Originaltitel: The Jesus Rolls
Regie und Drehbuch: John Turturro, Musik: Émilie Simon
Darsteller: John Turturro, Bobby Cannavale, Audrey Tautou, Susan
Sarandon, Pete Davidson, Jon Hamm, Christopher Walken, Sônia Braga, JB Smoove,
Tim Blake Nelson, Gloria Reuben, Michael Badalucco, Tonino Baliardo, Nicolas
Reyes
FSK: 16, Dauer: 82 Minuten.
Als der bowlingverrückte Jesus Quintana (John Turturro,
"O Brother, Where Art Thou?") aus dem Gefängnis entlassen wird, holt
ihn sein Kumpel Petey (Bobby Cannavale, "The Irishman") ab. Trotz
einer ernsten Ermahnung des Gefängnisdirektors (Christopher Walken, "7
Psychos"), daß er bei einer weiteren Verurteilung lange hinter Gittern
verschwinden werde, denkt Jesus gar nicht daran, den Pfad der Tugend zu
bestreiten. Stattdessen "borgt" er erst sich den schicken Wagen des
Friseurs Paul Dominique (Jon Hamm, "Baby Driver") aus. Wie sich
herausstellt, arbeitet für den eine alte Bekannte von Jesus, die freizügige
Französin Marie (Audrey Tautou, "Die fabelhafte Welt der Amélie"). Marie schließt sich Jesus und Petey an und das Trio streift nach einem kurzen
Besuch bei Jesus' Mutter (Sônia Braga, "Der Kuß der Spinnenfrau")
mehr oder weniger ziellos durch die Gegend, klaut ein paar weitere Autos und ein paar andere Dinge und hat viel Sex. Bei dem impulsiven Streifzug
bekommen sie immer wieder Ärger, treffen aber auch auf interessante Personen
wie einen windigen Mechaniker (JB Smoove, "Spider-Man: Far From Home"),
einen Arzt (Tim Blake Nelson, "Der unglaubliche Hulk"), die frisch
aus dem Frauenknast entlassene Jean (Susan Sarandon, "Robot &
Frank") und ihren ebenfalls aus dem Gefängnis freikommenden
Sohn Jack (Pete Davidson, "The King of Staten Island") …
Kritik:
Joel und Ethan Coens unverschämt lässige Noir-Krimikomödie "The Big
Lewbowski" aus dem Jahr 1998 zählt zu den wenigen Filmen in der Geschichte des Kinos, die
ich als (mehr oder weniger) perfekt einstufe. Da stimmt einfach alles, von der
äußerst schrägen, jedoch erfreulich cleveren und komplexen Handlung über die
herrlich skurrilen Figuren und ihre perfekt gewählten Darsteller bis hin zu
Ausstattung, Kostümen und der erstklassigen Musikbegleitung. Vor allem die
Charaktere wachsen einem so schnell ans Herz, daß man im Grunde genommen
selbst kleinen Nebenfiguren ein eigenes Spin-Off wünschen würde. Zugegeben,
Jesus Quintana, der Bowling-Erzrivale des von Jeff Bridges unnachahmlich
verkörperten Dude und seiner Kumpels, ist eher nicht der erste, der einem für
einen Solo-Film einfallen würde – aber hey, warum nicht? Immerhin ist es
Darsteller John Turturro, dem die Coens viel Freiheit bei der Ausgestaltung
der Rolle ließen, gelungen, den vor dem Wurf stets seine Bowling-Kugel
ableckenden Jesus trotz sehr kurzer Screentime zu einem durchaus denkwürdigen
(Mini-)Teil von "The Big Lebowski" zu machen. Und da die Coens darauf
bestehen, keine Fortsetzung ihres Kultfilms zu entwickeln, waren dessen zahllose
Fans gerne bereit, dem Jesus-Spin-Off eine Chance zu geben. Womit diese Fans
allerdings ganz und gar nicht gerechnet hatten, war, daß "Jesus Rolls –
Niemand verarscht Jesus!" abseits der Titelfigur und vereinzelter
Anspielungen überhaupt nichts mit "The Big Lebowski" zu tun haben
würde, vielmehr ein strukturell überraschend werktreues Remake des
französischen Klassikers "Die Ausgebufften" (1974) von Bertrand Blier
ist – auch bekannt als der damals mit seiner Vulgarität die Gesellschaft
schockierende Film, der Gérard Depardieu sowie seine beiden Co-Stars Patrick
Dewaere und Miou-Miou zu Stars machte. Als das Zentrum einer erotischen
Außenseiter-Tragikomödie wollte aber kaum jemand Jesus Quintana erleben …
Zugegeben: Es dürfte nicht allein an den auf die wohl
krassestmögliche Weise enttäuschten Erwartungen liegen, daß "Jesus
Rolls" gar so schlechte Bewertungen erhalten hat, denn sonst sollten zumindest
die Kritiker-Rezensionen merklich positiver ausfallen als die der
"normalen" Filmfans. Trotzdem kann ich mir nicht wirklich erklären,
warum der von Turtorro inszenierte und nach Bliers Vorlage geschriebene Film
bei IMDb, Rotten Tomatoes und Co. dermaßen negativ abschneidet. Denn wenn man
bereit ist, sich auf Turturros Ansatz einzulassen – was zweifellos eine Weile
dauert – bekommt man durchaus einiges geboten in den nur 80 Minuten Laufzeit.
Eine richtige Handlung gehört allerdings nicht dazu. Wie das französische
Original wirkt "Jesus Rolls" wie eine Übung in der
psychoanalytischen Methode des Freien Assoziierens: Jesus, Petey und ihre
wechselnden Weggefährten planen fast überhaupt nichts, sondern lassen sich von
bloßen Impulsen und auch mal dem Zufall von einer Anekdote zur nächsten
treiben. Diese oft frivolen Episoden fallen zwar größtenteils unspektakulär
aus, aber doch zumeist amüsant, mitunter melancholisch und vereinzelt
tragisch. Sich auf die betonte Ziellosigkeit einzustellen, ist gar nicht so
einfach, aber irgendwann stellte sich zumindest bei mir eine seltsame, soghafte
Faszination ein. Ihren Anteil daran tragen zweifellos die Schauspieler und
die Musik. Turturro gelang es, einige Stars wie Susan Sarandon, Christopher Walken und Jon Hamm für
prägnante Kurzauftritte zu gewinnen, dazu kommen mit Tim Blake Nelson (u.a.
"O Brother, Where Art Thou?" und "The Ballad of Buster
Scruggs") und Michael Badalucco (u.a. "Miller's Crossing" und
"The Man Who Wasn't There") zwei langjährige Weggefährten der
Coen-Brüder.
Im Zentrum stehen aber Jesus, Petey und Marie, wobei
interessanterweise Jesus ein wenig im Schatten seiner beiden Kollegen bleibt.
Vor allem Bobby Cannavale erweist sich als Herz des Films, weil sein Petey
einfach viel sympathischer wirkt als sein Kumpel Jesus. Derweil ist die von Audrey
Tautou anmutig verkörperte gutmütige Frohnatur Marie, die bereits mit 374 Männern
geschlafen hat ("Was? Das ist nicht einmal einer pro Woche!"), aber
noch nie einen Orgasmus hatte, die einzige Figur des Films, die eine wirkliche
Entwicklung durchläuft. Normalerweise ist es ungünstig, wenn der zentrale
Protagonist eines Films von den Co-Stars überschattet wird, aber hier macht
es gar nicht so viel aus – zumal man Turturro dafür loben muß, den in "The
Big Lebowski" wenig einnehmend wirkenden Jesus nicht so weit gegen den
Strich gebürstet zu haben, daß plötzlich ein strahlender Held aus ihm würde.
Nett wäre es aber doch gewesen, hätte Jesus in "seinem" Film
wenigstens etwas mehr in seiner Paradedisziplin des Bowlens glänzen können,
doch mehr als einen alibihaften Abstecher in die Bowlingbahn gönnt
Turturro ihm nicht – wobei die damit einhergehende Tanzsequenz immerhin amüsant
ausfällt. Womit wir auch schon bei der Musik wären, denn der von
lateinamerikanischen Klängen (von Latin Pop bis zu melancholischer
Mariachi-Musik; die Gipsy Kings haben sogar einen kurzen Gastauftritt) und
Chansons der französischen Filmkomponistin Émilie Simon dominierte Soundtrack zählt
eindeutig zu den Stärken von "Jesus Rolls". Insgesamt ist "Jesus
Rolls" mit Sicherheit weit von einem Meisterwerk entfernt und wird wohl
vor allem durch seine konsequente Verweigerung, die Erwartungshaltung der Fans
zu erfüllen, im Gedächtnis bleiben – wer jedoch mit der Thematik etwas anfangen
kann, sollte diesem Film, an dessen Verwirklichung John Turturro fast 20 Jahre
gearbeitet hat, eine Chance geben.
Fazit: "Jesus Rolls – Niemand verarscht
Jesus!" ist eine frivole erotische Tragikomödie, die sich mal mehr, mal
weniger erfolgreich von einer unspektakulären Anekdote zu der nächsten hangelt und
wesentlich besser funktioniert, wird sie nicht als "The Big
Lebowski"-Spin-Off betrachtet.
Wertung: 6,5 Punkte.
"Jesus Rolls – Niemand verarscht Jesus!" erscheint am 8. April 2021 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, Bonusmaterial gibt es bis auf den Trailer keines. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
Screenshots: © EuroVideo Medien
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