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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 3. Dezember 2019

DOCTOR SLEEPS ERWACHEN (2019)

Originaltitel: Doctor Sleep
Regie und Drehbuch: Mike Flanagan, Musik: The Newton Brothers
Darsteller: Ewan McGregor, Kyliegh Curran, Rebecca Ferguson, Cliff Curtis, Zahn McClarnon, Emily Alyn Lind, Carel Struycken, Robert Longstreet, Catherine Parker, Selena Anduze, James Flanagan, Carl Lumbly, Alex Essoe, Met Clark, Bruce Greenwood, Zackary Momoh, Jocelin Donahue, Jacob Tremblay, Henry Thomas, Molly C. Quinn, Danny Lloyd
Doctor Sleeps Erwachen
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 78% (7,1); weltweites Einspielergebnis: $72,4 Mio.
FSK: 16, Dauer: 152 Minuten.

Gut 30 Jahre, nachdem er im zugeschneiten und von bösen Geistern heimgesuchten Overlook Hotel seinen Vater Jack verloren hat, ist Dan Torrance (Ewan McGregor, "Jack and the Giants") ein körperliches und seelisches Wrack. Noch immer traumatisiert von den Geschehnissen und unfähig, mit seiner seherischen Gabe – dem "Shining" – vernünftig umzugehen, flüchtet er sich in Alkohol und bedeutungslosen Sex. Doch eines Morgens beschließt er, daß es höchste Zeit für einen Neuanfang ist. Dan fährt mit dem Bus zu einer kleinen, friedlichen Ortschaft in New Hampshire, wo er sogleich auf den hilfsbereiten Billy Freeman (Cliff Curtis, "Whale Rider") trifft, der sein Sponsor bei den Anonymen Alkoholikern wird und ihm zu einer Wohnung und einem Job verhilft – und als Krankenpfleger in einem Hospiz kann Dan sogar das "Shining" sinnvoll und zum Wohle der Menschen einsetzen. Acht Jahre später wird Dans nun ziemlich idyllisches Leben abrupt gestört, als er einen mentalen Hilferuf der Jugendlichen Abra (Kyliegh Curran) erhält, welche über die gleiche Gabe verfügt wie er wobei sie bei ihr womöglich sogar noch stärker ausgeprägt ist. So hat sie gedanklich miterleben müssen, wie der Junge Bradley (Jacob Tremblay aus "Raum") von einer von der charismatischen Rose (Rebecca Ferguson, "Mission: Impossible Fallout") angeführten Gruppe namens "Wahrer Knoten" entführt und getötet wird, die sich am "Shining" entsprechend begabter Personen nährt (wobei sie es "Steam" nennen) und damit ihre Lebensspanne enorm erweitern kann. Nur mit vereinten Kräften können Dan und Abra den "Wahren Knoten" möglicherweise stoppen …

Kritik:
Geht es darum, welches die besten Verfilmungen von Stephen King-Romanen sind, werden in der Regel die gleichen paar Titel genannt: "Die Verurteilten", "Carrie", "The Green Mile", "Es", "Misery", "Stand By Me" – und "Shining". King selbst sieht letzteres Werk etwas anders, seine Unzufriedenheit mit Stanley Kubricks kunstvollem Psychoterror-Film ist fast schon legendär (für ihn rückte Kubrick zu sehr Protagonist Jack Torrance ins Zentrum und vernachlässigte dafür die laut King eigentliche Hauptfigur des Romans: das Overlook Hotel) und wurde bei Erscheinen des Films im Jahr 1980 von vielen Kritikern geteilt. Inzwischen hat sich "Shining" einen Status als Genreklassiker und Meisterwerk erarbeitet, was nicht zuletzt Jack Nicholsons naturgewalt-artiger Darstellung des Jack Torrance geschuldet ist. Ich hingegen war immer Kings Meinung und halte "Shining", obwohl sicherlich ein sehenswerter Film mit einigen ikonischen Momenten, für eines der schwächsten Werke von Kubrick (wobei das angesichts dessen beeindruckenden Œvres gar nicht so viel zu sagen hat). So oder so: King veröffentlichte im Jahr 2013 und damit 36 Jahre nach seinem "Shining"-Buch eine sehr späte Fortsetzung namens "Doctor Sleep", die bei Kritikern und Lesern erneut großen Anklang fand – und deshalb logisches Ziel für Hollywood war. Am Ende war es mit Mike Flanagan ein noch relativ unverbrauchter, aber dank "Oculus", "Ouija: Ursprung des Bösen", dem Netflix-Film "Das Spiel" (nach einem Roman von Stephen King) und der Netflix-Serie "Spuk in Hill House" genreerfahrener Regisseur und Drehbuch-Autor, der für die Verfilmung von "Doctor Sleep" – mit dem deutschen Titel "Doctor Sleeps Erwachen" – engagiert wurde. Und Flanagan rechtfertigt das von Warner Bros. in ihn gesetzte Vertrauen in qualitativer Hinsicht mit einer ein wenig konventionelleren, zugänglicheren und temporeicheren, jedoch sehr guten Fortsetzung, die Kubricks Film in vielerlei Hinsicht Tribut zollt, dabei aber auch viel Eigenständigkeit beweist. Das kam auch bei Stephen King gut an, der sich – anders als bei Kubricks "Shining" – ausgesprochen wohlwollend über Flanagans Adaption geäußert hat.

Kurz vor "Doctor Sleeps Erwachen" habe ich den französischen Arthouse-Erfolg "Porträt einer jungen Frau in Flammen" rezensiert, bei dem das Gesamtwerk meiner Ansicht nach weniger ist als die Summe seiner überwiegend exzellenten Einzelteile. Bei "Doctor Sleeps Erwachen" ist es ziemlich genau umgekehrt: Bei genauerem Nachdenken stößt man auf einige inhaltliche Mängel, doch insgesamt funktioniert der Film wunderbar – sowohl als Einzelwerk als auch als "Shining"-Fortsetzung. Sich "Shining" vor "Doctor Sleeps Erwachen" noch einmal anzuschauen (oder zumindest die Wikipedia-Inhaltsbeschreibung durchzulesen), ist übrigens keine schlechte Idee, da Flanagans Film in seinem Prolog fast unmittelbar ans Ende von "Shining" anschließt und auch später immer wieder Bezug auf Kubricks nimmt – wohlgemerkt tatsächlich nicht auf die im Buch erzählte Handlung allgemein, sondern konkret auf den Film. Am offensichtlichsten erkennt man das daran, daß einige der Figuren aus "Shining" wie Dans Mutter Wendy und der Overloot Hotel-Koch Dick Hallorann in "Doctor Sleeps Erwachen" einen kurzen Auftritt haben und optisch sehr deutlich den "Shining"-Darstellern nachempfunden wurden. In Zeiten von "The Irishman" oder "Rogue One" ist es den Extra-Hinweis wert, daß man nicht etwa die damaligen Schauspieler Shelley Duvall und Scatman Crothers im damaligen Alter am Computer wieder zum Leben erweckte (obwohl das laut Flanagan durchaus zur Diskussion stand), sondern mit Alex Essoe ("Starry Eyes") respektive Carl Lumbly (TV-Serie "Alias") neue Darsteller wählte, die ihren Vorgängern aber bemerkenswert ähnlich sehen – und selbst Ethan Hawke nimmt man es optisch ab, der Sohn von Jack Nicholson zu sein, der übrigens einen Gastauftritt ablehnte. Ein "Shining"-Cameo gibt es trotzdem, denn der damalige Danny-Kinderdarsteller Danny Lloyd ist kurz als Zuschauer bei einem Schul-Baseballspiel zu sehen – sein erster Leinwandauftritt seit "Shining" (weshalb ihn natürlich auch kaum jemand erkennen dürfte …)! Die Kenntnis von "Shining" bringt also sehr wohl einen Mehrwert, dennoch funktioniert "Doctor Sleeps Erwachen" zweifellos auch als unabhängiger Mysteryfilm.

Obwohl die Länge von zweieinhalb Stunden ein wenig abschreckend wirken mag und Flanagan sich sicher etwas kürzer hätte fassen können, erweist sie sich doch als sehr sinnvoll, um den Hauptfiguren nahezukommen. Andere Filmemacher hätten wohl die Episode mit Dans Neustart in New Hampshire im Jahr 2011 gekürzt oder ganz weggelassen und direkt in der Gegenwart weitergemacht, um auf einen zweistündigen Film zu kommen. Ich bin aber froh, daß Flanagan dieser Versuchung nicht erlegen ist und vor allem Ewan McGregor reichlich Gelegenheit gibt, die gebrochene, traumatisierte Persönlichkeit Dan Torrance vor den Augen des Publikums zum Leben zu erwecken. Bei Horror- und Mysteryfilmen ist es ja stets ein entscheidender und recht schwer zu erreichender Punkt, ob die Protagonisten das Publikum genügend interessieren, um mit ihnen mitzufiebern und mitzuzittern. Bei Dan Torrance ist das kein Problem, denn er wird uns als ein Mann präsentiert, der mehr durchmachen mußte als die meisten, beinahe daran zerbrochen wäre, sich dann aber aufrappeln, neu anfangen und sogar der Gesellschaft dienlich sein konnte. Wie sollte man Dan nicht mögen, zumal McGregor ihn mit seinem angeborenen Charme ausstattet und er deshalb einfach nett wirkt. Selbst, daß er seine Gabe nur widerwillig nutzt und kein Held sein will, sondern sich erst überzeugen lassen muß, sie im Kampf gegen den "Wahren Knoten" einzusetzen, macht ihn irgendwo sympathisch; denn "Shining" hin oder her, eigentlich ist Dan ein Durchschnittstyp, der einfach in Ruhe sein Leben verbringen möchte. Mit der engagierten, idealistischen Abra – die vielleicht so ist, wie es Dan ohne die Ereignisse im Overlook Hotel geworden wäre – hat er eine passende jugendliche Mitstreiterin gefunden, die von Newcomerin Kyliegh Curran sehr überzeugend und sympathisch verkörpert wird.

Auch die Antagonisten sind ein Grund, warum "Doctor Sleeps Erwachen" so gut funktioniert, denn die an fahrende Schauspieler erinnernde Gruppierung ist mit ihrer vampirischen Tätigkeit schön geheimnisvoll und gruselig und hat mit Rose eine faszinierende, nicht einfach nur "böse" Anführerin, die sich in erster Linie um das Wohl ihrer Leute kümmert – dafür aber buchstäblich über (Kinder-)Leichen geht. Bei allem Lob kommen wir mit dem "Wahren Knoten" aber auch zu den angesprochenen Mängeln. Denn über die Hintergründe der "Shining-Vampire" erfährt man recht wenig, was gerade deshalb so enttäuschend ist, weil man gerne mehr über sie erfahren würde. Da gibt es beispielsweise Grampa Flick (Carel Struycken, TV-Serie "Twin Peaks"), der Jahrtausende gelebt hat – alleine darüber könnte man einen ganzen Spin-Off-Film drehen, doch es bleibt bei einigen Andeutungen. Auch die Beziehung zwischen Rose und ihrem indianischen Stellvertreter Crow Daddy (Zahn McClarnon, "Bone Tomahawk") hätte Flanagan gerne näher beleuchten können. Noch ärgerlicher: Die neueste "Rekrutin" des "Wahren Knotens", die junge Snakebite Andi (Emily Alyn Lind, "The Babysitter") ist im einen Moment noch eine rebellische Jugendliche, die Pädophile in die Falle lockt, nur im nächsten ohne Skrupel Kinder zu töten, um an deren "Steam" zu gelangen. Zugegeben, die Verlockung nahezu ewigen Lebens ist stark und da es direkt nach Snakebite Andis "Umwandlung" den gleichen 8-Jahre-Zeitsprung wie bei Dan gibt, könnten ihre Skrupel vom Film einfach übersprungen worden sein. Trotzdem wirkt es komisch und nur bedingt glaubwürdig, ich habe mich sogar ungut an "Star Wars Episode III" erinnert gefühlt, wo Anakin Skywalker innerhalb von Minuten vom zwar fehlgeleiteten, aber doch eigentlich immer noch aufrichtig dem Guten verpflichteten Jedi zu einem Massen-Kindermörder mutiert … Bedauerlich ist es ebenso, daß Dans und Abras Kampf gegen den "Wahren Knoten" trotz der obligatorischen Rückschläge alles in allem recht glatt abläuft. Er und Abra werden so mächtig dargestellt, daß man sich selbst in Notlagen nicht wirklich Sorgen um sie macht – und genau deshalb erscheint auch Dans riskante Entscheidung, für den Showdown die Hilfe einiger, nunja, alter Bekannter einzufordern, unnötig, denn mit Abras Hilfe scheint er gut genug mit den Gefahren, die von Rose und ihren Gefährten ausgehen, klarzukommen.

Letztlich ist aber klar, weshalb Stephen King Dan diese Entscheidung treffen läßt – um den erzählerischen Kreis zu "Shining" zu schließen und den Fans von Kubricks Film das zu liefern, was sie sich wahrscheinlich von einer Fortsetzung erwarten. Ich will gar nicht zu sehr in die Details gehen, aber die letzte halbe Stunde bringt ein Déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen. Das ist wohlgemerkt alles wirklich gut gemacht und dabei wunderbar gruselig und atmosphärisch in Szene gesetzt – auch ein Verdienst der stimmungsvollen Musik der Newton Brothers ("Before I Wake") –, aber ein bißchen finde ich es trotzdem schade, daß sich "Doctor Sleeps Erwachen" im Finale weitgehend von der bis dahin vortrefflich vorgeführten Eigenständigkeit verabschiedet. Denn wo "Shining" von Kubrick mit seiner denkwürdigen und häufig zitierten Bildsprache betont künstlerisch gestaltet wurde und primär als phasenweise fast kontemplative Charakterstudie eines dem Wahnsinn verfallenden Mannes funktioniert, ist "Doctor Sleeps Erwachen" eher ein klassischer, etwas konventionellerer und eingängigerer Gruselfilm mit "Vampiren" als Gegnern anstelle des dämonischen Hotels und seiner Geister. Gemein haben beide Filme jedoch, daß sie auf die genreüblichen und berühmt-berüchtigten Jumpscares verzichten, was ich persönlich sehr erfrischend finde. Beide Ansätze sind jedenfalls legitim und funktionieren einwandfrei, mir gefällt Flanagans Film aber tatsächlich besser. Umso bedauerlicher ist es, daß "Doctor Sleeps Erwachen" trotz guter Kritiken an den Kinokassen gefloppt ist, denn Warner Bros. hatte Mike Flanagan bereits mit der Vorbereitung einer Fortsetzung respektive eines Spin-Offs beauftragt; daraus wird jetzt wohl nichts mehr, sofern "Doctor Sleeps Erwachen" sich nicht im Heimkino-Markt noch als Blockbuster erweist …

Fazit: "Doctor Sleeps Erwachen" ist eine erstaunlich starke Fortsetzung des Horrorklassikers "Shining", die trotz einiger Detailmängel mit gut ausgearbeiteten Figuren sowie viel Spannung und noch mehr Atmosphäre überzeugt.

Wertung: 8,5 Punkte.


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