligten ist sichtbar, zumal Sorrentino fast jeder Figur ihre
starken Momente gönnt. Das gilt für Fabiettos Mutter Maria mit
ihrem Faible für elaborierte und überraschend fiese Streiche ebenso
wie für eine ständig obszön schimpfende ältere Verwandte,
Fabiettos große Schwester Daniela – die den gesamten Film
im Badezimmer verbringt – und seine übergewichtige Tante,
die sich mit einem 30 Jahre älteren Kriegsveteranen mit
elektronischer Sprechhilfe verlobt ...
Zwar
wird aus "Die Hand Gottes" in der zweiten Hälfte bei aller
Tragik keine Tragödie, sondern es gibt immer noch viel Schönes und
teilweise auch Humorvolles zu bestaunen, dennoch nagt dieser heftige
Stimmungswechsel ziemlich am Unterhaltsamkeitsgrad des Films.
Immerhin gibt das dem Publikum dafür mehr Zeit, sich auf die
handwerkliche Meisterschaft von Sorrentinos Werk zu konzentrieren.
Gemeinsam mit der Kamerafrau Daria D'Antonio (die bereits an
einigen früheren Sorrentino-Filmen beteiligt war, hier jedoch
erstmals als Chefin an der Kamera fungiert) kreiert er
wieder einmal zahlreiche märchenhaft schöne Sequenzen und
Bildkompositionen: der mystische Prolog mit dem abgestürzten
Kronleuchter, bei dem Patrizia auf den geheimnisvollen "kleinen Mönch" und auf Neapels Schutzpatron San Gennaro trifft, ist ein gutes
Beispiel dafür, ebenso eine Szene kurz vor Schluß, in der sich
Fabietto mit dem Regisseur Antonio Capuano (Ciro Capano) in einem
höhlenartigen Gebäude unterhält und einen entscheidenden Anstoß
für seine Zukunft erhält. Antonio Capuano ist übrigens wie Fellini
eine reale Persönlichkeit (wobei keiner seiner Filme in Deutschland
veröffentlicht worden zu sein scheint); eine von vielen, die
Kurzauftritte in "Die Hand Gottes" absolvieren. Mit den
kurzen, anekdotenhaften Quasi-Cameos reichert
Sorrentino seine Geschichte an, verleiht ihr noch zusätzliches
Lokalkolorit und zieht eine beinahe märchenhafte Stimmung daraus. Ob
man nach "Die Hand Gottes" den Regisseur und Mensch Paolo
Sorrentino besser versteht als zuvor? Da bin ich mir nicht sicher.
Fakt ist jedoch, daß sein kunstvoll in Szene gesetzter
autobiographischer Film mir viel Freude bereitet hat und auch die
deutlich ernstere zweite Hälfte viel Kluges zu erzählen weiß.
Fazit:
Paolo Sorrentinos "Die Hand Gottes" ist ein so kunstvoll
wie einfallsreich inszenierter, bittersüßer Coming of Age-Film, der trotz eines abrupten Stimmungswechels in
der Filmmitte und des Fehlens einer echten Story gut unterhält und Stoff zum Nachdenken gibt.
Wertung:
8 Punkte (9 für die erste Hälfte, 7 für die zweite).
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