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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 8. April 2021

JESUS ROLLS – NIEMAND VERARSCHT JESUS! (2019)

Originaltitel: The Jesus Rolls
Regie und Drehbuch: John Turturro, Musik: Émilie Simon
Darsteller: John Turturro, Bobby Cannavale, Audrey Tautou, Susan Sarandon, Pete Davidson, Jon Hamm, Christopher Walken, Sônia Braga, JB Smoove, Tim Blake Nelson, Gloria Reuben, Michael Badalucco, Tonino Baliardo, Nicolas Reyes
Jesus Rolls (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 20% (4,1); weltweites Einspielergebnis: $0,1 Mio.
FSK: 16, Dauer: 82 Minuten.
Als der bowlingverrückte Jesus Quintana (John Turturro, "O Brother, Where Art Thou?") aus dem Gefängnis entlassen wird, holt ihn sein Kumpel Petey (Bobby Cannavale, "The Irishman") ab. Trotz einer ernsten Ermahnung des Gefängnisdirektors (Christopher Walken, "7 Psychos"), daß er bei einer weiteren Verurteilung lange hinter Gittern verschwinden werde, denkt Jesus gar nicht daran, den Pfad der Tugend zu bestreiten. Stattdessen "borgt" er erst sich den schicken Wagen des Friseurs Paul Dominique (Jon Hamm, "Baby Driver") aus. Wie sich herausstellt, arbeitet für den eine alte Bekannte von Jesus, die freizügige Französin Marie (Audrey Tautou, "Die fabelhafte Welt der Amélie"). Marie schließt sich Jesus und Petey an und das Trio streift nach einem kurzen Besuch bei Jesus' Mutter (Sônia Braga, "Der Kuß der Spinnenfrau") mehr oder weniger ziellos durch die Gegend, klaut ein paar weitere Autos und ein paar andere Dinge und hat viel Sex. Bei dem impulsiven Streifzug bekommen sie immer wieder Ärger, treffen aber auch auf interessante Personen wie einen windigen Mechaniker (JB Smoove, "Spider-Man: Far From Home"), einen Arzt (Tim Blake Nelson, "Der unglaubliche Hulk"), die frisch aus dem Frauenknast entlassene Jean (Susan Sarandon, "Robot & Frank") und ihren ebenfalls aus dem Gefängnis freikommenden Sohn Jack (Pete Davidson, "The King of Staten Island") …
 
Kritik:
Joel und Ethan Coens unverschämt lässige Noir-Krimikomödie "The Big Lewbowski" aus dem Jahr 1998 zählt zu den wenigen Filmen in der Geschichte des Kinos, die ich als (mehr oder weniger) perfekt einstufe. Da stimmt einfach alles, von der äußerst schrägen, jedoch erfreulich cleveren und komplexen Handlung über die herrlich skurrilen Figuren und ihre perfekt gewählten Darsteller bis hin zu Ausstattung, Kostümen und der erstklassigen Musikbegleitung. Vor allem die Charaktere wachsen einem so schnell ans Herz, daß man im Grunde genommen selbst kleinen Nebenfiguren ein eigenes Spin-Off wünschen würde. Zugegeben, Jesus Quintana, der Bowling-Erzrivale des von Jeff Bridges unnachahmlich verkörperten Dude und seiner Kumpels, ist eher nicht der erste, der einem für einen Solo-Film einfallen würde – aber hey, warum nicht? Immerhin ist es Darsteller John Turturro, dem die Coens viel Freiheit bei der Ausgestaltung der Rolle ließen, gelungen, den vor dem Wurf stets seine Bowling-Kugel ableckenden Jesus trotz sehr kurzer Screentime zu einem durchaus denkwürdigen (Mini-)Teil von "The Big Lebowski" zu machen. Und da die Coens darauf bestehen, keine Fortsetzung ihres Kultfilms zu entwickeln, waren dessen zahllose Fans gerne bereit, dem Jesus-Spin-Off eine Chance zu geben. Womit diese Fans allerdings ganz und gar nicht gerechnet hatten, war, daß "Jesus Rolls – Niemand verarscht Jesus!" abseits der Titelfigur und vereinzelter Anspielungen überhaupt nichts mit "The Big Lebowski" zu tun haben würde, vielmehr ein strukturell überraschend werktreues Remake des französischen Klassikers "Die Ausgebufften" (1974) von Bertrand Blier ist – auch bekannt als der damals mit seiner Vulgarität die Gesellschaft schockierende Film, der Gérard Depardieu sowie seine beiden Co-Stars Patrick Dewaere und Miou-Miou zu Stars machte. Als das Zentrum einer erotischen Außenseiter-Tragikomödie wollte aber kaum jemand Jesus Quintana erleben …
Zugegeben: Es dürfte nicht allein an den auf die wohl krassestmögliche Weise enttäuschten Erwartungen liegen, daß "Jesus Rolls" gar so schlechte Bewertungen erhalten hat, denn sonst sollten zumindest die Kritiker-Rezensionen merklich positiver ausfallen als die der "normalen" Filmfans. Trotzdem kann ich mir nicht wirklich erklären, warum der von Turtorro inszenierte und nach Bliers Vorlage geschriebene Film bei IMDb, Rotten Tomatoes und Co. dermaßen negativ abschneidet. Denn wenn man bereit ist, sich auf Turturros Ansatz einzulassen – was zweifellos eine Weile dauert – bekommt man durchaus einiges geboten in den nur 80 Minuten Laufzeit. Eine richtige Handlung gehört allerdings nicht dazu. Wie das französische Original wirkt "Jesus Rolls" wie eine Übung in der psychoanalytischen Methode des Freien Assoziierens: Jesus, Petey und ihre wechselnden Weggefährten planen fast überhaupt nichts, sondern lassen sich von bloßen Impulsen und auch mal dem Zufall von einer Anekdote zur nächsten treiben. Diese oft frivolen Episoden fallen zwar größtenteils unspektakulär aus, aber doch zumeist amüsant, mitunter melancholisch und vereinzelt tragisch. Sich auf die betonte Ziellosigkeit einzustellen, ist gar nicht so einfach, aber irgendwann stellte sich zumindest bei mir eine seltsame, soghafte Faszination ein. Ihren Anteil daran tragen zweifellos die Schauspieler und die Musik. Turturro gelang es, einige Stars wie Susan Sarandon, Christopher Walken und Jon Hamm für prägnante Kurzauftritte zu gewinnen, dazu kommen mit Tim Blake Nelson (u.a. "O Brother, Where Art Thou?" und "The Ballad of Buster Scruggs") und Michael Badalucco (u.a. "Miller's Crossing" und "The Man Who Wasn't There") zwei langjährige Weggefährten der Coen-Brüder.
Im Zentrum stehen aber Jesus, Petey und Marie, wobei interessanterweise Jesus ein wenig im Schatten seiner beiden Kollegen bleibt. Vor allem Bobby Cannavale erweist sich als Herz des Films, weil sein Petey einfach viel sympathischer wirkt als sein Kumpel Jesus. Derweil ist die von Audrey Tautou anmutig verkörperte gutmütige Frohnatur Marie, die bereits mit 374 Männern geschlafen hat ("Was? Das ist nicht einmal einer pro Woche!"), aber noch nie einen Orgasmus hatte, die einzige Figur des Films, die eine wirkliche Entwicklung durchläuft. Normalerweise ist es ungünstig, wenn der zentrale Protagonist eines Films von den Co-Stars überschattet wird, aber hier macht es gar nicht so viel aus – zumal man Turturro dafür loben muß, den in "The Big Lebowski" wenig einnehmend wirkenden Jesus nicht so weit gegen den Strich gebürstet zu haben, daß plötzlich ein strahlender Held aus ihm würde. Nett wäre es aber doch gewesen, hätte Jesus in "seinem" Film wenigstens etwas mehr in seiner Paradedisziplin des Bowlens glänzen können, doch mehr als einen alibihaften Abstecher in die Bowlingbahn gönnt Turturro ihm nicht – wobei die damit einhergehende Tanzsequenz immerhin amüsant ausfällt. Womit wir auch schon bei der Musik wären, denn der von lateinamerikanischen Klängen (von Latin Pop bis zu melancholischer Mariachi-Musik; die Gipsy Kings haben sogar einen kurzen Gastauftritt) und Chansons der französischen Filmkomponistin Émilie Simon dominierte Soundtrack zählt eindeutig zu den Stärken von "Jesus Rolls". Insgesamt ist "Jesus Rolls" mit Sicherheit weit von einem Meisterwerk entfernt und wird wohl vor allem durch seine konsequente Verweigerung, die Erwartungshaltung der Fans zu erfüllen, im Gedächtnis bleiben – wer jedoch mit der Thematik etwas anfangen kann, sollte diesem Film, an dessen Verwirklichung John Turturro fast 20 Jahre gearbeitet hat, eine Chance geben.
 
Fazit: "Jesus Rolls – Niemand verarscht Jesus!" ist eine frivole erotische Tragikomödie, die sich mal mehr, mal weniger erfolgreich von einer unspektakulären Anekdote zu der nächsten hangelt und wesentlich besser funktioniert, wird sie nicht als "The Big Lebowski"-Spin-Off betrachtet.
 
Wertung: 6,5 Punkte.
 
"Jesus Rolls – Niemand verarscht Jesus!" erscheint am 8. April 2021 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, Bonusmaterial gibt es bis auf den Trailer keines. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
 

 

Screenshots: © EuroVideo Medien

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