Originaltitel:
Doctor Sleep
Regie und Drehbuch: Mike Flanagan, Musik: The Newton
Brothers
Darsteller: Ewan McGregor, Kyliegh Curran, Rebecca Ferguson,
Cliff Curtis, Zahn McClarnon, Emily Alyn Lind, Carel Struycken, Robert Longstreet, Catherine Parker, Selena Anduze, James Flanagan,
Carl Lumbly,
Alex Essoe, Met Clark, Bruce Greenwood, Zackary Momoh, Jocelin Donahue, Jacob Tremblay,
Henry Thomas, Molly C. Quinn, Danny Lloyd
FSK: 16, Dauer: 152 Minuten.
Gut 30 Jahre, nachdem er im zugeschneiten und von bösen
Geistern heimgesuchten Overlook Hotel seinen Vater Jack verloren hat, ist Dan
Torrance (Ewan McGregor, "Jack and the Giants") ein körperliches und seelisches Wrack. Noch
immer traumatisiert von den Geschehnissen und unfähig, mit seiner
seherischen Gabe – dem "Shining" – vernünftig umzugehen, flüchtet er
sich in Alkohol und bedeutungslosen Sex. Doch eines Morgens beschließt er, daß es höchste Zeit für einen Neuanfang ist. Dan fährt mit dem Bus zu einer kleinen,
friedlichen Ortschaft in New Hampshire, wo er sogleich auf den hilfsbereiten Billy
Freeman (Cliff Curtis, "Whale Rider") trifft, der sein Sponsor bei den Anonymen Alkoholikern
wird und ihm zu einer Wohnung und einem Job verhilft – und als Krankenpfleger
in einem Hospiz kann Dan sogar das "Shining" sinnvoll und zum
Wohle der Menschen einsetzen. Acht Jahre später wird Dans nun ziemlich
idyllisches Leben abrupt gestört, als er einen mentalen Hilferuf der Jugendlichen Abra (Kyliegh Curran) erhält, welche über die gleiche Gabe
verfügt wie er – wobei sie bei ihr womöglich sogar noch stärker ausgeprägt ist.
So hat sie gedanklich miterleben müssen, wie der Junge Bradley (Jacob Tremblay aus "Raum") von einer von der
charismatischen Rose (Rebecca Ferguson, "Mission: Impossible – Fallout") angeführten Gruppe namens "Wahrer
Knoten" entführt und getötet wird, die sich am "Shining"
entsprechend begabter Personen nährt (wobei sie es "Steam" nennen)
und damit ihre Lebensspanne enorm erweitern kann. Nur mit vereinten Kräften
können Dan und Abra den "Wahren Knoten" möglicherweise stoppen …
Kritik:
Geht es darum, welches die besten Verfilmungen von Stephen
King-Romanen sind, werden in der Regel die gleichen paar Titel genannt:
"Die Verurteilten", "Carrie", "The Green Mile", "Es", "Misery", "Stand By Me" – und
"Shining". King selbst sieht letzteres Werk etwas anders, seine
Unzufriedenheit mit Stanley Kubricks kunstvollem Psychoterror-Film ist fast schon legendär (für ihn rückte Kubrick zu sehr
Protagonist Jack Torrance ins Zentrum und vernachlässigte dafür die laut
King eigentliche Hauptfigur des Romans: das Overlook Hotel) und wurde bei Erscheinen des Films im Jahr 1980 von vielen Kritikern geteilt. Inzwischen
hat sich "Shining" einen Status als Genreklassiker und Meisterwerk
erarbeitet, was nicht zuletzt Jack Nicholsons naturgewalt-artiger Darstellung
des Jack Torrance geschuldet ist. Ich hingegen war immer Kings
Meinung und halte "Shining", obwohl sicherlich ein sehenswerter Film
mit einigen ikonischen Momenten, für eines der schwächsten Werke von Kubrick
(wobei das angesichts dessen beeindruckenden Œvres gar nicht so viel zu sagen
hat). So oder so: King veröffentlichte im Jahr 2013 und damit 36 Jahre nach
seinem "Shining"-Buch eine sehr späte Fortsetzung namens "Doctor
Sleep", die bei Kritikern und Lesern erneut großen Anklang fand – und
deshalb logisches Ziel für Hollywood war. Am Ende war es mit Mike Flanagan ein
noch relativ unverbrauchter, aber dank "Oculus", "Ouija: Ursprung
des Bösen", dem Netflix-Film "Das Spiel"
(nach einem Roman von Stephen King) und der Netflix-Serie "Spuk in Hill
House" genreerfahrener Regisseur und Drehbuch-Autor, der für die Verfilmung von "Doctor Sleep" – mit dem deutschen Titel "Doctor Sleeps Erwachen" – engagiert wurde. Und Flanagan
rechtfertigt das von Warner Bros. in ihn gesetzte Vertrauen in qualitativer
Hinsicht mit einer ein wenig konventionelleren, zugänglicheren und
temporeicheren, jedoch sehr guten Fortsetzung, die Kubricks Film in vielerlei
Hinsicht Tribut zollt, dabei aber auch viel Eigenständigkeit beweist. Das kam auch bei Stephen King gut an, der sich – anders als bei Kubricks
"Shining" – ausgesprochen wohlwollend über Flanagans Adaption
geäußert hat.
Kurz vor "Doctor Sleeps Erwachen" habe ich den
französischen Arthouse-Erfolg "Porträt einer jungen Frau in Flammen"
rezensiert, bei dem das Gesamtwerk meiner Ansicht nach weniger ist als die
Summe seiner überwiegend exzellenten Einzelteile. Bei "Doctor Sleeps
Erwachen" ist es ziemlich genau umgekehrt: Bei genauerem Nachdenken stößt
man auf einige inhaltliche Mängel, doch insgesamt funktioniert der Film
wunderbar – sowohl als Einzelwerk als auch als "Shining"-Fortsetzung. Sich "Shining" vor "Doctor Sleeps Erwachen"
noch einmal anzuschauen (oder zumindest die
Wikipedia-Inhaltsbeschreibung durchzulesen), ist übrigens keine schlechte Idee,
da Flanagans Film in seinem Prolog fast unmittelbar ans Ende von
"Shining" anschließt und auch später immer wieder Bezug auf Kubricks nimmt
– wohlgemerkt tatsächlich nicht auf die im Buch erzählte Handlung allgemein,
sondern konkret auf den Film. Am offensichtlichsten erkennt man das
daran, daß einige der Figuren aus "Shining" wie Dans Mutter Wendy und
der Overloot Hotel-Koch Dick Hallorann in "Doctor Sleeps Erwachen"
einen kurzen Auftritt haben und optisch sehr deutlich den
"Shining"-Darstellern nachempfunden wurden. In Zeiten von "The
Irishman" oder "Rogue One" ist es den Extra-Hinweis wert, daß
man nicht etwa die damaligen Schauspieler Shelley Duvall und Scatman
Crothers im damaligen Alter am Computer wieder zum Leben erweckte (obwohl das
laut Flanagan durchaus zur Diskussion stand), sondern mit Alex Essoe ("Starry Eyes") respektive
Carl Lumbly (TV-Serie "Alias") neue Darsteller wählte, die ihren Vorgängern aber bemerkenswert
ähnlich sehen – und selbst Ethan Hawke nimmt man es optisch ab, der Sohn von
Jack Nicholson zu sein, der übrigens einen Gastauftritt ablehnte. Ein
"Shining"-Cameo gibt es trotzdem, denn der damalige
Danny-Kinderdarsteller Danny Lloyd ist kurz als Zuschauer bei einem Schul-Baseballspiel zu sehen – sein erster Leinwandauftritt seit
"Shining" (weshalb ihn natürlich auch kaum jemand erkennen dürfte …)! Die Kenntnis von "Shining" bringt also sehr wohl einen Mehrwert, dennoch funktioniert "Doctor Sleeps Erwachen" zweifellos auch
als unabhängiger Mysteryfilm.
Obwohl die Länge von zweieinhalb Stunden ein wenig abschreckend
wirken mag und Flanagan sich sicher etwas kürzer hätte fassen können, erweist
sie sich doch als sehr sinnvoll, um den Hauptfiguren nahezukommen. Andere
Filmemacher hätten wohl die Episode mit Dans Neustart in New Hampshire im
Jahr 2011 gekürzt oder ganz weggelassen und direkt in der Gegenwart
weitergemacht, um auf einen zweistündigen Film zu kommen. Ich bin aber froh, daß
Flanagan dieser Versuchung nicht erlegen ist und vor allem Ewan McGregor
reichlich Gelegenheit gibt, die gebrochene, traumatisierte Persönlichkeit Dan
Torrance vor den Augen des Publikums zum Leben zu erwecken. Bei Horror- und
Mysteryfilmen ist es ja stets ein entscheidender und recht schwer zu erreichender
Punkt, ob die Protagonisten das Publikum genügend interessieren, um mit ihnen
mitzufiebern und mitzuzittern. Bei Dan Torrance ist das kein Problem, denn er
wird uns als ein Mann präsentiert, der mehr durchmachen mußte als die meisten,
beinahe daran zerbrochen wäre, sich dann aber aufrappeln, neu anfangen und
sogar der Gesellschaft dienlich sein konnte. Wie sollte man Dan nicht mögen,
zumal McGregor ihn mit seinem angeborenen Charme ausstattet und er deshalb
einfach nett wirkt. Selbst, daß er seine Gabe nur widerwillig nutzt und kein
Held sein will, sondern sich erst überzeugen lassen muß, sie im Kampf gegen
den "Wahren Knoten" einzusetzen, macht ihn irgendwo sympathisch; denn
"Shining" hin oder her, eigentlich ist Dan ein Durchschnittstyp, der
einfach in Ruhe sein Leben verbringen möchte. Mit der engagierten,
idealistischen Abra – die vielleicht so ist, wie es Dan ohne die Ereignisse
im Overlook Hotel geworden wäre – hat er eine passende jugendliche
Mitstreiterin gefunden, die von Newcomerin Kyliegh Curran sehr überzeugend und
sympathisch verkörpert wird.
Auch die Antagonisten sind ein Grund, warum "Doctor
Sleeps Erwachen" so gut funktioniert, denn die an fahrende Schauspieler
erinnernde Gruppierung ist mit ihrer vampirischen Tätigkeit schön geheimnisvoll
und gruselig und hat mit Rose eine faszinierende, nicht einfach nur
"böse" Anführerin, die sich in erster Linie um das Wohl ihrer Leute
kümmert – dafür aber buchstäblich über (Kinder-)Leichen geht. Bei allem Lob
kommen wir mit dem "Wahren Knoten" aber auch zu den angesprochenen Mängeln. Denn über die Hintergründe der "Shining-Vampire"
erfährt man recht wenig, was gerade deshalb so enttäuschend ist, weil man gerne mehr über sie erfahren würde. Da gibt es beispielsweise Grampa
Flick (Carel Struycken, TV-Serie "Twin Peaks"), der Jahrtausende gelebt hat – alleine darüber könnte
man einen ganzen Spin-Off-Film drehen, doch es bleibt bei einigen Andeutungen. Auch die Beziehung zwischen Rose und ihrem indianischen
Stellvertreter Crow Daddy (Zahn McClarnon, "Bone Tomahawk") hätte Flanagan gerne näher
beleuchten können. Noch ärgerlicher: Die neueste "Rekrutin" des
"Wahren Knotens", die junge Snakebite Andi (Emily Alyn Lind, "The Babysitter") ist im
einen Moment noch eine rebellische Jugendliche, die Pädophile
in die Falle lockt, nur im nächsten ohne Skrupel Kinder zu töten, um an deren
"Steam" zu gelangen. Zugegeben, die Verlockung nahezu ewigen Lebens
ist stark und da es direkt nach Snakebite Andis "Umwandlung" den
gleichen 8-Jahre-Zeitsprung wie bei Dan gibt, könnten ihre Skrupel vom Film
einfach übersprungen worden sein. Trotzdem wirkt es komisch und nur bedingt
glaubwürdig, ich habe mich sogar ungut an "Star Wars Episode III"
erinnert gefühlt, wo Anakin Skywalker innerhalb von Minuten vom zwar fehlgeleiteten, aber
doch eigentlich immer noch aufrichtig dem Guten verpflichteten Jedi zu einem Massen-Kindermörder mutiert … Bedauerlich ist es ebenso, daß Dans und Abras
Kampf gegen den "Wahren Knoten" trotz der obligatorischen Rückschläge
alles in allem recht glatt abläuft. Er und Abra werden so mächtig
dargestellt, daß man sich selbst in Notlagen nicht wirklich Sorgen um
sie macht – und genau deshalb erscheint auch Dans riskante Entscheidung, für
den Showdown die Hilfe einiger, nunja, alter Bekannter einzufordern, unnötig,
denn mit Abras Hilfe scheint er gut genug mit den Gefahren, die von Rose und
ihren Gefährten ausgehen, klarzukommen.
Letztlich ist aber klar, weshalb Stephen King Dan diese Entscheidung treffen läßt
– um den erzählerischen Kreis zu "Shining" zu schließen und den Fans
von Kubricks Film das zu liefern, was sie sich wahrscheinlich von einer Fortsetzung
erwarten. Ich will gar nicht zu sehr in die Details gehen, aber die letzte halbe
Stunde bringt ein Déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen. Das ist wohlgemerkt alles
wirklich gut gemacht und dabei wunderbar gruselig und atmosphärisch in Szene gesetzt –
auch ein Verdienst der stimmungsvollen Musik der Newton Brothers ("Before I Wake") –, aber ein
bißchen finde ich es trotzdem schade, daß sich "Doctor Sleeps
Erwachen" im Finale weitgehend von der bis dahin vortrefflich
vorgeführten Eigenständigkeit verabschiedet. Denn wo "Shining" von
Kubrick mit seiner denkwürdigen und häufig zitierten Bildsprache betont
künstlerisch gestaltet wurde und primär als phasenweise fast
kontemplative Charakterstudie eines dem Wahnsinn verfallenden Mannes
funktioniert, ist "Doctor Sleeps Erwachen" eher ein klassischer,
etwas konventionellerer und eingängigerer Gruselfilm mit "Vampiren" als
Gegnern anstelle des dämonischen Hotels und seiner Geister. Gemein haben beide
Filme jedoch, daß sie auf die genreüblichen und berühmt-berüchtigten
Jumpscares verzichten, was ich persönlich sehr erfrischend finde. Beide Ansätze
sind jedenfalls legitim und funktionieren einwandfrei, mir
gefällt Flanagans Film aber tatsächlich besser. Umso bedauerlicher ist es, daß "Doctor
Sleeps Erwachen" trotz guter Kritiken an den Kinokassen gefloppt ist, denn
Warner Bros. hatte Mike Flanagan bereits mit der Vorbereitung einer Fortsetzung respektive
eines Spin-Offs beauftragt; daraus wird jetzt wohl nichts mehr, sofern
"Doctor Sleeps Erwachen" sich nicht im Heimkino-Markt noch als
Blockbuster erweist …
Fazit: "Doctor Sleeps Erwachen" ist eine erstaunlich starke Fortsetzung des Horrorklassikers "Shining", die
trotz einiger Detailmängel mit gut ausgearbeiteten Figuren sowie viel Spannung
und noch mehr Atmosphäre überzeugt.
Wertung: 8,5 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen